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Regeste
Sachverhalt
C. Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 8. März 2021 an das Bundesgericht beantragt A., das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben, ihr Einbürgerungsgesuch gutzuheissen und ihr das Gemeindebürgerrecht zu erteilen; eventuell sei die Sache an das Verwaltungsgericht, subeventuell an die Einwohnergemeinde Thun als Einbürgerungsbehörde zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, es sei willkürlich, ihr im zweisprachigen Kanton Bern die Französischkenntnisse für die Einbürgerung nicht anzurechnen. Zudem sei es willkürlich, rechtsungleich und überspitzt formalistisch, ihre mit dem Maturitätszeugnis belegten Deutschkenntnisse nicht anzuerkennen und auf einem Attest einer anerkannten Sprachschule zu beharren. Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei deshalb verfassungswidrig.
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 5
6. Die Einwohnergemeinde Thun gab dem Einbürgerungsgesuch de ...
Bearbeitung, zuletzt am 08.03.2023, durch: DFR-Server (automatisch)
 
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Einwohnergemeinde Thun (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
 
 
1D_4/2021 vom 8. März 2022
 
 
Regeste
 
Art. 8 Abs. 1, Art. 9, Art. 29 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 2, Art. 49 und 61a ff. BV, Art. 11 und 12 BüG, Art. 6 Abs. 2 und 3 BüV, Art. 2, 3 und 5 MAV; verfassungskonforme Anwendung der gesetzlichen Anforderungen an die Sprachkenntnisse für die ordentliche Einbürgerung.
 
Zulässigkeit des Erfordernisses der Kenntnisse der Lokalsprache in einem mehrsprachigen Kanton gemäss Bundes- und Kantonsverfassung (E. 4).
 
Verfassungswidrigkeit der Nichtanerkennung der genügenden Maturanote für die Lokalsprache als ausreichenden Sprachnachweis (E. 5).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 I 271 (272)A.a Die am 3. Juni 2000 geborene kamerunische Staatsangehörige A. gelangte im Jahre 2012 im Familiennachzug zu ihrem Vater in die Schweiz. Sie lebt seither in der Stadt Thun im Kanton Bern. Sie ist französischer Muttersprache und besuchte in dieser Sprache die Grundschule in Bern (Ecole cantonale de langue française à Berne) sowie das Gymnasium in Biel (Gymnase français de Bienne). An diesem erwarb sie am 15. Juni 2018 die Maturität mit Schwerpunkt in Biologie und Chemie. Seit September 2018 studiert sie an der Universität Fribourg im Hauptfach Biomedizin und im Nebenfach Deutsch.
A.b Am 18. Juni 2018 reichte A. bei der Einwohnergemeinde Thun ein Einbürgerungsgesuch ein. Im Einbürgerungsverfahren wurde sie ersucht, als Nachweis für die Sprachkompetenz Deutsch eine Sprachstandanalyse des geforderten Niveaus einer anerkannten Sprachschule beizubringen. A. reichte daraufhin ihr Maturitätszeugnis ein, das ihr im Fach Deutsch als Fremdsprache die Note 4 (genügend) bescheinigt. Am 30. November 2018 trat der Gemeinderat Thun auf das Einbürgerungsgesuch nicht ein. Zur Begründung führte er aus, A. habe den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse einer anerkannten Sprachschule ("Attest Sprachstandanalyse mündlich B1, schriftlich A2") nicht erbracht.
A.c Dagegen erhob A. Beschwerde beim Regierungsstatthalteramt von Thun. Am 26. Februar 2019 wies der stellvertretende Regierungsstatthalter die Beschwerde ab.
B. A. führte dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses holte beim Staatssekretariat für Migration (SEM) einen Amtsbericht zu den Sprachnachweisen im Einbürgerungsverfahren ein. Mit Urteil vom 4. Februar 2021 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die französische Muttersprache der Gesuchstellerin genüge nicht für eine Einbürgerung in Thun, weshalb zu Recht ausreichende Deutschkenntnisse verlangt würden. Dafür habe sie den erforderlichen Sprachnachweis nicht erbracht.
