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Regeste
Sachverhalt
1.
2. Der Beschwerdeführer verfügt weder gestützt auf ...
Erwägung 2.1
Erwägung 2.2
Erwägung 2.3
Erwägung 3
Erwägung 3.2
Bearbeitung, zuletzt am 29.07.2023, durch: DFR-Server (automatisch)
 
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden und Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
 
 
2C_821/2021 vom 1. November 2022
 
 
Regeste
 
Art. 8 und 13 EMRK; Art. 13 und 29a BV; Art. 14 Abs. 1, 2 und 4 AsylG; Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; Anspruch auf eine asylrechtliche Härtefallbewilligung; Vorrang des Asylverfahrens; Rechtsweggarantie.
 
Verhältnis zwischen Art. 14 AsylG und Art. 8 EMRK. Im vorliegenden Fall kann sich der Beschwerdeführer, ein abgewiesener Asylsuchender, der sich jahrelang ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhielt, weder in Anwendung von Art. 14 Abs. 4 AsylG noch in Anwendung von Art. 8 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privatlebens auf ein solches Recht berufen (E. 2).
 
Prüfung der subsidiären Verfassungsbeschwerde und der Beschwerdelegitimation nach Art. 115 BGG (E. 3).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 I 72 (73)A.
A.a A. (geb. 1995) stammt aus Äthiopien. Er ersuchte am 26. März 2012 in der Schweiz um Asyl und wurde am 3. April 2012 dem Kanton Graubünden zugewiesen. Das Bundesamt für Migration (heute: Staatssekretariat für Migration [SEM]) wies sein Asylgesuch am 23. Oktober 2014 ab und hielt ihn an, das Land zu verlassen. Das Bundesverwaltungsgericht trat auf eine hiergegen gerichtete Beschwerde am 7. Januar 2015 nicht ein.
A.b A. reiste in der Folge nicht aus, sondern hielt sich ab März 2015 bei Angehörigen im Kanton Thurgau auf. Er absolvierte die Matur und schloss an der ETH das Bachelorstudium in Informatik ab. Er bemühte sich danach um einen Masterabschluss. Am 18. Oktober 2019 ersuchte A. das Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden darum, ihm eine asylrechtliche Härtefallbewilligung zu erteilen (Art. 14 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142. 31]), was dieses am 30. Dezember 2019 mangels örtlicher Zuständigkeit ablehnte.
B. Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden trat am 3. Dezember 2020 auf die gegen das Schreiben des Amts für Migration und Zivilrecht vom 30. Dezember 2019 erhobene Beschwerde im Sinne der Erwägungen nicht ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 7. September 2021 ab, soweit es darauf eintrat. A. komme - so die Begründung - im kantonalen asylrechtlichen Härtefallverfahren keine Parteistellung zu (Art. 14 Abs. 4 AsylG); das Amt für Migration und Zivilrecht habe mangels einer Prozessvoraussetzung das Härtefallgesuch nicht an die Hand genommen, wogegen A. nicht Beschwerde führen könne, da ihm - wie bei einem allfälligen negativen materiellen Entscheid - im kantonalen Verfahren von Bundesrechts wegen keine Parteirechte zustünden.
C. A. beantragt vor Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bzw. subsidiärer Verfassungsbeschwerde, das angefochtene Urteil aufzuheben; es sei festzustellen, dass dieBGE 149 I 72 (73) BGE 149 I 72 (74)Verweigerung, das Härtefallgesuch zu prüfen, "in casu eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV und Art. 13 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK bzw. Art. 29a BV" darstelle; es sei die Zuständigkeit des Kantons Graubünden für das Härtefallverfahren festzustellen und das Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden anzuweisen, das Härtefallgesuch materiell zu prüfen; es sei das Amt zudem anzuhalten, ihm "in Einklang mit Art. 8 EMRK eine Härtefallbewilligung" zu erteilen; eventuell sei die Zuständigkeit des Kantons Thurgau für das Härtefallverfahren festzustellen. (...)
Das Bundesgericht tritt weder auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten noch auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
 
1.
 
