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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Busse, die Obrist der Klägerin zu leisten hat, unters ...
2. Die Klägerin hat sich in der Hauptverhandlung auf den in  ...
3. Der Bundesbeschluss vom 19. Juni 1953 über die Brotgetrei ...
4. Die Strafverfügung der Getreideverwaltung vom 11. April 1 ...
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13. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. März 1960 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Schweizerische Bankgesellschaft.
 
 
Regeste
 
1. Art. 41 lit. c, 110 Abs. 1 OG, Art. 2 Ziff. 2 und 3, Art. 5 Ziff. 1 Bundesgerichtsreglement. Welche Abteilung des Bundesgerichts hat als einzige Instanz über Ansprüche zu urteilen, die der Bund gegen einen Bürgen stellt, der für die Erfüllung einer öffentlichrechtlichen Schuld einzustehen versprach? (Erw. 1).
 
3. Art. 20 Abs. 1, 492 OR, Art. 11 Abs. 4 BB vom 19. Juni 1953 über die Brotgetreideversorgung des Landes. Bussen wegen Widerhandlung gegen die Bestimmungen über die Brotgetreideversorgung können nicht gültig verbürgt werden (Erw. 3 f.).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 86 II 71 (71)A.- Rudolf Obrist, der in Aarwangen eine Handelsmühle betreibt, hatte der Schweizerischen Eidgenossenschaft gemäss Art. 11 des Bundesbeschlusses vom 19. JuniBGE 86 II 71 (71) BGE 86 II 71 (72)1953 über die Brotgetreideversorgung des Landes Sicherheit zu leisten. Für das Geschäftsjahr 1957/58 wurde diese auf Fr. 120'000.-- festgesetzt. Sie bestand darin, dass die Schweizerische Bankgesellschaft am 31. August 1957 gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft für Obrist bis zu diesem Betrage Solidarbürgschaft leistete. Das geschah im Rahmen einer Bürgschaftsverpflichtung, die bis zum Betrage von Fr. 1'331,000.-- gleichzeitig auch für andere in der Urkunde angeführte Mitglieder des Schweizerischen Müllerverbandes eingegangen wurde. Es wurde vereinbart: "Die Schweizerische Bankgesellschaft verpflichtet sich, im Rahmen der für die einzelnen Firmen festgesetzten, oben angegebenen Einzelkautionssummen die verlangten Beträge auf erste Anforderung der Eidgenössischen Getreideverwaltung zu zahlen, bis zur Erschöpfung der Pauschalkaution von Fr. 1'331,000.--, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Bürgschaft vorliegen."
Durch rechtskräftig gewordene Strafverfügung vom 11. April 1958 erklärte die Eidgenössische Getreideverwaltung Obrist der widerrechtlichen Verfügung über Getreide des Bundes, der Vornahme falscher Eintragungen in die Mahlkontrolle und in die Verkaufskontrolle, der Erstattung falscher Berichte an die Oberzolldirektion und die Getreideverwaltung und der Abgabe von Ruchmehl zu Futterzwecken schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 15'000.--. Aus den begangenen Widerhandlungen ergab sich zugunsten der Eidgenossenschaft eine Forderung gegen Obrist von Fr. 108'412.10. Diese Schuld wurde von der Schweizerischen Bankgesellschaft auf Grund der Bürgschaft getilgt. Dagegen lehnte es die Bürgin ab, Fr. 11'587.90 als Unterschied zwischen dem erwähnten Betrag und demverbürgtenHöchstbetrag von Fr. 120'000.-- an die Busse zu zahlen.
Mit Schreiben vom 15. und 28. Mai 1959 kamen die Eidgenössische Getreideverwaltung und der Vertreter der Schweizerischen Bankgesellschaft überein, den Streit umBGE 86 II 71 (72) BGE 86 II 71 (73)die Forderung von Fr. 11'587.90 gemäss Art. 41 lit. c OG durch das Bundesgericht als einzige Instanz beurteilen zu lassen.