 
C. Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 8. März 2021 an das Bundesgericht beantragt A., das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben, ihr Einbürgerungsgesuch gutzuheissen und ihr das Gemeindebürgerrecht zu erteilen; eventuell sei die Sache an das Verwaltungsgericht, subeventuell an die Einwohnergemeinde Thun als Einbürgerungsbehörde zurückzuweisen. In prozessualer HinsichtBGE 148 I 271 (272) BGE 148 I 271 (273)ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, es sei willkürlich, ihr im zweisprachigen Kanton Bern die Französischkenntnisse für die Einbürgerung nicht anzurechnen. Zudem sei es willkürlich, rechtsungleich und überspitzt formalistisch, ihre mit dem Maturitätszeugnis belegten Deutschkenntnisse nicht anzuerkennen und auf einem Attest einer anerkannten Sprachschule zu beharren. Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei deshalb verfassungswidrig.
 
Die Einwohnergemeinde Thun sowie der Regierungsstatthalter von Thun schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
Für die ordentliche Einbürgerung muss die Bewerberin oder der Bewerber die formellen und materiellen Voraussetzungen nach Art. 9 und 11 BüG erfüllen. Dazu zählt eine erfolgreiche Integration (Art. 11 lit. a BüG). Eine solche zeigt sich gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. c BüG unter anderem in der Fähigkeit, sich im Alltag in Wort und Schrift in einer Landessprache zu verständigen.
Gemäss Art. 6 Abs. 1 der Verordnung vom 17. Juni 2016 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsverordnung, BüV; SR 141.01) muss die Bewerberin oder der Bewerber in einer Landessprache mündliche Sprachkompetenzen mindestens auf dem Referenzniveau B1 und schriftliche Sprachkompetenzen mindestens auf dem Referenzniveau A2 des in Europa allgemein anerkannten Referenzrahmens für Sprachen nachweisen. Gemeint ist damit der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen des Europarats (GER; vgl. auch das Urteil des Bundesgerichts 1D_4/2018 vom 11. Juli 2019 E. 4.4 sowie BGE 137 I 235 E. 3.4.2 und 3.4.3). Nach Art. 6 Abs. 2 BüV gilt der Nachweis für die Sprachkompetenzen als erbracht, wenn die Bewerberin oder der Bewerber eine Landessprache als Muttersprache spricht und schreibt (lit. a), während mindestens fünf Jahren die obligatorische Schule in einer Landessprache besucht hat (lit. b), eine Ausbildung auf Sekundarstufe II oder Tertiärstufe in einer Landessprache abgeschlossen hat (lit. c) oder über einen Sprachnachweis verfügt, der die Sprachkompetenzen nachBGE 148 I 271 (274) BGE 148 I 271 (275)Absatz 1 bescheinigt und der sich auf ein Sprachnachweisverfahren abstützt, das den allgemein anerkannten Qualitätsstandards für Sprachtests entspricht (lit. d). Das SEM unterstützt die Kantone bei der Prüfung der Sprachnachweise nach Absatz 2 lit. d und bei der Ausgestaltung von kantonalen Sprachtests, womit es Dritte beauftragen kann (Art. 6 Abs. 3 BüV).
Gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d des bernischen Gesetzes vom 13. Juni 2017 über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht (Kantonales Bürgerrechtsgesetz, KBüG; BSG 121.1) setzt eine erfolgreiche Integration unter anderem voraus, dass die Ausländerin oder der Ausländer über gute mündliche und schriftliche Kenntnisse der Amtssprache des Verwaltungskreises der Einbürgerungsgemeinden verfügt, wobei die Gemeinden durch Reglement entsprechende Kenntnisse der anderen Amtssprache zulassen können. Nach Art. 13 KBüG überprüfen die Gemeinden unter anderem die Sprachanforderungen mit einem Test, womit sie Dritte beauftragen können.
