Regeste Sachverhalt Aus den Erwägungen: 2. Im Bereich der Steuern wird Art. 8 Abs. 1 BV insbesondere durc ... 3. Für den Vergleich der Steuerbelastung von verheirateten u ... Erwägung 4
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29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_397/2007 vom 18. März 2008
Regeste
Art. 8 Abs. 1, Art. 127 Abs. 2 BV, Art. 11 Abs. 1 StHG; Thurgauer Steuertarif; Teilsplitting; Steuerbelastung von alleinstehenden Personen im Vergleich zu verheirateten Personen.
In den Steuerbelastungsvergleich sind alle Faktoren mit einzubeziehen, auch Sozialabzüge und Freibeträge, welche die Steuerbelastung beeinflussen (E. 3).
Der neue Tarif des Steuergesetzes des Kantons Thurgau sieht ein Teilsplitting für Ehegatten vor (Splittingfaktor 1,9). Um die Steuerbelastung einer alleinstehenden Person mit derjenigen eines Ehepaares zu vergleichen, muss für das Ehepaar das Einkommen der alleinstehenden Person um einen Faktor erhöht werden, so dass es auch für zwei Personen den gleichen Lebensstandard ermöglicht. In dieser Hinsicht zeigen alle Statistiken auf, dass das Einkommen eines Ehepaares im Durchschnitt rund das 1,4-Fache des Einkommens einer alleinstehenden Person betragen muss (E. 4.4).
Für eine alleinstehende Person wie die Beschwerdeführerin mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 41'000.- beträgt die Steuer gegenüber derjenigen eines Ehepaares mit dem gleichem Gesamteinkommen rund das Dreifache. Verglichen mit einem Ehepaar mit dem 1,4-fachen Einkommen der Beschwerdeführerin besteht hingegen ein ausgeglichenes Verhältnis (E. 4.5).
Sachverhalt
X. ist verwitwet und lebt allein. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen aus den Einkünften, die sie aus einer Witwenrente der AHV von Fr. 20'640.- sowie einer Witwenrente der SUVA von Fr. 29'484.- erzielt. Ihr Gesamteinkommen beträgt Fr. 50'256.-.
Für die Staats- und Gemeindesteuer 2005 wurde sie mit Verfügung vom 22. Februar 2006 auf ein steuerbares Einkommen von Fr. 41'500.- und auf ein steuerbares Vermögen von Fr. 0.- veranlagt. Unter Anwendung des Tarifs A für alleinstehende Personen wurde die einfache Steuer auf Fr. 1'781.- festgesetzt. Das ergab bei einer Gesamtsteueranlage von 317 % einen Steuerbetrag für Staat und Gemeinde von Fr. 5'645.75.
Mit Rekurs machte die Steuerpflichtige geltend, das auf den 1. Januar 2005 in Kraft getretene neue Steuergesetz besteuere die Ehepaare nun sehr viel tiefer als bisher. Dagegen bezahlten Alleinstehende bei gleichem Einkommen gleiche bis leicht höhere Steuern. Dadurch würden die Einkommen von Alleinstehenden, besonders in den unteren Einkommenskategorien, sehr viel höher belastet als diejenigen von Ehepaaren ohne Kinder und überproportional höher als diejenigen von Alleinstehenden mit höherem Einkommen. Sie bezahle 2,95 mal mehr Steuern als ein Ehepaar ohne Kinder mit dem gleichen Gesamteinkommen. Das widerspreche den Grundsätzen einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und auch dem Erfordernis der gleichmässigen Besteuerung.
Die Rekurskommission des Kantons Thurgau wies den Rekurs mit Entscheid vom 18. November 2006 ab. Eine Beschwerde der Steuerpflichtigen wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 4. April 2007 ab, soweit es darauf eintrat.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Steuerpflichtige, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und ihr Einkommen sei höchstens mit einer Steuer, welche das 1,5-fache der Steuer eines Ehepaares mit gleich hohem Einkommen betrage, nämlich Fr. 2'867.25, zu belasten. Sie beruft sich u.a. auf das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), auf das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) sowie Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14).
Bei dem hier besonders in Frage stehenden Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit der Steuerbelastung lassen sich die Sachverhalte in horizontaler Richtung, d.h. zwischen Steuerpflichtigen in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen, relativ leicht vergleichen. Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geht hingegen nicht direkt hervor, um wie viel die Steuer zunehmen muss, wenn das Einkommen um einen bestimmten Betrag steigt, um unter dem Gesichtswinkel der Leistungsfähigkeit gleichwertige Verhältnisse herzustellen. Die Vergleichbarkeit ist daher in vertikaler Richtung erheblich geringer als in horizontaler Richtung, was dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum eröffnet (BGE 133 I 206 E. 7.2 S. 218). Ebenso wenig gibt es aber exakte (eindeutige) Anhaltspunkte, wie die Steuerbelastung bei Personen in ungleichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgestaltet sein muss, um dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nachzukommen, beispielsweise bei in tatsächlich und rechtlich ungetrennter Ehe lebenden Personen einerseits und alleinstehenden Personen andererseits.
