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Zitiert durch:
BGE 137 V 394 - Doppelerstattung durch Versicherungen


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 4
Erwägung 5
6. Zu prüfen bleibt, ob die (erfüllte) Vorleistungspfli ...
Erwägung 6.3
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
15. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle Bern gegen Helsana Versicherungen AG, betreffend D. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_241/2008 vom 25. März 2009
 
 
Regeste
 
Art. 66 Abs. 1 IVV; Art. 70 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 ATSG; Art. 12 Abs. 1 IVG (bis Ende 2007 gültig gewesene Fassung); Befugnis des Krankenversicherers, eine Person bei der Invalidenversicherung anzumelden.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 135 V 106 (107)A. Der 1952 geborene D. war bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) obligatorisch krankenpflegeversichert, als er sich am 7. Februar 2007 einer Katarakt-Operation unterzog. Die Helsana übernahm die Kosten dieser Operation (...). Bereits vor und erneut nach dem Eingriff forderte sie den Versicherten auf, sich bei der Eidg. Invalidenversicherung (nachfolgend: IV) zum Leistungsbezug (medizinische Eingliederungsmassnahmen) anzumelden. Nachdem dies unterblieben war, meldete die Helsana ihrerseits D. bei der IV an (Schreiben vom 6. Juli 2007).
Mit Verfügung vom 29. Oktober 2007 trat die IV-Stelle Bern nicht auf das Leistungsbegehren ein. Zur Begründung erklärte sie, die Helsana sei nicht legitimiert, den Versicherten anzumelden.
B. In Gutheissung der dagegen von der Helsana erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück "zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen". In den Erwägungen hielt das Gericht fest, die IV-Stelle habe auf die Anmeldung vom 6. Juli 2007 einzutreten und die erforderlichen Abklärungen zur Beurteilung ihrer Leistungspflicht vorzunehmen (Entscheid vom 14. Februar 2008).
C. Die IV-Stelle Bern erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Die Helsana schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) deren Gutheissung beantragt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
 
Erwägung 4
 
4.2 Die Helsana ist für die Kosten der Katarakt-Operation (...) aufgekommen. Darin liegt offensichtlich weder eine regelmässigeBGE 135 V 106 (107) BGE 135 V 106 (108)Unterstützung noch eine dauernde Betreuung im Sinne von Art. 66 Abs. 1 IVV. Falls die dortige Umschreibung der Anmeldeberechtigung als abschliessend zu gelten hat, war der Nichteintretensentscheid der IV-Stelle korrekt. Im Folgenden bleibt zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin gestützt auf eine andere Rechtsgrundlage zur Anmeldung befugt ist.
 
Erwägung 5
 
6.1 Hat ein vorleistungspflichtiger Versicherungsträger Leistungen erbracht und wird der Fall von einem anderen Träger übernommen,BGE 135 V 106 (108) BGE 135 V 106 (109)so hat dieser die Vorleistungen im Rahmen seiner Leistungspflicht zurückzuerstatten (Art. 71 ATSG). Um die Übernahme des Falles durch den zuständigen Träger zu gewährleisten, bestimmt Art. 70 Abs. 3 ATSG, die berechtigte Person habe sich bei den in Frage kommenden Sozialversicherern anzumelden. Kommt die versicherte Person, wie hier, der ihr durch diese Bestimmung auferlegten Verpflichtung nicht nach, stellt sich die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen dieses Verhaltens. Das Gesetz enthält keine diesbezüglichen Bestimmungen. Dementsprechend hat das Gericht eine Regel aufzustellen (vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB). Im Schrifttum werden dazu verschiedene Positionen vertreten:
BGE 135 V 106 (110)6.1.4 Schliesslich wird die Anmeldebefugnis auch aus dem Grundsatz der Einheit des Prozesses abgeleitet: Ein vorleistungspflichtiger Versicherer sei legitimiert, den Entscheid eines anderen Trägers auf dem Rechtsmittelweg anzufechten (Befugnis zur Anfechtung "pro Adressat"; vgl. BGE 134 V 153 E. 5.4 S. 159 f. mit Hinweisen; zum Verhältnis Invalidenversicherung-Krankenversicherung siehe Art. 88quater Abs. 1 IVV sowie MARIA LONDIS, Das Verhältnis der Krankenversicherer zu den anderen Sozialversicherungen, SZS 2001 S. 132 ff., 133 f.). Er müsse deshalb den entsprechenden Anspruch auch mittels Anmeldung geltend machen können (KIESER, Vorleistungspflichten der Pensionskassen nach BVG und ATSG - Fragen und einige Antworten, in: Die 1. BVG-Revision. Neue Herausforderungen - Praxisgerechte Umsetzung, 2005, S. 101 ff., 109).
 
Erwägung 6.3
 
6.3.1 Soweit das ATSG einen Versicherungsträger für vorleistungspflichtig erklärt, statuiert es in Art. 70 Abs. 3 ATSG eine Verpflichtung der versicherten Person, ihre Ansprüche gegenüber anderen Versicherern anzumelden. Daraus wird deutlich, dass der Anmeldung in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zukommt. Das Gesetz überlässt es nicht dem Belieben der versicherten Person, ob sie sich beim zuständigen Versicherer anmelden will. Das Unterlassen der Anmeldung - unter Missachtung der entsprechenden gesetzlichen Verpflichtung - hat in diesem Zusammenhang nicht nur zur Folge, dass der entsprechende Anspruch mit der Zeit erlischt (vgl. Art. 24 Abs. 1 ATSG), sondern verunmöglicht es auchBGE 135 V 106 (111) BGE 135 V 106 (112)der Beschwerdegegnerin, welche Vorleistungen erbracht hat, eine auf Art. 71 ATSG gestützte Forderung geltend zu machen. Diese Auswirkungen sind in ihrer Intensität jenen eines formellen Verzichts im Sinne von Art. 23 ATSG gleichzusetzen. Sie lassen sich vermeiden, wenn der Träger, welcher Vorleistungen erbracht hat, die Anmeldung aus eigenem Recht vornehmen kann. Auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit des Prozesses ist ein berechtigtes Interesse des vorleistungspflichtigen Versicherers gegeben, welches die Annahme einer Anmeldebefugnis rechtfertigt. Die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen einer Verletzung der Anmeldepflicht gemäss Art. 70 Abs. 3 ATSG ist deshalb dahingehend zu beantworten, dass derjenige Sozialversicherungsträger, welcher in Erfüllung einer Verpflichtung nach Art. 70 Abs. 1 und 2 ATSG Vorleistungen erbracht hat, die versicherte Person aus eigenem Recht beim von ihm als zuständig erachteten Träger anmelden kann. Damit kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gesichtspunkte der Einheit des Prozesses (E. 6.1.4 hiervor) und der Nichtigkeit eines Verzichts (E. 6.1.3 hiervor) auch in anderen Konstellationen eine Anmeldebefugnis Dritter zu begründen vermögen.