Gemäss Art. 12 Abs. 1 der bernischen Verordnung vom 20. September 2017 über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht (Kantonale Bürgerrechtsverordnung, KBüV; BSG 121.111) liegen gute Kenntnisse laut Art. 12 Abs. 1 lit. d KBüG vor, wenn die Ausländerin oder der Ausländer über Sprachkompetenzen auf dem Niveau B1 (mündlich) und A2 (schriftlich) des GER verfügt. Diese kantonalen Anforderungen entsprechen mithin den bundesrechtlichen gemäss Art. 6 Abs. 1 BüV. Die erforderlichen Sprachkenntnisse sind mit einem vom SEM anerkannten Sprachnachweis zu belegen (Art. 12 Abs. 2 KBüV). Dieser gilt als erbracht, wenn eine der Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 BüV erfüllt ist (Art. 12 Abs. 3 KBüV).BGE 148 I 271 (275)
 
BGE 148 I 271 (276)Erwägung 4
 
4.3 Der angefochtene Entscheid lässt allerdings die Französischkenntnisse der Beschwerdeführerin für die Einbürgerung in Thun nicht gelten. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum früheren Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (aBüG; SR 141.0) durften die Kantone mit Blick auf Art. 38 Abs. 2 BV im bundesgesetzlich vorgeschriebenen Rahmen für die Einbürgerung im Kanton und in der Gemeinde Konkretisierungen vornehmen, solange ihre Anforderungen selbst verfassungskonform waren und eine Einbürgerung nicht übermässig erschwerten (vgl. BGE 146 I 49 E. 2.2; BGE 141 I 60 E. 2.1 S. 62; BGE 138 I 305 E. 1.4.3 S. 311; Urteil des Bundesgerichts 1D_4/2018 vom 11. Juli 2019 E. 2.2; sodann ACHERMANN/VON RÜTTE, in: BaslerBGE 148 I 271 (276) BGE 148 I 271 (277)Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 37 f. zu Art. 38 BV; CÉLINE GUTZWILLER, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, 2021, N. 36 f. zu Art. 38 BV). Auch nach neuem Recht steht es den Kantonen nach Art. 12 Abs. 3 BüG zu, weitere Integrationskriterien vorzusehen (vgl. dazu etwa das Urteil des Bundesgerichts 1D_4/2016 vom 4. Mai 2017 E. 4.4; BARBARA VON RÜTTE, Das neue Bürgerrechtsgesetz und dessen Umsetzung in den Kantonen, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2017/2018, S. 77). Allerdings ist die Tragweite des Wortes "weitere" ("d'autres" im französisch-, "altri" im italienischsprachigen Gesetzestext) nicht klar, könnte dies doch auch bedeuten, dass die in Art. 12 Abs. 1 BüG genannten Kriterien nicht verändert und lediglich davon unabhängige zusätzliche Kriterien verwendet werden dürfen. Im vorliegenden Fall stellt sich nur die Frage, ob das Erfordernis der Lokalsprache für die Einbürgerung in der Gemeinde mit der Bundesverfassung vereinbar ist. Auf allfällige weitere kantonal besondere Integrationskriterien ist von vornherein nicht einzugehen.
In Betracht fiele hier vor allem, die Vereinbarkeit des kantonalen Rechts mit dem Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts nach Art. 49 BV zu prüfen. Indessen enthält die Beschwerdeschrift insofern keine ausreichende Begründung. Ohne dass dies daher abschliessend zu beurteilen ist, kann immerhin darauf hingewiesen werden, dass der Bundesgesetzgeber gemäss den Materialien den Vorbehalt der Lokalsprache für die Einbürgerung grundsätzlich als möglich und zulässig erachtete (vgl. Botschaft vom 4. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht [Bürgerrechtsgesetz, BüG], BBl 2011 2825 ff., namentlich 2832 und 2834 Ziff. 1.2.2.1 und 1.2.2.5; vgl. dazu auch MARTINA CARONI UND ANDERE, Migrationsrecht, 4. Aufl. 2018, S. 541; FANNY DE WECK, in: Migrationsrecht, Kommentar, Marc Spescha und andere, 5. Aufl. 2019, N. 12 zu Art. 12 BüG). Davon wird auch verschiedentlich Gebrauch gemacht (vgl. VON RÜTTE, a.a.O., S. 76). Da jedoch keine genügende Rüge des Verstosses gegen den Vorrang von Bundesrecht vorliegt, erübrigen sich weitere Erwägungen dazu.
