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BGE 130 III 430 - UNO-Diplomaten


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
A.
Auszug aus den Erwägungen:
Erwägung 2
2.- Der Ausgang der Sache hängt davon ab, ob die bereits dem Geme ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: DFR-Server, A. Tschentscher
 
36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
vom 11. Oktober 1990
 
i.S. R. und Kons. gegen I. AG, Gemeinde Salouf und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Kammer 4
 
(staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Anforderungen an die Publikationspflicht bei Nutzungsplanänderungen (Art. 33 RPG, Art. 4 BV). Nichtigkeit und Anfechtbarkeit bei mangelhafter Publikation.
 
1. Entspricht die Publikation einer Teilrevision eines Zonenplans den Anforderungen von Art. 33 RPG und Art. 4 BV, wenn sie einzig im Anschlagkasten der Gemeinde bekanntgemacht wird? Frage offengelassen (E. 2b).
 
2. Entspricht die nach ortsüblicher Praxis erfolgte Veröffentlichung einer Zonenplan- und Baugesetzänderung im Anschlagkasten der Gemeinde den Anforderungen von Art. 33 RPG und Art. 4 BV nicht, liegt nur ein anfechtbarer rechtlicher Mangel des Publikationsverfahrens vor, der keine Nichtigkeit der publizierten Änderung zur Folge hat (E. 2c).
 
 
BGE 116 Ia 215 (216)Sachverhalt
 
A.
 
Am 2. Dezember 1988 wurde am sogenannten "schwarzen Brett", dem öffentlichen Anschlagkasten der Gemeinde Salouf ein Antrag auf Änderung des kommunalen Baugesetzes bekannt gemacht, welcher vorsah, dass die Quartierplanpflicht im Gebiet Pulens aufgehoben und verschiedene Bauvorschriften geändert wurden. Innert der gesetzlichen Frist wurden keine Einwendungen erhoben. Der in der Folge von der Gemeindeversammlung am 9. Mai 1989 gefasste zustimmende Beschluss wurde am 10. Mai 1989 erneut am "schwarzen Brett" bekannt gemacht, wobei darauf hingewiesen wurde, dass Beschwerde an die Regierung des Kantons Graubünden als Genehmigungsbehörde erhoben werden könne. Mit Beschluss vom 3. Juli 1989 genehmigte die Regierung die Ergänzung des Baugesetzes und den geänderten Teilzonenplan Pulens. Die Aufhebung der Quartierplanpflicht wurde damit rechtskräftig. Am 3. Oktober 1989 reichte die I. AG ein Baugesuch für die Erstellung eines 6-Familienhauses auf Parzelle Nr. 192 inBGE 116 Ia 215 (216) BGE 116 Ia 215 (217)Pulens ein. Gegen dieses Vorhaben ging unter anderem eine Einsprache seitens der Beschwerdeführer ein. Diese machten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, da sie die Publikation des Änderungsantrages durch Anschlag am "schwarzen Brett" der Gemeinde als ungenügend erachteten. Der Beschluss der Gemeindeversammlung vom 9. Mai 1989 wie auch der Genehmigungsbeschluss der Regierung seien daher nichtig. Der Gemeinderat von Salouf und auf Beschwerde hin das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden verneinten die Stichhaltigkeit dieser Einwendungen. Das Bundesgericht weist eine gegen den Verwaltungsgerichtsentscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
 
