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Sachverhalt
6. Die Beschwerdeführenden machen weiter geltend, § 36septies KapoG/SO betreffend die verdeckte Fahndung verletze die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), das Recht auf Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV; Art. 8 EMRK) sowie die Garantie einer wirksamen Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK. Die neu eingefügte Bestimmung lautet:
8. Angefochten ist weiter § 36octies KapoG/SO betreffend di ...
9. § 39ter KapoG/SO lautet: ...
Erwägung 10
Bearbeitung, zuletzt am 23.11.2023, durch: DFR-Server (automatisch)
 
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_39/2021 vom 29. November 2022
 
 
Rechtsschutz gegen die präventive verdeckte Fahndung (§ 36septies Abs. 4 und 5 Gesetz des Kantons Solothurn über die Kantonspolizei - KapoG/SO).
 
 
Automatisierte Fahrzeugfahndung (§ 36octies KapoG/SO); Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 2 und 36 BV; Art. 8 i.V.m. Art. 13 EMRK), notwendige Schutz- und Kontrollvorkehrungen.
 
 
Die Erfassung der Fahrzeuginsassen ist gesetzlich ausgeschlossen (E. 8.4).
 
 
Aufhebung von § 36octies Abs. 2 lit. a KapoG/SO, der den systematischen Abgleich mit sämtlichen Personen- und Sachfahndungsdateien zulässt (E. 8.5.1). Die automatisierte Fahrzeugfahndung darf nur zum Schutz von Rechtsgütern und öffentlichen Interessen von erheblichem Gewicht angeordnet werden (E. 8.7). Schutz des Kerngehalts von Art. 13 BV (E. 8.8).
 
 
Notwendigkeit ergänzender Schutz- und Kontrollvorkehrungen auf Verordnungsebene (E. 8.3.2, 8.9 und 8.11). Solange diese fehlen, darf keine automatisierte Fahrzeugfahndung angeordnet werden.
 
 
Flugverbot für Drohnen (§ 39ter KapoG/SO); Informations- und Medienfreiheit (Art. 16 und 17 BV; Art. 10 EMRK).
 
 
Das strafbewehrte Flugverbot 300 m im Umkreis des "Einsatzes" von Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz und Rettungsdiensten ist verfassungskonform auf Notfalleinsätze zu beschränken (E. 9.2).
 
 
Überwiegendes öffentliches Interesse (E. 9.3.3) und Verhältnismässigkeit des Flugverbots (E. 9.3.4).
 
 
Gesetzgebungskompetenz des Kantons bejaht (E. 9.4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 I 218 (220)A. Der Kantonsrat von Solothurn beschloss am 6. Mai 2020 eine Teilrevision des Gesetzes vom 23. September 1990 über die Kantonspolizei (BGS 511.11; nachfolgend: Kantonspolizeigesetz, KapoG/SO). Gewisse Bestimmungen (u.a. § 36ter zur Observation und § 36quinquies zur verdeckten Vorermittlung) wurden teilweise geändert; neu eingefügt wurden u.a. Bestimmungen zur verdeckten Fahndung (§ 36septies ), zur automatisierten Fahrzeugfahndung (§ 36octies ) und betreffend ein Flugverbot für unbemannte Luftfahrzeuge bis 30 kg Gewicht (§ 39ter ).
BGE 149 I 218 (220) BGE 149 I 218 (221)Die Teilrevision des Kantonspolizeigesetzes wurde in der kantonalen Volksabstimmung vom 29. November 2020 angenommen und der Erwahrungsbeschluss im Amtsblatt des Kantons Solothurn vom 4. Dezember 2020 publiziert. Am 12. Januar 2021 beschloss der Regierungsrat, die Änderungen auf den 1. März 2021 in Kraft zu setzen.
B. Am 19. Januar 2021 haben A., B., C., D., E., F., G., H., I. und J. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, die folgenden neuen bzw. geänderten Bestimmungen des KapoG/SO seien aufzuheben: § 36ter Abs. 1 lit. b (verdeckte Observation), § 36quinquies Abs. 1 (verdeckte Vorermittlung), § 36septies (verdeckte Fahndung), § 36octies (automatisierte Fahrzeugfahndung) und § 39ter Abs. 1 (Flugverbot für unbemannte Luftfahrzeuge bis 30 kg Gewicht).
Das Departement des Innern des Kantons Solothurn (nachfolgend: Departement) wies den Kommandanten der Kantonspolizei an, die operative Umsetzung der gerügten Bestimmungen bis zum Vorliegen des bundesgerichtlichen Urteils auszusetzen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde am 29. November 2022 teilweise gut.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
 
    § 36septies Verdeckte Fahndung
    1 Die Kantonspolizei kann zur Erkennung und Verhinderung von Straftaten eine verdeckte Fahndung im Sinne von Artikel 298a StPO anordnen, wenn
    a) aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass ein Verbrechen oder Vergehen vor der Ausführung steht und
    b) mildere Massnahmen aussichtslos wären oder die Erkennung und Verhinderung der Straftat unverhältnismässig erschweren würden.
    2 Hat eine verdeckte Fahndung einen Monat gedauert, bedarf ihre Fortsetzung der Genehmigung durch den Haftrichter.BGE 149 I 218 (221)
    BGE 149 I 218 (222)3 Fliessen die im Rahmen einer verdeckten Fahndung gewonnenen Erkenntnisse nicht in ein Strafverfahren ein, sind sie innert 100 Tagen zu löschen beziehungsweise zu vernichten.
    4 Die Kantonspolizei teilt der direkt betroffenen Person spätestens nach Beendigung der Massnahme mit, dass gegen sie verdeckt gefahndet worden ist. Die Mitteilung kann aufgeschoben oder unterlassen werden, wenn dies zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen notwendig ist.
    5 Die Artikel 298c und 298d Absätze 1, 3 und 4 StPO gelten sinngemäss.
(...)
6.3.2 Den Beschwerdeführenden ist allerdings einzuräumen, dass die betroffene Person nachträglich über die verdeckte Fahndung informiert werden muss, um Rechtsschutz beanspruchen zu können. In BGE 140 I 381 wurden die Bestimmungen des Genfer Polizeigesetzes zu verdeckten Massnahmen aufgehoben, weil keineBGE 149 I 218 (222) BGE 149 I 218 (223)nachträgliche Benachrichtigung der betroffenen Personen vorgesehen war (E. 4.5.1, 4.5.2 und 4.5.3, jeweils in fine); dabei hielt das Bundesgericht Beschränkungen der Benachrichtigungspflicht zur Sicherstellung der Effizienz und der Vertraulichkeit der getroffenen Massnahmen grundsätzlich für möglich, ohne diese jedoch näher zu prüfen.