4.4 Zu prüfen ist hingegen, ob der Ausschluss der nicht am Einbürgerungsort gesprochenen Amtssprache der Kantonsverfassung entspricht. Die Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts überprüft das Bundesgericht mit freier Kognition. Wie dargelegt, kennt der Kanton Bern Deutsch und Französisch als Landes- undBGE 148 I 271 (277) BGE 148 I 271 (278)Amtssprachen (vgl. Art. 6 Abs. 1 KV/BE). Art. 6 Abs. 2 und 3 KV/BE regeln, in welchen Verwaltungsregionen bzw. -kreisen welche Amtssprachen gelten; mit wenigen Ausnahmen in zweisprachigen Regionen gilt dabei jeweils nur eine Amtssprache. Art. 7 Abs. 3 lit. c KV/BE verlangt für die Einbürgerung im Kanton Bern gute Kenntnisse einer Amtssprache, ohne dies näher einzuschränken. Demgegenüber setzt Art. 12 Abs. 1 lit. d KBüG für die Einbürgerung in der Gemeinde die erforderlichen Kenntnisse der Amtssprache des Verwaltungskreises der Einbürgerungsgemeinde voraus. Mit Blick auf den Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 lit. c KV/BE und die Zweisprachigkeit des Kantons erscheint es nicht ausgeschlossen, die Kantonsverfassung so zu verstehen, dass sie für die Einbürgerung Kenntnisse in einer der beiden Amtssprachen für den ganzen Kanton genügen lässt. Das Verwaltungsgericht begründet seine davon abweichende Verfassungsauslegung und damit die Zulässigkeit des Erfordernisses der Lokalsprache durch Gesetzesrecht insbesondere mit der Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm und mit systematischen Gesichtspunkten. Die gesetzliche Anforderung dient sodann der lokalen Integration und entspricht dem sprachenrechtlichen Territorialitätsprinzip (vgl. BGE 121 I 196 E. 2; sodann BGE 141 I 36 E. 5.5.2 und für den Kanton Bern das Urteil des Bundesgerichts 1P.500/2001 vom 11. Oktober 2001). Die Beschwerdeführerin bringt keine überzeugenden Gegenargumente vor, welche die nachvollziehbare Begründung des Verwaltungsgerichts zu widerlegen vermöchten.
4.5 Nur schon vom Wortlaut sowie von der gesetzgeberischen Intention her eindeutig ist demgegenüber Art. 12 Abs. 1 lit. d KBüG, wonach die Einbürgerung in der Gemeinde die erforderlichen Kenntnisse der Amtssprache des Verwaltungskreises der Einbürgerungsgemeinde voraussetzt. In Thun ist das unbestrittenermassen Deutsch. Die gesetzliche Anforderung erscheint mit Blick auf die Ordnung der Amtssprache nicht unsachlich. Allerdings erschwert sie die Einbürgerung für Personen, welche wie die Beschwerdeführerin zumindest eine der bundesgesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 lit. a-c BüV für die zweite im Kanton anerkannte Amtssprache, nicht aber für die am Einbürgerungsort gesprochene erfüllen, und diesbezüglich einen Sprachnachweis gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d BüV benötigen. Bei der Anwendung der Voraussetzung der Lokalsprache für die Einbürgerung ist insoweit jedenfalls der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren (vgl. auch Art. 12 Abs. 2 BüG). FürBGE 148 I 271 (278) BGE 148 I 271 (279)die Beschwerdeführerin stellt das gesetzliche Erfordernis der am Einbürgerungsort gesprochenen Sprache jedoch kein unüberwindbares oder unzumutbares Hindernis dar, leidet sie doch nicht an einer entsprechenden Lernschwäche, zumal sie inzwischen sogar an der Universität Deutsch als Zweitfach studiert. Im vorliegenden Fall erweist sich daher die Voraussetzung der Lokalsprache für die Einbürgerung gemäss dem kantonalen Gesetzesrecht nicht als mit der Kantonsverfassung unvereinbar oder nach Art. 9 BV willkürlich.
