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Regeste
Sachverhalt
1. Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Abs. 1).
2. Das Bundesstrafgericht (BStGer) begründet seinen Nichtein ...
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10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_485/2010 vom 20. Dezember 2010
 
 
Regeste
 
Art. 31, Art. 32 Abs. 2 lit. a und Art. 33 lit. d VGG; Art. 28 Abs. 1 lit. e SGG; Art. 25 Abs. 1 und Art. 80e Abs. 1 IRSG; Art. 17 BG-RVUS; Art. 83 lit. h und Art. 84 BGG; Fiskalauskunft an die USA im "Fall UBS".
 
 
Sachverhalt
 
BGE 137 II 128 (129)A. Mit Schlussverfügung vom 16. August 2010 bewilligte die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV), Task Force Amtshilfe USA, Amtshilfe an die USA. Auf eine Beschwerde von X. und Y., zwei von der Schlussverfügung betroffenen Bankkunden der UBS AG (Schweiz), trat das Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer, am 13. Oktober 2010 (mangels Zuständigkeit) nicht ein.
B. Gegen den Nichteintretensentscheid des Bundesstrafgerichts gelangten die betroffenen Bankkunden mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. Oktober 2010 an das Bundesgericht. Sie rügen u.a. Verstösse gegen den Rechtshilfevertrag mit den USA (RVUS), die Bundesverfassung, die EMRK, den UNO-Pakt II und das Bundesgesetz betreffend den Rechtshilfevertrag mit den USA (BG-RVUS). Die Beschwerdeführer beantragen im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. (...)
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
 
Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Abs. 2). Auch Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung können nach der Praxis eine materielle Prüfung durch das Bundesgericht nach sich ziehen (vgl. BGE 136 IV 20 E. 1.2 S. 22, BGE 133 IV 88 E. 3 S. 89 ff.; BGE 134 IV 156 E. 1.3.3 S. 160 f.; BGE 133 IV 215 E. 1.2 S. 217 f., BGE 133 IV 271 E. 2 S. 273 ff.; Pra 2010 Nr. 22 S. 141; zur betreffenden Rechtsprechung s. AEMISEGGER/FORSTER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 29-32 zu Art. 84 BGG). In begründeten Fällen kann dies auch für wichtige Fragen betreffend Sachurteilsvoraussetzungen im Beschwerdeverfahren (etwa zur Beschwerdelegitimation) zutreffen (Urteil 1C_287/2008 vom 12. Januar 2009 E. 1.3, in: Pra 2010 Nr. 22 S. 141).BGE 137 II 128 (129)
BGE 137 II 128 (130)1.1 In der streitigen Schlussverfügung der EStV wurde unbestrittenermassen die Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich an die USA bewilligt. Insofern ist die Sachurteilsvoraussetzung von Art. 84 Abs. 1 BGG erfüllt. Die Frage, ob hier Rechts- oder Amtshilfe zu gewähren sei (Art. 84 und 83 lit. h BGG) bzw. ob eine Umgehung von Rechtshilfevorschriften vorliege, bildet Streitgegenstand der Beschwerde. Die Beschwerdeführer vertreten die Ansicht, es stelle sich im vorliegenden Zusammenhang eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die vom Bundesgericht (unter dem Gesichtspunkt von Art. 84 BGG) materiell zu prüfen sei.
1.2 Die Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden das Bundesverwaltungsgericht als einzige gerichtliche Instanz (oder aber das Bundesstrafgericht bzw. das Bundesgericht) zur Beurteilung von Beschwerden zuständig sei, stellt im Lichte der oben dargelegten Praxis eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Dabei ist auch der wirtschafts- und rechtspolitischen Wichtigkeit und Tragweite der Angelegenheit "UBS-Fiskalauskünfte USA" Rechnung zu tragen (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates vom 14. April 2010 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG sowie des Änderungsprotokolls, BBl 2010 2965 ff., 2969 ff.; s. auch URS R. BEHNISCH, Aktuelle Entwicklungen in der Amts- und Rechtshilfe im Steuerbereich, in: Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], 2009, S. 249 ff.; BONNARD/GRISEL, L'Accord UBS: spécificités, validité, conformité aux droits de l'homme, RDAF 2010 II S. 361 ff.; COTTIER/MATTEOTTI, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichtes zum UBS-Amtshilfeabkommen, erste Einschätzungen und Auswirkungen, Jusletter vom 8. März 2010; LEUPOLD/KUSTER, Hintergrund und Zustandekommen des Abkommens über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG, ASA 2009 S. 345 ff.; LÖTSCHER/BUHR, Abkommen Schweiz-USA in Sachen UBS: sind dem Bundesverwaltungsgericht die Hände gebunden-, Anwaltsrevue 13/2010 S. 9 ff.; MARKUS REICH, Das Amtshilfeabkommen in Sachen UBS oder die Grenzen der Staatsvertragskompetenz des Bundesrats: die Rechtslage nach dem BVGer-Urteil vom 21. Januar 2010, IFF Forum für Steuerrecht 2010 S. 111 ff.; HENRI TORRIONE, Abus [impôt éludé], fraude et soustraction en droit fiscal suisse, une étude comparative de ces notions à partir de la jurisprudence du TF et de l'arrêt du TAF du 5 mars 2009 dans l'affaire UBS, in: Evasion fiscale, 2010, S. 149 ff.; ROBERTBGE 137 II 128 (130) BGE 137 II 128 (131)WALDBURGER, Das Amtshilfeverfahren wegen "Steuerbetrugs und dergleichen" mit den USA, IFF Forum für Steuerrecht 2009 S. 91 ff.).
Das Bundesgericht hat sich zur Frage der Zuständigkeiten (in der vorliegenden Konstellation) bisher noch nicht äussern können.
(...)
Die von den eidgenössischen Behörden als Amtshilfeverfahren behandelte Streitsache sei als internationales Rechtshilfeverfahren in Strafsachen mit den USA zu qualifizieren. Daher müsse das amerikanische Ersuchen aufgrund der verfahrensrechtlichen und materiellen Bestimmungen des Staatsvertrags vom 25. Mai 1973 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS; SR 0.351.933.6) und des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (BG-RVUS; SR 351.93) geprüft werden. Für die Schlussverfügung zuständig sei nicht die EStV, sondern das Bundesamt für Justiz (Zentralstelle USA). In diesem Zusammenhang erhobene Beschwerden habe das BStGer zu prüfen. Für die streitige Frage, ob das BStGer oder das BVGer als Beschwerdeinstanz zuständig sei, habe das Bundesgericht eine inhaltliche Abgrenzung zwischen Amts- und Rechtshilfe zu treffen. Das BStGer habe im angefochtenen Entscheid eine "rein formale" Abgrenzung vorgenommen, was unzulässig sei und zur rechtsmissbräuchlichen Umgehung der Vorschriften über die internationale Strafrechtshilfe führe. Die bestehenden Amtshilfenormen (insbesondere das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA oder das Abkommen zwischen der Schweiz und den USA betreffend Amtshilfegesuch UBSBGE 137 II 128 (131) BGE 137 II 128 (132)AG) bildeten keine Grundlage für das streitige Auskunftsersuchen bzw. für eine Zuständigkeit des BVGer. Mit der nachträglichen Genehmigung des Abkommens USA/UBS habe der Gesetzgeber u.a. die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung, das Rechtsgleichheitsprinzip und das Rückwirkungsverbot verletzt. Auch die materiellen Voraussetzungen der internationalen Strafrechtshilfe seien nicht erfüllt, was vom BStGer festzustellen sei.