Gemäss § 36septies Abs. 4 Satz 1 KapoG/SO teilt die Kantonspolizei der direkt betroffenen Person spätestens nach Beendigung der Massnahme mit, dass gegen sie verdeckt gefahndet worden ist. Satz 2 sieht vor, dass die Mitteilung aufgeschoben oder unterlassen werden kann, wenn dies zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen notwendig ist. Eine Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts ist dafür nicht erforderlich.
Dagegen verweist Art. 298d Abs. 4 StPO für die strafprozessuale verdeckte Fahndung einzig auf die Abs. 1 und 3 von Art. 298 StPO, d.h. ein Aufschub oder Unterlassen der Mitteilung (gemäss Art. 298 Abs. 2 StPO) ist ausgeschlossen (so auch TANJA KNODEL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N. 17 zu Art. 298d StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 298d StPO; JEANNERET/GAUTIER, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 46 zu Art. 298d StPO; THOMAS HANSJAKOB, Die neuen Bestimmungen zu verdeckter Fahndung und Ermittlung [nachfolgend: FP 2013],forumpoenale 4/2013 S. 220; derselbe, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO] [nachfolgend: StPO-Kommentar], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 298d StPO; a.A. aber nunmehr HANSJAKOB/PAJAROLA, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Donatsch/Lieber/Summers/ Wohlers [Hrsg.], 3. Aufl. 2020, N. 15 f. zu Art. 298d StPO: analoge Anwendung von Art. 283 Abs. 2 StPO, aber ohne Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts). Insofern muss bei der verdeckten Fahndung zum Zwecke der Strafverfolgung immer eine Mitteilung an die beschuldigte Person erfolgen (so auch § 15b Abs. 8 des Gesetzes vom 27. Januar 1998 über die Luzerner Polizei [PolG/LU;SRL 350]). In der Literatur wirddazu ausgeführt, ein übergeordnetes öffentliches Interesse am Aufschub oder am Verzicht auf die Benachrichtigung sei bei verdeckten Fahndungen kaum denkbar, weil kein Risiko bestehe, dass sich die verdeckt fahndende Person einer grossen Gefahr aussetze, wenn ihre Identität bekannt werde.BGE 149 I 218 (223) BGE 149 I 218 (224)Ein übergeordnetes privates Interesse fehle in aller Regel, weil keine Privatpersonen in den Einsatz einbezogen würden, die besonders geschützt werden müssten (HANSJAKOB, FP 2013, a.a.O., S. 220 und StPO-Kommentar, a.a.O., N. 13 zu Art. 298d StPO; JEANNERET/GAUTIER, a.a.O.; KNODEL, a.a.O.; a.A. HANSJAKOB/PAJAROLA, a.a.O., N. 15 zu Art. 298d StPO).
Es ist nicht ersichtlich und wird weder in der Botschaft des Solothurner Regierungsrats vom 27. Januar 2020 zur Änderung des Gesetzes über die Kantonspolizei (...) (RRB Nr. 2020/133 [nachfolgend: Botschaft]) noch in der Vernehmlassung des Departements erläutert, welche öffentlichen oder privaten Interessen anders als bei der verdeckten Fahndung im Rahmen der StPO den Aufschub oder das Unterlassen der nachträglichen Mitteilung bei der präventiven verdeckten Fahndung und die damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes rechtfertigen könnten. Im Übrigen könnte allfälligen überwiegenden Interessen an der Geheimhaltung der Identität der verdeckten Fahnderin oder des verdeckten Fahnders durch Beschränkung des Akteneinsichtsrechts Rechnung getragen werden, ohne den Rechtsschutz vollständig auszuschliessen.
Die von der StPO abweichende Regelung erscheint auch mit Blick auf die angestrebte Harmonisierung des Rechtsschutzes mit der StPO widersprüchlich, zumal die Abgrenzung zwischen präventiver und repressiver verdeckter Fahndung schwierig ist (HANSJAKOB, FP 2013, a.a.O., S. 221; vgl. Urteil 1B_404/2021 vom 19. Oktober 2021 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 148 IV 82, wonach Art. 298b Abs. 1 lit. a StPO auch bei laufenden, noch nicht abgeschlossenen Delikten anwendbar ist). Die Beschwerdeführenden weisen zu Recht darauf hin, dass die nach einem Monat vorgeschriebene Prüfung durch das Haftgericht (§ 36septies Abs. 2 KapoG/SO) den nachträglichen Rechtsschutz nicht ersetzen kann, da die betroffene Person an diesem Verfahren nicht beteiligt ist.
Die Beschwerde ist daher in diesem Punkt gutzuheissen und § 36septies Abs. 4 Satz 2 KapoG/SO aufzuheben.
(...)
    § 36octies (neu)
    Automatisierte FahrzeugfahndungBGE 149 I 218 (224)
    BGE 149 I 218 (225)1 Die Kantonspolizei kann Kontrollschilder von Fahrzeugen automatisiert erfassen und mit Datenbanken abgleichen.
    2 Der automatisierte Abgleich ist zulässig:
    a) mit polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern;
    b) mit Listen von Kontrollschildern von Fahrzeugen, deren Halter der Führerausweis entzogen oder verweigert worden ist;
    c) mit konkreten Fahndungsaufträgen der Kantonspolizei.
    3 Die Löschung automatisch erfasster Daten erfolgt:
    a) bei fehlender Übereinstimmung mit einer Datenbank: unverzüglich;
    b) bei einer Übereinstimmung mit der Datenbank: nach den Bestimmungen des entsprechenden Verwaltungs- oder Strafverfahrens.
    4 Einzelheiten bestimmt das Dienstreglement.
(...)
(...)
8.2 Das Bundesgericht hat im bereits zitierten BGE 146 I 11 Anforderungen an die gesetzliche Grundlage für die automatisierteBGE 149 I 218 (225) BGE 149 I 218 (226)Fahrzeugfahndung formuliert (E. 8.2.1); überdies ist die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Systemen der Massenüberwachung zu berücksichtigen (unten E. 8.2.2).