 
Erwägung 5
 
5.2 Art. 6 Abs. 2 lit. d BüV verlangt einen Sprachnachweis, der die erforderlichen Sprachkompetenzen bescheinigt. Dieser muss sich auf ein Sprachnachweisverfahren stützen, das den allgemein anerkannten Qualitätsstandards entspricht. In der Regel handelt es sich dabei um eine Bescheinigung in der Form eines Zertifikats, Diploms oder eines ähnlichen Dokuments, das auf einer erfolgreich abgelegten Prüfung und im Bedarfsfall auf einem vorangegangenen Sprachkurs beruht. Wie dargelegt (vgl. vorne E. 3), setzt Art. 12 Abs. 1 KBüV in Übereinstimmung mit den bundesrechtlichen Anforderungen gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d BüV Sprachkompetenzen auf dem Niveau B1 (mündlich) und A2 (schriftlich) des GER voraus. Die entsprechenden Anforderungen sind als eher hoch einzustufen (vgl. FRANÇOIS CHAIX, Quelques réflexions sur l'acquisition de la nationalité suisse, in: Mélanges à la mémoire de Bernard Corboz, Bovey und andere [Hrsg.], 2019, S. 440). Mit der Voraussetzung, ein bestimmtes Niveau des GER zu erreichen, setzen sowohl das Bundesrecht als auch das kantonale Recht einen objektivierten Massstab fest. Dessen Zweck ist es, eine willkürfreie und schweizweit bzw. im ganzen Kanton einheitliche Praxis sicherzustellen. Es bildet dennBGE 148 I 271 (279) BGE 148 I 271 (280)auch das ausdrückliche Ziel des GER, die verschiedenen europäischen Sprachzertifikate untereinander vergleichbar zu machen und einen Massstab für den Erwerb von Sprachkenntnissen zu schaffen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Sprachkenntnisse mit dem entsprechenden Fachwissen beurteilt werden, wozu der Beizug entsprechender Fachleute unerlässlich ist (vgl. BGE 137 I 235 E. 3.4.3 sowie das Urteil des Bundesgerichts 1D_4/2018 vom 11. Juli 2019 E. 4.5 und 4.6; CÉLINE GUTZWILLER, Droit de la nationalité suisse, 2016, S. 33 f.).
5.3 Zu diesem Zweck sieht Art. 6 Abs. 3 BüV vor, dass das SEM die Kantone bei der Prüfung der Sprachnachweise und bei der Ausgestaltung von kantonalen Sprachtests unterstützt, wobei es Dritte mit diesen Aufgaben betrauen kann. Unter anderem dafür hat das SEM zusammen mit Expertinnen und Experten auf wissenschaftlicher Grundlage das Sprachfördersystem "fide - Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz - lernen, lehren, beurteilen" entwickelt. Dieses orientiert sich am GER. Im Auftrag des SEM übernimmt die Geschäftsstelle fide die operative Leitung des Programms. Diese stellt Instrumente zur Sprachförderung und zum Nachweis der Sprachkompetenz zur Verfügung und ist auch mit der Qualitätssicherung mandatiert. Umgesetzt wird das System fide in einem national handelnden Netzwerk aus Expertinnen und Experten, Ausbildungsinstitutionen, Sprachschulen, Behörden, Fachstellen, Prüfenden und Sprachkursleitenden (Näheres unter www.sem.admin.ch/sem/de/home/integration-einbuergerung/innovation/fide.html und www.fide-info.ch/de/fide/was-ist-fide [beide besucht am 4. Februar 2022]; vgl. auch DOMINIQUE TRAN, Les critères d'intégration sous l'angle de la LN et de la LEI, in: Actualité du droit des étrangers, 2018-2020, 2021, S. 27 f.). Gemäss dem vom Verwaltungsgericht beim SEM eingeholten Amtsbericht kennt das Programm fide drei Formen von Sprachnachweisen: erstens einen bei fide erworbenen "Sprachnachweis fide", zweitens ein von fide anerkanntes Sprachzertifikat eines anderen Anbieters und drittens die nachträgliche Validierung einer vorher nicht anerkannten Bescheinigung durch fide, wozu ein Validierungsgesuch mit den einschlägigen Unterlagen einzureichen und ein entsprechendes Verfahren zu durchlaufen ist.
