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BGE 98 Ia 35 - Dacheinschnitte


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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des Art. 4 BV ha ...
2. Nach Art. 32 quater Abs. 1 BV (wie schon nach Art. 31 lit. c i ...
3. Kleinhandelspatente für gebrannte Wasser dürfen nur  ...
4. Die Beschwerdeführerin behauptet, dass alle Voraussetzung ...
5. Der Regierungsrat hat aus dem Gesichtspunkt des Bedürfnis ...
6. Die Beschwerdeführerin wirft dem Regierungsrat schliessli ...
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31. Urteil vom 7. Mai 1969 i.S. Nordmann AG gegen Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn und Regierungsrat des Kantons Solothurn.
 
 
Regeste
 
Kleinhandel mit geistigen Getränken. Bedürfnisklausel.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 95 I 206 (206)A.- Nach dem solothurn. Wirtschaftsgesetz vom 6. Dezember 1964 (WG) ist für den Kleinhandel mit geistigen Getränken ein Wirtschaftspatent oder ein besonderes Kleinhandelspatent erforderlich (§ 83 Abs. 1), das vom Regierungsrat erteilt wird (§ 105 Abs. 1). Über die Patentarten bestimmt.
§ 84
1 Es werden folgende Kleinhandelspatente ausgestellt:
a) für den Kleinhandel mit Wein, Wermutwein, Obstwein, Gärmost und Bier;BGE 95 I 206 (206)
BGE 95 I 206 (207)b) für den Kleinhandel mit gebrannten Wassern.
2 Die Kleinhandelspatente können als Voll- oder Teilpatente erteilt werden. Die Ausstellung von Patenten nach lit. a und b auf die gleiche Person ist zulässig (Doppelpatent).
Das Kleinhandelspatent wird für eine bestimmte Person und bestimmte Räumlichkeiten in der gleichen Liegenschaft ausgestellt, für 5 Jahre erteilt und bedarf der periodischen Erneuerung (§ 87). Während die Erteilung von Kleinhandelspatenten nach § 84 lit. a nur von gewissen persönlichen und gewerblichen Voraussetzungen abhängig ist (§§ 88, 89), gilt für solche nach § 84 lit. b (die auch zum Versand im Kantonsgebiet berechtigen; § 85 Abs. 2) die Bedürfnisklausel gemäss folgender Bestimmung:
§ 90
1 Kleinhandelspatente nach § 84 Abs. 1 lit. b dürfen nur erteilt, auf Verkaufslokale einer andern Liegenschaft verlegt oder in ihrem räumlichen Geltungsbereich ausgedehnt werden, wenn unter Berücksichtigung der Zahl der bestehenden Kleinverkaufsstellen für gebrannte Wasser und ihrer Verteilung innerhalb der Gemeinde ein Bedürfnis besteht.
2 Das Bedürfnis ist in der Regel zu verneinen, wenn in einer Gemeinde auf eine in der Vollziehungsverordnung festzusetzende Anzahl Einwohner mehr als eine Kleinverkaufsstelle fällt....
3 Die Erneuerung der Patente und ihre Übertragung auf andere Personen können vom Bedürfnis abhängig gemacht werden.
4 Apotheken sowie Drogerien, welche die in der Vollziehungsverordnung umschriebenen Voraussetzungen erfüllen, wird für den Verkauf alkoholhaltiger Getränke zu medizinischen Zwecken ein beschränktes Kleinhandelspatent ohne Prüfung des Bedürfnisses erteilt. Solche Kleinverkaufsstellen werden bei der Prüfung des Bedürfnisses mitgezählt....
Die am 31. August 1965 erlassene Vollziehungsverordnung (VV) zum WG bestimmt in § 5 Abs. 4:
Die Bedürfnisnormalzahl für den Kleinhandel mit gebrannten Wassern im Sinne von § 90 Abs. 2 des Gesetzes ist auf 1600 Einwohner festgesetzt.
B.- Ernesto Rigo führt im Haus Schmiedengasse 19 in der Innerstadt von Solothurn seit Jahrzehnten ein Comestiblesgeschäft und ist Inhaber eines Kleinhandelspatentes nach § 84 lit. a und b WG (Doppelpatent). Die Nordmann AG betreibt in dem unweit davon gelegenen Haus Gurzelngasse 18 einBGE 95 I 206 (207) BGE 95 I 206 (208)Warenhaus, für das ihr ein Kleinhandelspatent nach § 84 lit. a erteilt worden ist.
Am 29. Dezember 1967 stellten Rigo, der sein Geschäft altershalber aufgeben möchte, und die Nordmann AG das Gesuch, es sei das an Rigo für dessen Ladengeschäft ausgestellte Doppelpatent auf die Firma Nordmann AG und deren Warenhaus zu übertragen.
