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Zitiert durch:
BGE 136 I 29 - Berner Rauchverbot
BGE 131 I 18 - Einbürgerung Oberrohrdorf-Staretschwil


Zitiert selbst:
BGE 129 I 232 - "Einbürgerungen vors Volk!"


Regeste
Sachverhalt
Die Verordnung wurde am 29. August 2003 im Amtsblatt veröffentlicht.
3. Der Regierungsrat stützt seine Verordnung auf § 46 d ...
4. Zu prüfen ist im Folgenden, ob der Regierungsrat durch de ...
5. Zu prüfen ist deshalb, ob es sich bei der angefochtenen V ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server
 
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
1P.523/2003 / 1P.572/2003 vom 12. Mai 2004
 
 
Regeste
 
Verordnung des Schwyzer Regierungsrats über vorläufige Regelungen zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts (GemeindebürgerrechtsV) zur Gewährleistung verfassungskonformer Einbürgerungsverfahren in den Schwyzer Gemeinden; Verletzung des Stimmrechts durch Erlass einer dem ordentlichen Gesetzgeber vorbehaltenen Regelung der politischen Rechte auf Verordnungstufe?
 
Handlungsbedarf für den Regierungsrat als Aufsichtsbehörde der Gemeinden im Anschluss an die bundesgerichtlichen Entscheide zum Einbürgerungsverfahren vom 9. Juli 2003 (E. 4.2).
 
Prüfung, ob es sich bei der angefochtenen Verordnung um eine Vollziehungsverordnung handelt, die als solche in die Kompetenz des Regierungsrats fällt (E. 5).
 
Die Verordnung, die an der Zuständigkeit der Gemeindeversammlung festhält, erscheint nicht von vornherein ungeeignet, verfassungskonforme Einbürgerungsentscheide der Schwyzer Gemeinden zu ermöglichen (E. 5.3.6).
 
Vorläufiger Charakter der angefochtenen Verordnung (E. 5.3.7).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 130 I 140 (141)A. Am 9. Juli 2003 erklärte das Bundesgericht eine Initiative, mit der Einbürgerungsgesuche in der Stadt Zürich der Urnenabstimmung unterstellt werden sollten, für ungültig (BGE 129 I 232). Gleichentags hiess es eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Luzern gut, der die Nichteinbürgerung der Beschwerdeführer durch die Emmener Stimmbürger an der Urne geschützt hatte (BGE 129 I 217). Das Bundesgericht ging in beiden Urteilen davon aus, dass negative Einbürgerungsentscheide nach Art. 29 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BV zu begründen seien. Da dies bei Volksabstimmungen an der Urne systembedingt nicht möglich sei, sei die Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche verfassungswidrig.
B. Im Kanton Schwyz wird das Gemeindebürgerrecht durch die Gemeindeversammlung erteilt (§ 7 Abs. 1 lit. m des Gesetzes über die Organisation der Gemeinden und Bezirke vom 29. Oktober 1969 [GOG] und § 10 des Gesetzes über Erwerb und Verlust des Kantons- und Gemeindebürgerrechts vom 19. Februar 1970 [kBüG]). Entschieden wird entweder im Versammlungssystem mit offenem Handmehr oder, nach Vorberatung an der Gemeindeversammlung, durch Urnenabstimmung. Das Versammlungssystem wird noch in fünf kleineren Gemeinden angewendet; in den restlichen 25 Gemeinden wird über Einbürgerungsgesuche an der Urne entschieden.
Nach den bundesgerichtlichen Entscheiden vom 9. Juli 2003 herrschte Unsicherheit über das fortan bei Einbürgerungen zu beachtende Verfahren. Am 10. Juli 2003 erliess der Vorsteher desBGE 130 I 140 (141) BGE 130 I 140 (142)Departements des Innern die Empfehlung, einstweilen für anstehende Gemeindeversammlungen keine Einbürgerungsgesuche zu traktandieren.
C. Am 26. August 2003 erliess der Regierungsrat des Kantons Schwyz gestützt auf § 46 der Kantonsverfassung eine Verordnung über vorläufige Regelungen zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts (GemeindebürgerrechtsV). Diese umfasst folgende sechs Paragraphen:
    § 1 Geltungsbereich
    1 Diese Verordnung regelt Zuständigkeit und Verfahren für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts.
    2 Sie geht abweichenden Vorschriften des Gesetzes über Erwerb und Verlust des Kantons- und Gemeindebürgerrechts und des Gesetzes über die Organisation der Gemeinden und Bezirke vor.
