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Zitiert durch:
BGE 116 II 525 - Quorum bei Kapitalerhöhung
BGE 116 Ia 359 - Theresa Rohner


Zitiert selbst:
BGE 108 V 235 - Psychotherapiekosten
BGE 108 Ib 392 - Kompetenzklage des Bundes


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Art. 161 ZGB bestimmt, dass die Ehefrau das Bürgerrecht d ...
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine ...
4. Dass im Zusammenhang mit der Revision des Eherechts auch Art.  ...
5. Auch die Lehre hat sich schon verschiedentlich mit der Auslegu ...
6. Der Entstehungsgeschichte von Art. 161 ZGB lässt sich nic ...
7. Die Auslegung von Art. 161 ZGB nach Sinn und Zweck, welche auc ...
8. Im vorliegenden Fall war die Beschwerdeführerin urspr&uum ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server
 
78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. November 1988 i.S. A. gegen Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Bürgerrecht der verheirateten Frau; Art. 161 ZGB und Art. 8b SchlT ZGB.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 114 II 404 (404)A.- M. A. erwarb nach Auflösung ihrer ersten Ehe durch Einbürgerung das Bürgerrecht der Gemeinde Riehen BS. Am 6. Mai 1988 ging sie mit R. B., Bürger von Rapperswil BE, eine zweite Ehe ein. In der Rubrik "Heimatorte der Frau nach der Eheschliessung" im Eheregister vermerkte der zuständige Zivilstandsbeamte nur den Heimatort des Mannes, ohne auch das von der Ehefrau erworbene Bürgerrecht der Gemeinde Riehen aufzuführen.
B.- Dagegen erhob M. A. beim Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt Beschwerde. Sie verlangte, dass ihr gestattetBGE 114 II 404 (404) BGE 114 II 404 (405)werde, nach ihrer zweiten Heirat das nach Auflösung der ersten Ehe durch Einbürgerung erworbene Bürgerrecht beizubehalten.
Das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt wies die Beschwerde mit Entscheid vom 15. Juni 1988 ab.
C.- Mit Eingabe vom 12. Juli 1988 erklärte M. A. "Einspruch" gegen diesen Entscheid. Sie vertrat nach wie vor die Auffassung, dass ihr das Bürgerrecht der Gemeinde Riehen nach ihrer Wiederverheiratung zustehen sollte.
Das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt beantragt, die Beschwerde abzuweisen und den angefochtenen Entscheid zu bestätigen.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verzichtet in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde auf einen ausdrücklichen Antrag.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.
 
a) Das kantonale Justizdepartement ist der Ansicht, dass der Wortlaut von Art. 161 ZGB klar und eindeutig sei und somit keinen Spielraum für eine Interpretation zulasse. Die Ehefrau könne entsprechend diesem Wortlaut nur das Bürgerrecht behalten, das sie als ledig, d.h. vor ihrer ersten Heirat, besessen habe.
BGE 114 II 404 (405) BGE 114 II 404 (406)Das Justizdepartement gibt zwar zu, dass diese Auffassung, die mit jener des Zivilstandsamtes übereinstimmt, zu teilweise unbefriedigenden Konsequenzen führe, weil danach eine Frau, die ihr Bürgerrecht nach Auflösung einer ersten Ehe willentlich durch Einbürgerung erworben hat, dieses bei Eingehung einer weiteren Ehe verliert, während sie ihr "angestammtes" Bürgerrecht, zu dem sie möglicherweise keine oder weniger enge Beziehungen hat, behält bzw. wieder annehmen muss. Diese unter Umständen widersinnige Folge des neuen Rechts muss nach Auffassung der Vorinstanz aber aufgrund des unzweideutigen und daher nicht auslegungsbedürftigen Gesetzestextes in Kauf genommen werden.
