Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Nach Art. 7 h NAG kann ein ausländischer Ehegatte, der in der Schweiz wohnt, eine Scheidungsklage beim Richter seines Wohnsitzes anbringen, wenn er nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat der geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist. Dass letzteres im vorliegenden Falle zutreffe, nimmt die Vorinstanz selber nicht an. Nach einem Bescheid der Justizabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 26. Mai 1958 (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1958 Nr. 39 I) kann denn auch für Ungarn der Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes nicht erbracht werden, da nach einem ungarischen Gesetz vom 28. Dezember 1952 die ungarischen Gerichte für die Scheidung ungarischer Staatsangehöriger ausschliesslich zuständig sind.
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1962 i.S. Eheleute V.
 
 
Regeste
 
Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Scheidung von (ungarischen) Flüchtlingen mit Wohnsitz in der Schweiz.
 
 
BGE 88 II 329 (329)Nach Art. 7 h NAG kann ein ausländischer Ehegatte, der in der Schweiz wohnt, eine Scheidungsklage beim Richter seines Wohnsitzes anbringen, wenn er nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat der geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist. Dass letzteres im vorliegenden Falle zutreffe, nimmt die Vorinstanz selber nicht an. Nach einem Bescheid der Justizabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 26. Mai 1958 (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1958 Nr. 39 I) kann denn auch für Ungarn der Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes nicht erbracht werden, da nach einem ungarischen Gesetz vom 28. Dezember 1952 die ungarischen Gerichte für die Scheidung ungarischer Staatsangehöriger ausschliesslich zuständig sind.
 
Das internationale Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 bestimmt in Art. 12 Abs. 1, die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings richte sich nach dem Gesetz seines Wohnsitzlandes. Nach der bundesrätlichen Botschaft vom 9. Juli 1954 bezieht sich diese Bestimmung auf die personenrechtliche Stellung im weitesten Sinne, insbesondere auch auf die Frage derBGE 88 II 329 (329)
BGE 88 II 329 (330)Ehescheidung (BBl 1954 II S. 75/76). Wenn beide Ehegatten Flüchtlinge im Sinne des Abkommens sind, kann also ein Scheidungsprozess am schweizerischen Wohnsitz des klagenden Ehegatten in Anwendung des schweizerischen Rechts durchgeführt werden, ohne dass nachzuweisen wäre, dass das Heimatrecht den geltend gemachten Scheidungsgrund zulässt und den schweizerischen Gerichtsstand anerkennt (vgl. die eben angeführte Stelle der bundesrätlichen Botschaft und den erwähnten Bescheid der Justizabteilung).
Damit eine Person als Flüchtling im Sinne des Abkommens gelten kann, ist nach dessen Art. 1, von einem hier nicht in Betracht kommenden Falle abgesehen, u.a. erforderlich, dass sie sich "auf Grund von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind", ausserhalb ihres Heimatlandes befindet. Dies trifft für die Parteien nicht zu, da sie erst durch die Ereignisse in Ungarn vom Herbst 1956 zur Flucht bestimmt worden sind. Ob die wegen dieser Ereignisse geflüchteten Ungarn in der Schweiz trotz dem entgegenstehenden Wortlaut von Art. 1 ohne weiteres in jeder Beziehung als Flüchtlinge im Sinne des Abkommens zu gelten haben, wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement dies nach seinen von der Vorinstanz angerufenen, nicht bei den Akten liegenden Schreiben vom 18. Juni und 16. Juli 1957 in Sachen K. anzunehmen scheint, kann dahingestellt bleiben. Zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung müsste nämlich der Klägerin, die als Flüchtling im Gegensatz zu andern im Ausland lebenden Ungarn nicht die Möglichkeit hat, in ihrem Heimatland einen Scheidungsprozess durchzuführen, gestattet werden, an ihrem schweizerischen Wohnsitz gegen den ebenfalls in der Schweiz wohnhaften Ehemann auf Scheidung zu klagen, selbst wenn Art. 12 des Abkommens im vorliegenden Falle formell nicht anwendbar wäre (vgl. ALEXANDER in Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht, Bd. VI, 1949, S. 249 vor Ziff. 2; Bescheid der Justizabteilung an das aargauische Obergericht vom 12. November 1954, SJZ 1954 S. 383/84;BGE 88 II 329 (330) BGE 88 II 329 (331)Bescheide der gleichen Instanz vom 10. Juli 1957 und 10. Juli 1958, Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1957 Nr. 65 Erw. 3, 1958 Nr. 39 II, wo die Möglichkeit, einem Flüchtling einen Notgerichtsstand in der Schweiz zu gewähren, sogar für den Fall erwogen wurde, dass der andere Ehegatte noch im Heimatstaate wohnt, dieser aber dem Flüchtling keinen Rechtsschutz gewährt). Zu prüfen, ob das Heimatrecht wenigstens den geltend gemachten Scheidungsgrund zulasse, ist in einem solchen Falle zwecklos, da schon mangels Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes nicht mit der Anerkennung des Urteils durch den Heimatstaat gerechnet werden kann. (Nach dem ungarischen Gesetz über die Ehe, die Familie und Vormundschaft von 1952/1957 ist im übrigen die Scheidung allgemein "bei Vorliegen eines ernsten und triftigen Grundes" zulässig; vgl. BERGMANN, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 3. Aufl., Bd. V, Abschnitt Ungarn, S. 13). Soweit Art. 12 des Abkommens von 1951 eine Abweichung von Art. 7 h NAG vorsieht, ordnet er also etwas an, was kraft eines ungeschriebenen schweizerischen Rechtssatzes ohnehin gelten muss.BGE 88 II 329 (331)