Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:
BGE 133 IV 76 - Garantieerklärung Türkei


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist die Frage ...
2. Zunächst ist zu prüfen, ob eine Auslieferung des Ver ...
3. Selbst wenn die Auslieferung an die USA im vorliegenden Fall u ...
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass - selbst wenn die Auslieferu ...
5. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Der angefoc ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
6. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Evgeny Adamov gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
1A.288/2005 vom 22. Dezember 2005
 
 
Regeste
 
Art. 2 Ziff. 1-4, Art. 9 Ziff. 2 und Art. 17 AVUS; Art. 17 und Art. 28 Ziff. 1-2 EAUe; Art. 5 Abs. 2-3 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Russland; Art. 314 StGB; konkurrierende Auslieferungsersuchen zweier Staaten.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 132 II 81 (82)Am 29. April 2005 ersuchten die USA (über das U.S. Department of Justice) die Schweiz um Verhaftung des russischen Staatsangehörigen und ehemaligen Ministers für Atomenergie Evgeny Adamov. Am 2. Mai 2005 wurde Evgeny Adamov in Bern verhaftet und in provisorische Auslieferungshaft versetzt. Am 3. Mai 2005 erliess das Bundesamt für Justiz (BJ) einen Auslieferungshaftbefehl.
Am 17. Mai 2005 hat die Russische Föderation (über deren Generalstaatsanwaltschaft) bei den schweizerischen Behörden förmlich um Auslieferung von Evgeny Adamov ersucht. Am 3. Juni 2005 bestätigten die russischen Behörden ausdrücklich, dass die Verhaftung und Auslieferung von Evgeny Adamov zu Strafverfolgungszwecken beantragt werde. Am 7. Juni 2005 wurde der Auslieferungshaftbefehl vom BJ auf das russische Ersuchen ausgedehnt. Der Verfolgte hat (am 19. August 2005) sein Einverständnis für eine vereinfachte Auslieferung an Russland erklärt. Anlässlich seiner Befragung vom 4. Mai 2005 widersetzte sich Evgeny Adamov hingegen einer vereinfachten Auslieferung an die USA.
Mit Urteil vom 9. Juni 2005 hiess das Bundesstrafgericht eine Beschwerde von Evgeny Adamov gegen den Auslieferungshaftbefehl des BJ vom 3. Mai 2005 gut, und es ordnete die Haftentlassung des Verfolgten an. Mit Urteil vom 14. Juli 2005 hob das Bundesgericht (auf Beschwerde des BJ hin) den Entscheid des Bundesstrafgerichtes vom 9. Juni 2005 auf (Verfahren 1S.18/2005). Am 10. August 2005 wies das Bundesstrafgericht die Beschwerden des Verfolgten gegen die Auslieferungshaftbefehle vom 3. Mai bzw. 7. Juni 2005 rechtskräftig ab.
Am 24. bzw. 27. Juni 2005 reichten die USA ihr förmliches Auslieferungsersuchen (datiert vom 2. Juni 2005) ein.
Mit Verfügung vom 25. August 2005 bewilligte das BJ die vereinfachte Auslieferung von Evgeny Adamov an Russland; der Entscheid ist in Rechtskraft erwachsen. Der Vollzug der Auslieferung wurde vom BJ bis zum rechtskräftigen Entscheid über das konkurrierende Ersuchen der USA bzw. über die Priorität der beiden Ersuchen aufgeschoben.
Mit Verfügung vom 30. September 2005 entschied das BJ, dass die Auslieferung des Verfolgten "prioritär an die USA" zu erfolgen habe; die Auslieferung an die USA wurde (mit Ausnahme eines Anklagepunktes) vom BJ grundsätzlich bewilligt.BGE 132 II 81 (82)
BGE 132 II 81 (83)Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ vom 30. September 2005 (Auslieferung an die USA) gelangte Evgeny Adamov mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 1. November 2005 an das Bundesgericht. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, die Abweisung des amerikanischen Ersuchens sowie seine prioritäre Auslieferung an Russland.