    § 2 Anhörung der Bewerber
    Der Gemeinderat oder eine gemeinderätliche Delegation ist verpflichtet, alle Bewerber persönlich anzuhören und die formellen und materiellen Voraussetzungen zu überprüfen, bevor er seine Stellungnahme zur Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung an den Kanton weiterleitet.
    § 3 Zuständigkeit und Verfahren
    1 Die Gemeindeversammlung entscheidet in offener Abstimmung über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts.
    2 Der Antrag des Gemeinderates zu einem Einbürgerungsgesuch gilt als angenommen, wenn aus der Versammlungsmitte nicht ein begründeter Gegenantrag gestellt wird.
    § 4 Weisungen
    Das Departement des Innern erlässt Weisungen zur Behandlung von Einbürgerungsgesuchen durch den Gemeinderat und die Gemeindeversammlung.
    § 5 Übergangsbestimmungen
    1 Einbürgerungsverfahren, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung hängig sind, werden nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu Ende geführt.
    2 Für Bewerber mit eidgenössischer Einbürgerungsbewilligung, die noch nicht persönlich angehört wurden, ist die persönliche Anhörung im Sinne von § 2 vor der Antragsstellung an die Gemeindeversammlung nachzuholen.
    § 6 Inkrafttreten und Geltungsdauer
    1 Diese Verordnung tritt mit der Publikation im Amtsblatt in Kraft. Sie gilt solange bis das kantonale Recht im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angepasst istBGE 130 I 140 (142) BGE 130 I 140 (143).
    2 Diese Verordnung wird während ihrer Geltungsdauer in die Gesetzessammlung aufgenommen.
 
Am 26. August 2003 erliess das Departement des Innern "Weisungen zur Behandlung von Gesuchen zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts". Diese richten sich an die Bezirks- und Gemeinderäte sowie die Versammlungsleiter von Bezirksgemeinden und Gemeindeversammlungen.
Aus den Erwägungen:
3.4 Für den Vollzug von Bundesrecht kennt die Kantonsverfassung keine besonderen Regeln. Früher wurde kantonales Einführungsrecht zu Bundesrecht häufig als Vollziehungsverordnung erlassen (HUWYLER, Gesetzesbegriffe, S. 247). Dagegen wird heute die Auffassung vertreten, dass die allgemeineBGE 130 I 140 (144) BGE 130 I 140 (145)kantonalverfassungsrecht liche Zuständigkeitsordnung gilt, soweit im Bundeserlass keine andere Vorschrift besteht (für Schwyz: HUWYLER, Gesetz und Verordnung, S. 147; derselbe, Gesetzesbegriffe, S. 247; REICHLIN, a.a.O., S. 209 f.; so schon BGE 63 I 8 E. 2 S. 10; allgemein: BGE 98 Ia 281 E. 6b S. 287; WALTER KÄLIN, Das Gesetz im Staatsrecht der Kantone: Ein Überblick, in: Auer/Kälin, Das Gesetz im Staatsrecht der Kantone, S. 3 ff., insbes. S. 18 f.; YVO HANGARTNER, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, Bern 1974, S. 160 ff.). Der Regierungsrat ist somit nur berechtigt, Vollzugsvorschriften zu Bundesrecht zu erlassen; der Erlass primärer Normen ist dagegen dem Kantonsrat im Gesetzgebungsverfahren bzw. auf dem Verordnungswege vorbehalten.
In den erwähnten Fällen konnte sich der Regierungsrat jedoch auf bundesrechtliche Ermächtigungen stützen: Sowohl Art. 16 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1985 über Fuss- und Wanderwege (FWG; SR 704) als auch Art. 36 Abs. 2 RPG (SR 700) ermächtigen die Kantonsregierungen zum Erlass vorläufiger Regelungen (BGE 117 Ia 352 E. 5c S. 358; BGE 108 Ib 479 E. 2a S. 481). Insofern lässt sich aus dem Erlass der erwähnten Verordnungen nicht auf eine generelle, verfassungsmässige Kompetenz des Regierungsrats zum Erlass vorläufiger Regelungen zur Einführung von Bundesrecht schliessen.