B.- Die Eidgenossenschaft beantragt dem Bundesgericht mit Klage vom 25. Juni 1959 gegen die Schweizerische Bankgesellschaft, diese sei zu verurteilen, ihr Fr. 11'587.90 zu zahlen, eventuell sei die Klage gemäss Art. 110 OG zur Beurteilung im direkten verwaltungsrechtlichen Prozesse der verwaltungsrechtlichen Kammer des Bundesgerichtes zu überweisen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
 
2. Die Klägerin hat sich in der Hauptverhandlung auf den in der Klage und in der Replik nicht eingenommenen Standpunkt gestellt, die Beklagte habe durch Schreiben an die Eidgenössische Getreideverwaltung vomBGE 86 II 71 (73) BGE 86 II 71 (74)28. November 1958 und durch Eingabe im Nachlassverfahren des Hauptschuldners vom 10. Dezember 1958 die Bürgschaftsverpflichtung auch für die Busse anerkannt. Auf diese Behauptung und die fünf Briefe aus der Zeit vom 22. November bis 10. Dezember 1958, mit denen die Klägerin sie beweisen will, ist entsprechend dem Antrage der Beklagten nicht einzutreten. Art. 19 Abs. 1 BZP verpflichtet die Parteien, alle Angriffs- oder Verteidigungsmittel auf einmal vorzubringen. Immerhin können Tatsachen und Beweismittel zur Ergänzung noch im allfälligen weiteren Schriftenwechsel und mündlich in der Vorbereitungsverhandlung bis zum Beginn der Beweisführung vorgebracht werden, nachher dagegen nur noch, wenn die Verspätung entschuldbar ist oder das Vorbringen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz BZP von Amtes wegen berücksichtigt werden kann (Art. 19 Abs. 2 BZP). Die Klägerin vermag die verspätete Einnahme ihres neuen Standpunktes nicht zu entschuldigen. Ihr Vorbringen stützt sich ausschliesslich auf Briefe, die sie schon zur Zeit der Abfassung von Klage und Replik besass. Die Duplik der Beklagten enthält nichts, was Anlass hätte geben können, die neue Behauptung aufzustellen. Zudem wurde den Parteien Gelegenheit gegeben, die Durchführung einer Vorbereitungsverhandlung zu beantragen; sie verzichteten auf eine solche. Es besteht daher auch kein Grund, das neue Vorbringen der Klägerin von Amtes wegen zu berücksichtigen.
Diese Ordnung ist zwingend. Die Behörde darf nicht auf ihre Anwendung verzichten und auf andere Weise Befriedigung für die vom Verurteilten zu erbringende Geldleistung suchen. Die Befugnis und Pflicht des Staates, die Busse einzutreiben, begründet nicht eine ForderungBGE 86 II 71 (75) BGE 86 II 71 (76)im Sinne des privaten oder öffentlichen Schuldrechts. Das Wesen einer solchen besteht darin, dem Vermögen des Gläubigers die geschuldete Leistung zuzuführen. Auf welche Weise der Schuldner dafür sorge, dass dieser Anspruch befriedigt werde, ist nebensächlich. Wenn Gegenstand der Schuld nicht eine höchstpersönliche Leistung ist, kann der Schuldner sie durch einen Dritten erfüllen lassen (vgl. Art. 68 OR). Sie ist getilgt, wenn der Gläubiger den ihm zustehenden Betrag erhalten hat. Die Busse dagegen ist nicht auf Befriedigung eines Vermögensinteresses des Staates gerichtet. Sie ist Strafe und als solche bestimmt, dem Gebüssten ein Übel zuzufügen, um sein Vergehen zu sühnen und ihn zu bessern. Sie bezweckt die Minderung des Vermögens des Verurteilten, nicht die Mehrung des Bestandes der Staatskasse. Der Verurteilte soll, wie Art. 48 Ziff. 2 StGB sagt, eine Einbusse erleiden. Die Bereicherung des Staates ist nur eine rechtliche Reflexwirkung des Vollzugs der Busse. Dass diese auf dem Wege der Schuldbetreibung vollzogen werden kann (Art. 49 Ziff. 2 StGB), ändert nichts. Die Betreibung ist nur das Mittel, den Eingriff in das Vermögen des Verurteilten zu verwirklichen. Auch wenn der Verurteilte angehalten werden kann, Sicherheit zu leisten (Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 StGB), verhält es sich nicht anders. Durch die Sicherheit soll nicht gewährleistet werden, dass dem Staate zukomme, was ihm gebühre, sondern dass die Strafe gesetzesgemäss vollzogen werde. Die Sicherheit für die Busse erfüllt eine ähnliche Aufgabe wie die Sicherheitshaft gegenüber dem zu Freiheitsstrafe Verurteilten (Art. 375 StGB, Art. 239 Abs. 2 BStP) und die Sicherheit, die einem Beschuldigten im Falle des Fluchtverdachtes auferlegt werden kann (Art. 53, 54 BStP).
