3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_308/2021 vom 3. September 2021 | |
Regeste | |
Art. 22, Art. 36 Abs. 1 und 3, Art. 49 BV; Art. 40 EpG; Art. 8 Covid-19-Verordnung besondere Lage; Covid-19-Verordnung des Kantons Bern vom 4. November 2020; Beschränkung der Teilnehmerzahl an politischen und zivilgesellschaftlichen Kundgebungen auf 15 Personen; gesetzliche Grundlage; Verhältnismässigkeit.
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Sachverhalt | |
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Für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen sind die Artikel 4-6a nicht anwendbar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen einzig eine Gesichtsmaske tragen; ausgenommen sind:
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a. Kinder vor ihrem 12. Geburtstag;
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b. Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können.
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Die Verordnung wurde in der Folge mehrmals erneut geändert.
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(...)
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B. Am 4. November 2020 erliess der Regierungsrat des Kantons Bern die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19 V; BSG 815.123; BAG 20-113; nachfolgend: Covid-19 V/BE). Sie legte unter anderem in Art. 6 in Abweichung von Art. 6 Abs. 1 der Covid-19-Verordnung besondere Lage die Höchstzahl für Veranstaltungen auf 15 Personen fest. Gemäss Art. 28 Abs. 2 der Verordnung galt Art. 6 bis zum 23. November 2020. Diese Befristung wurde am 19. November 2020 (BAG 20-120) bis 7. Dezember 2020 und am 27. November 2020 (BAG 20-128) bis zum 14. Dezember 2020 verlängert. Am 11. Dezember 2020 (BAG 20-136) wurde Art. 6 aufgehoben.
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Am 18. Dezember 2020 (BAG 20-138) wurde die Verordnung geändert. Damit wurde unter anderem ein neuer Art. 6a eingefügt mit dem Wortlaut:
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In Abweichung von Artikel 6c Absatz 2 der Covid-19-Verordnung besondere Lage sind politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen von mehr als 15 Personen verboten.
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Die Geltungsdauer dieser Bestimmung wurde bis zum 22. Januar 2021 befristet (Art. 28 Abs. 2a Covid-19 V/BE). Am 20. Januar 2021 (BAG 21-004) wurde Art. 6a Covid-19 V/BE dahin geändert, dass nun Kundgebungen mit mehr als 5 Personen untersagt wurden und die Geltungsdauer bis zum 28. Februar 2021 verlängert wurde. Am 25. Februar 2021 (BAG 21-015) wurde die zulässige Teilnehmerzahl wieder auf 15 erhöht und die Geltungsdauer bis zum 31. März 2021 verlängert. Am 19. März 2021 (BAG 21-025) wurde die Geltungsdauer von Art. 6a bis zum 30. April 2021 verlängert.
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Die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern beantragt namens des Regierungsrats, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Stellungnahme.
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Die Beschwerdeführer haben repliziert. Die Sicherheitsdirektion hat dupliziert.
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D. Nach Einreichung der Beschwerde wurde die Verordnung am 16. April 2021 dahin gehend geändert, dass in Art. 6a Abs. 1 die Maximalzahl der Teilnehmer auf 100 angehoben und in Art. 28 Abs. 2b die Geltungsdauer von Art. 6a bis zum 31. Mai 2021 verlängert wurde (BAG 21-034 und 21-047). Seit dem 1. Juni 2021 ist die Bestimmung nicht mehr in Kraft.
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E. Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat den Fall am 3. September 2021 öffentlich beraten und entschieden.
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(Auszug)
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Erwägung 5 | |
5.1 Gemäss Art. 36 Abs. 1 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst (d.h. im formellen Gesetz, BGE 145 I 156 E. 4.1; BGE 143 I 253 E. 4.8, 4.9 und 5) vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. Für leichte Eingriffe reicht eine Grundlage im kompetenzgemäss erlassenen Verordnungsrecht (BGE 146 I 11 E. 3.3; BGE 145 I 156 E. 4.1). Je gewichtiger ein Grundrechtseingriff ist, desto höher sind die Anforderungen an Normstufe und Normdichte. Schwere Grundrechtseingriffe benötigen eine klare und genaue Grundlage im Gesetz selbst (BGE 147 I 103 E. 14.2; BGE 139 I 280 E. 5.1). Das formelle Gesetz muss selber die erforderliche Bestimmtheit aufweisen; auch wenn es den Inhalt der zulässigen Grundrechtseingriffe nicht detailliert regeln muss, hat sich dieser doch aus dem Gesetz zu ergeben bzw. muss unmittelbar darauf zurückgeführt werden können (BGE 143 I 253 E. 6.1 und 6.3).