Die anderslautende Rechtsauffassung des BStGer verstosse gegen Völkerrecht (diverse Bestimmungen des UNO-Paktes II, der EMRK und des RVUS) und Bundesrecht (diverse Vorschriften der BV und des BG-RVUS).
2.3 Im vorliegenden Fall stützt sich die erstinstanzliche Schlussverfügung der EStV auf internationales Amtshilferecht, nämlich auf das Doppelbesteuerungsabkommen vom 2. Oktober 1996 mit den USA (SR 0.672.933.61; im Folgenden: DBA-USA, mit Änderungsprotokoll vom 23. September 2009 [BBl 2010 4359; 2010 235, 247];s. auch Vo DBA-USA; ADV [SR 672.204]) sowie auf das Abkommen vom 19. August 2009 zwischen der Schweiz und den USA über ein Amtshilfegesuch betreffend die UBS AG (Schweiz) mit Änderungsprotokoll vom 31. März 2010 (SR 0.672.933.612; AS 2010 1459; BBl 2010 3001, 3027; im Folgenden: Abkommen USA/UBS, genehmigt von der Bundesversammlung mit Bundesbeschluss vom 17. Juni 2010 [AS 2010 2907, 2909; BBl 2010 2965 ff.]). DieEStV bewilligte in ihrer Verfügung ein Amtshilfeersuchen der USA (nämlich des U.S. Internal Revenue Service in Washington, D.C.). Nach den anwendbaren völkerrechtlichen Normen steht es dem ersuchenden Staat (auch im Fiskalauskunftsrecht) grundsätzlich frei, ob er gestützt auf die Bestimmungen des Rechtshilferechts (RVUS, BG-RVUS, IRSG i.V.m. VStrR usw.) ein Rechtshilfegesuch stellen will oder - wie hier - ein Amtshilfeersuchen gestützt auf die oben genannten einschlägigen Rechtsquellen. Zwar kann der ersuchende Staat nicht autonom bestimmen, ob und in welchem Umfang er Amtshilfe erhält; diesbezüglich hat er den Verfahrensweg vor den Behörden des ersuchten Staates zu durchlaufen. Der ersuchendeBGE 137 II 128 (133) BGE 137 II 128 (134)Staat kann jedoch selber wählen, ob er ein Amts- oder ein Rechtshilfegesuch einreichen und prüfen lassen will (s. dazu BEHNISCH, a.a.O., S. 250; WALDBURGER, a.a.O., S. 94 f., 105; zum Abkommen USA/UBS als völkerrechtlich verbindlicher Staatsvertrag, seiner nachträglichen Genehmigung durch das Parlament und seinem Verhältnis zum DBA-USA vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2965 ff., 2985 f. Ziff. 6.2-6.3; REICH, a.a.O., S. 112-127). Auch die Rüge von Betroffenen, ein Amtshilfegesuch sei rechtsmissbräuchlich gestellt worden (oder diene der blossen Umgehung der Bestimmungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen), ist von den im Amtshilfeverfahren zuständigen Justizbehörden des ersuchten Staates zu beurteilen (dazu oben, E. 2.2.2).
2.3.1 Daran vermag auch das Vorbringen der Beschwerdeführer nichts zu ändern, der streitige Amtshilfeentscheid der EStV komme faktisch einem Rechtshilfeentscheid gleich. Die Frage, ob es sich um eine Amts- oder eine Rechtshilfeangelegenheit handelt, richtet sich nach den anwendbaren internationalen und innerstaatlichen Rechtsquellen. Da die amerikanischen Behörden ihr Auskunftsersuchen auf spezifisches (völkerrechtlich verbindliches) materielles und formelles Amtshilferecht stützen (und nicht auf die separaten Bestimmungen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen), bleibt bei der Bestimmung des Verfahrens und der behördlichen bzw. gerichtlichen Prüfungszuständigkeiten kein Platz für eine weitere (rechtsdogmatisch-begriffliche) "Abgrenzung" zwischen Amts- und Rechtshilfe: Fiskalauskunftsfälle wie den vorliegenden haben die Vertragsstaaten verbindlich dem Amtshilferecht zugewiesen (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2965 ff., 2976 Ziff. 4.2). Diese normative Festlegung der Verfahren und Zuständigkeiten ist (gemäss Art. 190 BV) auch für das Bundesgericht massgebend (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2985 Ziff. 6.2; REICH, a.a.O., S. 120 f., 126). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer lässt sich der rechtspolitische Entscheid des Gesetzgebers auch nicht über begriffliche Argumentationen zur (rechtsdogmatisch schwierigen und ungeklärten) Abgrenzung zwischen Amts- und Rechtshilfe umstossen (vgl. zu den wissenschaftlichen Definitionsbemühungen z.B. CAROLIN HÜRLIMANN-FERSCH, Die Voraussetzungen für die Amts- und Rechtshilfe in Steuerstrafsachen, 2010, S. 6-10; WALDBURGER, a.a.O., S. 93-96; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 3. Aufl. 2009, Rz. 9-10). Die materielle Eingrenzung der Amts- und Rechtshilfe, insbesondere die Prüfung der Frage, ob im Einzelfall dieBGE 137 II 128 (134) BGE 137 II 128 (135)Amts- bzw. Rechtshilfevoraussetzungen erfüllt sind, bleibt den dafür zuständigen Justizbehörden vorbehalten.
BGE 137 II 128 (136)2.5 Der angefochtene Nichteintretensentscheid des BStGer erweist sich als bundes- und völkerrechtskonform. Die Beschwerde ist insoweit abzuweisen.