 
1.3 Zulässige Beschwerdegründe sind sowohl die Verletzung von Bundesrecht, inklusive Staatsvertragsrecht (einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens), als auch die Rüge der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts; der Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 OG trifft hier nicht zu (Art. 104 lit. a-b OG; vgl. BGE 117 Ib 64 E. 2b/bb S. 72). Soweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (und die staatsrechtliche Beschwerde daher ausgeschlossen) ist, kann auch dieBGE 132 II 81 (83) BGE 132 II 81 (84)Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte (bzw. der EMRK oder des UNO-Paktes II) mitgerügt werden (vgl. BGE 124 II 132 E. 2a S. 137; BGE 123 II 153 E. 2c S. 158 f.; BGE 122 II 373 E. 1b S. 375).
In formeller Hinsicht hat das Auslieferungsersuchen namentlich eine kurze Darstellung des Sachverhalts zu enthalten, einschliesslich Ort und Zeitpunkt der verfolgten Straftat (Art. 9 Ziff. 2 lit. b AVUS), sowie den Wortlaut der Gesetzesbestimmungen, welche Aufschluss geben über die wesentlichen Tatbestandsmerkmale und die Bezeichnung der Straftat, die Strafdrohung sowie die Fristen der Verjährung der Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung für das fragliche Auslieferungsdelikt (Art. 9 Ziff. 2 lit. c AVUS). Unter demBGE 132 II 81 (84) BGE 132 II 81 (85)Gesichtspunkt des AVUS reicht es grundsätzlich aus, wenn die Angaben im Rechtshilfeersuchen sowie in dessen Ergänzungen und Beilagen es den schweizerischen Behörden ermöglichen zu prüfen, ob ausreichende Anhaltspunkte für eine auslieferungsfähige Straftat vorliegen, ob Verweigerungsgründe gegeben sind bzw. in welchem Umfang dem Begehren allenfalls entsprochen werden muss. Der Rechtshilferichter muss namentlich prüfen können, ob die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Es kann hingegen nicht verlangt werden, dass die ersuchende Behörde die Tatvorwürfe bereits abschliessend mit Beweisen belegt. Der Rechtshilferichter hat weder Tat- noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine Beweiswürdigung vorzunehmen, sondern ist vielmehr an die Sachverhaltsdarstellung im Ersuchen gebunden, soweit sie nicht durch offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche sofort entkräftet wird (vgl. BGE 125 II 250 E. 5b S. 257; BGE 122 II 134 E. 7b S. 137, BGE 122 II 367 E. 2c S. 371, 422 E. 3c S. 431; BGE 120 Ib 251 E. 5c S. 255, je mit Hinweisen).
    "Zusammen mit einer anderen Person soll er sich u.a. in den USA zwischen Januar 1993 und Januar 2003 in seiner Funktion als hoher russischer Regierungsbeamter gemäss vorgefasster Absicht u.a. Gelder der USA und von anderen ausländischen Staaten, welche für den russischen Staat im Bereich der Nuklearenergie vorgesehen waren, angeeignet und für persönliche Zwecke verwendet haben, indem er diese Gelder in verschiedene nationale und internationale Projekte investiert haben soll. Dabei soll er als Direktor des Nuklear-Instituts 'Nikiet' und als russischer Minister für Atomenergie 15 Millionen USD, welche für 'Nikiet' bzw. den russischen Staat bestimmt gewesen seien, an verschiedene US-Firmen weitergeleitet haben, welche unter seiner Kontrolle gewesen sein sollen. Davon seien mindestens 9 Millionen USD auf persönliche Konten und Geschäftskonten des Verfolgten in den USA, in Frankreich und Monaco überwiesen worden. Diese Gelder habe der Verfolgte dann namentlich in den USA, der Ukraine und in Russland in persönliche Projekte investiert, wobei er in diesem Zusammenhang verschiedene gefälschte Geschäftsverträge etc. verwendet haben soll, um die erfolgten Geldüberweisungen zu verbergen.
    Zusammen mit einer anderen Person soll der Verfolgte in den USA verschiedene Massnahmen getroffen haben, um namentlich die in oben erwähnter Art und Weise erlangten Gelder vor den US-Steuerbehörden zu verbergen."BGE 132 II 81 (85)
BGE 132 II 81 (86)2.3 Im Ersuchen der USA und dessen Beilagen wird der untersuchte Sachverhalt wie folgt dargestellt:
2.3.7 In den Anklagepunkten 14 und 20 wird das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten auch noch unter die amerikanischenBGE 132 II 81 (87) BGE 132 II 81 (88)Geldwäschereistrafnormen (Title 18, United States Code, Section 1957 [a] und Section 1956 [h]) subsumiert.