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5.3 Art. 118 Abs. 2 lit. b BV überträgt dem Bund eine umfassende, nachträglich derogatorische Zuständigkeit für die Bekämpfung übertragbarer, stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren (BGE 139 I 242 E. 3.1; BGE 133 I 110 E. 4.2). Unter anderem gestützt auf diese Bestimmung erliess der Bundesgesetzgeber das Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101). Das 5. Kapitel des Gesetzes ("Bekämpfung") sieht in seinem ersten (Art. 30-39) und zweiten Abschnitt (Art. 40) Massnahmen vor, welche die zuständigen kantonalen Behörden anordnen können. In der besonderen Lage kann der Bundesrat nach Anhörung der Kantone bestimmte Massnahmen anordnen (Art. 6 Abs. 2 EpG). In der ausserordentlichen Lage kann der Bundesrat für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen ![]() ![]() | |
Art. 40 EpG lautet:
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1 Die zuständigen kantonalen Behörden ordnen Massnahmen an, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Sie koordinieren ihre Massnahmen untereinander.
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2 Sie können insbesondere folgende Massnahmen treffen:
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a. Veranstaltungen verbieten oder einschränken;
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b. Schulen, andere öffentliche Institutionen und private Unternehmen schliessen oder Vorschriften zum Betrieb verfügen;
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c. das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verbieten oder einschränken.
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3 Die Massnahmen dürfen nur so lange dauern, wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern. Sie sind regelmässig zu überprüfen.
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Die Kantone sind also gemäss Art. 40 EpG ausdrücklich zuständig, um Massnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten anzuordnen, namentlich auch Verbote oder Einschränkungen von Veranstaltungen (Abs. 2 lit. a). Wie das Bundesgericht in BGE 147 I 478 E. 3.6-3.8 entschieden hat, ist Art. 40 Abs. 2 EpG eine hinreichende formell-gesetzliche Grundlage für kantonale Verbote oder Einschränkungen von Veranstaltungen. Eine zusätzliche formell-gesetzliche Grundlage auf kantonaler Ebene ist nicht erforderlich (vgl. auch BGE 147 I 450 E. 3.2.2). Zwar ist Art. 40 Abs. 2 EpG insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit solche Massnahmen getroffen werden dürfen, relativ unbestimmt; ein gewisser Ermessensspielraum der vollziehenden Behörden ist jedoch angesichts der Natur der drohenden Gefahren und ![]() ![]() | |
Art. 6 Besondere Bestimmungen für Veranstaltungen sowie für Messen
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1 Die Durchführung von Veranstaltungen ist verboten. Vom Verbot ausgenommen sind:
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a. Veranstaltungen nach Artikel 6c;
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b. Veranstaltungen zur politischen Meinungsbildung mit bis zu 50 Personen;
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c. Verhandlungen vor Schlichtungs- und Gerichtsbehörden;
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d. religiöse Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen;
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e. Bestattungen im Familien- und engen Freundeskreis;
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f. Veranstaltungen im Bildungsbereich, die nach Artikel 6d erlaubt sind;
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g. Veranstaltungen ohne Publikum in den Bereichen Sport und Kultur nach den Artikeln 6e und 6f Absätze 2 und 3;
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h. Veranstaltungen im Familien- und Freundeskreis nach Absatz 2;
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i. Treffen etablierter Selbsthilfegruppen in den Bereichen der Suchtbekämpfung und der psychischen Gesundheit mit bis zu 10 Personen.
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2 An Veranstaltungen im Familien- und Freundeskreis (private Veranstaltungen) dürfen in Innenbereichen höchstens 5 und in Aussenbereichen höchstens 15 Personen teilnehmen. Die Pflicht zur Erarbeitung und Umsetzung eines Schutzkonzepts gilt nicht.