3.6 Darüber hinaus kennt die Schwyzer Kantonsverfassu ng keine selbständigen Verordnungskompetenzen des Regierungsrates (HUWYLER, Gesetz und Verordnung, S. 136; derselbe, Gesetzesbegriffe, S. 248; REICHLIN, a.a.O., S. 228 oben). Ein Notverordnungsrecht steht dem Regierungsrat gestützt auf §§ 43 und 50 KV/SZ allenfalls in Kriegszeiten oder bei Gefährdung der Sicherheit im Innern und Äussern zu, wenn der Kantonsrat nicht oder nichtBGE 130 I 140 (145) BGE 130 I 140 (146)rechtzeitig einschreiten kann (HUWYLER, Gesetz und Verordnung, S. 136 Fn. 16; REICHLIN, a.a.O., S. 229 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 22. Oktober 1914, publ. in: Rechenschaftsbericht des Regierungsrates Schwyz 1914 S. 116 ff., insbes. S. 121). Ansonsten müssen alle Verordnungen des Regierungsrats, die über blosse Vollziehungsverordnungen hinausgehen, d.h. selbständige Rechtssätze enthalten, auf einer Kompetenzdelegation des Gesetzgebers oder des Kantonsrats (als Verordnungsgeber) beruhen.
Nach den bundesgerichtlichen Entscheiden vom 9. Juli 2003 stand fest, dass das von den meisten Schwyzer Gemeinden praktizierte Einbürgerungsverfahren nicht mit der Bundesverfassung vereinbar war und geändert werden musste, um eine Begründung negativer Einbürgerungsentscheide zu ermöglichen. Diese Begründungspflicht ist keine bloss formelle Anforderung; sie ist vielmehr unabdingbare Voraussetzung für die Überprüfung von Einbürgerungsentscheiden unter dem Blickwinkel des Diskriminierungsverbots (BGE 129 I 232 E. 3.4.1 S. 240). Sie dient somit der Verhinderung von Herabsetzungen und Ausgrenzungen wegen der Herkunft, der Sprache,BGE 130 I 140 (146) BGE 130 I 140 (147)der Religion, usw., und damit letztlich dem Schutz der Menschenwürde (so auch DANIEL THÜRER / MICHAEL FREI, Einbürgerung im Spannungsfeld zwischen direkter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ZSR 123/2004 I S. 205 ff., insbes. S. 213). Der Regierungsrat musste deshalb als Aufsichtsbehörde der Gemeinden (§ 53 KV/SZ; § 88 Abs. 2 GOG) verhindern, dass weiter an der Urne über Einbürgerungsgesuche abgestimmt werde.
Andererseits aber sind die Gemeinden verpflichtet, die bei ihnen hängigen Einbürgerungsverfahren innert angemessener Frist zu entscheiden, um keine Rechtsverweigerung zu begehen und damit ein anderes Verfassungsrecht der Gesuchsteller zu verletzen (Art. 29 Abs. 1 BV). Dabei ist zu bedenken, dass die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung, die Voraussetzung für die Einbürgerung auf Kantons- und Gemeindeebene ist, auf drei Jahre befristet ist (Art. 13 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts [Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0]). Insofern durften die Gemeinden die Einbürgerungsverfahren nicht einfach bis zur förmlichen Anpassung des GOG und des kBüG durch den Gesetzgeber sistieren.
Bei den Gemeinden bestand deshalb grosse Rechtsunsicherheit: Sie waren zur Behandlung von Einbürgerungsgesuchen verpflichtet, wussten aber nicht, in welchem Verfahren dies zu geschehen habe. Urnenabstimmungen waren nicht mehr zulässig, so dass nach geltendem Schwyzer Recht nur noch die Möglichkeit der Abstimmung an der Gemeindeversammlung verblieb. Dies setzte aber voraus, dass ein Weg gefunden würde, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Einbürgerungsentscheide an der Gemeindeversammlung zu genügen (vgl. dazu unten, E. 5.3.5).
In dieser Situation war der Regierungsrat, der die Aufsicht über die Verwaltung der Gemeinden ausübt (§ 53 KV/SZ, § 88 GOG), gehalten, den Gemeinden einen Weg zur verfassungskonformen Durchführung von Einbürgerungsverfahren in der Übergangszeit, bis zur förmlichen Anpassung des kBüG und des GOG im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, aufzuzeigen.