b) Dem kantonalen Justizdepartement ist beizupflichten, dass der Wortlaut von Art. 161 ZGB mit dem Ausdruck "das Bürgerrecht, das sie als ledig hatte", auf das Bürgerrecht hinweist, das die Frau vor Eingehen ihrer ersten Ehe besessen hat. Da dieses enge Verständnis des Art. 161 ZGB sowie des Art. 8b SchlT ZGB der Auffassung des Bundesrates und des Eidgenössischen Zivilstandswesens entsprach, fand es Eingang in die Verordnung über die Zivilstandsformulare vom 29. August 1987 und seinen Niederschlag im Formular der Zivilstandsämter betreffend Eheverkündigung (Verkündakt). Nach diesem Formular ist abzuklären, ob die bereits verheiratet gewesene Verlobte schon als ledig Bürgerin einer Gemeinde des Zivilstandskreises war. Die Auffassung des kantonalen Justizdepartementes stimmt somit mit der Betrachtungsweise des Bundesrates überein.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Gesetzesbestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen (BGE 110 Ib 61 E. b, BGE 108 V 240 E. b und BGE 105 II 138 E. a mit Hinweis). An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde grundsätzlich gebunden. Indessen gilt dieser Grundsatz nicht unbeschränkt, da es möglich ist, dass der Wortlaut einer Norm nicht ihren wirklichen Sinn wiedergibt (BGE 103 Ia 117 mit Hinweisen). Eine Interpretation gegen den Wortlaut einer Bestimmung muss demnach zulässig sein, wenn auch nur in Ausnahmefällen (BGE 108 Ib 401). Bei der Auslegung einer zivilrechtlichen Norm, wozu Art. 161 ZGB in formeller Hinsicht gehört, auch wenn er materiell öffentliches Bundesrecht enthält, ist zudem Art. 1 Abs. 1 ZGB zu beachten. Diese Bestimmung sieht vor, dass durch Auslegung aus dem Gesetz eine Regel abgeleitet werden darf, die über den Wortlaut hinausgeht (BGE 108 Ib 401). Scheinen demnach die Folgen der Anwendung einerBGE 114 II 404 (406) BGE 114 II 404 (407)Norm der Absicht des Gesetzgebers nicht zu entsprechen oder ist eine Bestimmung trotz ihres scheinbar klaren Wortlauts unklar, so ist nach dem wahren Sinn und Zweck der Norm zu suchen. Dieser wird sich in erster Linie aus der Entstehungsgeschichte und dem Willen des Gesetzgebers ergeben. Vermögen indessen die Gesetzesmaterialien hierüber keinen hinreichenden Aufschluss zu erteilen, hat der Richter die wahre Tragweite der Norm zu ermitteln, wie sie sich aus dem Zusammenhang mit andern Gesetzesbestimmungen oder aus den dem Gesetzestext zugrundeliegenden Wertungen ergibt (BGE 101 Ia 207, BGE 104 II 14 und 52, BGE 105 II 138 E. a und BGE 108 V 240).
Das Parlament war sich bei den Beratungen zum geltenden Art. 161 ZGB bewusst, dass es vorerst einmal zwischen der Gleichstellung der Ehegatten im Bürgerrecht und dem Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie zu entscheiden galt. Jenen Kreisen, die eine vollständige Gleichstellung der Ehegatten in dem Sinne anstrebten, dass jeder Gatte sein bzw. seine bisherigen Bürgerrechte behält, musste bei Beginn der parlamentarischen Beratungen die Verfassungsvorschrift von Art. 54 Abs. 4 BV entgegengehalten werden. Sie bestimmte, dass die Frau durch den Abschluss der Ehe das Heimatrecht des Mannes erwirbt. Lehre und Rechtsprechung hatten aus dieser Verfassungsnorm gleichzeitig abgeleitet, dass die Schweizerin, die einen Schweizer heiratete, ihr bisheriges Bürgerrecht verlor (BGE 108 Ib 402). Nachdem Art. 54 Abs. 4 BV am 4. Dezember 1983 aufgehoben worden war, wollte das Parlament auf den Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie nicht mehr zurückkommen. Es sollte dabei bleiben, dass für die verheiratete Frau hinsichtlich ihrer bisherigen Bürgerrechte eine Sonderregelung zu treffen sei, mindestens bis aufgrundBGE 114 II 404 (407) BGE 114 II 404 (408)des neuen Verfassungsrechts die Bürgerrechtsgesetzgebung einer Überprüfung unterzogen werde (vgl. Amtl.Bull. NR 1983 S. 641 f.: Votum Petitpierre).
