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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
3. Gemäss Art. 21 Abs. 5 BWIS regelt der Bundesrat die Einze ...
Erwägung 4
5. Die Fachstelle hat den wesentlichen Inhalt der persönlich ...
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40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) gegen X. sowie Rekurskommission VBS (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
2A.89/2004 vom 13. Juli 2004
 
 
Regeste
 
Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 4, 12, 19 VwVG; Art. 19 ff. BWIS; Art. 12 PSPV. Personensicherheitsprüfung, Tonaufzeichnung der persönlichen Befragung, schriftliche Protokollierung.
 
In Bezug auf die persönliche Befragung bei der Sicherheitsprüfung ist dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) Genüge getan, wenn der wesentliche Inhalt des Gesprächs schriftlich festgehalten wird, der Befragte im Rahmen des Akteneinsichtsrechts Gelegenheit erhält, auch die u.a. als Beweismittel verwendbaren Tonbänder im ganzen Umfang und im Original zu hören, und er sich dazu uneingeschränkt äussern kann (E. 4).
 
Es ist nicht erforderlich, das auf Tonträger gespeicherte Gespräch nachträglich noch in voller Länge und in seinem genauen Wortlaut in die schriftliche Form zu übertragen (E. 5).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 130 II 473 (474)A. Der Armeeangehörige (Zeitsoldat) Oblt X. (geb. 1974) bewarb sich um eine Stelle als Zugführer/Klassenlehrer-Gehilfe. Da er als Angehöriger der Armee auch Zugang zu militärisch als geheim klassifizierten Informationen, zu geheimem Armeematerial und zu militärischen Anlagen (Schutzzonen 2 und 3) hatte, wurde eine Personensicherheitsüberprüfung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) bzw. der Verordnung vom 19. Dezember 2001 über die Personensicherheitsprüfungen (PSPV; SR 120.4) eingeleitet. X. stimmte dieser Überprüfung am 10. März 2003 zu.
Am 9. Juli 2003 wurde X. von zwei Mitarbeitern der Fachstelle für Personensicherheitsprüfungen des Eidgenössischen Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) befragt. Die Befragung wurde auf Tonträger (Minidisc) aufgenommen.
Am 2. September 2003 erliess die Fachstelle Personensicherheitsprüfungen eine "Risikoverfügung mit Auflagen". Das Ergebnis der persönlichen Befragung wurde in der Verfügung zusammengefasst.
Gegen diese Verfügung erhob X. Beschwerde bei der Rekurskommission VBS. Er beanstandete insbesondere die Art, wie die Befragung - auch die seiner Referenzen - durchgeführt worden sei, und wünschte, sich "unter fairen Bedingungen" noch einmal äussern zu können.BGE 130 II 473 (474)
BGE 130 II 473 (475)Am 31. Januar 2004 verfügte der Präsident der Rekurskommission VBS u.a., der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, werde eine Frist von 20 Tagen angesetzt, um ein schriftliches und von den Parteien unterzeichnetes Protokoll über die persönliche Befragung von X. einzureichen (Ziff. 1).
B. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 10. Februar 2004 beantragt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Ziffer 1 der Präsidialverfügung der Rekurskommission VBS vom 20. Dezember 2003 aufzuheben.
Der Präsident der Rekurskommission VBS beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
X. hat auf eine Vernehmlassung bzw. auf ein Rechtsbegehren ausdrücklich verzichtet.
 
 
Erwägung 2
 
Auf das Beweisverfahren der Verwaltung - welches ökonomisch durchzuführen ist (vgl. Art. 33 Abs. 2 VwVG) - finden im Übrigen gemäss Art. 19 VwVG "ergänzend" und sinngemäss die Art. 37 (Bestimmung der Beweismittel durch den Richter), 39BGE 130 II 473 (475) BGE 130 II 473 (476)(Beweismassnahmen im Ausland) und 41 (Beweissicherung) sowie 43-61 (Zeugen, Urkunden, Augenschein, Sachverständige) des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess (BZP; SR 273) Anwendung.
Es ist daher in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob die im vorliegenden Fall anzuwendenden Spezialnormen (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen) besondere Verfahrensbestimmungen für die Protokollierung der persönlichen Befragung enthalten.
BGE 130 II 473 (477)Die betroffene Person kann gemäss Art. 21 Abs. 2 BWIS und Art. 20 Abs. 3 PSPV von der Fachstelle im Weiteren verlangen, dass
    a) Daten, die unrichtig oder überholt sind, berichtigt oder vernichtet werden;
    b) Daten, die dem Zweck der Bearbeitung nicht entsprechen oder deren Bearbeitung aus anderen Gründen (Vermutungen oder blosse Verdächtigungen) unzulässig ist, umgehend vernichtet werden;
    c) ein Bestreitungsvermerk angebracht wird.
Nähere Bestimmungen darüber, ob und in welcher Form ein Protokoll über die persönliche Befragung zu erstellen ist, lassen sich dieser Regelung nicht entnehmen.
 
