Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
4. Fragen kann sich bloss noch, ob die von der Regierung des Kant ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kanton Graubünden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
2C_382/2009 vom 5. Mai 2010
 
 
Regeste
 
Art. 89 Abs. 1 BGG; Legitimation einer Kantonsregierung zur Anfechtung eines Entscheides über kantonale Nachlasssteuern; analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen; Rechtsfolgen der Verletzung der Ausstandspflicht durch einen kantonalen Richter.
 
Keine analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen (E. 3).
 
Der Umstand, dass am vorinstanzlichen Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten müssen, kann nicht als derart schwer wiegend bezeichnet werden, dass er die Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids bewirkt (E. 4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 136 II 383 (384)A. X. (geb. 1944) zog 1959 von Davos/GR in den Kanton Zürich, wo er seither wohnhaft und steuerpflichtig ist. Über mehrere Jahre erhielt er von seinem Vater Y. (geb. 1923), welcher im Kanton Graubünden wohnhaft und steuerpflichtig ist, diverse Erbvorbezüge in der Höhe von total Fr. 436'000.- (1982: Fr. 180'000.-; 1983/84: Fr. 70'000.-; 1997/98: Fr. 136'000.-; 1999/2000: Fr. 50'000.-). Für diese Zuwendungen leitete die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 das Veranlagungsverfahren ein. Mit Datum vom 6. November 2008 veranlagte die Steuerverwaltung basierend auf einem Vorempfangswert von Fr. 436'000.- eine Steuer von Fr. 17'440.-. Die Steuerverwaltung stützte sich dabei auf die Übergangsbestimmungen im kantonalen Steuergesetz zur - per 1. Januar 2008 erfolgten - Abschaffung der Nachlasssteuer für direkte Nachkommen. Gegen diese Veranlagungsverfügung erhob der Steuerpflichtige Einsprache und machte geltend, die Steuerforderung sei verjährt. Mit Entscheid vom 15. Januar 2009 wies die Steuerverwaltung die Einsprache ab und begründete dies damit, dass die Verjährung gemäss den erwähnten Übergangsbestimmungen erst am 1. Januar 2008 zu laufen begonnen habe.BGE 136 II 383 (384)
BGE 136 II 383 (385)Dagegen erhob der Steuerpflichtige Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und machte wiederum geltend, die umstrittene Nachlasssteuer sei längst verjährt. Mit Urteil vom 12. Mai 2009 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut. Zur Begründung brachte es vor, die gesetzliche Grundlage für die Erhebung der Nachlasssteuer für die direkten Nachkommen sei per 1. Januar 2008 weggefallen.
B. Mit Eingabe vom 11. Juni 2009 erhebt der Kanton Graubünden, vertreten durch die Regierung des Kantons Graubünden, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Bestätigung des Einspracheentscheids der Steuerverwaltung. Eventualiter sei das Urteil wegen Verletzung von Parteirechten aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)
 