Der Ständerat hatte vorerst beschlossen, der Ehefrau neben dem durch die Ehe erworbenen die bisherigen Bürgerrechte zu belassen (Amtl.Bull. StR 1981 S. 71). Diese Lösung hätte jedoch zu einer Anhäufung von Bürgerrechten geführt, wenn eine Frau mehrere Ehen eingeht, was verhindert werden wollte. Eine Minderheit der vorberatenden Kommission des Nationalrates folgte daher dem Vorschlag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, die Frau solle nur jene Bürgerrechte behalten können, die sie als ledig besass. Ein Antrag, der klargestellt hätte, dass die durch Einbürgerung erworbenen Bürgerrechte beibehalten werden, wurde von der nationalrätlichen Kommission nicht weiter verfolgt, weil sie der Meinung war, eine solche Klarstellung sei wegen der Verschiedenartigkeit der Sachverhalte kaum möglich; zudem könnten wegen der bevorstehenden Revision des Bürgerrechtsgesetzes nur vorübergehende Lösungen getroffen werden (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 18 zu Art. 161 ZGB). Der Nationalrat schloss sich dem Minderheitsantrag seiner vorberatenden Kommission an. Es wurde argumentiert, dieser Antrag habe gegenüber dem Beschluss des Ständerates den Vorteil, dass eine Frau, die sich mehrmals verheirate, nicht Bürgerrechte kumulieren könne, weil die Formulierung "ledig" das verhindere. Nationalrat Petitpierre brachte indessen in seinen Erläuterungen des nationalrätlichen Kommissionsantrags im Hinblick auf die zukünftige Auslegung der Bestimmung eine Präzisierung an. Er wies darauf hin, dass der Begriff "ledig" in weitem Sinne auszulegen sei und auch ein Bürgerrecht, welches die Frau durch Einbürgerung während einer früheren Ehe erworben habe, dazu gehören müsse. Schliesslich übernahm auch der Ständerat die vom Nationalrat beschlossene Formulierung, was zum heutigen Gesetzestext führte (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 4-7 zu Art. 161 ZGB), und dies trotz der inzwischen erfolgten Aufhebung von Art. 54 Abs. 4 BV.
5. Auch die Lehre hat sich schon verschiedentlich mit der Auslegung des neuen Art. 161 ZGB auseinandergesetzt. Doch stehen sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen gegenüber. HAUSHEER/REUSSER/GEISER (N. 19 zu Art. 161 ZGB und N. 20 zu Art. 8b SchlT ZGB), GEISER (Der Name und das Bürgerrecht im neuen Eherecht, VSIV Bd. 26, S. 105) und DESCHENAUX/STEINAUERBGE 114 II 404 (408) BGE 114 II 404 (409)(Le nouveau droit matrimonial, S. 48) sind der Auffassung, Art. 161 ZGB sei in dem Sinne auszulegen, dass die Frau mit der Trauung auch jene Bürgerrechte behalte, die sie zwar noch nicht besass, als sie die erste Ehe einging, die aber an die Stelle jenes Bürgerrechts getreten sind, das sie als ledig hatte. Sie behält somit nach dieser Lehrmeinung auch jenes Bürgerrecht, das sie nach einer ersten Heirat durch Einbürgerung erworben hat, sofern sie wegen dieser Einbürgerung alle ihre Bürgerrechte, die sie als ledig besass, verloren oder darauf verzichtet hat.
Demgegenüber geht HEGNAUER (Grundriss des Eherechts, 2. Aufl., S. 139 f.) in der Auslegung des Art. 161 ZGB einen Schritt weiter. Er unterscheidet zwischen Stamm- und Zusatzbürgerrechten. Das Stammbürgerrecht hat die Frau als ledig besessen und behält es auch bei Zivilstandsänderungen, während sie das Zusatzbürgerrecht mit der Heirat erwirbt und bei einer späteren Ehe wieder verliert. Das Bürgerrecht, welches die Frau durch Einbürgerung, sei es mit ihrem Ehemann zusammen oder sei es als Witwe oder geschiedene Frau, allein erworben hat, gehört nach dieser Auffassung zum Stammbürgerrecht, das sie bei einer späteren Ehe nicht mehr verliert (HEGNAUER, a.a.O., S. 140; derselbe, Das Kantons- und Gemeindebürgerrecht der Ehefrau im neuen Eherecht, ZBl 88/1987 S. 251 f.).
