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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Die Vorinstanz hat die Anordnung des AWA, wonach die Beschwerd ...
Erwägung 4
Erwägung 5
Erwägung 6
Erwägung 7
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38. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_90/2016 vom 11. August 2016
 
 
Regeste
 
Art. 8 Abs. 1 und Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 16c Abs. 2 EOG; § 20 Abs. 1 und § 22 der Verordnung des Grossen Rates des Kantons Thurgau vom 18. November 1998 über die Besoldung des Staatspersonals (Besoldungsverordnung).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 142 II 425 (426)A. A., geboren 1973, war ab 2001 beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau (AWA) angestellt. Am 1. September 2014 gebar sie ihre Tochter, welche in der Folge aus medizinischen Gründen bis 31. Oktober 2014 hospitalisiert war. A. machte deshalb von der Möglichkeit des Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs Gebrauch und bezog diesen nach Entlassung ihrer Tochter aus dem Spital ab 1. November 2014. Das AWA regelte mit Verfügung vom 10. September 2014 den Bezug des Mutterschaftsurlaubs neu, indem es festhielt, bis zur Entlassung des Kindes aus dem Spital habe die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und deshalb unbezahlten Urlaub zu beziehen. Die Personalrekurskommission des Kantons Thurgau bestätigte dies mit Entscheid vom 20. Februar 2015.
B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde am 25. November 2015 ab.
C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr vom 1. September bis 31. Oktober 2014 Lohnfortzahlung zu gewähren; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung der Lohnfortzahlung zurückzuweisen.
Das AWA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
BGE 142 II 425 (427)Die Beschwerdeführerin macht hingegen geltend, sie habe während dieser Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung wegen Krankheit. Die Betrachtungsweise der Vorinstanz sei geschlechterdiskriminierend, da die männlichen Arbeitnehmer nicht in eine Situation kämen, in welcher sie trotz ärztlich attestierter Krankheit ohne Lohnfortzahlung seien. Zudem verstosse diese Anordnung gegen das auch im öffentlichen Dienstrecht geltende Beschäftigungsverbot in den ersten acht Wochen nach der Niederkunft.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Lohnersatz für die acht Wochen und fünf Tage zwischen ihrer Niederkunft und dem Beginn der Mutterschaftsentschädigung bei Entlassung ihres Kindes aus dem Spital hat. Nicht streitig ist hingegen, dass sie die Voraussetzungen für den Aufschub der Mutterschaftsentschädigung erfüllt.
 
Erwägung 4
 
BGE 142 II 425 (427)
BGE 142 II 425 (428)4.3 Nach Art. 16c Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Erwerbsersatzgesetz, EOG; SR 834.1) beginnt der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung am Tag der Niederkunft. Bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen kann die Mutter beantragen, dass die Mutterschaftsentschädigung erst ausgerichtet wird, wenn das Kind nach Hause kommt (Art. 16c Abs. 2 EOG). Der Beginn des Entschädigungsanspruchs wird nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 24. November 2004 zum Erwerbsersatzgesetz (EOV; SR 834.11) aufgeschoben, wenn die Mutter den Antrag nach Art. 16c Abs. 2 EOG stellt (lit. a) und durch ein Arztzeugnis nachgewiesen wird, dass das Neugeborene kurz nach der Geburt mindestens drei Wochen im Spital verbleiben muss (lit. b). Der Aufschub beginnt mit dem Tag der Geburt und endet am Tag, an welchem das Neugeborene zur Mutter zurückkehrt oder stirbt (Art. 24 Abs. 2 EOV).
§ 22 Abs. 1 BesVO statuiert für Mitarbeiterinnen, welche die Voraussetzungen für die Mutterschaftsentschädigung gemäss EOG erfüllen, den Anspruch auf 16 Wochen Urlaub bei voller Besoldung gemäss dem Beschäftigungsgrad vor der Niederkunft. Der Urlaub beginnt in der Regel zwei Wochen vor dem ärztlich bestimmten Niederkunftstermin (Abs. 2). Der Regierungsrat regelt nach Abs. 3 Ziff. 2 den Beginn des Urlaubs in besonderen Fällen, etwa bei Niederkunft vor oder nach dem errechneten Termin.BGE 142 II 425 (428)
BGE 142 II 425 (429)Gestützt auf § 22 Abs. 3 BesVO hat der Regierungsrat in § 39a Abs. 3 RRVBesVO festgehalten, dass der bezahlte Urlaub unterbrochen und für diese Zeit unbezahlter Urlaub gewährt wird, wenn eine Mitarbeiterin den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nach EOG wegen längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen aufschiebt.
 