8.2.2 Der EGMR hat im Urteil Centrum för Rättvisa gegen Schweden vom 25. Mai 2021 § 262 grundsätzliche Ausführungen zur Beurteilung von Systemen der Massenüberwachung gemacht. Er hielt fest, dass sein üblicher Lösungsansatz betreffend gezielter Überwachung (vgl. nicht publ. E. 4.3.3) an die Besonderheiten solcher Regime anzupassen sei, zum einen wegen der dieser Art der Überwachung innewohnenden Missbrauchsgefahr, zum andern wegen des legitimen, sie kennzeichnenden Geheimhaltungsbedürfnisses. So könne (anders als bei gezielten strafprozessualen Überwachungen) weder ein konkreter Tatverdacht noch eine präzise Umschreibung des betroffenen Personenkreises verlangt werden; dagegen sei es unabdingbar, mindestens den Zweck und die Umstände, unter denen solche Massnahmen angeordnet werden könnten, gesetzlich genügend klar zu umreissen (§ 262). Wie bisher müsse das nationale Recht zudem das Bewilligungsverfahren, das Verfahren zur Auswahl, Analyse und Verwendung der Daten, die zeitliche Dauer der Überwachung und der Aufbewahrung der Daten, die Verpflichtung zur Datenlöschung sowie die Voraussetzungen und Garantien bei der Datenübermittlung an Dritte definieren (§ 262 und § 275, zurBGE 149 I 218 (226) BGE 149 I 218 (227)Datenübermittlung an ausländische Behörden vgl. § 276). Zusätzlich sei zu verlangen, dass der Prozess von umfassenden Garantien("garanties de bout en bout") begleitet werde (§ 270 ff.). Hierfür seien die Notwendigkeit und die Verhältnismässigkeit der ergriffenen Massnahmen in jeder Phase (d.h. bei der Bewilligung der Anordnung, während der Durchführung der Überwachung, bei der Übermittlung von Daten an Dritte sowie nach Beendigung der Überwachung) von einer unabhängigen Behörde zu kontrollieren. Zur Ermöglichung dieser Kontrolle müsse jede Verfahrensetappe detailliert protokolliert werden (§ 270 in fine). Schliesslich sei eine effektive nachträgliche Beschwerdemöglichkeit einzuräumen (§ 271).
Das Departement legt in seiner Stellungnahme dar, die Notwendigkeit, Ort und Zeit sowie Art und Weise des Einsatzes der automatisierten Fahrzeugfahndung hingen von der jeweiligen Sicherheits- und Verkehrslage ab. (...)
BGE 149 I 218 (227)
BGE 149 I 218 (228)8.3.1 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. In der Tat ist davon auszugehen, dass der Einsatz der mobilen oder (semi-)stationären Geräte an Effektivität verlieren würde, wenn die Einsatzorte im Gesetz bestimmt wären: Analog zu anderen (herkömmlichen) Identitätskontrollen, bestimmt die Polizei nicht im Voraus, wo und wann diese durchgeführt werden. Die relative Unbestimmtheit der angefochtenen Norm betreffend Einsatzort ist der Polizeitätigkeit inhärent und verletzt daher das Bestimmtheitserfordernis nicht. Allerdings muss, wie bei jeder staatlichen und insbesondere polizeilichen Tätigkeit, der Verhältnismässigkeitsgrundsatz im Einzelfall beachtet werden (vgl. unten E. 8.7).
(...)
Der Wortlaut von § 36octies Abs. 2 KapoG/SO erlaubt den automatisierten Abgleich mit polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern (lit. a), mit Listen von Kontrollschildern von Fahrzeugen, deren Halter oder Halterin der Führerausweis entzogen oder verweigert worden ist (lit. b), sowie mit konkreten Fahndungsaufträgen der Kantonspolizei (lit. c). Lit. b umfasst nach übereinstimmender Auffassung der Parteien nur Sicherungsentzüge von Fahrausweisen und nicht auch sog. Warnentzüge und wird von den Beschwerdeführenden nicht weiter beanstandet. Näher zu prüfen sind daher lit. a und c.
Das Departement hält fest, aus der Botschaft ergebe sich ausdrücklich, dass unter lit. a das Fahndungssystem des Bundes (RIPOL) und das Schengener Informationssystem (SIS) fielen. Es handle sich um bestehende Datenbanken; neu sei einzig, dass Personen, die bereits auf einer Fahndungsliste figurierten, auch mittels automatisierter Fahrzeugfahndung gesucht werden könnten. Die Voraussetzungen für die Ausschreibung, verdeckte Registrierung und Kontrolle seien in § 36 Abs. 1 KapoG/SO geregelt. Die Liste von Personen- und Sachfahndungsregistern könne nicht beliebig erweitert werden; hierfür bedürfte es vielmehr einer neuen gesetzlichen Grundlage.
§ 36 KapoG/SO und der (in § 36 Abs. 1 lit. d erwähnte) § 32 KapoG/ SO lauten:BGE 149 I 218 (229)
    BGE 149 I 218 (230)§ 36 KapoG/SO Ausschreibung, verdeckte Registrierung und gezielte Kontrolle
    1 Die Kantonspolizei schreibt im Schweizerischen Polizeianzeiger eine Person aus, deren Aufenthaltsort unbekannt ist, wenn
    a) die Spezialgesetzgebung dies vorsieht;
    b) ihr Verhalten den ernstlichen Verdacht begründet, sie werde ein schweres Verbrechen begehen oder bereite ein solches vor;
    c) ihr eine amtlicheBGE 149 I 218 (230) BGE 149 I 218 (231)Verfügung oder ein amtlicher Entscheid zugestellt werden muss;
    d) die Voraussetzungen von § 32 vorliegen;
    e) sie vermisst wird.
    1bis Die Kantonspolizei kann zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit sowie zur Strafverfolgung Personen, Fahrzeuge und Container im Schengener Informationssystem zwecks verdeckter Registrierung ausschreiben und gezielt kontrollieren, sofern die Voraussetzungen nach Artikel 33 Absatz 2 oder 3 der Verordnung über den nationalen Teil des Schengener Informationssystems (N-SIS) und das SIRENE-Büro vom 7. Mai 2008 erfüllt sind.
