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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Art. 22 Abs. 1 lit. b OG verbietet einem Mitglied des Bundesge ...
2. Es ist vorweg zu prüfen, wer über diesen Teil des Re ...
3. Zur Begründung des Standpunktes, Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 de ...
4. Was sodann die Auslegung des Art. 22 Abs. 1 lit. b OG anbelang ...
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61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Dezember 1958 i.S. Lüdemann gegen Bezirk Küssnacht.
 
 
Regeste
 
Ausstand von Gerichtsmitgliedern, Art. 22 Abs. 1 lit. b OG.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 84 II 459 (459)A.- In einem Prozess aus dem Gebiete des Sachenrechts hatte das Kantonsgericht Schwyz durch Urteil vom 24. März 1958 eine vom Kläger Lüdemann gegen den Bezirk Küssnacht erhobene Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil reichte Lüdemann Berufung und staatsrechtliche Beschwerde ein. Die II. Zivilabteilung wies beide Rechtsmittel mit Urteilen vom 11. Juli 1958 ab.
B.- Gegen das die Berufung abweisende Urteil der II. Zivilabteilung reichte Lüdemann ein Revisionsgesuch ein, zu dessen Begründung er sich u.a. auf Art. 22 Abs. 1 lit. b und Art. 28 OG berief. Das Bundesgericht verneint das Vorliegen dieses Revisionsgrundes mit folgenden
 
