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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
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40. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1964 i.S. Einwohnergemeinde Gerlafingen gegen Regierungsrat des Kantons Bern.
 
 
Regeste
 
Einspruch gegen den Kaufvertrag über ein landwirtschaftliches Heimwesen. Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG.
 
In welchem Sinne kann der Programmartikel 1 des Gesetzes zur Auslegung der einzelnen Bestimmungen herangezogen werden?
 
 
Sachverhalt
 
BGE 90 I 264 (264)Aus dem Tatbestand:
A.- Die Einwohnergemeinde Gerlafingen, Kanton Solothurn, plant die Errichtung einer Alterssiedlung, eines SchulzentrumsBGE 90 I 264 (264) BGE 90 I 264 (265)und einer Sportanlage. Sie verfügt nicht mehr über genügend eigenes Land und ist daher auf den Erwerb privater Liegenschaften angewiesen. Sie fand das für die unmittelbar zu erfüllenden Aufgaben benötigte Land im Heimwesen der Eheleute Flury-Schreier. Diese waren zur Veräusserung an die Gemeinde bereit, sofern ihnen ein anderes bäuerliches Heimwesen verschafft werde, das ihnen mit ihren vier Söhnen und vier Töchtern und dem Bruder der Ehefrau eine gesunde bäuerliche Existenz zu bieten vermöge. Die Gemeinde suchte daher durch Zeitungsinserate und Liegenschaftsvcrmittler Ersatzland.
B.- Unter den Angeboten befand sich dasjenige der Erbengemeinschaft Bütikofer für das Bauerngut "Leimern" in Jetzikofen, Gemeinde Kirchlindach bei Bern, im Halte von 2174.40 Aren. Die Eigentümer entschlossen sich zum Verkauf an die Einwohnergemeinde Gerlafingen, die den höchsten Preis bot. Übrigens befanden sich unter den Kaufsinteressenten keine Bauern, weder zur Selbstbewirtschaftung noch sonst zum Erwerb des Heimwesens. Der Kaufvertrag wurde am 21. Februar 1963 öffentlich beurkundet. Der Preis beträgt Fr. 1'340,000.--.
C.- Indessen wünschte die Familie Flury namentlich aus konfessionellen Gründen im bisher von ihr bewohnten Kirchsprengel zu bleiben. Da die Einwohnergemeinde Gerlafingen keine dieser Bedingung entsprechende Liegenschaft gegen bar erwerben konnte, entschloss sie sich zu einem Dreieckhandel: Danach erhält die Familie Flury im Austausch für ihr Land ein grösseres und günstiger zu bewirtschaftendes Heimwesen in den Gemeinden Halten und Recherswil, und dazu ein Aufgeld von Fr. 300'000.--. Dieses Heimwesen besteht aus Parzellen, die bisher zwei Nichtlandwirten gehörten. Diese sind bereit, es ebenfalls gegen Realersatz abzugeben. Einer von ihnen will das Heimwesen "Leimern" in Tausch nehmen.
D.- Gegen den Kaufvertrag zwischen den Erben Bütikofer und der Einwohnergemeinde Gerlafingen erhob das Grundbuchamt Bern Einspruch, den der RegierungsstatthalterBGE 90 I 264 (265) BGE 90 I 264 (266)I von Bern schützte, ebenso der Regierungsrat des Kantons Bern mit Entscheid vom 1. November 1963.