4.3.1 Zur Sicherstellung einer gesetzeskonformen Verwaltung, namentlich in den Gemeinden und Bezirken, steht dem RegierungsratBGE 130 I 140 (147) BGE 130 I 140 (148)das Recht zu, Weisungen zu erteilen (§ 88 Abs. 2 GOG). Dies umfasst nicht nur die Möglichkeit, Anordnungen im Einzelfall zu erteilen, sondern auch das Recht, generell-abstrakte Regelungen in Form von Verwaltungsverordnungen zu erlassen. Diese sind jedoch nur für die untergeordneten Behörden verbindlich, nicht aber im Aussenverhältnis gegenüber den Bürgern.
Im vorliegenden Fall wählte der Regierungsrat dagegen die Form der auch nach aussen verbindlichen Verordnung. Dies belegen der Titel der Verordnung, deren Veröffentlichung in der Systematischen Sammlung des Schwyzer Rechts (SRSZ 110.113) sowie § 1 Abs. 2 der Verordnung. Der Erlass einer auch für den Bürger verbindlichen, in der amtlichen Sammlung für jedermann zugänglichen Verordnung anstelle bloss verwaltungsinterner Weisungen liegt im Interesse der Rechtssicherheit. Er setzt aber eine entsprechende Rechtssetzungskompetenz des Regierungsrates voraus.
Die angefochtene Verordnung regelt Zuständigkeit und Verfahren für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts und damit ein Rechtsgebiet, das im Wesentlichen in die Gesetzgebungszuständigkeit der Kantone fällt: Der Bund kann gemäss Art. 38 Abs. 2 BV nur Mindestvorschriften über die Einbürgerung von Ausländern und Ausländerinnen durch die Kantone aufstellen; das Bürgerrechtsgesetz beschränkt sich darauf, das Vorliegen der Einbürgerungsbewilligung des zuständigen Bundesamts zu verlangen (Art. 12 Abs. 2 BüG). Bei der umstrittenen GemeindebürgerrechtsV geht es somit nicht um den Vollzug von Bundesrecht. Vielmehr soll die angefochtene Verordnung die Einhaltung von Art. 29 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 BV im kantonalrechtlich geregelten Einbürgerungsverfahren gewährleisten.
Die Grundrechte der Bundesverfassung gelten unmittelbar in allen Kantonen, ohne dass hierfür der Erlass von Ein- oder Ausführungsgesetzen erforderlich wäre. Selbstverständlich müssen die Kantone bei ihrer Rechtssetzung die Grundrechte der Bundesverfassung respektieren. Diese Verpflichtung trifft jedoch alle staatlichen Organe gleichermassen (Art. 5 Abs. 1 und Art. 35 BV) und kann keine selbständige Verordnungskompetenz des Regierungsrats begründen: Jede Rechtsanwendungsbehörde ist zur Beachtung des VorrangesBGE 130 I 140 (148) BGE 130 I 140 (149)von Bundesrecht verpflichtet (Art. 26 Abs. 2 der Schwyzer Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege vom 6. Juni 1974; vgl. dazu FRIDOLIN SCHIESSER, Die akzessorische Prüfung, Diss. Zürich 1984, S. 148; ROBERT ZIMMERMANN, Le contrôle préjudiciel en droit fédéral et dans les cantons suisses, Diss. Genf 1986, S. 179). Der Regierungsrat als oberste Vollziehungs- und Verwaltungsbehörde ist daher befugt und gegebenenfalls verpflichtet, durch Weisungen dafür zu sorgen, dass bundesrechtswidrige kantonale Erlasse nicht mehr angewendet werden und die Verfahrensgarantien der Bundesverfassung respektiert werden. Im Rahmen seiner Kompetenz, Vollziehungsverordnungen zu erlassen, ist er auch befugt, für den verfassungskonformen Vollzug kantonalen Rechts zu sorgen (vgl. dazu unten, E. 5). Die förmliche Aufhebung oder Änderung einer verfassungswidrigen Norm kann dagegen nur durch einen Erlass derselben oder einer höheren Normstufe erfolgen (Erfordernis der Parallelität der Form; vgl. BGE 112 Ia 136 E. 3c S. 139 mit Hinweisen; RENÉ RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 59 B/I/a, S. 185 f.).