    "Der (...) Sachverhalt kann nach schweizerischem Recht namentlich unter Art. 138 Ziff. 2 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (...) subsumiert werden. Dies aus folgenden Gründen: Aus der Sachverhaltsdarstellung der US-Behörden ergibt sich, dass sich der Verfolgte in seiner Funktion als Regierungsbeamter gemäss vorgefasster Absicht Gelder angeeignet haben soll, die ihm anvertraut wurden, statt diese dem rechtmässigen Empfänger zuzuführen. Dabei soll er diese Gelder unter Bereicherungsabsicht für persönliche Zwecke verwendet haben, u.a. zur Investition in verschiedene private Projekte."
Wie nachfolgend zu zeigen ist, kann dieser rechtlichen Qualifikation nicht gefolgt werden.
2.5.1 Gemäss Art. 314 StGB wird wegen ungetreuer Amtsführung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer als Mitglied einer Behörde oder als Beamter die von ihm bei einem Rechtsgeschäft zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigt, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Die schweizerischen Amts- und Berufsdelikte (Art. 312-322bis StGB) haben nicht den Zweck, den ausländischen Fiskus vor rechtswidrigem Verhalten ausländischer Amtsträger zu schützen. Unter den Begriff des Amtsträgers bzw. des Beamten nach schweizerischem Strafrecht (Art. 110 Ziff. 4 StGB) fallen öffentliche Dienstfunktionsträger der Eidgenossenschaft, der schweizerischen Gebietskörperschaften (Kantone und Gemeinden) sowie der schweizerischen Zweckverbände mit öffentlichrechtlicher Zielsetzung (vgl. BGE 121 IV 216 E. 3a-c S. 220-222; ANDREAS DONATSCH/ WOLFGANG WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 3. Aufl., Zürich 2004, S. 306; STEFAN HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar StGB, Bd. II, Basel 2003, vor Art. 285 StGB N. 8; NIKLAUS OBERHOLZER, in: Basler Kommentar StGB, Bd. I, Basel 2003, N. 11 und 15 zu Art. 110 StGB; STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, 2. Aufl., Zürich 1997, N. 11 zu Art. 110 StGB, vorBGE 132 II 81 (88) BGE 132 II 81 (89)Art. 285 StGB N. 4). Die Strafnorm der ungetreuen Amtsführung (Art. 314 StGB) richtet sich nur gegen inländische (schweizerische) Amtsträger (vgl. DONATSCH/WOHLERS, a.a.O., S. 306/451; HEIMGARTNER, a.a.O., N. 3 und 20 zu Art. 312 StGB, N. 9 zu Art. 314 StGB). Analoges gilt für die übrigen Amtsdelikte im engeren Sinne, etwa die Amtsurkundenfälschung (Art. 317 StGB).
2.6 Gemäss dem amerikanischen Ersuchen werfen die Justizbehörden der USA dem Verfolgten vor, Gelder des staatlichen russischen Forschungsinstitutes NIKIET unterschlagen zu haben. Die fraglichen Gelder hätten die USA, die Regierungen anderer Staaten sowie amerikanische und ausländische Unternehmen geäufnet und an NIKIET bezahlt im Hinblick auf Projekte zur Erhöhung der Reaktorsicherheit in Russland und anderen ehemaligen Teilrepubliken der früheren Sowjetunion. Der Verfolgte soll in seiner amtlichen Funktion als Direktor von NIKIET bzw. als russischer Minister für Atomenergie dem Staatsunternehmen NIKIET gehörende Vermögenswerte, die teilweise aus amerikanischen Quellen gestammt hätten, unterschlagen und für private Zwecke verwendet haben. In den offiziellen Beilagen zum Ersuchen der USA wirdBGE 132 II 81 (89) BGE 132 II 81 (90)mehrmals ausdrücklich präzisiert, dass es sich bei NIKIET um ein staatseigenes russisches Forschungsunternehmen gehandelt habe, welches dem russischen Atomenergieministerium unterstellt gewesen sei. Alle aus den USA an NIKIET bezahlten Gelder hätten daher der Russischen Föderation gehört. ("NIKIET is a federal, state owned unitary enterprise which falls under the jurisdiction of the Atomic Energy Ministry for the Russian Federation [Minatom]. Therefore, all monies paid to NIKIET belonged to the Russian Federation.") In seiner Funktion als russischer Atomenergieminister (von März 1998 bis März 2001) habe der Verfolgte die gesamte Verantwortung über alle Aspekte des staatlichen russischen Nuklearenergiesektors getragen (vgl. ausführlich oben, E. 2.3).