 
Erwägung 2
 
2.3 Nach dem allgemeinen Beschwerderecht von Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen AngelegenheitenBGE 136 II 383 (385) BGE 136 II 383 (386)berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Diese Regelung ist zwar in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen wird. Das ist hier aber nicht der Fall; der Kanton ist durch die umstrittene Anwendung der Übergangsbestimmungen nicht wie eine Privatperson betroffen. Der Beschwerdeführer will seine Legitimation zwar aus dem Urteil (des Bundesgerichts) 2C_792/2008 vom 19. Februar 2009 E. 1.2, in: StE 2009 B 73.14 Nr. 3, ableiten. Dabei verkennt er jedoch, dass sich die hier zu beurteilende Angelegenheit von der im zitierten Entscheid behandelten wesentlich unterscheidet: Damals ging es im Rahmen der Nachlassliquidation der SAirLines um die Zuordnung einer Steuerforderung zu den Masseforderungen oder aber zu den Nachlassforderungen, womit der Kanton als Steuergläubiger in einer Gläubigerstellung wie eine Privatperson im Zwangsvollstreckungsverfahren betroffen war. Vorliegend steht aber nicht eine Gläubigerposition in Frage, sondern die Betroffenheit in der Steuerhoheit, d.h. in hoheitlichen Interessen.
2.4 Das Gemeinwesen kann in bestimmten Fällen auch in hoheitlichen Interessen derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG ausgeht (BGE 135 II 12 E. 1.2.1 S. 15; BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 47; zur Heranziehung der früheren Praxis bei der Auslegung: BGE 133 II 400 E. 2.4.1 S. 406). Das kann namentlich bei wichtigen vermögensrechtlichen Interessen der Fall sein (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47; vgl. die Beispiele bei HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 35 f. zu Art. 89 BGG; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 43 f. zu Art. 89 BGG; ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 41 zu Art. 89 BGG). Bei Eingriffen in spezifische eigene Sachanliegen wird die Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens bejaht, wenn es in qualifizierter Weise betroffen ist (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47); dies ist dann anzunehmen, wenn ein Hoheitsakt wesentliche öffentliche Interessen in einem Politikbereich betrifft, der ihm zur Regelung zugewiesen wurde (BGE 135 II 12 E. 1.2.2 S. 15 f.). In jedem Fall aber setzt die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichenBGE 136 II 383 (386) BGE 136 II 383 (387)Interessen voraus; gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG dürfen Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zugelassen werden (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47). Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung verschafft dem Gemeinwesen noch keine Beschwerdebefugnis. Insbesondere ist die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht berechtigt, gegen den sie desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu gelangen. Zur Begründung des allgemeinen Beschwerderechts genügt auch nicht jedes beliebige, mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene finanzielle Interesse des Gemeinwesens (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 47 mit Hinweisen).
2.5 Eine derartige spezifische und qualifizierte Betroffenheit des Gemeinwesens ist vorliegend nicht ersichtlich. Zwar geniessen die Kantone bei der Regelung der Erbschafts- und Schenkungssteuern einen erheblichen Gestaltungsspielraum, und es kann sich dabei auch um einen namhaften Teil der Staatseinnahmen handeln. Indessen hat der Kanton Graubünden mit dem Gesetz, dessen Übergangsbestimmungen hier umstritten sind, die Nachlasssteuer für die Nachkommen, also im häufigsten und wichtigsten Anwendungsfall, gerade abgeschafft. Er hat damit kundgetan, dass es sich insoweit um einen entbehrlichen Teil seiner Gesetzgebung handelt und damit um Einnahmen, auf die er in Zukunft ganz verzichten kann. Mithin geht es für den Kanton Graubünden nicht (mehr) um einen wichtigen Regelungsbereich. Hat er aber der Nachlasssteuer im Hauptanwendungsfall, also für die Nachkommen, selber im Hinblick auf die Alimentierung der Staatsfinanzen keine Bedeutung mehr zugemessen, so kann umso mehr auch der diesbezüglichen Übergangsbestimmung betreffend die noch nicht versteuerten Vorempfänge der Nachkommen keine grosse Bedeutung mehr zukommen. Der Umstand, dass es sich dabei um die Erfassung von recht zahlreichen Vorfällen mit einem Steueraufkommen von ca. 30 Mio. Franken handelt, vermag daran nichts zu ändern. Sind die Einnahmen aus einem bestimmten Bereich inskünftig überhaupt verzichtbar, so kommt auch den noch nicht erledigten Fällen aus früheren Jahren einnahmenseitig im Normalfall keine zentrale Bedeutung zu; spezielle Verhältnisse sind hier vom Kanton nicht dargetan worden.
2.6 Daraus folgt, dass der Kanton Graubünden durch die Auslegung und Anwendung der umstrittenen Übergangsbestimmung nicht qualifiziert in eigenen hoheitlichen Interessen und damit nicht inBGE 136 II 383 (387) BGE 136 II 383 (388)schutzwürdigen Interessen im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG betroffen ist. Er kann in der Sache selber keine Legitimation beanspruchen. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist insoweit nicht einzutreten.
 