E.- Mit vorliegender Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht hält die Einwohnergemeinde Gerlafingen am Antrage fest, der gegen den Kaufvertrag erhobene Einspruch sei aufzuheben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
..... Zu prüfen bleibt, ob der vom Regierungsrat einzig in Betracht gezogene Einspruchsgrund des Art. 19 Abs. 1 lit. a ("wenn der Käufer das Heimwesen oder die Liegenschaft offensichtlich zum Zwecke der Spekulation oder des Güteraufkaufs erwirbt") zutreffe. Spekulationsabsicht liegt nach allgemeinem Sprachgebrauch als Beweggrund zu einem Landerwerb dann vor, "wenn der Käufer beabsichtigt, das Objekt früher oder später mit Gewinn wieder zu veräussern" (so nach der nicht veröffentlichten Erw. 2 des Entscheides i.S. Barth gegen Bern vom 1. April 1955). Diese Absicht ist offensichtlich, "wenn sich aus den gesamten Umständen des Falles klar ergibt, dass die Absicht eines späteren Wiederverkaufs mit der Hoffnung auf Gewinn das Hauptmotiv des Käufers ist" (ebendort). Benötigt der Käufer die Liegenschaft unmittelbar zu einem bestimmten Zweck oder als Kapitalanlage, so hat man es nicht mit Spekulation zu tun; anders, wenn er das Land lediglich auf Vorrat kauft in der Erwartung, es bei Gelegenheit gewinnbringend verwerten zu können (Entscheid Gasser und Mundwiler gegen Bern vom 17. Februar 1956). Das Argument der kantonalen Behörde, der Pachtzins ergebe keine angemessene Verzinsung des im Grundstück angelegten Kapitals, also liege Spekulation vor, hat das Bundesgericht (i.S. Kellerhals und Koelz gegen Basel-Landschaft vom 21. Dezember 1956) verworfen. Es kommt auf die Gesamtheit der Umstände, auf das gesamte Interesse des Käufers am Erwerb der Liegenschaft an. In BGE 83 I 313 hält das Bundesgericht mit Hinweis aufBGE 90 I 264 (266) BGE 90 I 264 (267)die Entstehungsgeschichte und den Zweck des Art. 19 EGG daran fest, dass der Ankauf einer bäuerlichen Liegenschaft durch einen Nichtlandwirt nicht schon an sich eine Spekulation bedeutet. Wird nicht ein Gewinn durch Wiederverkauf, sondern eine dauernde Vermögensanlage beabsichtigt, so fehlt die offensichtliche Spekulationsabsicht. (So auch i.S. Merz gegen Basel-Landschaft vom 26. Oktober 1962 betreffend den Kauf einer Liegenschaft zur Kapitalanlage und zugleich als Ersatz für das frühere väterliche Gut.) In BGE 87 I 239 wird der Begriff der Spekulation etwas erweitert. Sie liegt danach auch vor, wenn der Erwerber beabsichtigt, durch parzellenweisen Verkauf von Teilen der Liegenschaft einen Gewinn zu erzielen. Von der an dieser Ausweitung des Spekulationsbegriffes geübten Kritik nimmt BGE 88 I 335 Kenntnis, ohne dazu Stellung zu beziehen. Der Entscheid lässt offen, ob an jener Erweiterung festzuhalten sei. In BGE 89 I 58 sodann wird Spekulation verneint, weil die Angaben des Käufers über seine Absicht, ein Wohnhaus für sich und seine Familie zu bauen und den von ihm nicht benötigten Boden ohne Gewinn an die Gemeinde weiterzuveräussern, nicht unglaubwürdig waren.
Im vorliegenden Falle nimmt der Regierungsrat aus folgenden Gründen Spekulationsabsicht der Beschwerdeführerin an: Einmal wolle sie den Hof "Leimern" nicht als dauernde Kapitalanlage behalten, sondern weiterveräussern. Sodann erstrebe sie als Erfolg der miteinander zusammenhängenden Handänderungen, die ihr das Heimwesen der Eheleute Flury verschaffen sollen, einen Gewinn. Denn dem von ihr zu erbringenden Aufwand, bestehend aus dem Kaufpreis von Fr. 1'340,000.--
und dem an Frau Flury zu bezahlenden
Aufgeld von " 300'000.--
zusammen Fr. 1'640,000.--
stehe ein beträchtlich grösserer Baulandwert des bei diesem Tauschgeschäft auf sie übergehenden Landes gegenüber. Sie erhalte insgesamt 890 Aren Land, wovon 675 ArenBGE 90 I 264 (267) BGE 90 I 264 (268)ausgesprochenes Bauland. Ein Preis von Fr. 1'640,000.-- sei für diese Landfläche äusserst gering, selbst wenn man vorsichtigerweise bloss zweistöckige Überbauung annehme (wiewohl das Land zum Teil in der Zone mit vier Stockwerken liege). Auf dem Liegenschaftsmarkt - und ebenso bci einer Enteignung - müsste die Beschwerdeführerin einen bedeutend höheren Preis zahlen. Dieser Aufwendung suche sie nun durch Ankauf und Weiterveräusserung einer bäuerlichen Liegenschaft zu entgehen. "In diesem Vorgehen ist zweifellos eine Spekulation zu sehen."