Die Busse ist wie jede Strafe höchstpersönlicher Natur. Im Bestreben, das Übel dem Verurteilten und nur ihm zuzufügen, geht das Gesetz so weit, dass es unter den in Art. 49 Ziff. 1 und 3 StGB genannten Voraussetzungen an Stelle des Eingriffs in sein Vermögen das AbverdienenBGE 86 II 71 (76) BGE 86 II 71 (77)durch freie Arbeit oder die Haft treten lässt, und dass es auf die Vollstreckung verzichtet, wenn der Verurteilte stirbt (Art. 48 Ziff. 3 StGB). Das gilt insbesondere auch für Bussen, die auf Grund des Bundesbeschlusses über die Brotgetreideversorgung des Landes ausgefällt werden. Dass der Richter nach Art. 30 dieses Erlasses wie nach gewissen anderen Nebenstrafgesetzen die solidarische Mithaftung der juristischen Personen und der Kollektiv- oder Kommanditgesellschaften für die ihren Organen oder Hilfspersonen auferlegten Bussen aussprechen darf, ändert nichts. Das ist vorgesehen, weil die juristische Person oder Gesellschaft aus der in ihrem Geschäftsbetrieb begangenen Widerhandlung Nutzen gezogen haben kann. Aus dieser Ausnahme lässt sich nicht der Grundsatz ableiten, die Busse sei nicht höchstpersönlicher Natur. Das widerspräche dem Zweck der Strafe.
Aus der zwingenden Ordnung der Art. 48 und 49 StGB und der höchstpersönlichen Natur der Busse ergibt sich, dass diese, vorbehältlich der gesetzlichen Ausnahmen, nicht gültig aus dem Vermögen eines Dritten getilgt werden kann, wie es ja auch nicht angeht, dass ein Dritter eine Freiheitsstrafe an Stelle des Verurteilten verbüsse. Ferner folgt daraus, dass Vereinbarungen zwischen dem Staat und dem Verurteilten oder einem Dritten über die Tilgung der Busse widerrechtlich sind, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich zulässt. Insbesondere ist ausgeschlossen, dass ein Dritter der Pflicht des Verurteilten, die Busse zu zahlen, beitrete, sie mit befreiender Wirkung für den Verurteilten übernehme oder sich für ihre Erfüllung verbürge. Das wird durch die Zulässigkeit der Zollbürgschaft (Art. 67 ff. ZG) nicht widerlegt. Diese beruht auf Ausnahmebestimmungen, die nicht sinngemäss auf andere Fälle angewendet werden dürfen.
Die Widerrechtlichkeit macht die genannten Verträge nichtig. Es ist unerheblich, ob der Vertrag dem Privatrecht unterstehe oder ob er, weil die Busse vom öffentlichen Recht beherrscht ist, öffentlichrechtlicher Natur sei. FürBGE 86 II 71 (77) BGE 86 II 71 (78)das Gebiet des Privatrechts ergibt sich die Nichtigkeit aus Art. 20 Abs. 1 OR. Für das öffentliche Recht folgt sie daraus, dass dieses nicht dulden kann, was seiner zwingenden Ordnung widerspricht; Rechtsgeschäfte öffentlichrechtlicher Natur sind nur möglich und gültig, soweit das Gesetz für sie Raum lässt.
Da die Beklagte sich somit nicht verpflichten konnte, Bussen zu zahlen, die dem Obrist allenfalls in Anwendung des Art. 29 des Bundesbeschlusses über die Brotgetreideversorgung des Landes auferlegt würden, ist die Klage abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.BGE 86 II 71 (78)