Erwägung 3
 
3.3 Die "Star-Praxis" wurde unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz, OG; BS 3 531) zur staatsrechtlichen Beschwerde entwickelt; sie ermöglichte privaten Beschwerdeführern, die keine materiellen "rechtlich geschützten Interessen" (vgl. Art. 88 OG und dazu BGE 113 Ia 247 E. 2 S. 249) geltend machen konnten, die Durchsetzung von rechtlich geschützten Verfahrensinteressen. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, zu deren Ergreifung schon befugt war, wer durch einen Entscheid betroffen war und an dessen Aufhebung oder Änderung ein schutzwürdiges eigenes (rechtliches oder auch nur tatsächliches) Interesse geltend machen konnte (Art. 103 lit. a OG; BGE 98 Ib 63 E. 2c S. 70 f.), erwies sich die "Star-Praxis" aber als entbehrlich. Dementsprechend hat das Bundesgericht im Bereich des öffentlichen Rechts nach der Einführung des BGG die "Star-Praxis" übernommen, wo die Beschwerdeführung vor dem Bundesgericht ein rechtlich geschütztes Interesse voraussetzt und nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zur BGE 136 II 383 (388) BGE 136 II 383 (389)Verfügung steht (Art. 115 lit. b BGG; BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198 f.). Ausnahmsweise hat es die "Star-Praxis" aber analog angewendet, wenn die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offenstand. Dies war bei Popularbeschwerdeführern der Fall, die materiell keine hinreichend nahe Beziehung zur Streitsache aufwiesen, aber vorinstanzlich über besondere Verfahrensrechte verfügten (so für den Radio- und Fernsehbereich: BGE 135 II 430 E. 3.2 S. 437; vgl. auch schon für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde: BGE 123 II 115 E. 2c S. 120 f.).
Auf die Verfassungsrügen der Regierung ist daher auch unter diesem Gesichtswinkel nicht einzutreten.
4.1 Die Verletzung der Ausstandsregeln und somit der Garantie des unabhängigen Richters kann ausnahmsweise, in besonders schwer wiegenden Fällen, die Nichtigkeit des Entscheids zur Folge haben; die Nichtigkeit ist in solchen Fällen von Amtes wegen zu beachten und festzustellen. Zu den besonders schwer wiegenden Fällen ist dabei insbesondere die Verfolgung persönlicher Interessen zu zählen (BGE 120 IV 226 E. 7b S. 241; vgl. auch BGE 114 Ia 153 E. 3a/bbBGE 136 II 383 (389) BGE 136 II 383 (390)S. 156 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, N. 971; BREITENMOSER/SPORI FEDAIL, in: VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2009, N. 104 zu Art. 10 VwVG; PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. II, 2. Aufl. 2002, S. 316). Selbst bei formell unzulässigen Beschwerden kann das Bundesgericht, wenn es mit einer nichtigen Verfügung befasst wird, eingreifen und diese von Amtes wegen aufheben (BGE 94 III 65 E. 2 S. 71; BGE 132 III 539 E. 3 S. 541).
4.4 Vorliegend steht eine solche Betroffenheit zur Diskussion: Der mitwirkende Verwaltungsrichter V. scheint durch die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung der Übergangsbestimmung in bedeutendem Mass persönlich betroffen, weil er offenbar ein Veranlagungsverfahren zu gewärtigen hat, in dem die genau gleicheBGE 136 II 383 (390) BGE 136 II 383 (391)Rechtsfrage zu beantworten ist und die Antwort für ihn - je nach Ergebnis - mit beträchtlichen Steuerfolgen verbunden ist. In einem solchen Fall, in dem ein mitwirkender Richter am Ergebnis ein ableitbares und absehbares erhebliches eigenes Interesse hat, kann dieser Richter nicht mehr als unabhängig erscheinen. Es muss auf ein persönliches Interesse an der Beurteilung der Sache geschlossen werden, das ihn beeinflussen könnte und somit in den Ausstand zwingt. Daraus folgt, dass am vorinstanzlichen Entscheid anscheinend ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten müssen.
Die weiteren Umstände schliessen die Möglichkeit unerlaubter Einflussnahme nicht aus. So hat die Regierung - wiederum unwidersprochen - darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis seine bisherige Praxis bezüglich des Zeitpunkts, in dem die Steuerpflicht für Vorempfänge entsteht bzw. entstand, geändert hat, was den persönlichen Interessen von Verwaltungsrichter V. entgegenkam. Das Verwaltungsgericht hat sein Ergebnis im Weiteren auf Argumente (Wegfall der gesetzlichen Grundlage) gestützt, die im unterinstanzlichen Verfahren und in den Rechtsschriften gar nicht vorgebracht worden waren (dort ging es nur um die Verjährung), sondern erstmals von ihm selber releviert worden sind.