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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. a) Die Beschwerdeführer rügen eine falsche Anwendung ...
2. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat sich im angefochtenen E ...
3. Die Beschwerdeführer wenden ein, mit dem angefochtenen En ...
4. Die Vorbringen der Beschwerdeführer laufen somit im wesen ...
5. Der Vormund darf, auch wenn beiden Eltern durch das Scheidungs ...
6. Nach der Ansicht der Vorinstanz ist nicht daran zu zweifeln, d ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1986 i.S. E.L., Y.S. und Vormundschaftskommission der Stadt Bern gegen U.L. und Regierungsrat des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 68 OG; Art. 315 Abs. 1, 315a Abs. 3, 367 und 405 ZGB.
 
2. Der Vormund darf, auch wenn beiden Eltern durch das Scheidungsurteil die elterliche Gewalt entzogen wurde, sicher dann die Kinder einem der Elternteile zur Pflege und Erziehung auf Zusehen hin überlassen, wenn sich die Verhältnisse bei den Eltern nachträglich in einer Weise geändert haben, dass der Unterbringung beim Vater oder bei der Mutter in einem Zeitpunkt, wo sich die Frage der Obhut aus nicht in der Person der Eltern liegenden Gründen neu stellt, aus der Sicht des Kindeswohls keine schwerwiegenden Hindernisse entgegenstehen. Die Zustimmung des Scheidungsrichters ist nicht erforderlich (E. 5).
 
3. Im vorliegenden Fall wird durch die Unterbringung der Kinder bei der Mutter der Vater in seiner rechtlichen Stellung nicht unmittelbar betroffen (E. 6).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 112 II 16 (17)A.- Die beiden Knaben wurden bei der Grossmutter mütterlicherseits und hernach bei zwei weiteren Verwandten der Mutter untergebracht. Anfang 1984 teilte der Vormund dem Vater L. mit, er beabsichtige, die Söhne in die Obhut der Mutter zu geben. Hiegegen beschwerte sich L. bei der Vormundschaftskommission der Stadt Bern, welche die Beschwerde abwies.
Eine gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde des L. hiess der Regierungsstatthalter des Kantons Bern gut, was die Mutter L., den Amtsvormund sowie die Vormundschaftskommission der Stadt Bern zur Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Bern veranlasste. Dieser wies die Beschwerden am 22. Mai 1985 ab.
B.- Frau L., der Amtsvormund und die Vormundschaftskommission der Stadt Bern reichten beim Bundesgericht Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern ein. Sie verlangten die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Streitsache zu neuer Entscheidung an den Regierungsrat.BGE 112 II 16 (17)
BGE 112 II 16 (18)Das Bundesgericht trat auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Vormundschaftskommission der Stadt Bern nicht ein, hiess aber die Nichtigkeitsbeschwerde der Frau L. und des Amtsvormundes gut mit folgenden
 
b) Der Regierungsrat des Kantons Bern spricht der Vormundschaftskommission der Stadt Bern die Legitimation im vorliegenden Verfahren ab; denn sie sei nicht als Partei, sondern als Rechtsmittelinstanz im kantonalen Verfahren in Erscheinung getreten. Vor dem Regierungsrat sei die Vormundschaftskommission nur durch die Kostenauflage berührt gewesen und habe in diesem Rahmen Parteirechte beanspruchen können. Vor Bundesgericht jedoch komme ihr keine Parteistellung zu.
In der Tat hat die Vormundschaftskommission der Stadt Bern am 6. April 1984 über eine Beschwerde des Vaters L. entschieden, der sich damit gegen die Unterbringung seiner Söhne wandte. Die Vormundschaftskommission hat somit als Beschwerdeinstanz entschieden. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung (BGE 109 Ib 79, mit Hinweisen), welche die Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht nur bejaht, wenn die Vormundschaftsbehörde nach kantonalem Recht als antragstellende Partei und nicht als in erster Instanz verfügende Behörde aufgetreten ist, muss daher im vorliegenden Fall der Vormundschaftskommission der Stadt Bern die Legitimation versagt bleiben. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der Frage der Parteistellung der Vormundschaftskommission im Verfahren vor dem Regierungsrat des Kantons Bern keine besondere Beachtung geschenkt wordenBGE 112 II 16 (18) BGE 112 II 16 (19)ist. Ebensowenig spielt es eine Rolle, dass ihr in jenem Verfahren Kosten auferlegt wurden; denn diese Kosten bilden nicht Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht.
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach insoweit nicht einzutreten, als sie von der Vormundschaftskommission der Stadt Bern erhoben worden ist.
2. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat sich im angefochtenen Entscheid die Auffassung des Regierungsstatthalters von Bern zu eigen gemacht, dass - ungeachtet des nach wie vor gültigen Entzugs der elterlichen Gewalt - durch die Unterbringung der Knaben bei deren Mutter die Stellung des Vaters L. unmittelbar berührt werde. Werde aber der andere Elternteil unmittelbar berührt, so verbiete Art. 315a Abs. 3 ZGB einen Eingriff in die grundsätzliche Zuständigkeit des Zivilrichters dadurch, dass die vormundschaftlichen Behörden die von jenem getroffenen Kindesschutzmassnahmen ändern. Der Regierungsrat räumt zwar ein, dass die Unterbringung der Kinder bei der Mutter nicht schon als solche die Rechtsstellung des Vaters verändere; denn die Verantwortung für Pflege und Erziehung liege nach wie vor ausschliesslich beim Vormund, und das Besuchsrecht des Vaters bleibe ungeschmälert. Indessen sei nicht zu übersehen, dass wegen des gespannten Verhältnisses zwischen den Eltern dem Vater die Ausübung des Besuchsrechts faktisch erschwert werde von dem Augenblick an, wo die Knaben bei der Mutter untergebracht sind. Anderseits gewinne der Anspruch der Mutter auf persönlichen Verkehr, den der Scheidungsrichter festgelegt habe, durch den Plazierungsentscheid. Auch wirke sich die Unterbringung der Kinder bei der Mutter präjudizierend auf eine allfällige Abänderung des Scheidungsurteils aus. Neben der erheblichen tatsächlichen Veränderung, hat die Vorinstanz weiter ausgeführt, beeinflusse die Plazierung der Kinder bei der Mutter deren rechtliche Stellung hinsichtlich der Vertretungsbefugnis des Vormundes unmittelbar. Zwar könne nicht generell gesagt werden, die Unterbringung von Kindern, deren Eltern der Scheidungsrichter die elterliche Gewalt entzogen hat, bei einem Elternteil berühre die Stellung des anderen Elternteils. Im vorliegenden Fall aber habe der Regierungsstatthalter die faktische und rechtliche Stellung des Vaters als unmittelbar berührt betrachtet und mit sachlich vernünftigen Überlegungen seinen Entscheid begründet. Er habe die Beschwerde des Vaters gutgeheissen, ohne das Gesetz zu verletzen oder sein Ermessen zu missbrauchen.BGE 112 II 16 (19)
BGE 112 II 16 (20)3. Die Beschwerdeführer wenden ein, mit dem angefochtenen Entscheid übersehe der Regierungsrat des Kantons Bern, dass nicht die vormundschaftliche Behörde die Unterbringung der Kinder bei ihrer Mutter angeordnet habe, sondern der Vormund. Damit werde in unzulässiger Weise ein Sachverhalt unter Art. 315a ZGB subsumiert, werde doch durch diese Bestimmung die Kompetenz des Richters auf der einen Seite und der vormundschaftlichen Behörden auf der anderen Seite zum Erlass von Kindesschutzmassnahmen abgegrenzt. Demgegenüber finde auf die Plazierung, die der Vormund hier angeordnet habe, Art. 405 ZGB Anwendung, welcher es dem Vormund zur Pflicht mache, für Unterhalt und Erziehung des unmündigen Bevormundeten das Angemessene anzuordnen. Unter Vorbehalt der Mitwirkung der vormundschaftlichen Behörden stünden dem Vormund zu diesem Zwecke die gleichen Rechte zu wie den Eltern. Doch selbst wenn Art. 315a ZGB auf den vorliegenden Fall grundsätzlich Anwendung finden sollte, bringen die Beschwerdeführer sodann vor, könne nicht von einer Abänderung der durch den Scheidungsrichter getroffenen Kindesschutzmassnahmen gesprochen werden, durch welche die Stellung des anderen Elternteils unmittelbar berührt werde.
Daran ist soviel richtig, dass in der Unterbringung der Kinder der Vollzug einer vom Scheidungsrichter angeordneten Kindesschutzmassnahme - nämlich der Entziehung der elterlichen Gewalt und der dadurch notwendig gewordenen Bevormundung - zu erblicken ist. So gesehen, findet die Anordnung des Vormundes ihre Stütze nur mittelbar in Art. 315 Abs. 1 ZGB und unmittelbar in den Art. 367 und 405 ZGB. Die Unterbringung der Kinder bei einer dafür geeigneten Pflegefamilie wird an sich denn auch von keiner Seite als eine Kindesschutzmassnahme bezeichnet, durch welche die vom Richter getroffenen Kindesschutzmassnahmen (im Sinne von Art. 315a Abs. 3 ZGB) abgeändert würden.
