Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:
BGE 120 V 413 - Ausgleichskasse Zug


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Auszug aus den Erwägungen:
2. a) Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der R ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. April 1992 i.S. M. und M. gegen den Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Zürich und Obergericht (Verwaltungskommission) des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Zulassung als Geschädigter gemäss §§ 9 und 10 des zürcherischen Gesetzes vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (Strafprozessordnung; StPO).
 
2. Voraussetzungen der Geschädigtenstellung nach zürcherischem Strafprozessrecht in einem Fall von nächtlicher Ruhestörung (E. 2b).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 118 Ia 14 (14)Herr und Frau M. wohnen im gleichen Haus wie Frau S. in der Stadt Zürich. Die Eheleute M. verzeigten Frau S. wegen fortgesetzter Lärmbelästigung. In der Folge wurde Frau S. durch den Polizeirichter der Stadt Zürich unter anderem wegen Ruhestörung im SinneBGE 118 Ia 14 (14) BGE 118 Ia 14 (15)von § 9 des zürcherischen Gesetzes vom 30. Juni 1974 über das kantonale Strafrecht und den Vollzug von Strafen und Massnahmen (StVG) gebüsst. Frau S. verlangte hierauf gerichtliche Beurteilung. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich sprach sie frei. Dieses Urteil wurde Frau S. und dem Polizeirichteramt der Stadt Zürich, nicht jedoch den Eheleuten M. zugestellt.
Die Eheleute M. verlangten sowohl im Verfahren vor dem Polizeirichter als auch in demjenigen vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich, es seien ihnen Akteneinsicht und Parteirechte als Geschädigte zu gewähren. In beiden Verfahren wurde ihnen dies verweigert, weshalb sie bei der Verwaltungskommission des Obergerichtes Beschwerde führten. Die Verwaltungskommission des Obergerichtes wies die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat.
Herr und Frau M. beantragen mit staatsrechtlicher Beschwerde, der Entscheid der Verwaltungskommission sei aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
BGE 118 Ia 14 (15)
BGE 118 Ia 14 (16)b) Die Verwaltungskommission des Obergerichtes handelte sodann willkürlich, als sie in ihrer Eventualbegründung die kantonale Beschwerde trotzdem materiell behandelte, die Geschädigtenstellung der Beschwerdeführer aber verneinte. Unmittelbar Geschädigter ist zwar nur der Träger des durch die Strafdrohung geschützten Rechtsgutes, gegen das sich die Straftat ihrem Begriffe nach richtet (CLAUDE BAUMANN, Die Stellung des Geschädigten im schweizerischen Strafprozess, Diss. Zürich 1958, S. 21 f.; ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechtes, 2. Auflage, S. 82 f.). Gemäss § 9 StVG wird mit Busse oder mit Haft bestraft, wer durch Lärm oder Geschrei die Nachtruhe in grober Weise stört. Das Bundesgericht hat derartige Bestimmungen stets als sowohl im öffentlichen als auch im privaten Interesse liegend betrachtet. Neben der öffentlichen Ruhe und Ordnung ist auch der private Rechtsanspruch auf Unterbleiben einer Ruhestörung geschütztes Rechtsgut. Analog wie bei Immissionsbestimmungen im allgemeinen nimmt ein verzeigender Anwohner neben dem öffentlichen auch ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse wahr. Derartige Strafbestimmungen schützen die Interessen von Nachbarn und insbesondere - wie hier - Wohnungsnachbarn neben dem öffentlichen Interesse an Ruhe und Ordnung nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar. Gerade aus den vorliegenden Akten geht deutlich hervor, dass die Beschwerdeführer geltend machen, ihnen sei unmittelbar ein Schaden zugefügt worden oder habe ihnen zumindest zu erwachsen gedroht; diese Umstände begründen im Kanton Zürich die Geschädigtenstellung (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, N 502; vgl. auch JÖRG REHBERG, in Festschrift Max Keller, Zürich, 1989, S. 630 und 631). Die Geschädigtenrechte gemäss §§ 9 und 10 StPO gelten im Kanton Zürich grundsätzlich auch im Verfahren bei Übertretungen. Für gerichtliche Übertretungsstrafverfahren werden nämlich gemäss § 363 StPO die Vorschriften über das Hauptverfahren vor Bezirksgericht sinngemäss angewandt. Dabei geht beispielsweise aus § 280 Abs. 2 und § 283 Abs. 2 und 3 StPO hervor, dass der Geschädigte ein Recht auf Teilnahme an der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung hat und dass er auch zum Schuld- und Strafpunkt Ausführungen machen kann. Indem die Verwaltungskommission den Beschwerdeführern dies verweigerte, verletzte sie Art. 4 BV.BGE 118 Ia 14 (16)