5.4 Nach Art. 12 Abs. 2 KBüV sind die erforderlichen Sprachkenntnisse mit einem vom SEM anerkannten Sprachnachweis zu belegen. Die Beschwerdeführerin absolvierte keine Sprachprüfung,BGE 148 I 271 (280) BGE 148 I 271 (281)die unter der Leitung oder Aufsicht von fide stand oder von der Geschäftsstelle fide validiert wurde. Sie beruft sich vielmehr auf ihre Maturitätsnote in Deutsch. Das Verwaltungsgericht holte dazu den bereits erwähnten Amtsbericht des SEM ein, das sich nach Rücksprache mit fide auf den Standpunkt stellte, nur von fide akzeptierte Sprachexamen könnten für die Einbürgerung anerkannt werden. Eine Maturitätsnote könne kein anerkanntes Sprachzertifikat ersetzen. Zwar verfolge die gymnasiale Sprachausbildung Lernziele, die sich nach dem GER richteten, es fehle aber an einem standardisierten Verfahren. Die Beschwerdeführerin beanstandet dazu zunächst, sie habe in die Stellungnahme von fide nicht Einsicht nehmen können, was das Verwaltungsgericht vor Bundesgericht bestreitet. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben. Auch kann die organisationsrechtliche Stellung von fide dahingestellt bleiben, die zwar, nicht zuletzt mit Blick auf Art. 178 Abs. 3 BV, unklar erscheint, aber von keiner Seite thematisiert wird.
5.5 Bundesgesetz und -verordnungsrecht schreiben eine Anerkennung von Sprachnachweisen durch den Bund nicht ausdrücklich vor. Art. 6 Abs. 3 BüV bestimmt lediglich, dass das SEM die Kantone bei den Sprachtests und -nachweisen unterstützt. Wie es dabei vorgehen will, bleibt seinem Ermessen überlassen. Die Praxis des SEM, einzelne Sprachnachweise unter bestimmten Vorgaben anzuerkennen, erscheint zwar sinnvoll; das kantonale Recht kann aber nicht vorbehaltlos Anerkennungen des SEM voraussetzen, die das Bundesrecht nicht verbindlich vorschreibt und welche sich lediglich im Rahmen des Ermessens des SEM, das auch andere Lösungen zuliesse, in der Praxis entwickelt haben. Art. 12 Abs. 2 KBüV, wonach die Sprachkenntnisse mit einem vom SEM anerkannten Sprachnachweis zu belegen sind, kann daher mit Blick auf das Bundesrecht nicht die Funktion einer Ausschliesslichkeitsklausel, sondern lediglich einer Regel zukommen. Die Bestimmung so auszulegen, dass sie von vorneherein keine anderen Nachweise zulässt, wäre willkürlich (nach Art. 9 BV) und ein Verstoss gegen den Vorrang des Bundesrechts (gemäss Art. 49 Abs. 1 BV). Überdies ist der vom Verwaltungsgericht eingeholte Bericht des SEM jedenfalls für die Gerichte nicht verbindlich, was nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung selbst dann zutrifft, soweit sich aus den Weisungen dieser Verwaltungsbehörde dasselbe ergeben sollte. Auf administrative Weisungen ist einzig insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie im Einzelfall eine einheitliche und rechtsgleiche Praxis fördern können.BGE 148 I 271 (281) BGE 148 I 271 (282)Im Übrigen sind sie aber am übergeordneten Recht zu messen (vgl. BGE 146 I 83 E. 4.5 mit Hinweis). Dies muss erst recht für Amtsberichte gelten, zumal sich der hier fragliche Bericht hauptsächlich nicht zu einer Tat-, sondern zu einer Rechtsfrage äussert. Es ist daher zu prüfen, ob es im vorliegenden Zusammenhang mit Verfassungsrecht vereinbar ist, den Maturitätsausweis nicht im Sinne einer Ausnahme von der Regel gemäss Art. 12 Abs. 2 KBüV als ausreichenden Nachweis der Sprachkenntnisse zuzulassen.