Erwägung 4
 
Auch auf Tonträger registrierte Einvernahmen bzw. Auskünfte sind oder können Beweismittel sein (vgl. Urteil 1P.704/1994 vom 27. Juni 1995, E. 2a/bb; THOMAS MERKLI/ARTHUR AESCHLIMANN/RUTH HERZOG, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, N. 11 zu Art. 19 VRPG/BE; REINHOLD HOTZ, in: St. Galler Kommentar, N. 30 zu Art. 29 BV) und gehören als solche in die Akten.
4.2 Das Bundesgericht hat in Bezug auf die Form von Beweisvorkehren im Verwaltungsverfahren allgemein erkannt, Auskünfte vonBGE 130 II 473 (477) BGE 130 II 473 (478)Drittpersonen (Art. 12 lit. c VwVG) hätten gemäss dem ergänzend anwendbaren Art. 49 BZP grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Eine formlos eingeholte und in einer Aktennotiz festgehaltene mündliche bzw. telefonische Auskunft stelle nur insoweit ein zulässiges und taugliches Beweismittel dar, als damit bloss Nebenpunkte, namentlich Indizien oder Hilfstatsachen festgestellt würden. Seien hingegen von Drittpersonen Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtserheblichen Sachverhaltes einzuholen, falle grundsätzlich nur die Form der schriftlichen Anfrage und Auskunft in Betracht. Würden Auskunftspersonen zu wichtigen tatbeständlichen Fragen dennoch mündlich befragt, sei eine Einvernahme durchzuführen und darüber ein Protokoll aufzunehmen (BGE 117 V 282 E. 4c; Urteil 5A.20/2003 vom 22. Januar 2004, E. 2.6 nicht publ. in BGE 130 II 169).
Es entspricht denn auch einem aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten allgemeinen Verfahrensgrundsatz, dass entscheidrelevante Tatsachen und Ergebnisse schriftlich festzuhalten sind. Dazu gehört auch die Pflicht zur Protokollführung über entscheidwesentliche Abklärungen, Zeugeneinvernahmen und Verhandlungen im Rechtsmittelverfahren. Das Bundesgericht hat in einem älteren Entscheid eine allgemeine Protokollierungspflicht für das Verwaltungsverfahren noch verneint. Später hat es entschieden, dass die wesentlichen Ergebnisse eines Augenscheins in einem Protokoll oder Aktenvermerk festzuhalten oder zumindest - soweit sie für die Entscheidung erheblich sind - in den Erwägungen des Entscheids klar zum Ausdruck zu bringen seien. Wenn die Verwaltung mit einem Verfahrensbeteiligten ein Gespräch führt, ist wenigstens der wesentliche Gehalt des Gespräches im Protokoll festzuhalten (BGE 119 V 208 E. 4c). Im Übrigen hat das Bundesgericht die Protokollierungspflicht von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht (BGE 124 V 389 E. 3).
BGE 130 II 473 (478) BGE 130 II 473 (479)Für das Strafverfahren verlangt das Bundesgericht, dass mindestens die wesentlichen Zeugenaussagen im Protokoll schriftlich festgehalten werden. Die blosse Würdigung der Aussagen in den Erwägungen des Urteils genüge nicht; denn es könne nicht dem Richter überlassen werden, - allein und ohne Mitwirkung der Parteien - darüber zu entscheiden, welche Aussagen im Urteil erwähnt werden (BGE 126 I 15 E. 2a/bb).
Dass eine solche umfassende und die Intimsphäre berührende Befragung des Betroffenen, wenn sie zu einem aussagekräftigen und zuverlässigen Ergebnis führen soll, nicht in Form eines förmlichen (Partei-)Verhörs vorzunehmen ist, liegt auf der Hand. Es ist vielmehr angezeigt, die Befragung in Form eines Gespräches durchzuführen, was erlaubt, eine dem Verhalten des Befragten angepasste Atmosphäre zu schaffen. Eine solche Abklärung lässt ein wesentlich differenzierteres Bild über die Person des Befragten undBGE 130 II 473 (479) BGE 130 II 473 (480)dessen