Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
4. Die Beschwerdeführerin rügt des Weiteren, dass sich  ...
5. Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, sie sei in i ...
Erwägung 5.1
Erwägung 5.2
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. Sàrl gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
2C_209/2017 vom 16. Dezember 2019
 
 
Regeste
 
Art. 10 Abs. 2 Bst. a DBA CH-LU; Art. 31 f. VRK; Art. 8 und 9 BV; Verwaltungsverordnungen (Kreisschreiben etc.); Auslegung; Vertrauensschutz; Anforderungen an Praxisänderungen; Gleichbehandlung im Unrecht.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 146 I 105 (106)A.
A.a Die A. Sàrl (nachfolgend: Beschwerdeführerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg. Sie gehört zur B. PLC und wurde von deren Investment Banking Bereich (Abteilung C.) errichtet.
Im Jahr 2009 reichte die Beschwerdeführerin verschiedene Anträge auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) ein:BGE 146 I 105 (106)
BGE 146 I 105 (107)- Formular 79 Nr. 013730, datiert vom 31. März 2009, Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer von Fr. 35'561.48 betreffend Erträge auf Aktien mit entsprechenden Tax Vouchers ausgestellt von der B. PLC.
- Formular 79 Nr. 013731, datiert vom 31. März 2009, Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer von Fr. 24'511'197.60 betreffend Erträge auf Aktien der Novartis AG sowie Genusscheinen der Roche Holding AG mit entsprechenden Tax Vouchers der B. PLC. Auf diesem Formular wurde unter Ziffer 1.d des Fragebogens das Vorliegen von Securities Lending-Geschäften bejaht und im Bemerkungsfeld unter Ziffer 7 des Fragebogens die Bemerkung angebracht, die Beschwerdeführerin habe die Titel am Markt geliehen und die echte Dividende erhalten.
- Formular 79 Nr. 013735, datiert vom 25. August 2009, Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer von Fr. 30'084'500.- betreffend Erträge auf Aktien der Zurich Financial Services Ltd., der Julius Bär Holding, der Swisscom AG, der Syngenta AG, der Nestlé AG und der Adecco AG mit entsprechenden Tax Vouchers der B. PLC. Auf dem Formular wurde unter Ziffer 1.d des Fragebogens das Vorliegen von Securities Lending-Geschäften bejaht und im Bemerkungsfeld unter Ziffer 7 des Fragebogens die Bemerkung angebracht, die Transaktionen würden jenen entsprechen, welche die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2008 beschrieben habe.
- Formular 79 Nr. 013736, datiert vom 25. August 2009, Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer von Fr. 107'500.- betreffend Erträge auf Aktien mit entsprechenden Tax Vouchers der B. PLC.
A.b Nach diverser Korrespondenz fand am 3. November 2010 eine Besprechung zwischen den Vertretern der Beschwerdeführerin und der ESTV statt. Die Besprechung ergab, dass noch Unklarheiten betreffend die Festlegung des Nutzungsrechts und der Anwendung des Kreisschreibens Nr. 13 "Securities Lending- und Repo-Geschäft als Gegenstand der Verrechnungssteuer, ausländischer Quellensteuern, der Stempelabgaben und der direkten Bundessteuer" der ESTV vom 1. September 2006 (nachfolgend: ESTV-Kreisschreiben Nr. 13/2006) bestanden.
Mit Schreiben vom 10. November 2010 gelangte die Beschwerdeführerin an die ESTV und beantragte die Gutheissung der gestelltenBGE 146 I 105 (107) BGE 146 I 105 (108)Rückerstattungsanträge und die Überweisung der beantragten Verrechnungssteuer bis zum 15. Dezember 2010. Alternativ verlangte die Beschwerdeführerin eine vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechtbare Verfügung. Ferner wurde bei einer allfälligen Abweisung der Rückerstattungsanträge für die Zeitdauer ab dem 15. Dezember 2010 die Bezahlung eines Verzugszinses von 5 % gefordert.
B. Mit Entscheid vom 31. Januar 2011 wies die ESTV sämtliche vorgenannten Anträge auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer ab.
Die ESTV begründete ihren Entscheid insbesondere damit, dass die Transaktionen zwischen der Beschwerdeführerin und der D. Ltd. "collateralised financing"-Geschäfte seien. Die von den vorliegenden Rückerstattungsanträgen betroffenen Schweizer Wertschriften seien der Beschwerdeführerin von der D. Ltd. zwecks Sicherung der gewährten Darlehen übergeben worden.
Gegen den Entscheid der ESTV vom 31. Januar 2011 erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2011 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte unter anderem, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die vorgenannten Rückerstattungsanträge seien gutzuheissen samt Zins zu 5 % p.a. seit 15. Dezember 2010, eventuell seit 31. Januar 2011, subeventualiter seit 2. März 2011.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 22. Februar 2017 beantragt die Beschwerdeführerin, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zwecks neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter seien die Rückerstattungsanträge nach Formular 79 Nr. 013731 vom 31. März 2009 über Fr. 24'511'197.60 sowie Nr. 013735 vom 25. August 2009 über Fr. 30'084'500.- gutzuheissen samt Zins zu 5 % p.a. seit 15. Dezember 2010, eventualiter seit 31. Januar 2011, subeventualiter seit 2. März 2011.
Die ESTV beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
4. Die Beschwerdeführerin rügt des Weiteren, dass sich die Vorinstanz bei der Auslegung von Art. 10 Abs. 2 Bst. a des Abkommens vom 21. Januar 1993 BGE 146 I 105 (108) BGE 146 I 105 (109)zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Grossherzogtum von Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.951.81; nachfolgend: DBA CH-LU) nicht an das einschlägige ESTV-Kreisschreiben Nr. 13/2006 gehalten habe. Danach stehe ausländischen Borgern von Schweizer Aktien in Securities Lending-Geschäften die Rückerstattung der Verrechnungssteuer zu (vgl. ESTV-Kreisschreiben Nr. 13/2006, Ziff. 3.2).
 