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3 Die Durchführung von Messen in Innenräumen ist verboten. ![]() | |
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2 Für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen und für Unterschriftensammlungen sind die Artikel 4-6 nicht anwendbar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen eine Gesichtsmaske tragen; es gelten jedoch die Ausnahmen nach Artikel 3b Absatz 2 Buchstaben a und b.
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Deren Art. 2 lautet seit Beginn unverändert wie folgt:
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Art. 2 Zuständigkeit der Kantone
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Soweit diese Verordnung nichts anders bestimmt, behalten die Kantone ihre Zuständigkeiten.
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Ein ausdrückliches Verbot, weitergehende Massnahmen zu treffen, ergibt sich aus der Verordnung nicht.
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Art. 8 lautet in der Fassung vom 4. Dezember 2020 (Inkrafttreten 9. Dezember 2020, AS 2020 5189) wie folgt:
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Art. 8 Zusätzliche Massnahmen der Kantone
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1 Der Kanton trifft zusätzliche Massnahmen nach Artikel 40 EpG, wenn:
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a. die epidemiologische Lage im Kanton oder in einer Region dies erfordert; er beurteilt die Lage namentlich aufgrund folgender Indikatoren und ihrer Entwicklung:
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1. Inzidenz (7-Tage, 14-Tage),
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2. Anzahl Neuinfektionen (pro Tag, pro Woche),
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3. Anteil positiver Tests an der Gesamtzahl durchgeführter Tests (Positivitätsrate), ![]() | |
5. Reproduktionszahl,
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6. Kapazitäten im stationären Bereich sowie Anzahl neu hospitalisierter Personen (pro Tag, pro Woche), einschliesslich solcher in der Intensivpflege;
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b. er aufgrund der epidemiologischen Lage nicht mehr die notwendigen Kapazitäten für die erforderliche Identifizierung und Benachrichtigung ansteckungsverdächtiger Personen nach Artikel 33 EpG bereitstellen kann.
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2 Er gewährleistet dabei namentlich die Ausübung der politischen Rechte sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
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3 Er hört vorgängig das BAG an und informiert dieses über die getroffenen Massnahmen.
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Aus Art. 8 der Covid-19-Verordnung besondere Lage ergibt sich somit ausdrücklich, dass der Kanton unter den darin genannten Voraussetzungen auch zusätzliche Massnahmen treffen kann, d.h. solche, die über das hinausgehen, was der Bundesrat in den vorangehenden Bestimmungen der Verordnung angeordnet hat. Der Kanton kann namentlich auch Einschränkungen für Veranstaltungen vorsehen, welche über die bundesrechtlichen Einschränkungen hinausgehen (vgl. BGE 147 I 450 E. 3.2.2). Die bundesrätliche Verordnung lässt damit zu, dass in einzelnen Kantonen verschärfte Massnahmen gelten können. Der blosse Umstand, dass der Kanton Bern einschneidendere Einschränkungen vorsieht als der Bundesrat oder als andere Kantone, ist für sich allein noch kein Grund, die angefochtene Regelung als bundesrechtswidrig zu bezeichnen. Der Kanton muss aber die in Art. 8 der Covid-19-Verordnung besondere Lage enthaltenen Voraussetzungen einhalten.