    2 Die Ausschreibung wird widerrufen, sobald der Grund entfallen ist.
    § 32 Zuführung Minderjähriger und Personen unter umfassender Beistandschaft
    1 Die Kantonspolizei führt Minderjährige oder Personen unter umfassender Beistandschaft auf Begehren berechtigter Personen dem Inhaber der elterlichen Sorge oder der zuständigen Behörde zu, wenn sie sich der elterlichen oder der behördlichen Aufsicht entziehen oder von einem ihnen zugewiesenen Pflegeplatz entweichen.
Damit ist zwar der mögliche Inhalt der polizeilichen Fahndungsdateien gesetzlich umrissen. Dagegen ist denBeschwerdeführenden zustimmen, dass der Katalog von § 36 Abs. 1 KapoG/SO sehr weit ist und künftig selbst ohne Anpassung der betreffenden Bestimmung sogar noch erweitert werden kann, indem die "Spezialgesetzgebung" geändert wird, auf die lit. a verweist. Ein systematischer Abgleich der erfassten Kennzeichen mit allen genannten Personen- und Sachfahndungsregistern würde eine Vielzahl von Fällen umfassen, für welche die Anordnung einer automatisierten Fahrzeugfahndung entweder nicht erforderlich ist (z.B. in den Fällen gemäss § 36 Abs. 1 lit. d und e KapoG/SO, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die vermisste Person mit einem Auto unterwegs sein könnte) oder übermässig wäre, weil keine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt (z.B. Abgleich mit dem Register der Personen, denen eine amtliche Verfügung oder ein amtlicher Entscheid zugestellt werden muss gemäss lit. c). Besteht ausnahmsweise ein erhebliches öffentliches Interesse an der Zustellung eines bestimmten Entscheids (z.B. eines Sicherheitsentzugs), bedarf es nicht des Abgleichs mit dem vollständigen Register, sondern es genügt ein Fahndungsauftrag im Einzelfall nach der Kennzeichennummer der konkret betroffenen Person (gemäss § 36octies Abs. 2 lit. c KapoG/SO).
§ 36octies Abs. 2 lit. a KapoG/SO genügt daher - auch in Verbindung mit § 36 Abs. 1 KapoG/SO - nicht, um den Anwendungsbereich der automatisierten Fahrzeugfahndung mit genügender Bestimmtheit einzuschränken bzw. die Verhältnismässigkeit der Massnahme sicherzustellen.
§ 36octies Abs. 2 lit. a KapoG/SO ist daher mangels genügender Bestimmtheit bzw. Unverhältnismässigkeit aufzuheben. Es wird Aufgabe des Gesetzgebers sein, diese Bestimmung auf diejenigen Personen- und Sachfahndungsdateien zu begrenzen, mit denen ein systematischer Abgleich erforderlich und verhältnismässig (im engeren Sinne) ist, aufgrund der Schwere der drohenden Gefahr oder des erheblichen Gewichts der öffentlichen Interessen (vgl. dazu unten E. 8.7).
In der Botschaft wird dazu ausgeführt, ein konkreter Fahndungsauftrag der Polizei nach lit. c ergehe beispielsweise gegen verurteilte Straftäter, die aus dem Straf- oder Massnahmenvollzug geflüchtet seien, oder gegen Personen, nach denen im Zusammenhang mit schweren Straftaten, wie Anschlägen oder Entführungen, dringend gefahndet werde. Das Departement betont in seiner Vernehmlassung, lit. c ermögliche nicht die automatisierte Fahrzeugfahndung bei Bagatellen und leichten Delikten. Eine abschliessende Aufzählung der verschiedenen Kategorien von Fahndungsaufträgen lasse sich jedoch nicht bewerkstelligen.BGE 149 I 218 (231)
BGE 149 I 218 (232)Den Beschwerdeführenden ist einzuräumen, dass die Anwendungsbereiche von lit. a und lit. c zusammenhängen: Wäre ein automatisierter Abgleich mit sämtlichen Personen- und Sachfahndungsregistern zulässig, bliebe kaum mehr ein Spielraum für individuelle Fahndungsaufträge gemäss lit. c. Wird lit. a dagegen auf wenige Register beschränkt, bei denen ein systematischer Abgleich zulässig ist, muss die Möglichkeit verbleiben, im Einzelfall weitere Kennzeichen in das System einzugeben, um gezielt nach Personen oder Sachen zu fahnden, wenn Anhaltspunkte für eine Gefahr für Rechtsgüter oder öffentliche Interessen von erheblichem Gewicht bestehen (z.B. Vorbereitung schwerer Straftaten), und die automatisierte Fahrzeugfahndung als geeignetes, erforderliches und verhältnismässiges Mittel zu ihrer Auffindung erscheint (vgl. dazu unten E. 8.7).
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die automatisierte Fahrzeugfahndung eine effizientere und effektivere Fahndung ermöglicht als die herkömmlichen Methoden (z.B. die Errichtung von Kontrollstellen), ohne den Verkehrsfluss (z.B. an Autobahnen) zu stören. Dies liegt an sich im öffentlichen Interesse (...) [sofern] die abzugleichenden Dateien sorgfältig, unter Berücksichtigung der Fehlerquote, festgelegt werden (...).
8.7.2 Für die Verhältnismässigkeit automatisierter Abläufe, die eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreffen, die keinerlei Anlass zu einer Kontrolle gegeben haben, ist ein strengerer Massstab anzulegen als bei herkömmlichen Kontrollmassnahmen (z.B. die Anhaltung und Identitätsfeststellung gemäss § 34 KapoG/SO), bei welchenBGE 149 I 218 (232) BGE 149 I 218 (233)dem jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen werden kann. Das allgemeine Interesse, jegliche zur Fahndung ausgeschriebene Personen oder Sachen zu identifizieren und aufzugreifen, genügt nicht, um die Durchführung beliebiger Kontrollen gegenüber jedermann, zu beliebiger Zeit und an beliebigen Orten zu rechtfertigen. Vielmehr bedarf es eines hinreichenden Anlasses für die Anordnung der automatisierten Fahrzeugfahndung; diese muss dem Schutz von Rechtsgütern oder öffentlichen Interessen von erheblichem Gewicht dienen (so zu Recht das deutsche Bundesverfassungsgericht; vgl. zit. Urteile 1 BvR 142/15, in: BVerfGE 150, 244 ff., Rn. 92, 95 und 106; 1 BvR 2795/09 und 3187/10, in: BVerfGE 150, 309, Rn. 73).