Erwägung 5.1
 
5.1.2 Das ESTV-Kreisschreiben Nr. 13/2006 betraf nicht nur die Angelegenheit der Beschwerdeführerin, sondern eine Vielzahl von Fällen. Weicht die zuständige Behörde in einem Einzelfall von einer generell-abstrakten Verwaltungsverordnung ab, könnte dies nur dannBGE 146 I 105 (110) BGE 146 I 105 (111)treuwidrig und ein Anlass für Vertrauensschutz sein, wenn sie die Anwendung der Verwaltungsverordnung individuell zugesichert oder bei der betroffenen Person anderweitig ein entsprechendes Vertrauen geweckt hatte. Es ist nicht ersichtlich, dass die ESTV gegenüber der Beschwerdeführerin eine solche Vertrauensgrundlage geschaffen hätte.
 
Erwägung 5.2
 
Da es vorliegend um eine Frage des materiellen Rechts geht, verlieh Art. 9 BV der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf vorgängige Mitteilung von Praxisänderungen.
5.2.2 Beurteilt eine Behörde einen Fall abweichend von ihrer Praxis oder der Praxis einer ihr übergeordneten Instanz, ohne dass die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht, tritt sie in Konflikt mit dem Gleichbehandlungsgebot gemäss Art. 8 BV und dem Postulat der Rechtssicherheit (BGE 134 V 359 E. 8.1 S. 366; BGE 127 V 353 E. 3a S. 355; BGE 126 V 36 E. 5a S. 40; BGE 125 II 152 E. 4c/aa S. 162 f.; vgl. auch ARTHUR MEIER-HAYOZ, in: Berner Kommentar, 3. Aufl. 1962, N. 503 zu Art. 1 ZGB). Jede Änderung der Rechtsprechung muss sich daher auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist (BGE 145 V 50 E. 4.3.1 S. 54 f.).
Diese Anforderungen stellt das Bundesgericht in erster Linie an Änderungen seiner eigenen Rechtsprechung (vgl. BGE 145 I 227 E. 4 S. 232; BGE 140 V 538 E. 4.5 S. 541; BGE 138 III 359 E. 6.1 S. 361; BGE 137 V 314 E. 2.2 S. 316 f.;BGE 146 I 105 (111) BGE 146 I 105 (112) BGE 135 I 79 E. 3 S. 82). Daneben gewährt das Bundesgericht den Rechtsuchenden auch Schutz vor Praxisänderungen kantonaler Instanzen zu kantonalem Recht, wenn für die Änderung keine ernsthaften sachlichen Gründe auszumachen sind (vgl. BGE 144 I 181 E. 5.3 S. 190 f.). Hingegen haben die Rechtsuchenden vor Bundesgericht grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass das Bundesgericht die Praxis einer untergeordneten Instanz befolgt, wenn es die betreffende Rechtsfrage frei überprüfen kann. Dies käme einer Bindung des Bundesgerichts an die Rechtsauffassung der untergeordneten Instanz gleich, die mit der Rolle des Bundesgerichts nicht vereinbar wäre. Denn als höchstes Gericht im Bundesstaat (Art. 188 Abs. 1 BV) hat das Bundesgericht für die richtige und einheitliche Auslegung und Anwendung des Bundes- und Völkerrechts zu sorgen (BGE 138 I 232 E. 2.3 S. 236; BGE 137 III 580 E. 1.1 S. 583; BGE 135 III 397 E. 1.2 S. 399).