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5.5.4 Die Beschwerdeführer argumentieren, der Regierungsrat habe entgegen dieser bundesrechtlichen Vorgabe nicht eine epidemiologisch besonders schwierige Lage aufgezeigt. Diese Kritik ist unbegründet: Art. 8 Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage verlangt als Voraussetzung für weitergehende kantonale Massnahmen nicht eine epidemiologisch besonders schwierige Lage, sondern nur, dass die epidemiologische Lage "dies erfordert" (lit. a) und dass der Kanton aufgrund der epidemiologischen Lage nicht mehr die notwendigen Kapazitäten für die erforderliche Identifizierung und Benachrichtigung ansteckungsverdächtiger Personen nach Artikel 33 EpG bereitstellen kann (lit. b). Nach Art. 33 EpG kann eine Person, die krank, krankheitsverdächtig, angesteckt oder ansteckungsverdächtig ![]() ![]() | |
Allgemeinnotorisch war seit Herbst 2020 wegen der grossen Zahl von Infektionsfällen eine umfassende Identifizierung und Benachrichtigung ansteckungsverdächtiger Personen nicht mehr möglich. Die Beschwerdeführer rügen denn auch nicht, die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 lit. b Covid-19-Verordnung besondere Lage seien nicht erfüllt. Entscheidend für die Zulässigkeit der Massnahme ist somit, ob die Voraussetzungen nach lit. a erfüllt sind, mithin dass die epidemiologische Lage diese Massnahmen erforderte. Dies fällt zusammen mit dem Kriterium der Erforderlichkeit als Teilgehalt der Verhältnismässigkeit und ist in diesem Zusammenhang zu prüfen (vgl. E. 6.6 und 7.7 hiernach). Auch die in Art. 8 Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage enthaltene Anforderung, dass der Kanton dabei (d.h. beim Treffen zusätzlicher Massnahmen) namentlich die Ausübung der politischen Rechte sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet, kann in diesem Zusammenhang geprüft werden.
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Die vorliegend von den Beschwerdeführern ebenfalls gerügte Einschränkung der Meinungsfreiheit erschöpft sich darin, dass Meinungen nur eingeschränkt an Kundgebungen geäussert werden können, weil diese ihrerseits eingeschränkt werden. Eine darüber hinausgehende Einschränkung der Meinungsfreiheit, indem beispielsweise der Meinungsäusserung inhaltliche Schranken auferlegt würden, ergibt sich aus der angefochtenen Verordnung nicht, sodass dieser Rüge vorliegend keine selbständige Bedeutung zukommt. ![]() | |
Die Beschwerdeführer machen zwar geltend, die kantonalrechtliche Gewährleistung gehe insoweit über die bundesrechtliche hinaus, als Art. 19 Abs. 2 KV/BE ausdrücklich vorsehe, dass Kundgebungen auf öffentlichem Grund zu gestatten seien, wenn ein geordneter Ablauf gesichert und die Beeinträchtigung der anderen Benutzerinnen und Benutzer zumutbar erscheine; es bestehe somit ein Rechtsanspruch auf Bewilligung der Kundgebung. Allerdings wird bereits aus den bundesrechtlichen Garantien (Art. 16 und 22 BV) ein bedingter Anspruch auf Benutzung des öffentlichen Grunds für Kundgebungen abgeleitet (BGE 143 I 147 E. 3.2; BGE 132 I 256 E. 3). So oder so kann die Versammlungsfreiheit auch nach bernischem Verfassungsrecht (Art. 28 KV/BE) unter analogen Voraussetzungen wie nach Bundesrecht (Art. 36 BV) eingeschränkt werden (vgl. E. 6.4 hiernach).
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Eine hinreichende gesetzliche Grundlage liegt vor (vgl. E. 5 hiervor). Zu prüfen sind die übrigen Voraussetzungen.
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Die Beschwerdeführer bringen allerdings vor, es bestehe kein öffentliches Interesse daran, dass die Kantone unterschiedliche Massnahmen treffen, soweit die zu regelnden Sachverhalte keine rein kantonalen Angelegenheiten seien; Kundgebungen seien gerade in der Bundesstadt Bern nicht rein kantonale Angelegenheiten, sondern würden sich auf nationale oder gar globale Themen beziehen und es fänden sich dazu Personen aus unterschiedlichen Landesgegenden zusammen. Diese Aspekte heben jedoch das öffentliche Interesse nicht auf: Die kantonale Zuständigkeit, weitergehende Massnahmen zu treffen als die bundesrechtlich angeordneten (Art. 8 Covid-19-Verordnung besondere Lage; vorne E. 5.5.3), bezieht sich nicht darauf, ob die eingeschränkten Veranstaltungen rein kantonale Bedeutung haben, sondern auf die epidemiologische Situation im Kanton. Die Frage, ob das öffentliche Interesse an der Epidemiebekämpfung die entgegenstehenden Interessen überwiegt, ist eine Frage der Verhältnismässigkeit.