BGE 149 I 218 (233) BGE 149 I 218 (234)Diese Bedenken sind ernst zu nehmen, weshalb es einer einschränkenden Regelung und wirksamer Kontrollmassnahmen bedarf. Vorliegend ist jedoch aufgrund des Gesetzestextes gewährleistet, dass die Fahrzeuginsassen bei der automatisierten Fahrzeugfahndung nicht fotografisch festgehalten werden dürfen; dies schliesst den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie aus. Die aus der automatisierten Fahrzeugerhebung erlangten Daten dürfen grundsätzlich nur zweckgebunden verwendet und nicht beliebig mit anderen Dateien zusammengeführt werden (vgl. unten E. 8.9.2). Neue Geräte bzw. eine neue Software mit im Gesetz nicht vorgesehenen Funktionalitäten dürfen nicht ohne Gesetzesrevision eingesetzt werden. Zum heutigen Zeitpunkt ist der Kerngehalt von Art. 13 BV damit nicht berührt (so auch BGE 146 I 11 E. 3.1.2).
Der Gesetzgeber wird indessen die technische und gesellschaftliche Entwicklung im Auge behalten müssen und gegebenenfalls verpflichtet sein, ergänzende Bestimmungen zum Schutz des Kernbereichs der informationellen Selbstbestimmung zu erlassen (vgl. Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005 zur GPS-Observation 2 BvR 581/01, in: BVerfGE 112, 304, Rn. 60 mit Hinweisen).
§ 41 Abs. 1 KapoG/SO verweist für Daten und Akten der Kantonspolizei auf die allgemeinen Bestimmungen über das Amtsgeheimnis und den Datenschutz. Diese befinden sich im Informations- und Datenschutzgesetz des Kantons Solothurn vom 21. Februar 2001 (InfoDG/SO; BGS 114.1) sowie in der dazugehörigen Verordnung vom 10. Dezember 2001 (InfoDV/SO; BGS 114.2) und - speziell für die Polizei - der Verordnung vom 1. April 2003 über dieBGE 149 I 218 (234) BGE 149 I 218 (235)polizeiliche Datenerhebung, -bearbeitung und -speicherung (PolDaVO; BGS 511.13). Letztere sieht für Daten, die einen Bezug zu einer Straftat haben, eine nach Delikten gestaffelte Aufbewahrungsdauer zwischen 3 und 90 Jahren vor (§ 28 Abs. 2 und 30bis PolDaVO). Stehen die Personendaten im Zusammenhang mit einem administrativen Bewilligungsverfahren, werden sie grundsätzlich nach 10 Jahren gelöscht (§ 31 Abs. 1 PolDaVO). Spezielle Fristen gelten nach § 31bis PolDaVO für im Rahmen des kantonalen Bedrohungsmanagements (KBM) bearbeitete Personendaten.
Die Beschwerdeführenden rügen zunächst, es fehle eine Regelung für "unechte Treffer", die sich nachträglich als falsch herausstellten. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 36octies Abs. 3 lit. a KapoG/SO auch auf diesen Fall anwendbar ist: Stellt sich heraus, dass der vermeintliche Treffer falsch ist, liegt eine "fehlende Übereinstimmung mit einer Datenbank vor", d.h. die erfassten Daten müssen unverzüglich gelöscht werden. Dass in diesen Fällen die Löschung nicht automatisch erfolgt, sondern manuell durch einen Polizeibeamten bzw. eine Polizeibeamtin, ändert nichts an der gesetzlichen Pflicht, die Daten unverzüglich zu löschen.
Dagegen ist den Beschwerdeführenden zuzustimmen, dass weder im KapoG/SO noch in der Ausführungsverordnung geregelt ist, wie lange (Treffer-)Daten aus der automatisierten Fahrzeugfahndung aufbewahrt werden dürfen, wenn (noch) kein Verwaltungs- oder Strafverfahren eingeleitet worden ist (vgl. zu dieser Konstellation Art. 7 Abs. 1 der Verordnung vom 4. April 2007 über den Einsatz von Bildaufnahme-, Bildaufzeichnungs- und anderen Überwachungsgeräten durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit [SR 631.053]: Vernichtung nach einem Monat). Der Verweis auf die allgemeine Regelung zur Aufbewahrungsdauer erkennungsdienstlicher Daten genügt dafür nicht (so schon BGE 146 I 11 E. 3.3.2). Der Kanton Solothurn wird eine ausdrückliche Regelung erlassen müssen.
§ 42bis KapoG/SO lautet:BGE 149 I 218 (235)
    BGE 149 I 218 (236)§ 42bis Elektronischer Datenaustausch
    1 Die Kantonspolizei kann mit den Polizeibehörden des Bundes und der Kantone bei der Übermittlung von Personendaten gemäss § 42 und zur Erkennung oder Bekämpfung von Verbrechen und Vergehen oder zur Suche nach vermissten oder entwichenen Personen auf elektronischem Weg zusammenarbeiten.
    2 Sie kann soweit zur Aufgabenerfüllung erforderlich:
    a) Schnittstellen zwischen eigenen polizeilichen Datenbearbeitungssystemen und jenen des Bundes und anderer Kantone einrichten;
    b) mit den Polizeibehörden des Bundes und anderer Kantone gemeinsame Datenbearbeitungssysteme betreiben.
    3 Zugriffsberechtigung, Beschränkungen und Einzelheiten unterstehen den kantonalen Bestimmungen zur Informationssicherheit und zum Datenschutz, soweit übergeordnetes Recht nichts Abweichendes vorsieht.
§ 42bis Abs. 1 KapoG/SO nimmt Bezug auf die allgemeinen Voraussetzungen der Amtshilfe nach § 42 KapoG/SO. Danach dürfen andern Amtsstellen, Behörden und Gemeinden Informationen nur übermittelt werden, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben des Informationsempfängers erforderlich ist.