5.2 Die angefochtene Verordnung regelt Zuständigkeit und Verfahren für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts (§ 1 Abs. 1 GemeindebürgerrechtsV). Dieses ist im Gesetz über Erwerb undBGE 130 I 140 (149) BGE 130 I 140 (150)Verlust des Kantons- und Gemeindebürgerrechts (kBüG) geregelt. Danach ist für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts die Gemeindeversammlung zuständig (§ 10 kBüG). Die Gemeindeversammlung ist in den §§ 7 ff. GOG normiert: Danach wird entweder offen an der Gemeindeversammlung selbst abgestimmt (§§ 21 ff., insbes. 26 ff. GOG), oder die Beschlussfassung erfolgt nach Beratung an der Gemeindeversammlung in einer späteren Abstimmung an der Urne (§§ 10 ff. GOG).
§ 22 kBüG ermächtigt den Regierungsrat, die für den Vollzug des Gesetzes erforderlichen Vorschriften zu erlassen. Gestützt darauf erliess der Regierungsrat am 7. Dezember 1970 die Vollziehungsverordnung zum eidgenössischen und kantonalen Gesetz über Erwerb und Verlust des Bürgerrechts, die im Wesentlichen nur die Zuständigkeiten des Regierungsrats und des Departements des Innern in Bürgerrechtsangelegenheiten festlegt. Der Regierungsrat hat der Ermächtigung in § 22 kBüG weder in der Vergangenheit noch heute einen über den Erlass blosser Vollzugsvorschriften hinausgehenden Inhalt beigemessen.
Vergleicht man die GemeindebürgerrechtsV einerseits und die Regelungen des kBüG und des GOG andererseits, so enthält die Verordnung Abweichungen von der gesetzlichen Regelung. § 1 Abs. 2 GemeindebürgerrechtsV beansprucht gar für abweichende Bestimmungen der Verordnung den Vorrang gegenüber der gesetzlichen Regelung, was gegen eine blosse Vollziehungsverordnung spricht.
Aus diesen Erläuterungen lässt sich schliessen, dass der Regierungs-rat - entgegen der Regelung in § 1 Abs. 2 GemeindebürgerrechtsV -BGE 130 I 140 (150) BGE 130 I 140 (151)keine gesetzesvertretende Verordnung, sondern eine Verordnung zum Vollzug des nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verbleibenden verfassungskonformen Restbestands des schwyzerischen Einbürgerungsrechts erlassen wollte. Ob sich die Verordnung an diesen - durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen - Rahmen hält und die oben skizzierten Grenzen einer Vollziehungsverordnung einhält, ist im Folgenden für jede Bestimmung der Verordnung gesondert zu prüfen.
Diese Regelung weicht von derjenigen des GOG über die Geschäfts behandlung an der Gemeindeversammlung ab, wonach grundsätzlich (soweit nicht die Rückweisung oder Verschiebung des Geschäfts beschlossen wird) über jeden Antrag abzustimmen ist. § 3 Abs. 2 GemeindebürgerrechtsV hat dagegen zur Folge, dass eine Abstimmung unterbleibt, wenn kein begründeter Gegenantrag gestellt wird, und der Antrag des Gemeinderats als angenommen gilt.
Diese Bestimmung dient der Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Begründungsanspruchs im Einbürgerungsverfahren. Sie stellt sicher, dass ein ablehnender Entscheid der Gemeindeversammlung begründet werden kann. Sie verhindert somit, dass es in der Gemeindeversammlung zu Abstimmungsergebnissen kommt, die sich nachträglich nicht begründen lassen und die deshalb rechtsstaatlich ebenso bedenklich wären wie Einbürgerungsentscheide an der Urne.BGE 130 I 140 (152)
BGE 130 I 140 (153)Das geltende kantonale Recht enthält keine Regelung zur Begründung von Gemeindeversammlungsentscheiden. Zwar sieht § 25 GOG vor, dass jedes Geschäft nach der Berichterstattung durch den Gemeinderat beraten wird, bis niemand mehr das Wort verlangt oder die Versammlung den Schluss der Beratung verfügt. In der Praxis wurden jedoch immer wieder Einbürgerungsgesuche abgelehnt, obwohl bei der Beratung niemand das Wort verlangt und dem Einbürgerungsantrag des Gemeinderats opponiert hatte, so dass über die Ablehnungsgründe nur gemutmasst werden konnte (vgl. NZZ vom 10. Januar 2003 Nr. 7 S. 12: "Einbürgerungen in Schwyz bleiben ein Versteckspiel"). Insoweit erweist sich das GOG für Einbürgerungsentscheide der Gemeindeversammlung als ergänzungsbedürftig.