Der Regierungsrat holte Vernehmlassungen der Einwohnergemeinde Solothurn sowie verschiedener Verbände ein und wies dann das Gesuch am 28. Juni 1968 "wegen Fehlen eines objektiven Bedürfnisses" ab.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt die Firma Nordmann AG den Antrag, der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 28. Juni 1968 sei aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, dem Gesuch um Übertragung des Doppelpatentes von Rigo auf die Beschwerdeführerin zu entsprechen. Sie wirft dem Regierungsrat Verletzung des Art. 4 BV durch Willkür und rechtsungleiche Behandlung vor. Die Begründung dieser Rügen ist aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
 
BGE 95 I 206 (208)
BGE 95 I 206 (209)2. Nach Art. 32 quater Abs. 1 BV (wie schon nach Art. 31 lit. c in der von 1885 - 1930 geltenden Fassung) können die Kantone die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen. Damit wird ihnen zwecks Bekämpfung des Alkoholismus die Befugnis eingeräumt, die Zahl der Alkoholwirtschaften und Kleinhandelsbetriebe nach dem Bedürfnis zu beschränken. Der Kanton Solothurn hat von dieser Befugnis inbezug auf den Kleinhandel durch Erlass von § 90 WG in der Weise Gebrauch gemacht, dass er nur den Kleinhandel mit gebrannten Wassern, nicht aber denjenigen mit andern geistigen Getränken der Bedürfnisklausel unterstellte. Die Beschwerdeführerin macht mit Recht nicht geltend, dass diese Bestimmung, der gestützt darauf erlassene § 5 Abs. 4 VV oder der angefochtene Entscheid gegen Art. 31 oder 32 quater BV verstosse. Sie beschränkt sich darauf, den Entscheid wegen Verletzung des Art. 4 BV anzufechten, wobei sie dem Regierungsrat einerseits willkürliche Auslegung und Anwendung der in § 90 WG aufgestellten Bestimmungen, anderseits rechtsungleiche Handhabung derselben vorwirft.
Bei der Frage, ob ein Bedürfnis nach einer Kleinhandelsstelle (oder einer Alkoholwirtschaft) bestehe, handelt es sich im wesentlichen um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse nach freiem Ermessen der Bewilligungsbehörde. Da diese mit den in Betracht fallenden örtlichen Verhältnissen besser vertraut ist als das Bundesgericht, weicht dieses nach feststehender Rechtsprechung bei der Prüfung der Bedürfnisfrage nicht ohne triftige Gründe von der Auffassung der obersten kantonalen Behörde ab, sondern nur dann, wenn sie ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat (BGE 51 I 25/26,BGE 54 I 91, BGE 82 I 155 Erw. 4). Das Bundesgericht hat sodann stets erkannt, dass, wenn auchBGE 95 I 206 (209) BGE 95 I 206 (210)die Bedürfnisklausel im Verhältnis zur Handels- und Gewerbefreiheit eine Ausnahmebestimmung sei, dies die kantonale Behörde nicht hindere, sie mit Strenge anzuwenden und in der Annahme eines Bedürfnisses Zurückhaltung zu üben (BGE 54 I 90, ZBl 62/1961 S. 94 und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile).
a) Wie § 90 WG ausdrücklich bestimmt, darf auch die Verlegung des Kleinhandelspatentes auf Verkaufslokale einer andern Liegenschaft nur erfolgen, wenn dafür "unter Berücksichtigung der Zahl der bestehenden Kleinverkaufsstellen und ihrer Verteilung innerhalb der Gemeinde" ein Bedürfnis besteht. Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid gerade diesen beiden Faktoren Rechnung getragen. Er stellte einerseits fest, dass es in der Gemeinde Solothurn auf 18'865 Einwohner 23 Kleinverkaufsstellen, d.h. eine auf 820 Einwohner, gebe, so dass die in § 5 Abs. 4 VV festgesetzte Bedürfnisnormalzahl von 1600 wesentlich unterschritten werde und es an einem objektiven Bedürfnis für die Übertragung des Patentes auf ein Verkaufslokal einer andern Liegenschaft fehle. Anderseits führte er aus, dass auch kein "besonderes Quartierbedürfnis" für die Übertragung vorhanden sei, da von jenen 23 Kleinverkaufsstellen sich 12 im Stadtzentrum, wo auch die Beschwerdeführerin ihr Warenhaus betreibt, befinden, davon mehrere, wie er in der Beschwerdeantwort ergänzend ausführt, gerade in der Nähe dieses Warenhauses. Wenn der Regierungsrat bei dieser Sachlage das Bedürfnis nach der verlangten Patentübertragung verneinte, so hat er die Grenzen des ihm bei der Beurteilung der Bedürfnisfrage zustehenden Ermessens keinesfalls überschritten noch den Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung verkannt.