1.2 Der Beschwerdeführer beruft sich für seine Bewilligung zudem auf Art. 14 AsylG. Nach dessen Absatz 1 kann eine asylsuchende Person ab Einreichung des Asylgesuches bis zur Ausreise nach einer rechtskräftig angeordneten Wegweisung kein Verfahren um Erteilung einer ausländerrechtlichen Aufenthaltsbewilligung einleiten, ausser es bestehe ein Anspruch auf deren Erteilung ("Ausschliesslichkeit des Asylverfahrens"). Der Kanton kann mit Zustimmung des Staatssekretariats für Migration (SEM) einer ihm nach demBGE 149 I 72 (74) BGE 149 I 72 (75)Asylgesetz zugewiesenen Person, die sich seit Einreichung des Asylgesuchs mindestens fünf Jahre in der Schweiz aufhält, jedoch eine Aufenthaltsbewilligung erteilen, wenn wegen fortgeschrittener Integration ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorliegt (Art. 14 Abs. 2 AsylG). Will der Kanton von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so meldet er dies unverzüglich dem Staatssekretariat (Art. 14 Abs. 3 AsylG). Der betroffenen Person kommt nur in dessen Zustimmungsverfahren Parteistellung zu (Art. 14 Abs. 4 AsylG), nicht indessen in einem wie auch immer ausgestalteten Verfahren vor der kantonalen Migrationsbehörde (vgl. das Urteil 2D_3/2014 vom 16. Januar 2014 E. 2; THOMAS HUGI YAR, Von Trennungen, Härtefällen und Delikten - Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und Familiengemeinschaft, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, Alberto Achermann und andere [Hrsg.], 2013, S. 31 ff., dort S. 104 ff. und 106 f.).
 
Erwägung 2.1
 
2.1.5 Der Beschwerdeführer hätte das Land seit Januar 2015 verlassen müssen. Er weigerte sich, dies zu tun und sich die hierfür nötigen Papiere zu beschaffen. Er wurde in diesem ZusammenhangBGE 149 I 72 (76) BGE 149 I 72 (77)kurzfristig in Ausschaffungshaft genommen (11. März bis 13. März 2015) und zudem wegen illegalen Aufenthalts strafrechtlich verfolgt (Strafbefehl vom 2. April 2015). Unter diesen Umständen kann er sich nicht auf seine inzwischen hier eingetretene wirtschaftliche und soziale Integration berufen. Die Voraussetzungen von BGE 144 I 266 sind nicht erfüllt. Ausländische Personen müssen sich den ausländerrechtlichen Kontrollen und Verfahren unterziehen und haben das Land zu verlassen, wenn sie durch einen rechtskräftigen Entscheid hierzu verpflichtet worden sind (BGE 144 II 16 E. 4.7.2; Nichtzulassungsentscheid des EGMR Danelyan gegen Schweiz vom 29. Mai 2018 [Nr. 76424/14 und 76435/14] § 27; Urteil 2C_663/2020 vom 2. März 2021 E. 3.6 mit Hinweisen). Anders zu entscheiden, hiesse jene Personen, die sich über rechtskräftige Wegweisungen hinwegsetzen, gegenüber denjenigen zu bevorzugen, die sich an die behördlichen Vorgaben halten, was rechtsstaatlich nicht angeht (vgl. die Urteile 2C_1062/2020 vom 25. März 2021 E. 1.2.3; 2C_663/2020 vom 2. März 2021 E. 3.6; 2C_862/2018 vom 15. Januar 2019 E. 3.3 und 2C_969/2017 vom 2. Juli 2018 E. 3.5; je mit Hinweisen).
 