Diese Ergänzung ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers: Ihm obliegt es, in diesem sensiblen Bereich - im Spannungsfeld zwischen Grundrechten und Verfahrensrechten der Gesuchsteller, politischen Rechten der Stimmbürger und Autonomie von Gemeinden und Bezirken - die Auswahl zwischen verschiedenen, verfassungsrechtlich möglichen Wegen zu treffen.
Der Regierungsrat räumt in seiner Vernehmlassung ein, dass es mehrere Alternativen für ein verfassungskonformes Einbürgerungsverfahren gebe - wie z.B. die Übertragung der Einbürgerungsbefugnis an Einbürgerungskommissionen, Gemeindeparlamente oder Gemeinderäte. Solche Lösungen bedingten jedoch die Änderung der geltenden Zuständigkeitsordnung und seien deshalb dem ordentlichen Gesetzgeber vorbehalten. Die Verordnung beschränke sich darauf, das geltende Schwyzer Recht, wonach Einbürgerungsentscheide von der Gemeindeversammlung getroffen werden, in verfassungskonformer Weise zu konkretisieren.
Wird an der nach Schwyzer Recht geltenden Zuständigkeit der Gemeindeversammlung festgehalten, erscheint der Spielraum für verfassungsmässige Lösungen in der Tat gering. Die vom Regierungsrat gewählte vorläufige Regelung beschränkt sich darauf, das aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung folgende Minimum anzuordnen, um - unter möglichster Beibehaltung der gesetzlich vorgesehenen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung - die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Begründungspflicht zur gewährleisten und zugleich eine Rechtsverweigerung zu verhindern.BGE 130 I 140 (153)
BGE 130 I 140 (154)Dieses Vorgehen war unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zulässig: Eine Aussetzung der hängigen Einbürgerungsverfahren bis zum Inkrafttreten eines förmlichen Gesetzes kam nach dem oben (E. 4.2) Gesagten nicht in Betracht. In den Gemeinden herrschte grosse Rechtsunsicherheit; diese erwarten vom Regierungsrat Vorgaben zum vorläufig anzuwendenden Verfahren. Unter diesen besonderen Umständen durfte der Regierungsrat, zur Verhinderung einer Rechtsverweigerung und zur Wahrung der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit, eine vorläufige, das Gesetz ergänzende Regelung im Wege der Vollziehungsverordnung erlassen.
Werden an der Gemeindeversammlung selbst Gründe für die Ablehnung einer konkreten Einbürgerung genannt und darüber unmittelbar im Anschluss an die Diskussion abgestimmt, so kann angenommen werden, dass die ablehnenden Gründe von der Mehrheit der Abstimmenden mitgetragen werden. In der Regel wird damit ein ablehnender Gemeindeversammlungsbeschluss hinreichend begründet werden können, so dass der abgelehnte Bewerber weiss, weshalb sein Gesuch abgewiesen wurde, und der Entscheid gegebenenfalls in einem Rechtsmittelverfahren überprüft werden kann (so auch THÜRER/FREI, a.a.O., S. 225 f.; YVO HANGARTNER, Neupositionierung des Einbürgerungsrechts, AJP 2004 S. 3 ff., insbes. S. 16/17).
Auch unter dem Blickwinkel des Schutzes der Privatsphäre (Art. 13 BV) kann die Verfassungsmässigkeit von Gemeindeversammlungsbeschlüssen nicht von vornherein in Frage gestellt werden. Es wird in jedem Einzelfall, unter Berücksichtigung der Natur und des Umfangs der persönlichen Daten sowie der Art und Weise ihrerBGE 130 I 140 (154) BGE 130 I 140 (155)Bekanntgabe an der Gemeindeversammlung, geprüft werden müssen, ob das Persönlichkeitsrecht der Gesuchsteller gewahrt wurde.
Es wird Aufgabe des Regierungsrats sein, das ordentliche Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Dagegen war er nicht verpflichtet, seine Verordnung zeitlich zu befristen: Zieht sich das Gesetzgebungsverfahren in die Länge oder scheitert eine erste Vorlage in der Volksabstimmung, muss die Verordnung weiter anwendbar bleiben, damit über hängige Einbürgerungsgesuche innert angemessener Frist entschieden werden kann. Die GemeindebürgerrechtsV muss deshalb so lange in Kraft bleiben, bis das kantonale Recht im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angepasst worden ist (so auch § 6 Abs. 1 der Verordnung).