2.7.2 Für die Frage der beidseitigen Strafbarkeit nach schweizerischem Recht ist der im Ersuchen dargelegte Sachverhalt so zu subsumieren, wie wenn die Schweiz wegen des analogen Sachverhalts ein Strafverfahren eingeleitet hätte. Dies gilt namentlich auch für Amts- und Korruptionsdelikte. Bei Amtsdelikten ist zu prüfen, ob der ersuchende Staat einen inländischen oder einen ausländischen Amtsträger strafrechtlich verfolgt (vgl. BGE 129 II 462 E. 4.4 S. 465). Die USA verfolgen einen ausländischen (russischen) hohen Amtsträger. Für die beidseitige Strafbarkeit ist somit zu prüfen, ob auch nachBGE 132 II 81 (90) BGE 132 II 81 (91)schweizerischem Recht die ungetreue Amtsführung eines ausländischen Staatsfunktionärs zum Nachteil des ausländischen Fiskus strafbar ist. Die Auslieferung eines ehemaligen russischen Ministers und Direktors eines russischen Staatsunternehmens durch die Schweiz an die USA ist nur möglich, wenn auch nach dem Recht der Schweiz die ungetreue Amtsführung ausländischer Funktionäre strafbar wäre oder wenn ein anderes beidseitig strafbares (insbesondere ein gemeinrechtliches) Delikt in Frage kommt. Art. 314 StGB stellt nur die ungetreue Amtsführung inländischer Amtsträger zum Nachteil des inländischen Fiskus unter Strafe (vgl. oben, E. 2.5.1). Die ungetreue Amtsführung ausländischer Funktionäre zum Nachteil eines ausländischen Staates ist in der Schweiz nicht selbstständig strafbar.
BGE 132 II 81 (91)
BGE 132 II 81 (92)2.9 Entgegen der Ansicht des BJ kann der inkriminierte Sachverhalt auch nicht als gemeinrechtliches privates Vermögensdelikt (Veruntreuung, Betrug) qualifiziert werden. Laut Ersuchen habe der Verfolgte zwischen 1994 und 2002 in seiner amtlichen Funktion als Direktor des russischen Forschungsinstitutes NIKIET bzw. als russischer Minister für Nuklearenergie staatliches russisches Vermögen unterschlagen, das unter anderem aus amerikanischen öffentlichen und privaten Quellen gestammt habe. Im Ersuchen und dessen Beilagen wird ausdrücklich präzisiert, dass es sich bei NIKIET um ein Staatsunternehmen handelte und dass alle fraglichen Gelder dem russischen Staat gehörten. Es seien Finanzmittel betroffen, welche auch Amtsstellen und private Einrichtungen der USA dem russischen Staat aus umwelt- und sicherheitspolitischen Beweggründen (Erhöhung der Betriebssicherheit von Kernkraftwerken) zur Verfügung gestellt hätten. In seiner Funktion als russischer Atomenergieminister habe der Verfolgte die Gesamtverantwortung über alle Aspekte des staatlichen russischen Nuklearenergiesektors getragen (vgl. oben, E. 2.3 und 2.6). Dem Verfolgten wird nicht vorgeworfen, er habe private Darlehen veruntreut oder Gelder unterschlagen, die ihm zu privaten Anlage- oder Verwendungszwecken anvertraut worden wären (Art. 138 StGB). Ebenso wenig wird ihm eine arglistige Täuschung im Rahmen des privatrechtlichen Geschäftsverkehrs zur Last gelegt (Art. 146 StGB). Der Vorwurf geht vielmehr dahin, die für den Nuklearsicherheitsbereich zuständigen russischen Behörden hätten das ihnen vom Ausland zur Verfügung gestellte Geld nicht so verwendet, wie es den umwelt- und sicherheitspolitischen Absprachen und Zielsetzungen entsprochen hätte, und der Verfolgte habe als russischer hoher Amtsträger das dem russischen Staat gehörende Vermögen teilweise für private Zwecke unterschlagen.