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7.2 In der Vernehmlassung zur Beschwerde führt der Kanton aus, die epidemiologische Lage im Zusammenhang mit Covid-19 habe sich im Kanton Bern seit Anfangs Oktober 2020 deutlich verschlechtert; die Fallzahlen der positiv getesteten Personen sowie die ![]() ![]() | |
7.3 Die Beschwerdeführer stellen nicht in Frage, dass die epidemiologische Lage angespannt war. Sie kritisieren auch nicht, dass der Bundesrat in seiner Verordnung (die als solche hier nicht zu ![]() ![]() | |
7.4 Aus den vom Kanton in der Vernehmlassung vorgelegten Zahlen (laborbestätigte Fälle pro 100'000 Einwohner; Covid-19-bedingte Auslastung der Intensivstationen) geht hervor, dass die epidemiologische Belastung im Kanton Bern von November 2020 bis Januar 2021 hoch war und nach einem vorübergehenden Rückgang im März/April 2021 wieder zugenommen hat. Zwar ist nicht dargelegt, dass die Situation schlimmer gewesen wäre als im gleichen Zeitraum in anderen Kantonen. Jedoch ist es den Kantonen nicht verwehrt, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aus sachlich haltbaren Gründen eine andere Risikobeurteilung vorzunehmen und dementsprechend strengere risikoreduzierende Massnahmen anzuordnen als andere Kantone; dies ist keine Verletzung der Rechtsgleichheit, sondern vielmehr Konsequenz des Föderalismus (BGE 136 I 1 E. 4.4.4; BGE 133 I 249 E. 3.4; vgl. auch Art. 46 Abs. 3 und Art. 47 BV). ![]() | |
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Die Beschwerdeführer bringen freilich vor, solange die Bevölkerung zwischen den Kantonen mobil sei, ergebe ein Kundgebungsverbot in einzelnen Kantonen keinen Sinn und sei nicht geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen. Indessen liegt es im Wesen kantonaler Zuständigkeiten, dass ihre Tragweite auf das Kantonsgebiet begrenzt ist. Wenn ein Kanton Veranstaltungen einschränkt, weil er das epidemiologische Risiko bei sich als zu hoch erachtet, schliesst dies zwar nicht aus, dass Menschen in anderen Kantonen Kundgebungen durchführen. Es ist alsdann Sache der dortigen Behörden zu beurteilen, ob dies angesichts der bei ihnen bestehenden Risikolage zuzulassen sei. Die grundsätzliche Eignung der Massnahme wird dadurch nicht in Frage gestellt.
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7.6 Aus rein epidemiologischer Sicht erscheint eine Gleichbehandlung von Menschenansammlungen und Veranstaltungen, bei welchen das Ansteckungsrisiko vergleichbar ist, unabhängig von ihrem Ziel und Zweck, als gerechtfertigt. Denn geht es darum, zum Zwecke der Krankheitsbekämpfung Veranstaltungen einzuschränken, so ist in erster Linie das epidemiologische Risiko massgebend, das von einer Veranstaltung ausgeht. In diesem Lichte leuchtet die Argumentation des Kantons Bern, die auch auf Rechtsgleichheitsüberlegungen beruht, ein. So folgt aus dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV), dass gleich hohe Risiken grundsätzlich gleich und ![]() ![]() | |
7.7.1 Wie die Beschwerdeführer zu Recht ausführen, besteht die Besonderheit politischer Kundgebungen unter anderem darin, dass sie zur demokratischen Meinungsbildung beitragen, indem auch Anliegen und Auffassungen in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht werden können, die innerhalb der bestehenden demokratischen Verfahren oder Einrichtungen weniger zum Ausdruck kommen (vgl. BGE 127 I 164 E. 3c/d; BGE 107 Ia 64 E. 3b; BGE 100 Ia 392 E. 4c und 5; Urteil 1C_35/2015 vom 28. Oktober 2015 E. 4.3, in: ZBl 117/2016 S. 253 ff.). Das Bundesgericht hat seit jeher im Zusammenhang mit Demonstrationen auf den hohen Stellenwert hingewiesen, welcher der Versammlungsfreiheit aufgrund deren zentralen Bedeutung für die Meinungsbildung in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, besonders auch in politisch unruhigen Zeiten, zukommt (vgl. Urteil 1C_35/2015 vom 28. Oktober 2015 E. 4.3, in: ZBl 117/2016 S. 253 ff., mit zahlreichen Hinweisen).