Handelt es sich bei der automatisierten Fahrzeugfahndung um einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so ist für die Weiterverwendung dieser Daten ein vergleichbar gewichtiges öffentliches Interesse zu verlangen wie für die Datenerhebung (so auch zit. Urteile 1 BvR 142/15, in: BVerfGE 150, 244, Rn. 165; 1 BvR 2795/09 und 3187/10, in: BVerfGE 150, 309, Rn. 91). Die Regelung im KapoG/SO, welche die Übermittlung zur Erfüllung irgendwelcher Aufgaben der anfordernden Behörde zulässt, genügt dafür nicht.
Zwar verweisen § 41 Abs. 1 und § 42bis Abs. 3 KapoG/SO auf das InfoDG/SO. Dieses enthält neben allgemeinen Grundsätzen zur Zweckbindung der Datenbearbeitung (§ 16 Abs. 2) und zur Bekanntgabe von Daten (§ 21; mit speziellen Anforderungen für die Übermittlung ins Ausland gemäss § 21bis ) auch eine einschränkende Regelung über die Weitergabe visuell aufgezeichneter Daten (§ 16ter InfoDG/SO): Solche Daten dürfen nur übermittelt werden, wenn sie von der anfordernden Behörde zur Verfolgung eines Zweckes benötigt werden, welcher mit dem ursprünglichen Aufnahmezweck in einem sachlichen Zusammenhang steht (Abs. 1 lit. a). Es ist allerdings unklar, ob diese Norm, die 2007, in anderem Zusammenhang, in das Gesetz eingefügt wurde, auf die Daten derBGE 149 I 218 (236) BGE 149 I 218 (237)automatisierten Fahrzeugfahndung anwendbar ist; sie wird weder in der Botschaft noch in der Vernehmlassung des Departements erwähnt.
Erforderlich ist somit eine klare Regelung, zu welchen weiteren (d.h. nicht der automatisierten Fahrzeugfahndung zugrunde liegenden) Zwecken die Daten verwendet, anderen Behörden übermittelt oder mit diesen über Schnittstellen oder gemeinsame Datenbearbeitungssysteme geteilt werden dürfen, und wer darüber entscheidet (vgl. dazu Art. 8 und 9 der bereits zitierten bundesrechtlichen Verordnung).
Allerdings beanstanden die Beschwerdeführenden zu Recht, dass § 36octies KapoG/SO in Kraft gesetzt worden ist, ohne dass die Verordnung angepasst wurde. Der Kanton macht in seiner Vernehmlassung geltend, er könne die Einzelheiten in Bezug auf den Datenschutz erst dann auf Verordnungsebene regeln, wenn der Entscheid über die Anschaffung der betreffenden Geräte gefallen sei und deren Typ feststehe. Ob dies zutrifft, kann dahingestellt bleiben: Jedenfalls darf gestützt auf § 36octies KapoG/SO keine automatisierte Fahrzeugfahndung angeordnet werden, solange die erforderlichen Datenschutzregelungen fehlen (vgl. auch unten E. 8.11.4). Dies wird im Dispositiv festzuhalten sein.
Eine nachträgliche Benachrichtigung aller Halter bzw. Führer von mittels automatisierter Fahndung erfassten Fahrzeugen ist nicht vorgesehen und aufgrund der grossen Menge an Daten auch kaum möglich. Dies erschwert den Rechtsschutz, schliesst ihn aber nicht völlig aus:
8.10.1 Führt ein erfasstes Kontrollschild zu einer Übereinstimmung mit einer Datenbank (Treffer oder "Hit") und trifft die Polizei daraufhin Massnahmen (z.B. Anhaltung der Person, Abklärungen zur Identität des Fahrzeugführers bei Fahrzeugen, dessen Halter der Führerausweis aus Sicherheitsgründen entzogen worden ist;BGE 149 I 218 (237) BGE 149 I 218 (238)Rückführung einer vermissten Person), so erfährt die betroffene Person vom Einsatz der automatisierten Fahrzeugfahndung und kann sich dagegen zur Wehr setzen.
8.10.2 Werden dagegen Kontrollschilder erfasst, die nicht in einer Datenbank aufgeführt sind (Nicht-Treffer), oder die nachträglich als falsche Treffer identifiziert werden, sind diese gemäss § 36octies Abs. 3 lit. a KapoG/SO unverzüglich zu löschen. Da jedoch bereits die automatisierte Erfassung eines Kennzeichens und dessen Abgleich mit einer Datenbank einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen, besteht auch in dieser Situation Anspruch potenziell Betroffener auf eine wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK (so auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil 62/19 vom 19. März 2021, www.verfassungsgericht.brandenburg.de/verfgbbg/de/entscheidungen/entscheidungssuche/detail-entscheidung/~19-03-2021-vfgbbg-6219_4106). In einem analogen Fall (betreffend die Funk- und Kabelaufklärung) erachtete das Bundesgericht daher ein Feststellungsgesuch gemäss Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) als zulässig (BGE 147 I 280 E. 7.2-9.4); diese Bestimmung entspricht § 29 InfoDG/SO. Das Departement weist in seiner Vernehmlassung überdies auf die Möglichkeit hin, ein Feststellungsgesuch gemäss Art. 28bis des kantonalen Gesetzes vom 15. November 1970 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Verwaltungsrechtspflegegesetz; BGS 124.11) oder ein Auskunftsgesuch gemäss § 26 InfoDG/SO zu stellen.
8.10.3 Dies gilt erst recht, wenn Daten aufgrund der automatisierten Fahndung gespeichert, aber kein Verfahren eröffnet worden ist.
8.11.1 In der Tat sind bei Systemen der Massenüberwachung zusätzliche Schutz- und Kontrollmechanismen erforderlich, um eine verfassungskonforme Handhabung im AnwendungsfallBGE 149 I 218 (238) BGE 149 I 218 (239)sicherzustellen, Missbräuche zu verhindern und ein Gefühl der Überwachung mit einem entsprechenden "chilling effect" zu vermeiden. Allerdings bedarf es für die automatisierte Fahrzeugfahndung nicht einer gleich umfassenden Kontrolle ("de bout en bout"), wie vom EGMR für die nachrichtendienstliche Funk- und Kabelaufklärung verlangt (vgl. oben E. 8.2.2). Immerhin muss zumindest das Verfahren der Anordnung geregelt werden. Dazu gehört auch die Anordnungsbefugnis innerhalb der Kantonspolizei (vgl. nicht publ. E. 6.2.3 und als Beispiel Art. 6 der Verordnung über den Einsatz von Bildaufnahme-, Bildaufzeichnungs- und anderen Überwachungsgeräten [...]; SR 631.053) sowie die maximale Geltungsdauer einer solchen Anordnung (oben E. 8.3.2).