2.10 Es stellt sich die Frage, ob der inkriminierte Sachverhalt nach schweizerischem Strafrecht als Geldwäscherei an deliktisch erlangtem Vermögen qualifiziert werden kann. Gemäss Art. 305bis Ziff. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen herrühren. Der Geldwäschereitatbestand setzt eine nach schweizerischem Recht strafbare Vortat voraus, etwa ein gemeinrechtliches Vermögensdelikt (Betrug, Veruntreuung) oder ein nach schweizerischem Recht BGE 132 II 81 (92) BGE 132 II 81 (93)straf bares Amts- oder Korruptionsdelikt. Es muss sich dabei um ein Verbrechen handeln. Zwar wird im Ersuchen geltend gemacht, ein Teil der angeblich deliktisch erworbenen Vermögenswerte sei wieder zurück in die USA transferiert worden. Es erscheint jedoch fraglich, ob in der vorliegenden Konstellation (wo der ersuchende Staat einen ausländischen Amtsträger wegen Schädigung des ausländischen Fiskus verfolgt, und zwar in Konkurrenz zum direkt betroffenen ausländischen Staat) die Rechtshilfevoraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit als erfüllt angesehen werden könnte. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, kann die Frage offen bleiben.
3. Selbst wenn die Auslieferung an die USA im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt der beidseitigen Strafbarkeit möglichBGE 132 II 81 (93) BGE 132 II 81 (94)wäre, muss zusätzlich geprüft werden, ob dem konkurrierenden US-Ersuchen gegenüber dem russischen die Priorität zukommt. Das russische Ersuchen wurde am 25. August 2005 bereits rechtskräftig bewilligt und hat, wie nachfolgend zu zeigen ist, den internationalstrafrechtlichen Vorrang.
3.1 Im angefochtenen Entscheid wird zur Frage der Priorität der Ersuchen im Wesentlichen Folgendes erwogen: Als massgebliche Rechtsquellen kämen primär die Vorschriften des Europäischen Auslieferungsübereinkommens bzw. des Auslieferungsvertrages mit den USA in Frage. Nicht mehr anwendbar sei hingegen der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Russland vom 17. November 1873. Russland und die USA würden dem Verfolgten - nach Ansicht des BJ - "gleichartige Straftaten" vorwerfen, nämlich "verschiedene Vermögensdelikte". Der Umstand, dass die russischen Behörden dem Verfolgten noch weitere Straftaten bzw. eine Deliktssumme zur Last legen, die "ein Mehrfaches der im US-Ersuchen erwähnten Gelder beträgt", ändere "daran nichts". Zwar sei dem russischen Ersuchen "zu entnehmen, dass der Verfolgte vornehmlich in Russland gehandelt haben dürfte", und im US-Ersuchen werde "nicht dargelegt", dass der Verfolgte (für "in den USA strafrechtlich relevante Aktivitäten") sich "persönlich in die USA hätte begeben müssen". Auch dies spreche jedoch nach Ansicht der Vorinstanz "nicht eindeutig für eines der beiden Ersuchen". Analoges gelte für den zeitlichen Eingang der konkurrierenden Gesuche. Zwar habe "die USA die Schweiz zuerst um Festnahme des Verfolgten ersucht"; hingegen habe "Russland vor den USA die Auslieferungsunterlagen deponiert". Wohl handle es sich beim Verfolgten um einen russischen Staatsangehörigen und ehemaligen Minister. Dennoch sei dem US-Ersuchen die Priorität einzuräumen, da Russland "nicht in der Lage" sei, den Verfolgten "an die USA weiterzuliefern". Zwar bestehe ebenso wenig eine Rechtsgrundlage für eine Weiterauslieferung seitens der USA an Russland; die USA seien jedoch "in der Lage und gewillt, den Verfolgten - nach Ende des gegen ihn in den USA geführten Strafverfahrens bzw. nach Vollzug einer allfälligen diesbezüglichen Freiheitsstrafe - den russischen Behörden in Form einer Ausschaffung zu übergeben". Dass die russischen Behörden förmlich zugesichert hätten, sie würden "auf Ersuchen der USA die dem Verfolgten von den US-Behörden zur Last gelegten Straftaten verfolgen", ändere daran nichts. Die US-Behörden seien "imBGE 132 II 81 (94) BGE 132 II 81 (95)vorliegenden Fall ausdrücklich nicht gewillt, ein Ersuchen um stellvertretende Strafverfolgung an Russland zu stellen", da sie angeblich "auf diesem Gebiet schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht hätten".