b) Die Beschwerdeführerin wendet freilich ein, dass die Stadt Solothurn ein Einkaufszentrum von ca. 20 umliegenden Gemeinden sei und dass daher bei der Beurteilung des Bedürfnisses nicht nur von der Einwohnerzahl der Stadt Solothurn auszugehen sei, sondern von derjenigen von "Gross-Solothurn",BGE 95 I 206 (210) BGE 95 I 206 (211)in dem es eine Reihe von Gemeinden gebe, bei welchen die Bedürfnisnormalzahl bei weitem nicht erreicht sei, und viele, die überhaupt über keine Verkaufsstelle verfügen. Selbst wenn diese regionale Bedürfnisbeurteilung mit § 90 Abs. 1 WG, der auf die Verhältnisse innerhalb der Gemeinde abstellt, vereinbar wäre, so würde dies der Beschwerdeführerin nichts helfen, da die unmittelbar angrenzenden Gemeinden, die nach Auffassung des Regierungsrates als Teile einer Agglomeration "Gross-Solothurn" in Frage kämen (Bellach, Langendorf, Zuchwil und Luterbach), zusammen mit der Stadt Solothurn immer noch wesentlich mehr Kleinverkaufsstellen aufweisen, als der Bedürfnisnormalzahl von 1600 entspricht, wie in der Beschwerdeantwort des Regierungsrates dargelegt wird.
5. Der Regierungsrat hat aus dem Gesichtspunkt des Bedürfnisses auch in Betracht gezogen, dass die Übertragung des Patentes von Rigo auf die Beschwerdeführerin zu einer Steigerung des Alkoholkonsums führen würde, da es sich beim Ladengeschäft Rigos um einen Familienbetrieb mit relativ bescheidenem Umsatz an alkoholischen Getränken handle, bei der Beschwerdeführerin dagegen um ein bedeutendes Warenhaus mit allen Möglichkeiten eines Grossunternehmens. Die Beschwerdeführerin behauptet, diese willkürliche Annahme finde keine Stütze im Gesetz, nach dem sich das Bedürfnis einzig nach der Anzahl der Einwohner, nicht nach dem möglichen Verkauf beurteile; der gezielt arbeitende Kleingewerbler könne einen höheren Umsatz erzielen als ein Warenhaus, das den Artikel lediglich der Vollständigkeit seines Verkaufssortiments wegen führe. Auch damit vermag sie indessen eine Verletzung des Art. 4 BV nicht darzutun. Da das Kleinhandelspatent nach § 87 Abs. 1 WG für "bestimmte Räumlichkeiten in der gleichen Liegenschaft" ausgestellt wird und § 90 Abs. 1 auch die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs von einem Bedürfnis abhängig macht, ist es mit Sinn und Zweck des Gesetzes und insbesondere der Bedürfnisklausel durchaus vereinbar, wenn beim Entscheid darüber, ob für die Übertragung des Patents auf ein anderes Geschäft ein Bedürfnis bestehe, auch geprüft wird, ob die Übertragung zu einer Steigerung des Aklkoholkonsums führen könnte. Auf diese Weise wird auch in andern Kantonen vorgegangen (vgl. BGE 91 I 169 ff. insb. S. 172). Nun handelt es sich beim Geschäft Rigos, wie der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort ausführt,BGE 95 I 206 (211) BGE 95 I 206 (212)um einen Kleinladen mit ca. 20 m2 Verkaufsraum an einer wenig exponierten Verkaufslage. Es leuchtet ein, dass die Übertragung des Patentes von diesem Geschäft auf ein grosses Warenhaus, das an der Haupteinkaufsstrasse Solothurns steht, eine umfangreiche Kundschaft besitzt und diese mit ihren Werbemitteln ständig vergrössern kann, aller Voraussicht nach zu einer beträchtlichen Steigerung des Verkaufs und damit des Konsums von gebrannten Wassern führen wird, zumal wenn man berücksichtigt, dass das Patent, worauf die Beschwerdeführerin in anderm Zusammenhang hinweist, auch zum Versand im Kantonsgebiet berechtigt.
Nach Art. 90 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift selber die wesentlichen Tatsachen enthalten sowie eine kurz gefasste Darlegung darüber, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind (vgl. BGE 86 I 40 /41). Diesen Anforderungen entspricht die vorliegende Beschwerde inbezug auf die Rüge der rechtsungleichen Behandlung nicht. Die allgemeine Berufung auf zu edierende Akten anderer Fälle genügt keinesfalls zur Begründung dieser Rüge. Aber auch in den beiden näher genannten Fällen wird nicht geltend gemacht und noch weniger darzutun versucht, dass die unterschiedliche Behandlung der Beschwerdeführerin und der andern Firmen durch die tatsächlichen Verhältnisse in keiner Weise gerechtfertigt sei. Von einer rechtsungleichen Behandlung kann übrigens nach den vom Regierungsrat vorgelegten Entscheiden keine Rede sein.
BGE 95 I 206 (212)
BGE 95 I 206 (213)Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.BGE 95 I 206 (213)