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Auch der Bundesrat begründet die in Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage statuierte Ausnahme vom (damaligen) grundsätzlichen Veranstaltungsverbot mit der hohen Bedeutung, die politischen und zivilgesellschaftlichen Kundgebungen in einer grund- und staatsrechtlichen Perspektive zukommt. Aus diesem Grund wurden solche Kundgebungen gegenüber anderen Veranstaltungen insofern privilegiert, als diese nicht sämtliche an übrige Veranstaltungen gestellten Anforderungen erfüllen mussten. Insbesondere wurde keine Begrenzung hinsichtlich der Anzahl Teilnehmer festgelegt. Der Bundesrat erwog vielmehr, dass mit der Pflicht der Teilnehmenden, eine Gesichtsmaske zu tragen, das Recht auf freie Meinungsäusserung mit dem erforderlichen Schutz gewährleistet werden könne (Bundesamt für Gesundheit, Erläuterungen zur Verordnung vom 19. Juni 2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie [Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26], Version vom 27. April 2021, S. 7, ![]() ![]() | |
Zwar dürfen die Kantone, wie bereits ausgeführt, schärfere Massnahmen anordnen bzw. sind sie nicht gehalten, die bundesrechtlichen Vorgaben zu übernehmen. Indessen gilt es im Rahmen der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen, dass der Bundesrat politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen, d.h. solche, die der politischen und gesellschaftlichen Meinungsäusserung und -bildung dienen und typischerweise im öffentlichen Raum stattfinden (vgl. Erläuterungen Covid-19-Verordnung besondere Lage, a.a.O., S. 24), aufgrund des hohen öffentlichen Interesses speziellen Vorschriften unterstellt und insbesondere keine maximale Anzahl Teilnehmer vorgesehen hat.
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Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Kundgebungen, insbesondere solche, die in der Bundesstadt Bern durchgeführt werden, erfahrungsgemäss in der Regel auf öffentlichem Grund stattfinden und daher bewilligungspflichtig sind (vgl. BGE 132 I 256 E. 3; ausführlich dazu HANGARTNER/KLEY-STRULLER, a.a.O., S. 105 ff.). Im Bewilligungsverfahren sind nicht nur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Kundgebung, sondern ebenso sehr die Randbedingungen, allfällige Auflagen, und eventuelle Alternativen zu prüfen (BGE 132 I 256 E. 3). Zudem kann eine dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügende Gestaltung eine entsprechende verhältnismässige Mitwirkung der Veranstalter erfordern (vgl. BGE 143 I 147 E. 3.2). Im Bewilligungsverfahren kann somit eine umfassende Interessenabwägung, unter Einbezug epidemiologischer Gesichtspunkte, vorgenommen werden, und es können, je nach Art der Veranstaltung (Umzug, Platzkundgebung etc.), weitere Auflagen angeordnet werden. Dabei haben die Behörden auch dem legitimen Bedürfnis, Veranstaltungen mit Appellwirkung an eine breite Öffentlichkeit durchführen zu können, angemessen Rechnung zu tragen (BGE 100 Ia 392 E. 5; vgl. auch BGE 143 I 147 E. 3.2). ![]() ![]() | |
Insbesondere gilt es zu beachten, dass Kundgebungen - anders als beispielsweise private Veranstaltungen - in erster Linie auf Aussenwirkungen bedacht sind (vgl. auch Erläuterungen Covid-19-Verordnung besondere Lage, a.a.O., S. 24). Im Gegensatz zu anderen ![]() ![]() | |
Die Begrenzung der Teilnehmer auf die zum massgeblichen Zeitpunkt von Bundesrechts wegen für private Veranstaltungen geltende Zahl von 15 Personen schränkt die Versammlungsfreiheit in Bezug auf Demonstrationen derart ein, dass diese praktisch ihres Gehalts entleert wird. In diesem Kontext wird die Ausübung der Versammlungsfreiheit nahezu verunmöglicht, was letztlich einem faktischen Verbot von Kundgebungen gleichkommt.
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Erwägung 8 | |