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Zitiert durch:
BGE 128 I 327 - Botta


Zitiert selbst:
BGE 120 Ia 120 - Beschlagnahmter Ferrari


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Unter dem Gesichtswinkel der Eintretensvoraussetzungen ist zu  ...
Erwägung 3
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher
 
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen Erster Staatsanwalt und Strafgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
1P.117/2002 vom 7. Mai 2002
 
 
Regeste
 
Herausgabe beschlagnahmter Vermögenswerte; Art. 9 BV, Art. 59 StGB, Art. 87 OG.
 
Herausgabe von beschlagnahmten Vermögenswerten vor Abschluss des Verfahrens gemäss Basler Strafprozessordnung und Art. 59 StGB sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht (E. 3).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 128 I 129 (130)Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Stadt führen gegen mehrere Personen eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs im Zusammenhang mit mehreren Finanzinstituten. In diesem Rahmen beschlagnahmten sie unter dem Titel "Beweismittel und Deliktsgut" die folgenden, den holländischen Kunden G. betreffenden Güter: Ein Briefumschlag mit HFL 191'600.-, ein Eröffnungsformular, eine Einzahlungsbestätigung über HFL 200'000.- sowie eine Provisionsabrechnung des Vermittlers. - Hintergrund dieser Angelegenheit bilden die folgenden Umstände: Der Holländer G. trat mit einem Basler Finanzinstitut zwecks Vermögensanlage in Verbindung. In der Folge vereinbarte er mit einem holländischen Vermittler des Finanzinstituts, die Beträge von 30'000 bzw. 200'000 holländischen Gulden bei einer Bank anzulegen. Dabei wurden Eröffnungsformulare ausgefüllt und unterzeichnet und G. schliesslich eine Versicherungspolice zugestellt. Die anzulegenden Beträge sind dem Vermittler in bar übergeben worden.
G. wurde von der Staatsanwaltschaft über das eingeleitete Strafverfahren informiert. Er beantwortete deren Fragebogen, stellte eine Entschädigungsforderung von 230'000 Gulden und forderte vorerst die Rückerstattung von 200'000 Gulden. Schliesslich ersuchte G. die Staatsanwaltschaft darum, den beschlagnahmten Betrag von HFL 191'600.- (die um die Provision des Vermittlers gekürzte Zahlung von HFL 200'000.-) an ihn herauszugeben.
Die Staatsanwaltschaft und der Erste Staatsanwalt wiesen dieses Ersuchen um vorzeitige Aufhebung der Beschlagnahme und Herausgabe ab, weil nicht sicher sei, ob es sich um das Geld von G. handle, der Geldbetrag im Zeitpunkt der Beschlagnahme Eigentum einer der beteiligten Banken gewesen sei und sich das Herausgabegesuch vor Abschluss des Verfahrens als verfrüht erweise. Auf Rekurs von G. hin verweigerte auch das Strafgericht Basel-Stadt die Herausgabe des Betrages von HFL 191'600.- mit der Begründung, das Eigentum von G. sei nicht nachgewiesen und über andere dingliche Rechte könne erst beim Abschluss des Strafverfahrens befunden werden.
Gegen das Urteil des Strafgerichts führt G. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
 
BGE 128 I 129 (130)
BGE 128 I 129 (131)Mit der Abweisung des Herausgabeersuchens und der Aufrechterhaltung der Beschlagnahme wird nicht definitiv über das Schicksal des beschlagnahmten Vermögensbetrags entschieden. Der angefochtene Entscheid stellt daher einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid dar. Damit scheidet die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde - etwa wegen Verletzung von Art. 59 StGB - aus (vgl. BGE 119 IV 168 E. 2a S. 170 und BGE 126 I 97 E. 1c S. 101 [mit Hinweisen] zur Anfechtung von Zwischenentscheiden, BGE 122 IV 365 und BGE 126 I 97 E. 1a S. 100 zur Anfechtung von definitiven Entscheiden über Einziehung von Vermögenswerten und Verwendung zugunsten von Geschädigten). Das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist im vorliegenden Fall grundsätzlich zulässig (Art. 84 Abs. 2 OG). Mit ihr kann insbesondere eine willkürliche Anwendung von kantonalem Strafprozessrecht oder von Bundesrecht gerügt werden (vgl. BGE 126 I 97 E. 1a S. 100).
Als selbständig eröffneter Zwischenentscheid kann das Urteil des Strafgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde nur angefochten werden, wenn es nach Art. 87 Abs. 2 OG einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben Verfügungen, mit denen bestimmte Gegenstände beschlagnahmt werden, einen nicht wieder gutzumachenden rechtlichen Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG (bzw. nach Art. 87 aOG) zur Folge, weil der Betroffene dadurch gehindert wird, frei über diese zu verfügen (BGE 126 I 97 E. 1b S. 101 mit weitern Hinweisen). Das gilt gleichermassen für die Beschlagnahme von Geldwerten und für Kontosperren (vgl. Urteil 1P.189/2000 vom 21. Juni 2000). Daraus ist ohne weiteres zu schliessen, dass auch die Verweigerung einer Aufhebung einer (ursprünglich nicht angefochtenen) Beschlagnahme einen Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG bewirken kann (vgl. Urteil 1P.189/2000 vom 21. Juni 2000). Die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme verunmöglicht es dem Beschwerdeführer (weiterhin), über den Geldbetrag und allfällige Zinserträge frei zu verfügen. Es ist unerheblich, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellung als Geschädigter bei Abschluss des Strafverfahrens möglicherweise entschädigt wird und das Geld in der Zwischenzeit zinstragend angelegt ist.
Demnach ist auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde - entgegen den Anträgen der kantonalen Behörden - einzutreten.
 