Erwägung 2.2
 
2.2.2 Die vorliegende Situation kann nicht mit den vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang angerufenen Entscheiden verglichen werden: Der Beschwerdeführer wurde im Gegensatz zur Ausgangslage in BGE 147 I 268 hier gerade nicht vorläufig aufgenommen; er hätte das Land vielmehr verlassen müssen. Im EGMR-Urteil Abuhmaid ging es um einen Betroffenen, der während 17BGE 149 I 72 (77) BGE 149 I 72 (78)Jahren in der Ukraine über eine regelmässig erneuerte Kurzaufenthaltsbewilligung ("temporary residence permits") verfügt hatte (Urteil Abuhmaid gegen Ukraine vom 12. Januar 2017 [Nr. 31183/13] § 120 ff.). Der Beschwerdeführer hielt sich dort somit rechtmässig im Land auf, wenn auch bewilligungsrechtlich auf einer prekären Basis. Das EGMR-Urteil Keita betraf einen staatenlosen Gesuchsteller, dessen Wegweisung aufgeschoben worden war und der in Ungarn während 15 Jahren keine Möglichkeit erhalten hatte, seinen Aufenthaltsstatus zu regularisieren; ins Gewicht fiel dabei insbesondere die Staatenlosigkeit der betroffenen Person (Urteil Keita gegen Ungarn vom 12. Mai 2020 [Nr. 42321/15] § 35 ff.). Der Beschwerdeführer hätte - wie bereits dargelegt - längst ausreisen müssen, was ihm im Hinblick auf seine Ausschaffungshaft und die Verurteilung wegen illegalen Aufenthalts bewusst sein musste. Kommt Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens) nicht zur Anwendung, besteht für ihn mangels eines "arguable claim" auch keine Möglichkeit, Art. 13 (Recht auf eine wirksame Beschwerde) in Verbindung mit Art. 8 EMRK anzurufen.
 
Erwägung 2.3
 
2.3.2 Art. 14 Abs. 4 AsylG gilt deshalb grundsätzlich in der bisherigen Form und Auslegung weiter, was indessen, worin demBGE 149 I 72 (78) BGE 149 I 72 (79)Beschwerdeführer zuzustimmen ist, nicht befriedigt. Es ist nicht auszuschliessen, dass eine spezifische ausländerrechtliche Situation im Anwendungsbereich von Art. 14 AsylG - anders als hier - tatsächlich unter die Garantien von Art. 8 Ziff. 1 EMRK fallen und nach einer Interessenabwägung im Rahmen von dessen Ziffer 2 rufen könnte. In dieser Situation hätte das nationale Recht den Vorgaben von Art. 13 EMRK zu genügen.
 
Erwägung 3
 
3.1 Dasselbe gilt für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde: Wegen Fehlens eines Bewilligungsanspruchs ist der Beschwerdeführer nicht legitimiert, den Entscheid hinsichtlich der Bewilligungsfrage als solcher mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde anzufechten; insbesondere sind in dieser Situation praxisgemäss die Rügen unzulässig, der angefochtene Entscheid verletze das Willkürverbot, das Rechtsgleichheitsgebot oder den Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 115 lit. b BGG; dazu das Urteil 2D_90/2008 vom 9. September 2008 E. 2.2; BGE 137 II 305 E. 2; BGE 134 I 153 E. 4; BGE 133 I 185 E. 6.2; UEBERSAX, a.a.O., N. 18 zu Art. 14 AsylG). Der Beschwerdeführer kann ausschliesslich rügen, der angefochtene Entscheid missachte verfahrensrechtliche Ansprüche, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen kann (sog. "Star"-Praxis; BGE 137 II 305 E. 2; Urteil 2D_6/2022 vom 15. Februar 2022 E. 2; HUGI YAR, a.a.O., S. 100).
 
Erwägung 3.2
 
3.2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Kanton Graubünden sei - entgegen der Ansicht von dessen Behörden - zurBGE 149 I 72 (79) BGE 149 I 72 (80)Behandung seines Härtefallgesuchs zuständig und nicht der Kanton Thurgau; es liege diesbezüglich eine formelle Rechtsverweigerung vor. Seine Ausführungen überzeugen nicht: Auch wenn nach wie vor der Kanton Graubünden, dem er im Asylverfahren zugewiesen wurde, zur Beurteilung seines Gesuchs zuständig ist (vgl. Art. 14 Abs. 2 AsylG; Urteil 2C_551/2017 vom 24. Juli 2017 E. 2.4; UEBERSAX, a.a.O., N. 15 zu Art. 14 AsylG), liegt diesbezüglich doch keine formelle Rechtsverweigerung vor. Von einer solchen kann nur gesprochen werden, wenn ein Anspruch darauf besteht, dass ein Verfahren durchgeführt wird, und die zuständige Behörde sich weigert, das formgerecht eingereichte Gesuch anhand zu nehmen und zu behandeln (vgl. RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches Prozessrecht, 4. Aufl. 2021, Rz. 277, 279, 282 ff.; BGE 103 V 190 E. 3).