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Regeste
Sachverhalt
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4. Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von se ...
5. Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass die v ...
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25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Januar 1984 i.S. Grisch gegen Züllig und Mitbeteiligte (Berufung)
 
 
Regeste
 
Notweg (Art. 694 ZGB).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 110 II 125 (125)Andrea und Angelika Grisch sind je zur Hälfte Miteigentümer der Parzelle Nr. 55, Grundbuch Maienfeld, die sie im Jahre 1981 in der Absicht erwarben, darauf ein Haus zu bauen. Die Parzelle ist lediglich über einen Flurweg, der nur für landwirtschaftliche Zwecke benutzt werden darf, zu erreichen. Sie liegt in der zweiten Bauetappe der Stadtgemeinde Maienfeld, über welche eine zeitlich befristete Bausperre verhängt wurde. Der erwähnte Flurweg führt unter anderem über die Parzellen Nrn. 52, 53, 54, 56 und 62, wobei nur die Parzelle Nr. 54 überbaut ist. Die Eheleute Grisch bemühten sich nach dem Kauf ihrer Parzelle vergeblich um die Einräumung eines allgemeinen Fuss- und Fahrwegrechts durch die Eigentümer dieser Parzellen.
BGE 110 II 125 (125)
BGE 110 II 125 (126)Angelika Grisch erteilte daraufhin ihrem Ehemann Vollmacht, ihren Anspruch auf ein Wegrecht gerichtlich durchzusetzen. Dieser erhob am 29. Oktober 1981 Klage auf Einräumung eines genügenden Fuss- und Fahrwegrechts zur Parzelle Nr. 55. Das Bezirksgericht Unterlandquart wies die Klage am 7. Juli 1982 ab. Eine Berufung des Klägers wurde vom Kantonsgericht von Graubünden am 8. März 1983 abgewiesen.
Der Kläger hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts beim Bundesgericht Berufung eingelegt.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
 
4. Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er nach Art. 694 Abs. 1 ZGB beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. Die Gewährung eines Notwegrechts wird angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die Eigentumsrechte der Nachbarn nach ständiger Rechtsprechung von strengen Voraussetzungen abhängig gemacht. Erforderlich ist, dass eine eigentliche Notlage geltend gemacht werden kann (BGE 105 II 180 E. b). Eine solche liegt nur vor, wenn die für die bestimmungsgemässe Nutzung und Bewirtschaftung des notleidenden Grundstücks vorhandene Verbindung zum öffentlichen Strassennetz überhaupt fehlt oder eine solche zwar besteht, aber der freie Zugang oder die freie Zufahrt zu jeder Jahreszeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen schwer beeinträchtigt ist (LIVER, Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, S. 268/69). Geht es um die verkehrsmässige Erschliessung von neu zu überbauendem Land, kann ein Notwegrecht wohl Voraussetzung dafür sein, dass eine Baubewilligung erteilt wird. Das gilt namentlich dann, wenn die Baubehörden von der Bereinigung der Zufahrtswegrechte die Erteilung einer Baubewilligung abhängig machen, die Nachbarn aber zur Einräumung vertraglicher Dienstbarkeiten nicht Hand bieten. Fehlt es jedoch aus öffentlichrechtlichen Gründen - z.B. weil eine Umzonung bevorsteht oder ein Quartierplanverfahren, das eine geordnete Überbauung und Erschliessung gewährleistet, noch nicht durchgeführt wurde - zum vornherein an der Überbaubarkeit auf Jahre hinaus und damit an der Möglichkeit, das Grundstück in absehbarer Zeit anders als bisher zu nutzen, bestehtBGE 110 II 125 (126) BGE 110 II 125 (127)kein Anlass, eine Wegnot anzunehmen und eine solche Parzelle zivilrechtlich sozusagen "auf Vorrat", d.h. ohne jedes aktuelle Interesse, zu erschliessen. Öffentlichrechtliche Vorschriften gehen in solchen Fällen einem zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs vor oder - anders ausgedrückt - sie lassen einen solchen Anspruch geradezu als gegenstandslos erscheinen (vgl. auch BGE 109 Ib 23 /24 und BGE 108 Ib 347 /48). Ebensowenig ginge es an, ein Notwegrecht aus andern als mit der Erschliessung zusammenhängenden Gründen - etwa um eine Wertsteigerung der Parzelle zu bewirken oder ein besseres Tauschobjekt für baureifes Land zu erhalten - zu verlangen und zu gewähren. Ein solches Recht auf Kosten der Nachbarn hätte dann nicht mehr zum Zweck, der rationellen Bewirtschaftung eines Grundstücks durch Anschluss an eine öffentliche Strasse zu dienen. Von einer Notlage im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 694 ZGB könnte dann nicht gesprochen werden, jedenfalls so lange nicht, als das Grundstück für die gegenwärtige Nutzung genügend erschlossen ist.
Nun befindet sich aber die Parzelle der Eheleute Grisch nach den für das Bundesgericht verbindlichen und auch nicht bestrittenen Feststellungen des Kantonsgerichts in der zweiten Bauetappe der Stadtgemeinde Maienfeld. Diese ist mit einer zeitlich beschränkten Bausperre belegt. Was nach Ablauf der bis zum 20. Juni 1983 verlängerten Frist mit den Grundstücken der zweiten Bauetappe geschieht, ist zurzeit ungewiss. Nach den Darlegungen im angefochtenen Urteil stehen zur Diskussion eine Einteilung von Parzellen der zweiten Bauetappe in eine dritte Bauetappe oder eineBGE 110 II 125 (127) BGE 110 II 125 (128)vollständige Auszonung von Teilen der zweiten Bauetappe aus der Bauzone. Aufgrund des Baugesetzes der Stadtgemeinde Maienfeld werden nach Aufhebung der zeitlich befristeten Bausperre Baubewilligungen für Bauvorhaben in der zweiten Etappe nur erteilt, wenn genehmigte Quartierpläne vorliegen und die Erschliessung nach diesen Plänen erfolgt ist. Nach der verbindlichen, auf eine Zeugenaussage gestützten Feststellung der Vorinstanz besteht nicht die Absicht, in absehbarer Zeit für das Gebiet, in welchem sich die Parzelle der Eheleute Grisch befindet, einen Quartierplan zu erlassen.
Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass der Kläger und seine Ehefrau nicht damit rechnen können, ihre Parzelle in absehbarer Zeit zu überbauen. Ihre Parzelle ist im Hinblick auf die von der Gemeinde zu gewährleistende, im öffentlichen Interesse liegende geordnete Besiedelung und Erschliessung nicht baureif. Daran vermöchte angesichts der zahlreichen Hindernisse, die einer solchen Überbauungsabsicht aus öffentlichem Recht entgegenstehen, auch die Einräumung eines Notwegrechtes über den Flurweg nichts zu ändern. Wie die Vorinstanz mit Recht ausgeführt hat, fehlt es unter den gegebenen Umständen an einem aktuellen Interesse an der Ausweitung des bestehenden landwirtschaftlichen Wegrechts zu einem allgemeinen Fuss- und Fahrwegrecht. Es fehlt damit insbesondere auch an einer Notlage, deren Behebung eine rationelle Nutzung und Bewirtschaftung des Grundstücks ermöglichen würde. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie den Notweganspruch des Klägers verneint hat.BGE 110 II 125 (128)