Erwägung 3
 
3.1 Bevor auf den angefochtenen Entscheid und die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen im Einzelnen eingegangen wird,BGE 128 I 129 (131) BGE 128 I 129 (132)gilt es, die Regelung der Beschlagnahme bzw. deren Aufhebung nach der Ordnung der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO) bzw. der Art. 59 f. StGB im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt kurz darzustellen und eine verfassungsrechtliche Überlegung anzufügen.
Aus dieser Ordnung ergibt sich, dass beschlagnahmtes Gut schon während der Untersuchung durch die Strafverfolgungsbehörden zurückzugeben ist, soweit es beispielsweise wegen erhobener Beweise nicht mehr gebraucht wird. Beschlagnahmte Sachen und Werte sind zurückzuerstatten, sofern sie nicht eingezogen und hernach zu verschiedenen Zwecken verwendet werden; die Rückgabe geht insoweit der Einziehung und allfälliger Verwendung unter dem Titel von Schadenersatz und Begleichung von Busse und Kosten vor.
3.1.2 Art. 59 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ermächtigt den Richter zur Einziehung von "deliktischen" Vermögenswerten, sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden. Er erkennt nach Art. 59 Ziff. 2 Abs. 1 StGB auf eine Ersatzforderung (und kann hierfür gemäss Art. 59 Ziff. 2 Abs. 3 StGB Vermögenswerte beschlagnahmen), sofern die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhandenBGE 128 I 129 (132) BGE 128 I 129 (133)sind. Schliesslich erlaubt Art. 60 Abs. 1 StGB es dem Richter, dem Geschädigten (vom Verurteilten bezahlte) Bussen, eingezogene Gegenstände und Vermögenswerte und Ersatzforderungen bis zur Höhe des Schadens zuzusprechen. Die Kantone haben hierfür ein einfaches und rasches Verfahren vorzusehen, sofern die Zusprechung nicht schon im Strafurteil möglich ist (Art. 60 Abs. 3 StGB).
Aus dieser bundesrechtlichen Regelung ergibt sich, dass die Aushändigung an den Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes vor einer allfälligen Einziehung und nachfolgenden Zuweisung an einen Geschädigten als Schadenersatz zu erfolgen hat (vgl. BGE 122 IV 365 E. 1a/aa S. 368). Sie bezieht sich nicht lediglich auf Gegenstände, sondern auf Vermögenswerte allgemein (vgl. BGE 122 IV 365 E. 1a/aa S. 368). Dazu können insbesondere auch Geldbeträge sowie nach der Lehre unechte Surrogate (im Falle von Umtausch oder Vermischung von Geld) gehören. Die Zuweisung kann nicht erst durch den Strafrichter, sondern unter Vorbehalt eines kantonalen Rechtsmittels an eine richterliche Behörde bereits durch die Untersuchungsbehörde erfolgen (vgl. BGE 126 IV 107 E. 1b/cc S. 110 und 111 sowie E. 4 S. 112). Voraussetzung hierfür ist, dass die Rechtslage hinreichend liquid ist und keine besseren Ansprüche Dritter geltend gemacht werden (vgl. BGE 122 IV 365 E. 2b S. 374). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist die Zuweisung - ohne Rücksicht auf andere Gläubiger und Geschädigte - tatsächlich vorzunehmen (vgl. zum Ganzen NIKLAUS SCHMID, Strafrechtliche Beschlagnahme und die besondern Möglichkeiten des Geschädigten nach Art. 59 Ziff. 1 letzter Satzteil StGB sowie Art. 60 StGB, in: Niklaus Schmid/Jürg-Beat Ackermann [Hrsg.], Wiedererlangung widerrechtlich entzogener Vermögenswerte mit Instrumenten des Straf-, Zivil-, Vollstreckungs- und internationalen Rechts, Europa Institut Zürich, Zürich 1999, S. 19 ff.; NIKLAUS SCHMID, Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Bd. I, Zürich 1998, Rz. 17, 20, 49 ff., 61 ff., 66 ff., 70 ff., 141 ff. zu Art. 59 StGB; ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Aufl. 1999, § 69 Rz. 17 ff. und 31 ff.).
