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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 29 Abs. 2 OG können in Zivil- und Strafsachen u ...
2. Wegen Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels od ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. September 1961 i.S. H.
 
 
Regeste
 
Entmündigungsverfahren.
 
2. Aufhebung eines Entmündigungsbeschlusses wegen Verletzung der Vorschriften über die vorgängige Anhörung (Art. 374 ZGB). Wird dieser Verfahrensmangel erst vor Bundesgericht gerügt, so liegt darin nicht ein neues Vorbringen, das nach Art. 55 lit. c OG unzulässig wäre.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 87 II 129 (130)Am 12. Januar 1961 stellte der Gemeinderat von Emmen Frau H. gemäss Art. 369 und 370 ZGB unter Vormundschaft. Er stützte sich dabei auf ein Gutachten der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden vom 1. Dezember 1960, das zum Schlusse kam, Frau H. sei eine infantile Psychopathin, die an chronischem Alkoholismus leide.
Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat diesen an ihn weitergezogenen Entscheid am 18. Mai 1961 bestätigt.
Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat der Ehemann der zu Entmündigenden in deren Namen die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Neben ihm hat auch die zu Entmündigende selber die Berufungsschrift unterzeichnet. Darin wird in erster Linie geltend gemacht, die Entmündigung sei ungesetzlich, weil Frau H. im kantonalen Verfahren nie angehört worden sei.
 
Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche darf gemäss Art. 374 Abs. 2 ZGB nur nach Einholung des Gutachtens von Sachverständigen erfolgen, das sich auch über die Zulässigkeit einer vorgängigen Anhörung des zu Entmündigenden auszusprechen hat. Hieraus folgt, dass die Anhörung einer Person, die nach Art. 369 ZGB entmündigt werden soll, ohne vorherige Befragung des Sachverständigen über deren Zulässigkeit nicht verweigert werden darf (BGE 70 II 75).
Nach den vorliegenden Akten ist die Berufungsklägerin gemäss Art. 369 und 370 ZGB entmündigt worden, ohne dass die kantonalen Behörden sie angehört hätten und ohne dass der Sachverständige befragt worden wäre, ob ihre Anhörung zulässig sei. Die kantonalen Instanzen haben sich also bei der Entmündigung der Berufungsklägerin über Art. 374 ZGB (und die in Ausführung dieser Vorschrift erlassenen §§ 48/49 des kantonalen Einführungsgesetzes zum ZGB) hinweggesetzt.
Der Regierungsrat bestreitet dies nicht, macht aber geltend, dieser "Einwand" sei vor ihm nicht erhoben worden und könne daher im Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht gehört werden. Diese Auffassung ist unrichtig. Indem sich die Berufungsklägerin vor Bundesgericht darauf beruft, dass im kantonalen Verfahren die Vorschrift von Art. 374 ZGB ausseracht gelassen worden sei, bringt sie nicht neue Tatsachen oder Einreden vor, was nach Art. 55 lit. c OG unzulässig wäre. VielmehrBGE 87 II 129 (131) BGE 87 II 129 (132)macht sie damit die Verletzung einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift geltend, die vor Bundesgericht unabhängig davon gerügt werden kann, ob schon vor der obern kantonalen Instanz darauf hingewiesen worden sei oder nicht.
Haben die kantonalen Behörden eineEntmündigung unter Verletzung von Art. 374 ZGB angeordnet, so ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass anhand der vorliegenden Akten das Vorhandensein eines Entmündigungsgrundes zu prüfen wäre. Die luzernischen Behörden sind aber immerhin darauf hinzuweisen, dass sie bei der neuen Entscheidung, die auf die gebotene Aktenergänzung folgen muss, BGE 85 II 457 ff. (Erw. 4 und 5, S. 462/63) zu beachten haben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.BGE 87 II 129 (132)