Verhältnisse erwarten als ein förmliches Verhör mit Wortprotokoll (vgl. auch THOMAS MERKLI/ARTHUR AESCHLIMANN/RUTH HERZOG, a.a.O., N. 17 zu Art. 19 VRPG/BE). Ein detailliertes Bild über die regelmässig vielschichtigen persönlichen Umstände ist geradezu Voraussetzung für die verlässliche Beurteilung des Sicherheitsrisikos, welche insbesondere eine Wertung im Sinne einer Prognose über das künftige persönliche Verhalten des Betroffenen umfasst. Eine förmliche Befragung, wie sie im gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hat, erscheint dafür wenig geeignet: Der Befragte wird weniger offen und spontan antworten, wenn das Gespräch nach einem vorgegebenen Frage-Antwort-Schema geführt und nach jeder Frage bzw. Antwort unterbrochen wird, um die "Aussagen" sogleich schriftlich festzuhalten. Dadurch wird nicht nur das Gespräch in seinem Fluss gestört, sondern es verliert auch die nötige Vertraulichkeit und Dynamik. Zu beachten ist schliesslich, dass die einlässliche persönliche Befragung - soll sie zu einem zuverlässigen Ergebnis führen - bereits in Form eines Gesprächs in der Regel mehrere Stunden dauert. Ihre wörtliche Protokollierung hätte zugleich eine erhebliche Verlängerung und damit eine Mehrbelastung nicht nur der Fachstelle, sondern insbesondere auch des Betroffenen zur Folge, der die Befragung umso einschneidender empfinden muss, je länger sie dauert.
Die im Verfahren der Personensicherheitsprüfung vorzunehmende persönliche Befragung weist damit gewisse Parallelen auf zur - in Abwesenheit der Eltern und ihrer Vertreter durchgeführten - formlosen Befragung von Kindern durch die zuständige Behörde im Hinblick auf die Kinderzuteilung und das Besuchsrecht, auch wenn für diese Befragung noch wesentliche andere Gesichtspunkte massgebend sind. In solchen Fällen genügt es unter dem Gesichtswinkel des rechtlichen Gehörs, wenn das Ergebnis des Gespräches schriftlich festgehalten wird und die Parteien Gelegenheit erhalten, dazu (auch) inhaltlich Stellung zu nehmen. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst mit anderen Worten nicht das (schriftliche) Festhalten aller Details des geführten Gespräches (BGE 122 I 53 E. 4 S. 55).
Für die persönliche Befragung bei der Sicherheitsprüfung muss Ähnliches gelten: Dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör ist Genüge getan, wenn der wesentliche Inhalt des Gesprächs schriftlich festgehalten wird, der Befragte im Rahmen des Akteneinsichtsrechts Gelegenheit erhält, neben den SchriftstückenBGE 130 II 473 (480) BGE 130 II 473 (481)auch die u.a. als Beweismittel verwendbaren Tonbänder im ganzen Umfang und im Original zu hören, und er sich dazu uneingeschränkt äussern kann (vgl. Urteil 1P.704/1994 vom 27. Juni 1995, E. 2). Das rechtliche Gehör bzw. der Grundsatz der Aktenkundigkeit ist bei solchem Vorgehen nur dann verletzt, wenn lediglich die schriftliche Zusammenfassung des Gespräches und nicht auch die Original-Tonaufzeichnung desselben zu den Akten gelegt wird (vgl. Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 18. November 1995, publ. in: ZR 96/1997 S. 74). Ob die persönliche Befragung auf einer so genannten Minidisc oder einem anderen gebräuchlichen Tonträger aufgezeichnet worden ist, spielt keine Rolle, wenn, wie hier, bei der Verwaltung ein für dessen Wiedergabe und Abhörung geeignetes Gerät zur Verfügung gestellt wird.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gutzuheissen und die angefochtene Zwischenverfügung aufzuheben.BGE 130 II 473 (481)