BGE 84 II 459 (459) BGE 84 II 459 (460)als Mitglied einer administrativen oder richterlichen Behörde, gehandelt hat. Der Revisionskläger macht geltend, diese Bestimmung sei im vorliegenden Falle dadurch verletzt worden, dass vier Mitglieder der II. Zivilabteilung, die schon bei der Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde beteiligt gewesen seien, dann auch noch im Berufungsverfahren geamtet hätten.
Da ein gesetzlicher Ausschliessungsgrund geltend gemacht wird, dürfen gemäss Art. 26 Abs. 1 OG die Mitglieder der II. Zivilabteilung, die in dieser Sache geamtet haben, beim Entscheid über die Begründetheit dieser Rüge nicht mitwirrken. Es drängt sich daher auf, die I. Zivilabteilung, konstituiert als ausserordentliche II. Zivilabteilung, darüber erkennen zu lassen, ob eine Verletzung des Art. 22 Abs. 1 lit. b OG vorliege.
Der Revisionskläger glaubt zwar, diese Beurteilung sei Sache des Gesamtgerichtes. Er beruft sich auf Art. 11 Abs. 1 lit. b OG, wonach die Erledigung von Angelegenheiten, welche die Organisation oder die Verwaltung des Gerichts betreffen, dem Gesamtgericht vorbehalten bleibt.
Bei weitherziger Auslegung dieser Bestimmung lässt sich zur Not die Auffassung vertreten, man habe es im vorliegenden Fall mit einer Frage der Organisation des Gerichtes zu tun. Denn letzten Endes geht es um die Zulässigkeit der Ordnung, wie sie in Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsreglementes vom 21. Oktober 1944 vorgesehen ist:
"Wird neben einer Berufung (Art. 43 ff. OG) oder einer Nichtigkeitsbeschwerde in Zivil- oder Strafsachen (Art. 68 ff. OG, Art. 268 ff. BStP) auf die einzutreten ist, in gleicher Sache eine staatsrechtliche Beschwerde ergriffen wegen Verstössen im Beweisverfahren hinsichtlich Tatsachen, die mit dem Zivil- bzw. Strafverfahren im Zusammenhang stehen, so wird sie ebenfalls durch die betreffende Zivilabteilung bzw. den Kassationshof beurteilt."
Es kann aber natürlich nicht der Sinn des Art. 11 Abs. 1 lit. b OG sein, dass das Bundesgericht als GesamtgerichtBGE 84 II 459 (460) BGE 84 II 459 (461)einen konkreten Fall, in welchem ein bundesrechtliches Rechtsmittel ergriffen worden ist, zu beurteilen habe.
"Ein Bundesrichter ... darf das Richteramt nicht ausüben ... in einer Angelegenheit, mit Beziehung auf welche er bereits in einer andern Abteilung des Bundesgerichtes ... gehandelt hat."
Wenn eine Abteilung des Gerichtes diesem Verbot aus dem Wege gehen wollte, indem sie sich selber als "andere Abteilung" konstituierte, so würde das nach der Auffassung des Revisionsklägers einer Umgehung des Gesetzes gleichkommen. Im Laufe der verschiedenen Revisionen des OG habe sich der Wortlaut der Bestimmung allerdings etwas geändert. Die Meinung des Gesetzgebers sei aber die gleiche geblieben, was schon daraus hervorgehe, dass der Bundesrat in seinen Botschaften für die Umformulierung gar keine weiteren Erläuterungen als nötig erachtet, diese also als rein redaktioneller Art angesehen habe (BBl 1892 II 291, 1943 I 111).
Das OG von 1874 enthielt jedoch in Wirklichkeit eine Bestimmung des vom Revisionskläger behaupteten Wortlauts nicht. Lediglich der bundesrätliche Entwurf hatte in Art. 14 eine derartige Ordnung vorgesehen (BBl 1874 I S. 1086). Diese wurde dann aber nicht Gesetz, sondern dieses wies in Art. 16 Ziff. 3 eine im wesentlichen dem heutigen Recht entsprechende Bestimmung auf (AS nF 1 S. 140). Dagegen wurde im Abschnitt über die Strafrechtspflege des OG von 1874 (und mithin auf diese beschränkt) als Art. 34 Abs. 2 die Bestimmung aufgestellt, kein Richter könne in einer und derselben Sache in mehreren Abteilungen des Bundesgerichtes sitzen. Allein diese Bestimmung ist inzwischen auf die in den Art. 1 Abs. 1 Ziff. 4 und Art. 2 Abs. 4 BStP enthaltenen Verbote zusammengeschmolzen, wonach kein Mitglied der AnklagekammerBGE 84 II 459 (461) BGE 84 II 459 (462)dem Bundesstrafgericht und kein Mitglied der Anklagekammer und des Bundesstrafgerichts dem ausserordentlichen Kassationshof angehören darf.
Auf die historische Entwicklung kann sich der Revisionskläger zur Begründung seiner Auffassung somit nicht berufen.
4. Was sodann die Auslegung des Art. 22 Abs. 1 lit. b OG anbelangt, so hat diese Gesetzesbestimmung, soweit sie von einer früheren richterlichen Tätigkeit eines Bundesrichters spricht, von vorneherein nur die Fälle im Auge, in denen ein Mitglied des Bundesgerichts zuvor schon in anderer Stellung als der eines Bundesrichters gehandelt hat. Sie wird ergänzt durch verschiedene abschliessende Gesetzesbestimmungen, die ausdrücklich festlegen, in welchen Fällen ein Bundesrichter wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Abteilung nicht in einer andern Abteilung amten darf (BStP Art. 1 Abs. 1 Ziff. 4, Art. 2 Abs. 4; vgl. oben Erw. 3). Dazu kommt noch die Bestimmung des Art. 26 Abs. 1 OG über den Ausschluss eines Richters, wenn zur Entscheidung steht, ob in seiner Person ein Ausstandsgrund verwirklicht sei. Darüber hinaus kennt das Gesetz keine Verbote der Mitwirrkung in verschiedenen Abteilungen. Deshalb ist denn auch in ständiger Rechtsprechung immer angenommen worden, eine bundesgerichtliche Abteilung dürfe im Revisionsverfahren nach Massgabe der Art. 136 ff. OG ihre eigene Rechtsmittelinstanz sein. Der Gesetzgeber traut dem Bundesrichter hier eben zu, dass er sogar seinen eigenen Entscheidungen gegenüber völlig objektiv bleibe und gegebenenfalls z.B. ein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 136 lit. d OG zugebe und korrigiere. Um so eher muss natürlich eine Gerichtsabteilung zuständig sein, zwei gegen dasselbe kantonale Urteil ergriffene eidgenössische Rechtsmittel zu beurteilen. Denn hier sind ja Konflikte, wie sie bei der Beurteilung eines Revisionsgesuchs gegen das Urteil der eigenen Abteilung allenfalls noch denkbar sein mögen, von vorneherein ausgeschlossen. Es treten lediglichBGE 84 II 459 (462) BGE 84 II 459 (463)neben Anfechtungsgründe, die durch das eine Rechtsmittel geltend zu machen sind, noch weitere hinzu, die durch das andere gerügt werden müssen. Es wäre daher an sich sogar denkbar, dass der Gesetzgeber die Ausfällung eines einzigen bundesgerichtlichen Entscheides vorsehen könnte, was er offensichtlich nur aus äusserlichen Ordnungsgründen nicht getan hat. Davon, dass ein Bundesrichter, der bei der Beurteilung einer staatsrechtlichen Beschwerde mitgewirkt hat, deshalb auch nur im geringsten Masse bei der anschliessenden Beurteilung einer Berufung als befangen zu erscheinen vermöchte, kann ernsthaft gar nicht die Rede sein.
Die Ordnung gemäss Art. 2 Ziff. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsreglementes verstösst somit in keiner Weise gegen das Gesetz.BGE 84 II 459 (463)