8.11.2 Zudem muss zur Gewährleistung einer verfassungskonformen Anwendung periodisch von einer unabhängigen Stelle kontrolliert werden, dass die automatisierte Fahrzeugfahndung nicht für eine systematische Überwachung und Datensammlung auf Vorrat missbraucht wird und die gesetzlichen Einschränkungen eingehalten werden (insbesondere Anordnung der automatisierten Fahrzeugfahndung nur zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter und öffentlicher Interessen; keine Erfassung von Bildern der Fahrzeuginsassen; unverzügliche und spurlose Löschung von Nicht-Treffern und falschen Treffern; Wahrung der Aufbewahrungsfristen und Löschungsvorgaben bei Treffern, Überprüfung der Weitergabe solcher Daten). Die Öffentlichkeit muss in geeigneter Form über die Ergebnisse solcher Kontrollen informiert werden, um einen " chilling effect " zu vermeiden.
Der blosse Hinweis in § 41 Abs. 1 KapoG/SO auf die allgemeinen Datenschutzbestimmungen genügt dafür nicht: Zwar kann der oder die kantonale Beauftragte für Information und Datenschutz von Amtes wegen oder auf Anzeige hin tätig werden, Akten und Dokumente herausverlangen und sich Datenbearbeitungen vorführen lassen (§ 33 InfoDG/SO). Diese allgemeine Befugnisnorm stellt jedoch nicht sicher, dass tatsächlich regelmässig (innerhalb bestimmter Zeitperioden) eine Kontrolle stattfindet. Die in § 5 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Mai 2012 über die Dienstaufsicht und Kontrolle der Tätigkeiten der Polizei Kanton Solothurn zur Wahrung der inneren Sicherheit (Dienstaufsichtsverordnung; BGS 511.121) verlangte jährliche Prüfung bezieht sich nur auf die Aufgaben, welche der Kanton gestützt auf das Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit zu erfüllen hat (vgl. § 1 und 3 Dienstaufsichtsverordnung).BGE 149 I 218 (239)
BGE 149 I 218 (240)8.11.3 Überdies sieht § 13 InfoDV/SO eine Pflicht zur Protokollierung nur für das automatisierte Bearbeiten besonders schützenswerter Personendaten und von Persönlichkeitsprofilen vor. Es besteht daher keine Gewähr, dass die Einsätze zur automatisierten Fahrzeugfahndung (nach Ort, Zeit und Dauer, Zweck und Art des Einsatzes, Umfang des Abgleichs mit Dateien), deren wesentliche Ergebnisse (einschliesslich Fehlerquote) sowie die Bearbeitung der dabei anfallenden Daten hinreichend dokumentiert und der zuständigen unabhängigen Kontrollstelle regelmässig in einer für sie verwertbaren Form zur Verfügung gestellt werden.
8.11.4 Auch hier stellt sich die Frage, ob die fehlenden Kontrollmechanismen (zumindest in den Grundzügen) im Gesetz selbst zu regeln sind, d.h. ob es mit dem Legalitätsprinzip vereinbar ist, wenn § 36octies Abs. 4 KapoG/SO für "die Einzelheiten" auf das Dienstreglement verweist, ohne inhaltliche Vorgaben zu machen. Für eine Regelung im formellen Gesetz spricht der Umstand, dass es sich um einen schweren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung handelt. Allerdings stellen die fehlenden Kontrollmechanismen nicht eigentliche Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs dar, sondern dienen der Aufsicht und der Sicherstellung der Rechtmässigkeit des Vollzugs. Es erscheint daher zulässig, solche Sicherungen auf Verordnungsebene zu regeln; nicht ausreichend ist dagegen eine bloss interne Weisung (vgl. nicht publ. E. 6.2.3).
Allerdings müssen die Verordnungsbestimmungen in Kraft sein, bevor eine automatisierte Fahrzeugfahndung gestützt auf § 36octies KapoG/SO angeordnet werden darf (vgl. oben E. 8.9.5). Ansonsten wäre nicht sichergestellt, dass das Überwachungssystem insgesamt, bei der gebotenen Gesamtschau, mit Art. 13 BV und Art. 8 EMRK vereinbar ist (vgl. nicht publ. E. 4.3.3). Dies ist im Urteilsdispositiv festzustellen.
    § 39ter Flugverbot für unbemannte Luftfahrzeuge bis 30 kg Gewicht
    1 Bei einem Einsatz der Polizei, der Feuerwehr, des Zivilschutzes und des Rettungsdienstes gilt im Umkreis von 300 m um den Ereignisort ein Flugverbot. Der zuständige Polizeioffizier der Kantonspolizei kann das Flugverbot ganz oder teilweise aufheben.
    2 In Gefährdungslagen für Personen und Sachen Dritter auf dem Boden kann der zuständige Polizeioffizier ein Flugverbot erlassen. Das Flugverbot tritt sofort in Kraft.BGE 149 I 218 (240)
    BGE 149 I 218 (241)3 Im Übrigen richtet sich die Benützung des Luftraums nach der Bundesgesetzgebung über die Luftfahrt.
Die Missachtung eines Flugverbots nach § 39ter KapoG/SO wird mit Busse bestraft (§ 31ter des Gesetzes vom 14. September 1941 über das kantonale Strafrecht und die Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches[BGS 311.1]).
Vor Bundesgericht angefochten ist lediglich Absatz 1 von § 39ter KapoG/SO.
Die Beschwerdeführenden arbeiten nicht beruflich als Journalist bzw. Journalistin, sondern sind anwaltlich tätig, vor allem im Bereich der Strafverteidigung. Sie können sich wie jedermann auf die Informationsfreiheit berufen. Sodann legen sie - zumindest implizit - dar, als Medienkonsumenten und -konsumentinnen ein schutzwürdiges Interesse an einer unabhängigen Berichterstattung über Polizeieinsätze zu haben. Auch insoweit können sie sich auf die Medienfreiheit berufen: Diese ist kein Selbstzweck, sondern darauf ausgerichtet, den Fluss von Informationen zugunsten der Empfängerinnen und Empfänger zu gewährleisten (BRUNNER/BURKERT, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 33 zu Art. 17 BV mit Hinweisen).