    BGE 146 I 105 (113)"3.2 Borger im Ausland
    Ausländische Borger haben im Falle eines Long Borrowing Anspruch auf Rückerstattung der auf der Originalzahlung erhobenen VST im Rahmen allfällig anwendbarer DBA. Bei Geschäften zwischen im Ausland domizilierten Parteien hat der Lender nur dann einen Anspruch auf Rückerstattung einer auf der Ausgleichzahlung allenfalls ausgewiesenen VST, wenn die Ablieferung dieser VST genügend nachgewiesen werden kann."
Laut der Vorinstanz lässt sich dieser Formulierung gar keine Aussage über die Nutzungsberechtigung des Borgers in Securities Lending-Geschäften entnehmen, behalte sie doch die anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen gerade vor. Die Beschwerdeführerin hält diese Interpretation für unzutreffend und wirft der Vorinstanz vor, die von ihr angebotenen Beweismittel zur Auslegung des ESTV-Kreisschreibens Nr. 13/2006 zu Unrecht nicht abgenommen zu haben.
Aus einer solchen rechtswidrigen Praxis könnte die Beschwerdeführerin aber nichts zu ihren Gunsten ableiten. Denn die ESTV hat vor Bundesgericht nicht zu erkennen gegeben, diese gegebenenfalls rechtswidrige Praxis selbst bei einem ihr widersprechenden Urteil des Bundesgerichts beibehalten zu wollen. Damit ist gemäss derBGE 146 I 105 (113) BGE 146 I 105 (114)Rechtsprechung davon auszugehen, dass die ESTV spätestens aufgrund des vorliegenden Urteils zu einer rechtmässigen Praxis übergehen wird (vgl. BGE 122 II 446 E. 4a S. 451 f.; BGE 115 Ia 81 E. 2 S. 83; BGE 98 Ib 21 E. 4 S. 26). Folglich überwiegt das Interesse an der Gesetzmässigkeit der Verwaltung das Interesse der Beschwerdeführerin an der Gleichbehandlung mit anderen Borgern.
Die Behauptung der ESTV, wonach sich die streitbetroffenen Geschäfte nicht mit üblichen Securities Lending-Geschäften vergleichen liessen und schon aus diesem Grund ihre Praxis zu Securities Lending-Geschäften nicht anwendbar sei, braucht unter diesen Umständen nicht näher geprüft zu werden. Ebenso erübrigt es sich, weiter auf den "wahren" Inhalt des ESTV-Kreisschreibens Nr. 13/2006 und die diesbezüglichen formellen Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen (Art. 97 Abs. 1 BGG).BGE 146 I 105 (114)