    Art. 5 Absätze 2-3 AVR lauten wie folgt: "Wenn eine Auslieferung gleichzeitig durch einen der vertragsschliessenden Staaten und durch einen andern Staat verlangt wird, welchem gegenüber ebenfalls eine vertragsgemässe Pflicht zur Auslieferung besteht, so erfolgt sie zuerst gegen den Staat, dessen Begehren, mit den nötigen Beweisen begleitet, zuerst eingelangt ist. Wenn aber das reklamierte Individuum Bürger oder Untertan eines der die Auslieferung begehrenden Staates ist, so muss es in erster Linie diesem ausgeliefert werden".BGE 132 II 81 (95)
BGE 132 II 81 (96)3.2.3 Auf auslieferungsrechtliche Fragen, welche die Schweiz und Russland betreffen, ist primär das EAUe anwendbar. Nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen gehen jüngere Staatsverträge älteren Abkommen prinzipiell vor, soweit zwischen den Vertragsparteien nichts anderes vereinbart wurde und das jüngere Abkommen die fragliche Materie umfassend regelt (vgl. Art. 30 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [VRK; SR 0.111]). Dies gilt auch im internationalen Auslieferungsrecht (vgl. STEFAN HEIMGARTNER, Auslieferungsrecht, Diss. Zürich 2002, S. 42). Das von Russland und der Schweiz ratifizierte EAUe ist gegenüber dem AVR das jüngere Abkommen. Art. 28 EAUe selbst regelt das Verhältnis zwischen dem EAUe und bereits bestehenden sowie künftigen zweiseitigen Abkommen wie folgt: Das EAUe hebt hinsichtlich der Gebiete, auf die es Anwendung findet, diejenigen Bestimmungen zweiseitiger Verträge, Abkommen oder Vereinbarungen auf, die das Auslieferungswesen zwischen zwei Vertragsparteien regeln (Art. 28 Ziff. 1 EAUe). Die Vertragsparteien können untereinander zwei- oder mehrseitige Vereinbarungen nur zur Ergänzung des EAUe oder zur Erleichterung der Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze schliessen (Art. 28 Ziff. 2 EAUe). Aus dem diplomatischen Notenwechsel zwischen der Schweiz und Russland über die provisorische Weitergeltung des AVR vor Inkrafttreten des EAUe (im Verhältnis zwischen den beiden Staaten) am 9. März 2000 lassen sich diesbezüglich keine abweichenden Folgerungen ableiten. Die Parteien des EAUe haben grundsätzlich eine abschliessende Regelung des Auslieferungsrechtes getroffen (vgl. HEIMGARTNER, Auslieferungsrecht, a.a.O., S. 42). Dies spricht - jedenfalls im vorliegenden Fall - für die primäre Anwendbarkeit des EAUe im Verhältnis mit Russland.
Die Frage, ob und inwieweit der AVR dennoch weiterhin anwendbar erscheint, braucht hier allerdings nicht abschliessend beurteilt zu werden. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, würde sich (auch bei einer primären Anwendbarkeit des EAUe) an der Frage der Priorität der konkurrierenden Ersuchen nichts ändern. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auch dem Art. 17 AVUS angemessen Rechnung zu tragen.
3.3 Nach der Praxis des Bundesgerichtes wird bei der Frage des Vorrangs konkurrierender Ersuchen dem Territorialitäts- sowie dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip ein besondererBGE 132 II 81 (96) BGE 132 II 81 (97)Stellenwert beigemessen (vgl. BGE 124 II 586 E. 2c-d S. 592 f.; BGE 117 Ib 210 E. 3b/bb S. 213, je mit Hinweisen; zu den internationalstrafrechtlichen Zuständigkeitskriterien s. auch BGE 126 II 212 E. 6b S. 213 f.). In einem Urteil vom 28. September 2004 (1A.166/2004) hatte das Bundesgericht (gestützt auf Art. 17 AVUS bzw. Art. 17 EAUe) die Konkurrenz zwischen einem amerikanischen und einem mazedonischen Auslieferungsersuchen zu beurteilen. Für die Priorität der Auslieferung des verfolgten mazedonischen Staatsangehörigen an die US-Justiz gab den Ausschlag, dass die untersuchten (gemeinrechtlichen) Straftaten in den USA verübt worden waren, dass die wesentlichen Beweiserhebungen dort zu erfolgen hatten, und dass die mutmasslichen Komplizen des Verfolgten bereits in den USA verurteilt worden waren. Mit der Auslieferung an die USA konnte daher sichergestellt werden, dass die untersuchten Straftaten im Tatortstaat und damit am Deliktsschwerpunkt einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden.