3.1.3 Schliesslich ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beachten, dass eine Beschlagnahme einen Eingriff in die durch die Eigentumsgarantie nach Art. 26 BV geschützte Position als Eigentümer oder Besitzer darstellt (BGE 120 Ia 120 E. 1b S. 121 mit Hinweisen). Das bedeutet, dass die beschlagnahmten Güter grundsätzlich an den Besitzer oder Eigentümer zurückzugeben sind, sofern sie für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden; dieBGE 128 I 129 (133) BGE 128 I 129 (134)Beschlagnahme darf indessen aufrechterhalten werden, sofern die Bedürfnisse der Beweissicherung oder die Möglichkeit der Einziehung weiterhin bestehen. Aus der Eigentumsgarantie in Verbindung mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist ferner zu folgern, dass demjenigen, der Besitzes- oder Eigentumsrechte an beschlagnahmten Gütern beansprucht, ein Verfahren zur Verfügung stehen muss, seine Ansprüche geltend zu machen und dazu innert angemessener Frist einen richterlichen Entscheid zu erhalten. In diesem Sinne kann die Eigentums- oder Besitzesfrage bei umstrittenen Verhältnissen in ein separates Verfahren (vor dem Zivilrichter) verwiesen werden (vgl. BGE 120 Ia 120 E. 1b S. 121 f.; BGE 126 IV 107 E. 1b/cc S. 111).
Aus den Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer nicht bloss einen Schaden von HFL 200'000.-, sondern auf dem Fragenkatalog der Staatsanwaltschaft einen solchen von HFL 230'000.- angegeben und vorerst als Schadenersatz geltend gemacht hatte, weil er dem Vermittler diesen Betrag in zwei Teilbeträgen tatsächlich übergeben hatte. Im vorliegenden Verfahren verlangt er nunmehr nicht Schadenersatz in diesem Umfang, sondern lediglich die Herausgabe der beschlagnahmten HFL 191'600.- an ihn selber (vgl. zu diesem Vorgehen SCHMID, Strafrechtliche Beschlagnahme, a.a.O.). Dieser Betrag soll sich aus den übergebenen HFL 200'000.-, gekürzt um die Provision des Vermittlers gemäss Provisionsabrechnung ergeben. Bei dieser Sachlage ist es offensichtlich unhaltbar,BGE 128 I 129 (134) BGE 128 I 129 (135)dem Beschwerdeführer den als Schaden angezeigten Betrag von HFL 200'000.- entgegen zu halten und allein daraus auf ungeklärte Eigentumsverhältnisse zu schliessen.
Ferner hat der Beschwerdeführer auf den unbestrittenen Umstand hingewiesen, dass der Betrag von HFL 191'600.-, zusammen mit Quittungen und einer Provisionsabrechnung, in einem Briefumschlag gefunden und beschlagnahmt worden ist, und daraus abgeleitet, dass der Geldbetrag nicht vermischt worden sei und wegen der Aussonderung daher immer noch in seinem Eigentum stehe. Das Strafgericht hat sich mit diesem Umstand in keiner Weise auseinander gesetzt, ist auf das Auffinden und die Beschlagnahme des Geldbetrages in einem separaten Briefumschlag mit keinem Wort eingegangen und hat das Begehren nicht vor diesem Hintergrund beurteilt. Damit hat es seinem Entscheid in unhaltbarer Weise nicht den sich aus den Akten ergebenden Sachverhalt zugrunde gelegt und die Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geprüft. Ebenso wenig hat sich das Strafgericht mit dem Einwand des Beschwerdeführers befasst, bei der Übergabe des Geldbetrages an den Vermittler hätten aus zivilrechtlicher Sicht in keiner Weise Eigentumsrechte übertragen werden sollen. Damit hat es den Anspruch auf Prüfung der Vorbringen des Beschwerdeführers verletzt. Bei dieser Sachlage erscheint der angefochtene Entscheid auch in dieser Hinsicht im Sinne von Art. 9 BV als unhaltbar.