9.1.4 Im Folgenden ist zu prüfen, ob die Einschränkung der tangierten Grundrechte in § 39ter Abs. 1 KapoG/SO auf einer genügendenBGE 149 I 218 (241) BGE 149 I 218 (242)gesetzlichen Grundlage beruht (E. 9.2), verhältnismässig ist (E. 9.3) und die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes wahrt (E. 9.4).
Insofern erscheint es notwendig, das generelle Flugverbot gemäss Abs. 1 auf Notfalleinsätze zu begrenzen, d.h. auf dringliche, nicht im Voraus geplante Einsätze, die der Rettung von Leib und Leben, der Abwendung einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder der Erhaltung bedeutender Sachwerte dienen. Diese Einsätze sind oft schon äusserlich, durch die Anfahrt mit Blaulicht undBGE 149 I 218 (242) BGE 149 I 218 (243)Wechselhorn zur Unfallstelle oder zum Tatort, erkennbar. Dagegen besteht bei von langer Hand geplanten Einsätzen (z.B. Sicherung eines Festbetriebs) oder Routinetätigkeiten (Patrouillen) genügend Zeit, um - sofern im Einzelfall nötig - ein Flugverbot nach Abs. 2 auszusprechen.
Dies entspricht auch der Regelung der EU, die ein Flugverbot für Drohnen in und um Gebiete vorsieht, "in denen ein Notfall einsatz stattfindet" ("à proximité ou à l'intérieur de zones où des mesures d'intervention d'urgence sont en cours"; vgl. Durchführungsverordnung (EU) 2019/947 der Kommission vom 24. Mai 2019 über die Vorschriften und Verfahren für den Betrieb unbemannter Luftfahrzeuge, Anhang A, UAS.OPEN.060 Ziff. 3, und Anhang B, UAS. SPEC.060 Ziff. 3 lit. e, ABl. L 152 vom 11. Juni 2019 S. 45).
Schliesslich führe das Flugverbot zu einer unverhältnismässigen Einschränkung der Informations- und Medienfreiheit. Es bestehe ein grosses Informationsinteresse der Öffentlichkeit, gerade imBGE 149 I 218 (243) BGE 149 I 218 (244)Zusammenhang mit Einsätzen der Polizei, der Feuerwehr, des Zivilschutzes und des Rettungsdienstes. Die in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbare "Wächterfunktion" der Medien setze voraus, dass sich die Öffentlichkeit bzw. die Medien ein eigenes Bild machen könnten und sich nicht einzig auf Angaben der Polizei stützen müssten (mit Hinweis auf REGULA BÄHLER, Fotografen und Videojournalisten als Störer, Medialex 2015 S. 29 Rz. 15). Die Koppelung mit einer Bussdrohung bis zu Fr. 10'000.- könne zu einem "chilling effect" führen und die Medien davon abhalten, ihre grundrechtlich geschützte Funktion wahrzunehmen (mit Hinweis auf das Urteil des EGMR GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus gegen Schweiz vom 9. Januar 2018 § 78). (...)
Bei der gebotenen restriktiven Auslegung werden andere Einsätze der Polizei, namentlich Einsätze im Zusammenhang mit Kundgebungen und Grossveranstaltungen, nicht vom generellen Flugverbot erfasst, mit der Folge, dass die Medien ihrer "Wächterfunktion" nachkommen können, nicht nur am Boden, sondern auch unter Einsatz von Drohnen. Im Einzelfall verbleibt der Polizei die Möglichkeit, Flugverbote aus Sicherheitsgründen gestützt auf den nicht angefochtenen § 39ter Abs. 2 KapoG/SO anzuordnen.
9.3.4 Im Übrigen bleibt auch bei Notfalleinsätzen (zumindest, wenn diese länger andauern, wie z.B. bei Überschwemmungen oder Chemieunfällen), die Möglichkeit, eine Ausnahmebewilligung gemäss § 39ter Abs. 1 Satz 2 KapoG/SO zu beantragen. Das DepartementBGE 149 I 218 (244) BGE 149 I 218 (245)weist zu Recht darauf hin, dass die Erreichbarkeit der zuständigen Person durch die Alarmzentrale der Kantonspolizei sichergestellt werden muss, und Ausnahmebewilligungen in dringlichen Fällen mündlich erteilt werden können. Die Abweisung eines derartigen Gesuchs stellt eine anfechtbare Verfügung dar, gegen die Rechtsschutz möglich bleibt. Dies gilt auch nach Beendigung des Einsatzes, sofern sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BGE 147 I 478 E. 2.2; BGE 146 II 335 E. 1.3; BGE 139 I 206 E. 1.1), bzw. Art. 13 EMRK das Eintreten gebietet.
 
Erwägung 10
 
§ 36septies Abs. 4 Satz 2 KapoG/SO ist aufzuheben, d.h. die von einer verdeckten Fahndung betroffenen Personen sind ausnahmslos, spätestens nach Beendigung der Massnahme, darüber zu benachrichtigen, entsprechend der strafprozessualen Regelung (E. 6.3.2). Der Kanton wird darauf behaftet, die Befugnis zur Anordnung dieserBGE 149 I 218 (245) BGE 149 I 218 (246)Massnahme im Dienstreglement einschränkend zu regeln (nicht publ. E. 6.2.3).
Aufzuheben ist auch § 36octies Abs. 2 lit. a KapoG/SO (E. 8.5.1).
Die automatisierte Fahrzeugfahndung darf erst angeordnet werden, wenn die nötigen ergänzenden Schutz- und Kontrollvorkehrungen in Kraft getreten sind (vgl. E. 8.3.2 zur Dauer der Massnahme, E. 8.11.1 zur Anordnungsbefugnis, E. 8.9.1 zur Aufbewahrungsdauer von Daten, E. 8.9.2 zur Bearbeitung und Übermittlung zu anderen Zwecken, E. 8.11.2 zu periodischen Kontrollen durch eine unabhängige Stelle und E. 8.11.3 zur Protokollierung).
§ 39ter Abs. 1 KapoG/SO ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass sich das dort vorgesehene, generelle Flugverbot für unbemannte Luftfahrzeuge bis 30 kg Gewicht auf Notfalleinsätze beschränkt.BGE 149 I 218 (246)