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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. (Prozessuales). ...
2. Droht einer geschichtlichen Stätte oder einem Kulturdenkm ...
3. Der Beschwerdeführer beantragt, die Sache sei an die Vori ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
26. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1974 i.S. Geissbühler gegen Eidg. Departement des Innern
 
 
Regeste
 
Massnahmen zum Schutz von Kulturdenkmälern: Art. 16 NHG.
 
- Von den Sicherungsmassnahmen ist nur zurückhaltend Gebrauch zu machen.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 100 Ib 162 (162)Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Grundstückes, auf dem sich Überreste der einstigen gallo-römischen Militärsiedlung Petinesca finden. Es handelt sich dabei um Stätten von grossem, einmaligem kulturhistorischem Stellenwert von nationaler Bedeutung. Am 15. März 1974 verkaufte der Beschwerdeführer das Grundstück zum Preis von rund Fr. 90.- /m2. Da der Kanton Bern, dem ein Vorkaufsrecht an diesem Grundstück zusteht, zu diesem Preis von seinem Recht nicht Gebrauch machen will, wandten sich die kantonalen Behörden an das Eidg. Departement des Innern (EDI) und machten es auf den Sachverhalt aufmerksam. Dieses verfügte daraufhin ein Bau- und Veränderungsverbot für die Dauer von fünf Jahren. Es berief sich auf Art. 16 des Bundesgesetzes über Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG); die MassnahmeBGE 100 Ib 162 (162) BGE 100 Ib 162 (163)solle es ermöglichen, in Ruhe die notwendigen Schritte zur Enteignung des Grundstückes einzuleiten. Gegen diese Verfügung erhebt der Betroffene Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
Damit Art. 16 NHG anwendbar ist, muss dem Kulturdenkmal Gefahr drohen. In dieser Hinsicht sind die zur Beurteilung der Beschwerde massgebenden Verhältnisse von der Vorinstanz nur sehr summarisch geprüft worden. Eine Gefahr für die Überreste, z.B. eine drohende Beseitigung oder Veränderung, scheint nicht zu bestehen. Aus den Akten ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der derzeitige oder der künftige Eigentümer eine nachteilige Veränderung an den Kulturdenkmälern selbst beabsichtigen. Es geht aus dem Bericht des Landesmuseums hervor, dass die Überreste zurzeit nicht voll zur Geltung kommen, weil die bestehenden Bauten dem im Wege stehen. Es erscheint offenbar wünschenswert, dass diese Bauten in der Zukunft beseitigt werden, um das Kulturzentrum besser hervortreten zu lassen. Durch Neubauten in unmittelbarer Nähe des Schutzobjektes dürfte daher eine BeeinträchtigungBGE 100 Ib 162 (163) BGE 100 Ib 162 (164)der heutigen Situation eintreten, die ein Eingreifen rechtfertigen könnte. Droht einem Objekt von nationaler Bedeutung in diesem Sinne Gefahr, sind auch einschneidende Massnahmen, wie z.B. die Anordnung von Bauverboten, zulässig (vgl. Sten. Bulletin 1966 NR 333, Votum Heil und Antwort von Bundesrat Tschudi). Indessen ergibt sich aus den Akten nicht, dass der Käufer der Liegenschaft eine Erweiterung des bestehenden Hauses oder die Erstellung weiterer Bauten auf dem Grundstück anstrebt. Vorgesehen ist anscheinend bloss die Renovation des bestehenden Gebäudes. Es ist daher fraglich, ob davon gesprochen werden kann, dem Kulturdenkmal in seinem bisherigen Bestand drohe überhaupt durch den Ver-. kauf und die vorgesehenen Veränderungen baulicher Art am fraglichen Wohnbau Gefahr.
Die Gefahr muss ausserdem eine unmittelbare sein ("un danger imminent", "un pericolo imminente"). Damit ist in erster Linie gemeint, dass die Gefahr zeitlich unmittelbar bevorsteht. Während der französische und der italienische Gesetzeswortlaut einzig diese Auslegung nahelegen, lässt die deutsche Fassung auch den Schluss zu, dass die Gefahr die Objekte von nationaler Bedeutung unmittelbar in ihrem bisherigen Bestand treffen muss. Diese Auslegung entspricht dem Zweck des Gesetzes, das historische Stätten oder Kulturdenkmäler in ihrem materiellen Bestand und im Rahmen ihrer Umgebung, soweit es auf sie ankommt, erhalten will. Der angefochtene Entscheid bezweckt keinen solchen Schutz. Wie insbesondere aus der Vernehmlassung der Vorinstanz hervorgeht, soll das Veränderungsverbot dazu dienen, dem Kanton Bern oder allenfalls der Eidgenossenschaft den Erwerb der Parzelle Nr. 129 auf dem Enteignungsweg zu einem Preis zu sichern, der den Erwerbern angemessen erscheint. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass das Gemeinwesen, sofern es die Liegenschaft enteignungsweise erwerben muss, ohne die Auswirkungen des Veränderungsverbots eine Mehrleistung erbringen muss, wenn bis zur Einleitung des Enteignungsverfahrens die bestehenden Gebäulichkeiten in Stand gestellt werden. Allein eine solche Gefahr ist keine Gefahr für die Kulturdenkmäler selbst, sondern höchstens für die Finanzen des Gemeinwesens, das die Liegenschaft erwerben will. Zu einem solchen bloss indirekten Schutz der Kulturdenkmäler bietet aber Art. 16 NHG keine Grundlage, verlangt er doch, dass den Denkmälern unmittelbarBGE 100 Ib 162 (164) BGE 100 Ib 162 (165)Gefahr drohe. Aus der Beschränkung der Eingriffsmöglichkeit der Eidgenossenschaft auf Fälle unmittelbarer Gefahr lässt sich entnehmen, dass von Sicherungsmassnahmen nur zurückhaltend Gebrauch zu machen ist, im wesentlichen nur dann, wenn alle andern Mittel für die unmittelbare Sicherung versagen (vgl. Botschaft des Bundesrates zum NHG, BBl 1965 III 108, zu Art. 15 des Entwurfes). Aus dem Gesetz ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber dem Gemeinwesen für den Fall, dass es eine Liegenschaft mit geschichtlichem Stellenwert enteignungsweise erwerben muss, über die im Enteignungsrecht selbst enthaltenen Sicherungsmöglichkeiten gegen ungerechtfertigte Forderungen (wie z.B. durch Anordnung des Enteignungsbannes) weitere Sicherungsmöglichkeiten durch Anordnung vorläufiger Massnahmen zur Verfügung stellen wollte; ohnehin verweist das Gesetz den Bund in solchen Fällen in erster Linie auf den Weg freihändigen Erwerbs. Durch ungesäumte Einleitung des Enteignungsverfahrens, die im zu beurteilenden Falle vermutlich ohne grosse Weiterungen möglich ist, wird wahrscheinlich das enteignende Gemeinwesen, sei es der Bund oder der Kanton Bern, verhindern können, dass er ungerechtfertigterweise einen missbräuchlich geschaffenen Mehrwert entschädigen muss.
Die Vorinstanz hat Art. 16 NHG somit in einer Weise ausgelegt und angewandt, die mit seinem Sinn nicht vereinbar ist, weil sie über ihn hinausgeht. Sie hat damit Bundesrecht verletzt, so dass ihr Entscheid aufzuheben ist.