Deshalb verlangt Art. 11 Abs. 1 Satz 1 StHG nur allgemein, die Steuern für Verheiratete seien im Vergleich zu denjenigen für Alleinstehende angemessen zu ermässigen (vgl. Botschaft über die Steuerharmonisierung vom 25. Mai 1983, BBl BGE 1983 III 97). Ohnehin steht die so genannte Tarifhoheit den Kantonen zu (die allerdings bei der Ausgestaltung der Steuertarife die Grundrechte zu beachten haben, vgl. auch BGE 131 II 697 E. 4.4 S. 705). DasBundesgericht auferlegt sich daher regelmässig Zurückhaltung bei der Überprüfung kantonaler Steuertarife und greift nicht in das politische Ermessen des Gesetzgebers ein (BGE 133 I 206 E. 8.2 S. 224 mit Hinweisen).
2 Für gemeinsam steuerpflichtige Ehepaare wird der Steuersatz ermittelt, indem das steuerbare Einkommen durch den Divisor 1,9 geteilt wird. Massgebend sind die Verhältnisse am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht.
Das entspricht rund einem Drittel der Steuerbelastung der Beschwerdeführerin. Eine solche Differenz ist ihres Erachtens mit dem Rechtsgleichheitsgebot und dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht vereinbar. Sie erachtet höchstens eine um 50 % höhere Steuerbelastung als ein Ehepaar mit gleich viel Einkommen als verfassungskonform. Zur Begründung verweist sie auf die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien), wonach der Grundbedarf für den Lebensunterhalt für einen Zweipersonenhaushalt nur das 1,53-Fache des Einpersonenhaushaltes ausmache, ferner auf das Verhältnis von einfacher Rente zur Ehepaarrente der AHV, wo Letztere das Anderthalbfache der Ersteren betrage, sowie auf die ähnliche Relation beim betreibungsrechtlichen Existenzminimum von Alleinstehenden (Fr. 1'100.-) zu Verheirateten (Fr. 1'550.-).
4.5 In der Literatur wurde freilich auch festgestellt, dass die Belastungsrelationen nur so weit gelten, als das zur Verfügung stehende Einkommen normalerweise zur Bestreitung der notwendigenLebenshaltungskosten im weitesten Sinn konsumiert werden muss. Schlüssiges statistisches Material fehlt allerdings, so dass sozialpolitische und fiskalpolitische Überlegungen diese Frage letztlich entscheiden (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, Bern 1984, S. 39). Darüber, dass sachgerechte Differenzierungen zwischen der Steuerbelastung verheirateter gegenüber alleinstehenden steuerpflichtigen Personen mit einem festen Abzug allein nicht erreicht werden können, besteht Einigkeit (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, a.a.O., S. 41 f.). Aber auch ein fester Splittingdivisor (kleiner als 2), der nur eheliche Gemeinschaften berücksichtigt, ist nicht unproblematisch. Über das Ausmass der Entlastung besteht daher weitgehende gesetzgeberische Freiheit, weil sich nicht exakt bestimmen lässt, um wie viel die Steuer steigen muss, wenn sich das Einkommen beispielsweise verdoppelt.
Aus diesen Erwägungen und in Anbetracht der ihm auferlegten Zurückhaltung besteht für das Bundesgericht vorliegendenfalls kein Anlass, die Mehrbelastung der Beschwerdeführerin von rund 300 % gegenüber einem gleich verdienenden Ehepaar aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden. Wohl ist dieser Unterschied beträchtlich, und es wurde für die direkte Bundessteuer die Frage gestellt, ob eine Abweichung von 250 % bei Einkommen von Fr. 80'000.- noch haltbar sei (DANIELLE YERSIN, Egalité de traitement: des principes et un projet pour le couple et la famille, ASA 70 S. 371 ff., insbesondere S. 379). Vorliegend geht es um markant tiefere Einkommensbereiche, wo solche Abstufungen eher zu dulden sind. In dem von der Beschwerdeführerin angestellten Steuerbelastungsvergleich kann hervorgehoben werden, dass nach Abzug der Steuern dem Ehepaar noch Fr. 37'216.50 (Fr. 39'128.- ./. Fr. 1'911.50) und der Beschwerdeführerin noch Fr. 35'882.25 (Fr. 41'528.- ./. Fr. 5'645.75) verbleiben. Das Ehepaar, bei dem zwei Personen vom Einkommen leben müssen, ist wesentlich näher beim Existenzminimum als die Beschwerdeführerin selbst.