    "Er wird verdächtigt, namentlich in Russland zusammen mit anderen Personen ab 1998 unter Ausnützung seiner Funktion als russischer Minister für Atomenergie Vermögensdelikte zum Nachteil von verschiedenen Organisationen, welche dem russischen Ministerium für Atomenergie untergeordnet gewesen sein sollen, begangen zu haben. Er soll dabeiBGE 132 II 81 (97) BGE 132 II 81 (98)u.a. zwischen August 1998 und Dezember 1999 zusammen mit Mittätern 62 % der Aktien der Gesellschaft X. unterschlagen haben. Dadurch hätten die rechtmässigen Eigentümer die Möglichkeit verloren, den entsprechenden Gewinnanteil der Firma X. entgegen zu nehmen. Der daraus resultierende Schaden habe per Ende 1999 USD 29'013'959.- betragen. Diese Gelder hätten sich der Verfolgte und seine Mittäter rechtswidrig angeeignet und für eigene Zwecke verwendet. Weiter wird der Verfolgte in diesem Zusammenhang verdächtigt, die Firma X. zum Nachteil der staatlichen Firma Y. unrechtmässig von einer Schuld in der Höhe von USD 113'088'360.- befreit zu haben, indem dieser Betrag falsch verbucht worden sei. Zudem soll er sich zwischen 2001 und 2003 Gelder in der Höhe von ca. 17 Millionen USD angeeignet haben, welche für den russischen Staat vorgesehen gewesen seien."
Soweit das Ersuchen Russlands ausschliesslich dem förmlichen Zweck gedient hätte, eine (nach US-Recht legitime) Strafverfolgung von mutmasslicher internationaler Korruption im weiteren Sinne durch die USA zu unterbinden, entspräche das konkurrierende russische Ersuchen nicht dem Sinn und Geist des EAUe. Dafür lassen sich den Rechtshilfeakten allerdings keine objektiven Anhaltspunkte entnehmen. Dies umso weniger, als die ausführlichen russischen Anklage- und Rechtshilfedokumente einige Wochen vor den formellen Gesuchsunterlagen der USA eingetroffen sind.
Allerdings sind die russischen Justizbehörden im Falle einer mit dem US-Ersuchen konkurrierenden Inanspruchnahme des EAUe internationalstrafrechtlich verpflichtet, den fraglichen Sachverhalt sorgfältig und speditiv zu untersuchen und bei Anhaltspunkten für strafbare Handlungen Anklage gegen den Verfolgten und die übrigen Verdächtigen zu erheben. Die Justizbehörden der USA (als indirekt betroffener Staat) haben im Falle einer prioritären Auslieferung an Russland jedenfalls ein legitimes Interesse daran, über den weiteren Verlauf des Verfahrens und über das Resultat der Strafuntersuchung der russischen Generalstaatsanwaltschaft informiert zu werden.
3.4.2 Zu berücksichtigen ist sodann, dass es sich beim Verfolgten um ein ehemaliges russisches Regierungsmitglied handelt. Die völkerrechtliche Immunität soll namentlich verhindern, dass ein Staat die Souveränität eines anderen Staates dadurch schmälert, dass er seine Jurisdiktion auf Hoheitsakte dieses Staates und dessen Organe ausdehnt (vgl. BGE 130 III 136 E. 2.1 S. 140-143; BGE 124 III 382 E. 4a S. 388 f.; BGE 112 Ia 148 E. 3a-b S. 149 f., je mit Hinweisen; JOLANTABGE 132 II 81 (98) BGE 132 II 81 (99)KREN KOSTKIEWICZ, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, Bern 1998, S. 348-350; s. auch Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität samt Zusatzprotokoll, je vom 16. Mai 1972 [SR 0.273.1 und 0.273.11]). Eine Hauptfunktion der straf- und zwangsvollstreckungsrechtlichen Immunität von (amtierenden) Regierungsmitgliedern besteht in der Gewährleistung von politischer Stabilität. Das Strafverfolgungsprivileg soll verhindern, dass die Regierungstätigkeit durch politisch motivierte strafrechtliche Vorwürfe gegen hohe Amtsträger gelähmt wird. Der Zweck der strafrechtlichen Immunität besteht hingegen nicht darin, ehemaligen Regierungsmitgliedern nachwirkend und auf unbestimmte Dauer (bzw. auf Lebenszeit hin) eine Straffreiheit für Korruption (oder gar für private gemeinrechtliche Delikte) zu garantieren. Selbst die "persönliche" absolute Immunität höchster Staatsorgane weicht nach deren Ausscheiden aus dem Amt denn auch grundsätzlich der rein "funktionalen" Immunität für offizielle amtliche Hoheitsakte (vgl. BGE 115 Ib 496 E. 5b-d S. 499-502; BGE 113 Ib 257 E. 7 S. 274 f.; LAURENT MOREILLON [Hrsg.], Entraide internationale en matière pénale, Basel 2004, S. 81-83, N. 398-405; ZIMMERMANN, a.a.O., S. 492-498; s. auch Art. 31-32 und 39 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen [SR 0.191.01]).