Erwägung 5
 
5.4 Daran ändert auch die Absicht des Bundesgesetzgebers, die Arbeitgeber durch die Mutterschaftsentschädigung zu entlasten, nichts. Der eigentliche Zweck der Mutterschaftsentschädigung, den Müttern die Zeit für die Erholung von der Geburt und die intensive Betreuung des Neugeborenen in den ersten Monaten finanziell abzusichern, geht vor. Überdies ist die Anzahl Fälle, bei welchen ein Aufschub und demnach ein Lohnersatz zu Lasten des Arbeitgebers überhaupt in Frage kommt, angesichts der restriktiven Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2 EOG gering (mindestens dreiwöchiger Spitalaufenthalt des Kindes; vgl. Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016 als Antwort auf die Postulate 10.3523 Maury Pasquier vom 17. Juni 2010 und 10.4125 Teuscher vom 17. Dezember 2010, S. 15 f., www.parlament.ch). Weiter ist nicht ausser Acht zu lassen, dass auf Bundesebene Bestrebungen im Gange sind, die Lohnfortzahlung in Fällen des Aufschubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG explizit in jedem Fall sicherzustellen (vgl. Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016, a.a.O.). Zudem hat die Rechtsprechung in Fällen des Aufschubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG bei dem Arbeitsrecht des OR unterstellten Frauen eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (insbesondere gestützt auf die gesetzliche Pflicht der Eltern zur Betreuung ihres Kindes) bejaht (einlässlich ROGER RUDOLPH, Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Aufschub derBGE 142 II 425 (430) BGE 142 II 425 (431)Mutterschaftsentschädigung infolge Spitalaufenthalt des neugeborenen Kindes, ARV 2013 S. 235 ff.; in diesem Sinne auch bereits der Entscheid des Genfer Appellationsgerichts in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vom 17. Oktober 2008, publiziert in JAR 2009 S. 522 ff.). Auch ist sich die herrschende Lehre einig, dass in diesen Fällen ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht (vgl. etwa STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 16 zu Art. 324a/b OR; JÜRG BRÜHWILER, Einzelarbeitsvertrag, 3. Aufl. 2014, N. 22 zu Art. 324a OR S. 185 und N. 3 zu Art. 329f OR S. 279; PORTMANN/RUDOLPH, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 41 zu Art. 324a OR und N. 5 zu Art. 329f OR; RUDOLPH, a.a.O., S. 239 mit Hinweisen; SABINE STEIGER-SACKMANN, Mutterschaftsentschädigung, in: Recht der Sozialen Sicherheit, Steiger-Sackmann/Mosimann [Hrsg.], 2014, Rz. 32.73; PERRENOUD, a.a.O., S. 1153 ff. und S. 1349; a.M. wohl FRANK EMMEL, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Vertragsverhältnisse Teil 2, Huguenin/Müller-Chen [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 1 zu Art. 329f OR; vgl. auch JEAN-MICHEL DUC, L'allocation de maternité et la coordination avec les autres prestations des assurances, AJP 2005 S. 1010 f.). Diese Bestrebungen stehen denn auch in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Mutterschaftsentschädigung (Art. 116 Abs. 3 BV), wonach die wirtschaftlichen sprich finanziellen Folgen von Mutterschaft abgesichert werden sollen (vgl. etwa Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016, a.a.O., S. 3 sowie GÄCHTER/FILIPPO, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 22 ff. zu Art. 116 BV).
 
Erwägung 6
 
6.1 Die freie Wahl der Mütter, vom bundesrechtlich vorgesehenen Aufschub der Mutterschaftsentschädigung nach Art. 16c Abs. 2 EOG Gebrauch zu machen, wird durch die thurgauische Regelung wesentlich beeinträchtigt. Sie könnten aus finanziellen Gründen gezwungen sein, sich trotz Erfüllung der restriktiven Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2 EOG gegen einen Aufschub zu entscheiden. Damit aber wird die Erreichung des von Art. 16c Abs. 2 EOG verfolgten Zwecks, der Mutter die Möglichkeit zu geben, sich in den ersten Monaten zu Hause selbst intensiv um das Kind kümmern zu könnenBGE 142 II 425 (431) BGE 142 II 425 (432)(vgl. etwa Bericht Komm. NR, BBl 2002 7522, 7545 zu Art. 16c), wesentlich erschwert oder gar aus finanziellen Überlegungen verunmöglicht. Der kantonalrechtlich vorgesehene zwangsweise Bezug von unbezahltem Urlaub für die Zeit zwischen Niederkunft und aufgeschobenem Beginn der Mutterschaftsentschädigung infolge Hospitalisation des Kindes ist umso stossender, als eine Mutter, auch wenn sie bei bester Gesundheit ist und arbeiten könnte, dies in der Regel in den ersten acht Wochen nach der Geburt nicht tun darf (Art. 35a Abs. 3 ArG) und durch eine vorzeitige Arbeitsaufnahme ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung erst noch verwirkt (Art. 16d Satz 2 EOG; BGE 139 V 250; vgl. auch STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 7 zu Art. 329f OR). Eine tatsächlich freie Wahl ist unter diesen Umständen nicht gewährleistet.
 
Erwägung 7