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BGE 130 II 377 - Ausschaffungshaft nach Nothilfegesuch
BGE 130 II 56 - Ausschaffungshaft als Beugehaft


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen
Erwägung 2
Erwägung 3
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Migrationsdienst des Kantons Bern und Haftgericht III Bern-Mittelland (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
2A.224/2002 vom 11. Juni 2002
 
 
Regeste
 
Art. 13c Abs. 4 ANAG; Frist für die Behandlung eines Haftentlassungsgesuchs bei der Ausschaffungshaft.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 128 II 241 (241)Der albanische Staatsangehörige A. reiste anfangs November 2001 illegal in die Schweiz ein. Am 13. November 2001 wurde er polizeilich angehalten, und er stellte in der Folge ein Asylgesuch. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2001 lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge das Gesuch ab und wies A. aus der Schweiz weg. Tags darauf verschwand dieser mit unbekanntem Ziel.
Am 31. Januar 2002 wurde A. festgenommen und dem Migrationsdienst des Kantons Bern zwecks Ausschaffung zugeführt. Dieser nahm ihn noch am gleichen Tag in Ausschaffungshaft. Am 4. Februar 2002 (mit schriftlicher Begründung vom 5. Februar 2002) prüfte und bestätigte die Haftrichterin 2 am Haftgericht III Bern-Mittelland die Haft.
BGE 128 II 241 (241)
BGE 128 II 241 (242)Am 3. April 2002 ging beim Haftgericht III Bern-Mittelland ein mit 27.05.02 (richtig wohl: 27. März 2002) datiertes handschriftliches Schreiben von A. in albanischer Sprache ein. Mit Verfügung vom 3. April 2002 nahm die Haftrichterin von der Eingabe als Haftentlassungsgesuch Kenntnis, gewährte A. antragsgemäss einen amtlichen Anwalt und setzte die haftrichterliche Verhandlung auf den 25. April 2002 fest. Mit seiner Vernehmlassung vom 9. April 2002 zum Haftentlassungsgesuch beantragte der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei des Kantons Bern die Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate. Die Haftrichterin legte in der Folge die beiden Verfahren zusammen. Mit Entscheid vom 25. April 2002, schriftlich begründet am 1. Mai 2002, wies sie das Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Ausschaffungshaft um drei Monate bis zum 30. Juli 2002.
Mit handschriftlicher Eingabe vom 5. Mai 2002 in albanischer Sprache, worin er sich zu seiner Situation und seiner Haft äussert, wandte sich A. an das Bundesgericht. Der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts eröffnete daraufhin ein Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Haftgericht III Bern-Mittelland und der Migrationsdienst des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. A. nahm die Gelegenheit nicht wahr, sich nochmals zur Sache zu äussern.
Mit Verfügung vom 28. Mai 2002 ersuchte das Bundesgericht die Haftrichterin um einen Amtsbericht darüber, weshalb über das Haftentlassungsgesuch nicht innerhalb der Frist von acht Arbeitstagen aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden worden sei. A. erhielt Gelegenheit, sich zum Amtsbericht zu äussern, welche er freilich nicht wahr nahm.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
 
 
Erwägung 2
 
2.1 Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen, sofern die Voraussetzungen von Art. 13b des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61; BGE 122 II 148 ff.), dessen Vollzug (z.B. wegenBGE 128 II 241 (242) BGE 128 II 241 (243)fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 2a S. 379). Nach Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG kann Ausschaffungshaft insbesondere verfügt werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich der Ausländer der Ausschaffung entziehen will (Gefahr des Untertauchens). Das trifft namentlich zu, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht ist, behördlichen Anordnungen keine Folge leistet, durch erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der Behörden erschwert oder sonst wie klar zu erkennen gibt, keinesfalls in sein Herkunftsland zurückkehren zu wollen (BGE 125 II 369 E. 3b/aa S. 375). Im Übrigen haben die Behörden die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen (so genanntes Beschleunigungsgebot; Art. 13b Abs. 3 ANAG; vgl. BGE 124 II 49).
 
Erwägung 3
 
3.4 Zunächst fragt es sich, ob das offenbar am 27. März 2002 abgefasste Schreiben des Beschwerdeführers überhaupt ein Haftentlassungsgesuch darstellt. Die Eingabe ist in ihrer deutschsprachigen Übersetzung als "Haftentlassungsgesuch" überschrieben. Der anschliessende Text ist zum Teil unklar. Einerseits liegt das Schwergewicht auf dem Wunsch um Beigabe eines amtlichen Anwalts. Verlangt wird der Anwalt für einen vom Gericht noch anzusetzenden Termin, den der Beschwerdeführer offenbar am 6. Mai 2002 erwartete. Andererseits hat der Beschwerdeführer in seiner Eingabe aber auch deutlich um Freilassung ersucht. An ein Haftentlassungsgesuch dürfen grundsätzlich keine besonderen formellen Anforderungen gestellt werden (vgl. ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in: AJP 1995 S. 863). Auch hatBGE 128 II 241 (244) BGE 128 II 241 (245)die Haftrichterin die Eingabe von Beginn an, ohne daran irgendwelche Zweifel zu äussern, als Haftentlassungsgesuch entgegengenommen und behandelt. Noch am Tag des Eingangs hat sie verfügt, "vom Eingang des Haftentlassungsgesuchs" werde "Kenntnis genommen und gegeben". Unklar ist jedoch, ob sie das Gesuch als solches um sofortige Haftentlassung oder aber um Freilassung auf den Termin des Ablaufs der erstmalig bewilligten Haft verstanden hat, womit der Eingabe lediglich der Charakter eines Antrags auf Nichtbewilligung einer allfälligen Haftverlängerung zukäme.
Für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen gilt im Grundsatz dasselbe. Die gesetzlichen Verfahrensregeln sind von Amtes wegen zu beachten und an sich verbindlich. Indessen kommt der für die richterliche Beurteilung vorgesehenen Frist von acht Arbeitstagen nicht die gleiche Bedeutung zu wie den entsprechenden Vorschriften bei der erstmaligen Haftanordnung bzw. der Haftverlängerung. Eine richterliche Verhandlung findet nur statt, wenn ein Haftentlassungsgesuch gestellt wird. Dies bleibt jedoch dem Häftling überlassen. Er kann auf ein solches Gesuch verzichten oder ein einmal gestelltes Haftentlassungsgesuch auch wieder zurückziehen. Unterliegt insoweit das Haftentlassungsverfahren der Disposition des Häftlings, muss es diesem grundsätzlich auch frei stehen, auf dieBGE 128 II 241 (245) BGE 128 II 241 (246)Einhaltung der Achttagesfrist zu verzichten bzw. für die Verhandlung vor dem Haftrichter einen weiter entfernten Termin zu wünschen oder zu akzeptieren.
Die Achttagesfrist scheint zwar nie thematisiert worden zu sein; es liegt jedenfalls kein ausdrücklicher Verzicht darauf vor. Das Verhalten des Anwalts lässt jedoch auf einen konkludenten Verzicht schliessen. Er hat sich ohne Protest auf den späteren Termin eingelassen. Wohl sind die Gründe dafür nicht bekannt; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der spätere Verhandlungstermin durchaus im Interesse des Beschwerdeführers lag. Dieser rügt denn auch die Missachtung der Achttagesfrist vor dem Bundesgericht gar nicht.BGE 128 II 241 (246)
BGE 128 II 241 (247)Unter diesen Umständen muss sich der Beschwerdeführer das Verhalten seines Anwalts anrechnen lassen.