5.6 Nach Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung des Bundesrats vom 15. Februar 1995 über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen (Maturitäts-Anerkennungsverordnung, MAV; SR 413.11) wird mit der schweizerischen Anerkennung die Gleichwertigkeit von Maturitätsausweisen festgestellt und die allgemeine Hochschulreife bestätigt. In sprachlicher Hinsicht schreibt das Bundesrecht als Anerkennungsbedingung (vgl. Art. 3 MAV) vor, dass Maturandinnen und Maturanden eine Landessprache beherrschen und sich grundlegende Kenntnisse in anderen nationalen und fremden Sprachen erwerben, die sie unter anderem befähigen, sich klar, treffend und einfühlsam zu äussern (Art. 5 Abs. 3 MAV). Die gleiche Anforderung findet sich in Art. 5 Abs. 3 des Reglements der Eidgenössischen Erziehungsdirektoren (EDK) vom 16. Januar 1995 über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen (MAR; Ziff. 4.2.1.1 der Rechtssammlung EDK). Im Kanton Bern vermitteln die gymnasialen Bildungsgänge vertieftes Fachwissen sowie allgemeine Kompetenzen, welche die Einsicht in die Methodik wissenschaftlicher Arbeit fördern (Art. 7 Abs. 2 des bernischen Mittelschulgesetzes vom 27. März 2007 [MiSG; BSG 433.12]). Sie werden mit schweizerisch anerkannten gymnasialen Maturitätsausweisen abgeschlossen (Art. 7 Abs. 4 MiSG). Die Kantonale Maturitätskommission (KMK) ist beauftragt, die entsprechend hohen Qualitätsanforderungen zu kontrollieren und durchzusetzen (vgl. Art. 20 MiSG sowie Art. 13 ff. der bernischen Mittelschulverordnung vom 7. November 2007 [MiSV; BSG 433.121]). Die für die Maturität geforderten Sprachkenntnisse werden wie beim Bürgerrecht anhand des GER definiert. Gemäss dem im Kanton Bern geltenden gymnasialen Lehrplan wird am Ende der Ausbildung das Niveau B2.2 angestrebt (vgl. die Definition in Art. 5 Abs. 3 MAV sowie im genannten Reglement der EDK; vgl. sodann die hier einschlägige bernische Direktionsverordnung vom 25. August 2016 über den Lehrplan 17 für den gymnasialen Bildungsgang [BSG 433.121.2] i.V.m. dem PlanBGE 148 I 271 (282) BGE 148 I 271 (283)d'études cantonal francophone pour la formation gymnasiale, S. 19 ff., zugänglich über www.bkd.be.ch/fr/start/themen/bildung-im-kanton-bern/mittelschulen/gymnasium/lehrplan-gymnasium.html, besucht am 4. Februar 2022). Bei der hier fraglichen Zweitsprache Deutsch gilt somit ein sogar höheres Bildungsziel, als es als Sprachniveau für die Einbürgerung verlangt wird, was im vorliegenden Verfahren von keiner Seite bestritten wird.
    "Mit Blick auf das soeben Erwogene erscheint zumindest möglich oder wahrscheinlich, dass sie [die Beschwerdeführerin] die mit der Maturität angestrebten Sprachkenntnisse aufweist oder damit jedenfalls die für die Einbürgerung erforderlichen (tiefer angesetzten) Sprachkenntnisse erfüllt."