Bei näherer Würdigung des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich indessen, dass die Beschwerdeführerin den Bauernhof "Leimern" keineswegs in "offensichtlicher Spekulationsabsicht" gekauft hat. Daraus, dass sie dieses Heimwesen nicht zum Eigengebrauch oder als dauernde Kapitalanlage in Gestalt eines Pachtgutes behalten, sondern es weiterveräussern will, darf nicht kurzerhand auf einen zur Gewinnerzielung getätigten Handelskauf geschlossen werden. Das spekulative Moment der Ausnützung veränderlicher, zeitlicher oder örtlicher Preisunterschiede ("Gewinntendenz durch Umsatz"; vgl. JOST, Handkommentar zum EGG, N. 4 zu Art. 19) fehlt hier gänzlich. Diese Liegenschaft soll ja überhaupt nicht gegen Zahlung eines (höhern) Preises auf den Dritten übertragen werden, sondern als Tauschobjekt für dessen gegenwärtigen Landbesitz dienen, den er den Eheleuten Flury als Ersatz für deren von der Beschwerdeführerin beanspruchtes Land überlassen soll. Diese geht bei alldem nur auf den Erwerb des gegenwärtigen Bauerngutes der Eheleute Flury zu dauerndem Besitz aus, und sie erzielt als Ergebnis der verschiedenen ins Werk gesetzten Handänderungen keinen Handelsgewinn; vielmehr hat sie ausser dem für den Hof "Leimern" zu erlegenden Kaufpreis noch Fr. 300'000.-- als Aufgeld an Frau Flury zu zahlen. Somit fragt es sich nur noch, ob, wie der Regierungsrat annimmt, dieser Erwerb im Endeffekt ein überaus günstiger und der Ankauf des Hofes "Leimern" um dieses Endzweckes willen alsBGE 90 I 264 (268) BGE 90 I 264 (269)"Spekulationsgeschäft" zu betrachten sei. Eine solche Art der Betrachtung geht nun aber nicht an. Es mag offen bleiben, wie hoch der Wert des Bauerngutes der Eheleute Flury als Bauland zu veranschlagen sei, ob also in dieser Hinsicht die Überlegungen des angefochtenen Entscheides zutreffen oder ob sie, wie die Beschwerdeführerin behauptet, "aktenwidrig und willkürlich" seien und in Wahrheit eine (in der Beschwerdeschrift eingehend dargclegte) Gesamtbewertung von Fr. 1'774,010.-- zutreffe, die ungefähr dem Betrag der Aufwendungen entspreche, nämlich:
Kaufpreis für den Hof "Leimern" Fr. 1'340,000.--
Instandstellungskosten " 60'000.--
Handänderungsgebühren, Notariats-
kosten und Anteil an Steuern " 74'000.--
Aufgeld an die Eheleute Flury " 300.000.--
Zusammen Fr. 1'774,000.--
Auch wenn die Beschwerdeführerin auf dem Liegenschaftsmarkt oder bei Enteignung einen viel höhern Preis für das Bauerngut der Eheleute Flury bezahlen müsste, verdient der Ankauf des Hofes "Leimern" nicht als Spekulationskauf bezeichnet zu werden. Das Endziel, dem dieser Ankauf zu dienen hat, ist zweifellos kein spekulatives: Das Land der Eheleute Flury soll, wie die Beschwerdeschrift mit angefügten Belegen dartut, dauernder Besitz der Beschwerdeführerin zu bestimmten, in naher Zukunft zu verwirklichenden öffentlichen Zwecken werden, und zwar nach dem neuen Landumlegungsplan in vollem Umfang, so dass sich keine Landreserve für künftige, noch unbestimmte öffentliche Zwecke ergibt. Eine solche Landreserve wäre übrigens nicht ohne weiteres als spekulativer Erwerb zu betrachten. Gewöhnlich bilden Landreserven eines Gemeinwesens, bis sie einem öffentlichen Zwecke gewidmet werden, dauernde Kapitalanlagen, die, wie in BGE 83 I 313 ff. des nähern ausgeführt ist, Spckulationskäufen nicht gleichzuachten sind. Zwar ist eine Kapitalanlage nicht nach Art. 21 EGG überhaupt vom EinspruchsverfahrenBGE 90 I 264 (269) BGE 90 I 264 (270)ausgenommen (vgl. BGE 80 I 413 und BGE 83 I 69). Es kommen dabei aber von den Einspruchsgründen des Art. 19 Abs. 1 EGG nur lit. b und c in Frage. Im vorliegenden Fall ist jedoch vom Einspruchsgrund der lit. b nicht die Rede, und lit. c trifft, wie bereits dargetan, auch nicht zu. Was aber lit. a betrifft, so kann entgegen der Ansicht des Regierungsrates ein Kauf von Bauernland zu öffentlichen Zwecken keineswegs deshalb als "spekulativer" verpönt und durch Einspruch verhindert werden, weil das Gemeinwesen im gegebenen Fall in der Lage ist, das Land zu günstigem Preise zu erwerben. Wenn ein Bauer (namentlich etwa weil ihm ein nach Lage, Grösse und Ertragsfähigkeit mindest ebenso gutes Ersatzland geboten wird) bereit ist, sein Heimwesen der öffentlichen Hand ohne Aufgeld in bar oder gegen ein verhältnismässig bescheidenes Aufgeld in Tausch zu geben, so wird dadurch der zu öffentlichen Zwecken erfolgte Landerwerb nicht zu einem Spekulationskauf. Übrigens hat die Beschwerdeführerin das Heimwesen "Leimern" nicht billig gekauft. Im Gegenteil ist ihr das hohe Preisangebot, das jede Konkurrenz landwirtschaftlicher Erwerber ausschliesse, vorgehalten worden. Sollte aber dieser an und für sich reichlich bemessene Kaufpreis zusammen mit den weiteren Aufwendungen immer noch beträchtlich unter dem Verkehrswert des Heimwesens Flury bleiben, so hat dies mit Spekulationsabsicht nichts zu tun.
Endlich bezweckt die Beschwerdeführerin mit dem Ankauf des Hofes "Leimern" keinen Güteraufkauf, d.h. keinen Aufkauf (accaparement, accaparramento) mehrerer Landgüter (vgl. BGE 83 I 315 Erw. 3), sei es um einen landwirtschaftlichen Grossbetrieb zu schaffen, sei es aus mehr oder weniger verdeckten Beweggründen (vgl. JOST, N. 6 zu Art. 19 EGG). Wie aus dem Gesagten hervorgeht, ist es der Beschwerdeführerin um etwas anderes zu tun, ganz abgesehen davon, dass sie als Ergebnis der verschiedenen Tauschgeschäfte ein einziges Heimwesen erwerben soll.
BGE 90 I 264 (270)
BGE 90 I 264 (271)Nichts Abweichendes folgt aus dem Programmartikel 1 des Gesetzes, der als Ausdruck der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke zur Auslegung der einzelnen Bestimmungen herangezogen werden darf. Auch unter dem Gesichtspunkt der dort genannten Schutzobjekte sind die Begriffe der Spekulation und des Güteraufkaufes nicht anders als nach dem landläufigen Sprachgebrauche zu verstehen. Die Beschwerdeführerin will, wie dargetan, das Heimwesen "Leimern" nicht zu spekulativem Wiederverkauf erwerben, noch kauft sie mehrere Landgüter zu finanziellen Zwecken auf. Es besteht keine Gefahr, dass jenes Heimwesen seiner landwirtschaftlichen Bestimmung entfremdet oder (wie es oft bei Güteraufkauf zutrifft) mit andern Gütern zusammengelegt werde, wodurch einzelne landwirtschaftliche Betriebe ihre Selbständigkeit verlieren könnten. Gegenüber dem vorliegenden Kaufe lässt sich auch daraus nichts herleiten, dass freilich das zu dauerndem Besitz an die Beschwerdeführerin übergehende solothurnische Heimwesen Flury seinem bisherigen landwirtschaftlichen Zweck entfremdet werden wird. Auch dieser Erwerb beruht, wie gesagt, nicht auf einer Spekulationsabsicht, noch handelt es sich um Güteraufkauf. Es geht nicht an, den Programmartikel 1 EGG in dem Sinne anzuwenden, dass dem Einspruch nach Art. 19 EGG ausser den dort umschriebenen Fällen noch andere zu unterstellen wären, die schlechthin nicht mehr die Merkmale eines gesetzlichen Einspruchsgrundes aufweisen.BGE 90 I 264 (271)