Internationale Korruption soll nach dem gemeinsamen Willen der Mitgliedsstaaten des Europarates, der UNO und der OECD effizient bekämpft und verfolgt werden können (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Strafrechts-Übereinkommen des Europarates über Korruption, BBl 2004 S. 6983 ff.; s. auch ZIMMERMANN, a.a.O., S. 28-32). Zur strafrechtlichen Verfolgung von schweren Fällen illegaler persönlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern (inklusive Geldwäschereihandlungen) wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes denn auch grundsätzlich Rechtshilfe geleistet (vgl. BGE 131 II 169; BGE 129 II 268, 462; BGE 127 II 198; BGE 119 Ib 56; BGE 116 Ib 452; BGE 115 Ib 496; BGE 113 Ib 257 [Fälle Abacha/Nigeria, Fujimori/Peru sowie Marcos/ Philippinen]; zur Kasuistik s. auch ZIMMERMANN, a.a.O., S. 409-413). Allerdings wird bei Korruptionsdelikten regelmässig dem davon direkt betroffenen Staat (Heimatstaat) Rechtshilfe geleistet, zumal dieser Staat normalerweise aus eigener Initiative strafrechtliche Ermittlungen einleitet. Nur indirekt betroffenen Drittstaaten wird zur Verfolgung ausländischer Amts- und Korruptionsdelikte nach geltendem internationalen Recht grundsätzlich nicht bzw. nur mitBGE 132 II 81 (99) BGE 132 II 81 (100)grosser Zurückhaltung Rechtshilfe gewährt (vgl. BERNASCONI, a.a.O., S. 394 ff.; PIETH, a.a.O., vor Art. 322ter StGB N. 18). Dies muss insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden gelten, wo der direkt betroffene Staat selbst ein konkurrierendes Ersuchen eingereicht hat und dieses nicht zum Vornherein rechtsmissbräuchlich erhoben erscheint. Darüber hinaus insistiert hier die Russische Föderation ausdrücklich auf der völkerrechtlichen Immunität ihres ehemaligen Regierungsmitgliedes gegenüber ausländischer Strafverfolgung.
Wie ebenfalls dargelegt, darf der Vollzug des bewilligten russischen Ersuchens jedoch dem Sinn und Zweck des EAUe nicht zuwider laufen (vgl. E. 3.4). Das bedeutet, dass die russischen Justizbehörden internationalstrafrechtlich verpflichtet sind, den fraglichen Sachverhalt zu untersuchen und bei Anhaltspunkten für strafbare Handlungen Anklage gegen den Verfolgten bzw. gegen die Verdächtigen zu erheben. Mit Schreiben vom 16. August 2005 an das EJPD hat die russische Generalstaatsanwaltschaft förmlich zugesichert, dass sie (auf Ersuchen der USA) auch die dem Verfolgten von den US-Behörden zur Last gelegten Straftaten untersuchen und verfolgen werde. Es steht den Justizbehörden der USA frei, ein entsprechendes Ersuchen um stellvertretende Strafverfolgung zu stellen; der Verfolgte hat insofern auf die Einrede der Spezialität ausdrücklich verzichtet. Die USA haben somit ein legitimes Interesse daran, über den weiteren Verlauf des Verfahrens und über das Resultat der Strafuntersuchung der russischen Generalstaatsanwaltschaft informiert zu werden.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer ist für die Verfahren vor dem BJ und dem Bundesgericht eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 159 OG).BGE 132 II 81 (102)