Es geht somit nicht um einen Konflikt zwischen den vom Richter angeordneten Kindesschutzmassnahmen und diesen allenfalls widersprechenden Anordnungen der Vormundschaftsbehörde. Vielmehr spitzt sich die hier zu beurteilende Streitsache auf dieBGE 112 II 16 (20) BGE 112 II 16 (21)Frage zu, ob beim Vollzug der vom Richter getroffenen Kindesschutzmassnahmen gewisse Grenzen zu beachten seien. Eine solche Grenze sieht der Vater darin, dass ihm die Unterbringung der Knaben bei deren Mutter unzulässig erscheint angesichts der Tatsache, dass der Scheidungsrichter beiden Elternteilen die elterliche Gewalt über die Kinder entzogen hat. Sollte der Scheidungsrichter mit seiner Kindesschutzmassnahme solche Grenzen gesetzt haben und sollten diese vom Vormund mit Billigung der Vormundschaftsbehörde nicht beachtet worden sein, so mag sich allerdings die Frage stellen, ob die Anordnung des Vormundes im Ergebnis einer Abänderung der vom Scheidungsrichter getroffenen Kindesschutzmassnahme gleichkomme und daher von Art. 315a Abs. 3 ZGB erfasst werde.
Diese Auffassung scheint auch der Regierungsrat des Kantons Bern zu teilen. Er ist jedoch der Meinung, die Übertragung der Obhut über die Kinder bedürfe in jedem Fall der Zustimmung des Scheidungsrichters, welcher den Entzug der elterlichen Gewalt und die Bevormundung angeordnet hat. Wie die Materialien zum revidierten Kindesrecht zeigen, hat aber der Gesetzgeber neben die Befugnisse des Scheidungsrichters in Art. 315a Abs. 3 ZGB auch jene der vormundschaftlichen Behörden gestellt, damit VeränderungenBGE 112 II 16 (21) BGE 112 II 16 (22)der Verhältnisse ohne Komplikationen und vor allem ohne Zeitaufschub Rechnung getragen werden kann (BBl 1974 II, S. 86 f.). Dies soll nicht nur in dem vom Gesetzgeber insbesondere ins Auge gefassten Fall möglich sein, wo zum Schutze des Kindes sofort (stärkere) vorsorgliche Massnahmen zu ergreifen sind, sondern auch in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Änderung der Verhältnisse bei einem Elternteil es rechtfertigen mag, die vom Scheidungsrichter getroffene Kindesschutzmassnahme zu lockern. Solche Anpassung an die veränderten Verhältnisse steht nur unter dem Vorbehalt - wie Art. 315a Abs. 3 ZGB unmissverständlich festhält -, dass dadurch die Stellung des anderen Elternteils nicht unmittelbar berührt wird.
Der Regierungsrat des Kantons Bern verkennt indessen die Bedeutung von Art. 315a Abs. 3 ZGB, wenn er die Stellung des anderen Elternteils schon deshalb als unmittelbar berührt betrachtet, weil das Besuchsrecht des Vaters gegenüber der geschiedenen Frau möglicherweise nicht mehr so reibungslos ausgeübt werden kann wie gegenüber Dritten, bei denen die Kinder untergebracht sind. Viel weniger noch lässt sich die Behauptung, der andere Elternteil sei unmittelbar berührt, mit dem Vorbringen aufstellen, die Tatsache der mütterlichen Obhut wirke sich präjudizierend auf ein späteres Abänderungsurteil aus. Der Gesetzgeber spricht ausdrücklich von unmittelbaren Auswirkungen auf die Stellung des anderen Elternteils. Das träfe gewiss zu, wenn - unter Ausschluss des anderen Elternteils - die elterliche Gewalt des einen Elternteils wiederhergestellt oder wenn das Besuchsrecht geändert würde (vgl. die Beispiele unmittelbarer Betroffenheit im Kommentar BÜHLER/SPÜHLER, N. 29 zu Art. 157 ZGB). Im vorliegenden Fall jedoch, wo es um die Unterbringung der Kinder bei der Mutter geht, welcher die elterliche Gewalt entzogen worden ist, kann nicht die Rede davon sein, dass der Vater in seiner rechtlichen Stellung durch diese Anordnung unmittelbar betroffen wäre.BGE 112 II 16 (22)