BGE 116 Ia 215 (218)b) Ob dieser Auffassung gefolgt werden kann, ist fraglich. BGE 115 Ia 21 bezieht sich auf die Bekanntgabe eines Baugesuchs im Anschlagkasten einer grösseren Tessiner Gemeinde. Dabei hielt das Bundesgericht fest, dass in einer grösseren Ortschaft die Bekanntgabe eines Baugesuchs im Anschlagkasten dem Gebot einer vorschriftsgemässen Publikation nur genügt, wenn sie von einer anderen Massnahme der Bekanntmachung begleitet wird, die den Anschlag hervorheben und ergänzen soll. Als solche zusätzliche Massnahme komme insbesondere die Profilierung des Baugesuches in Betracht.
Im vorliegenden Falle geht es nicht um die Publikation des Baugesuches der Beschwerdegegnerin I. AG, welches die Beschwerdeführer zum Anlass ihrer Einwendung der Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse genommen haben. Massgebend ist vielmehr allein die Frage, ob die sowohl vom kantonalen Recht als auch vom Bundesrecht verlangte öffentliche Auflage von Nutzungsplänen bzw. Nutzungsplanänderungen in rechtsgenügender Weise durchgeführt wurde. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, dass die bundesrechtlich angeordnete Auflage nicht nur dazu dient, die Information und Mitwirkung der Bevölkerung im Sinne von Art. 4 RPG zu ermöglichen. Sie steht vielmehr im Dienste des Rechtsschutzes, wie der 5. Titel des Raumplanungsgesetzes zu den Art. 33 und 34 RPG festhält (LEO SCHÜRMANN, Bau- und Planungsrecht, 2. Auflage, S. 281 ff.). Dabei ist weiter zu beachten, dass im vorliegenden Falle nicht nur die baurechtliche Grundordnung der Gemeinde, sondern der Teilzonenplan für das Ferienhausgebiet Pulens geändert wurde, in welchem nach der früheren Ordnung die Quartierplanpflicht galt. Als ein der baurechtlichen Grundordnung nachgeordnetes, der Erschliessung des Teilgebietes Pulens und der Gestaltung seiner Überbauung dienendes Instrument (Art. 38 des kantonalen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973, KRG) räumte diese Regelung den Eigentümern von Grundstücken im Quartierplangebiet eine weitergehende Mitsprache ein (Art. 45 KRG). Die von der Gemeindeversammlung am 9. Mai 1989 beschlossene Änderung des Teilzonenplanes nahm den Grundeigentümern und damit auch den Beschwerdeführern diese Mitsprachemöglichkeit.
Der vom Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Auffassung angeführte BGE 106 Ia 310 bezieht sich auf die Frage der Gesamtrevision von Bauvorschriften und Zonenplan, wie sich aus E. 1a ergibt. Das Bundesgericht bezeichnete es jedenfalls nicht alsBGE 116 Ia 215 (218) BGE 116 Ia 215 (219)verfassungswidrig, wenn der neue Erlass bzw. die für dessen Anfechtung vorgesehene Frist durch die allgemeinen Publikationsmittel bekanntgemacht werden. Es hielt fest, dass eine Pflicht zur persönlichen Benachrichtigung der einzelnen Grundeigentümer im Rahmen einer Gesamtüberprüfung der Ortsplanung sich nicht aus Art. 4 BV herleiten lasse und daher nur bestehe, falls sie im kantonalen Recht ausdrücklich vorgesehen sei (BGE 106 Ia 312 E. 1a). Eine solche Gesamtrevision der baurechtlichen Grundordnung der Gemeinde kann nicht ohne weiteres auf eine begrenzte Teilrevision übertragen werden, mit welcher den Eigentümern von Liegenschaften in einem bestimmten Gebiet ein Mitspracherecht entzogen wird, wie dies zutrifft, wenn ein Quartierplan aufgehoben wird. Namentlich ergibt sich aus dem genannten Entscheid nicht, ob in einem solchen Falle der blosse Anschlag der Rechtsänderung am "schwarzen Brett" der Gemeinde genüge.
Nichtigkeit, d.h. absolute Unwirksamkeit einer Verfügung, wird nur angenommen, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird (BGE 104 Ia 176 f. E. 2c mit Verweisungen). Ein Publikationsverfahren durch Anschlag am amtlichen Anschlagbrett einer kleinen Gemeinde, das an sich nach den Anforderungen des kantonalen Rechts als ortsüblich zu bezeichnen ist, kann nicht als schwerwiegender Verfahrensfehler im Sinne der Rechtsprechung bezeichnet werden. DieBGE 116 Ia 215 (219) BGE 116 Ia 215 (220)Annahme der Nichtigkeit würde die Rechtssicherheit ernsthaft gefährden, wie dies der vorliegende Fall zeigt. Eine von der Gemeindeversammlung kompetenzgemäss beschlossene und von der Regierung in Übereinstimmung mit den Anforderungen des kantonalen Rechts (Art. 37 KRG) und des Bundesrechts (Art. 26 RPG) genehmigte Baugesetz- und Nutzungsplanänderung ist für jedermann verbindlich (Art. 21 RPG). Da Nichtigkeit nicht geheilt werden kann, sondern jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten ist, wäre grösste Rechtsunsicherheit für alle von der Verbindlichkeit des Planes betroffenen Liegenschaftseigentümer die Folge.
Diese Feststellung besagt nicht, dass Eigentümer, welche wegen einer allenfalls mangelhaften Publikation benachteiligt sind, schutzlos sind. Der Mangel erlaubt ihnen die Anfechtung der Verfügung. Doch können sie mit einer Anfechtung nicht beliebig lange zuwarten. Sie müssen vielmehr das ihnen zustehende Rechtsmittel ergreifen, nachdem sie vom Mangel Kenntnis erhalten haben (BGE 102 Ib 93 E. 3).
Von einer rechtzeitigen Anfechtung des Gemeindeversammlungsbeschlusses haben die Beschwerdeführer nach ihrer eigenen Darstellung bewusst abgesehen. Sie hätten, nachdem sie spätestens an der Aussprache mit einer Delegation des GemeindevorstandesBGE 116 Ia 215 (220) BGE 116 Ia 215 (221)am 17. November 1989 Kenntnis von der Rechtsänderung erhielten, innert der Rechtsmittelfrist von zwanzig Tagen gemäss Art. 37a KRG den Gemeindeversammlungsbeschluss mit Rekurs bei der Regierung anfechten müssen (BGE 102 Ib 94 E. 3). Ihre Einsprache gegen das Bauvorhaben der privaten Beschwerdegegnerin und das anschliessende Beschwerdeverfahren vermochte die fehlende rechtzeitige Anfechtung nicht zu ersetzen. Da keine solche Anfechtung vorliegt, bleibt der Gemeindeversammlungsbeschluss rechtsbeständig (FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 306), was zur Ablehnung der staatsrechtlichen Beschwerde führen muss.BGE 116 Ia 215 (221)