Das Bundesgericht hat beim Entscheid, welche Auslegung dem Sinn und Zweck von Art. 161 ZGB am besten entspreche, die dargelegten gesetzgeberischen Bestrebungen zu berücksichtigen. Dies führt zum Schluss, dass der Frau bei der Heirat nicht nur jene Bürgerrechte, die sie vor ihrer ersten Ehe besass, sondern auch jene, die sie in unverheiratetem Zustand, d.h. als Witwe oder als geschiedene Frau, durch Einbürgerung erworben hat, zu belassen sind. Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, was bei einer späteren Heirat mit Bürgerrechten geschehen soll, welche die Frau während einer früheren Ehe durch Einbürgerung, sei es zusammen mit ihrem Ehemann, sei es allein, erworben hat. Solche Bürgerrechte können nämlich an die Stelle aller bisherigen Bürgerrechte treten, sofern mit der Einbürgerung ein freiwilliger Verzicht auf die vorhandenen Bürgerrechte oder aber von Gesetzes wegen ein entsprechender Verlust verbunden ist. Bei einer Wiederverheiratung besteht somit kein Bürgerrecht mehr, das die Braut als unverheiratete Frau erworben hätte. Es kann nun aber nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen, dass die Frau bei einer Wiederverheiratung ein solches Bürgerrecht verlieren würde, das an die Stelle des Ledigenbürgerrechts im dargelegten Sinn getreten ist (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 19 zu Art. 161 ZGB; GEISER, a.a.O., S. 105).
Schliesslich bleibt noch die in der Lehre umstrittene Frage zu beantworten, ob der Frau gestützt auf Art. 161 ZGB Bürgerrechte bei der Heirat zu belassen sind, die sie durch Einbürgerung während einer früheren Ehe erworben hat, ohne dass diese Bürgerrechte ersetzen, die sie als unverheiratete Frau besass. Sie wird - wie dargelegt - von HEGNAUER (a.a.O., S. 140) bejaht, von HAUSHEER/REUSSER/GEISER (N. 19 zu Art. 161 ZGB), GEISER (a.a.O., S. 105) und DESCHENAUX/STEINAUER (a.a.O., S. 48) hingegen verneint. Hier ist in Betracht zu ziehen, dass ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Revision darin bestanden hat, eine Anhäufung von Bürgerrechten der Frau, die in früheren Ehen erworben wurden, zu vermeiden. Die Auffassung von HEGNAUER hätte indessen zur Folge, dass die Frau Bürgerrechte, die ihr während bestehender Ehe durch Einbürgerung zufallen, ohne dass sie selber die Voraussetzungen hiefür erfüllt hätte, gestützt auf Art. 161 ZGB behalten könnte. Es spräche zwar einiges dafür, der Ehefrau jene Bürgerrechte zu belassen, die sie während der Ehe aus eigenem Recht bzw. selbständig durch Einbürgerung erworbenBGE 114 II 404 (410) BGE 114 II 404 (411)hat. Dies aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und weil hier die Ehe als solche in den Hintergrund tritt (siehe auch den Entscheid der Waadtländer Zivilstandsbehörde in Zeitschrift für das Zivilstandswesen 1988 S. 174). Eine solche Lösung hat aber nicht nur den Wortlaut des Gesetzes gegen sich, sondern liesse sich in der Praxis auch kaum verwirklichen; denn nachträglich liesse sich oft nicht mehr feststellen, ob eine Einbürgerung der Frau während der Ehe aus eigenem Recht erfolgte oder nur, weil der Ehemann allein die entsprechenden Voraussetzungen erfüllte. Auch wäre es für den Zivilstandsbeamten unzumutbar, bei einer Wiederverheiratung der Frau die erforderliche Abklärung vorzunehmen. Diese Überlegungen führen dazu, einen Anspruch der Frau auf Beibehaltung ihrer während einer früheren Ehe durch Einbürgerung gewonnenen Bürgerrechte, die nicht ein Ledigenbürgerrecht ersetzten, zu verneinen.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unter diesen Umständen gutzuheissen und der angefochtene Entscheid des kantonalen Justizdepartementes aufzuheben. Im Eheregister sind die beiden Bürgerrechte der Beschwerdeführerin, nämlich dasjenige von Rapperswil BE und dasjenige von Riehen BS, aufzuführen.BGE 114 II 404 (412)