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BGE 137 III 217 - Instanzenzug in Handelsregistersachen


Regeste
Sachverhalt
2. Thema des vorliegenden Falls bildet die Frage, ob die Regelung über die Kostenüberwälzung auf die Betreiber von Kernkraftwerken für die vorsorgliche Beschaffung und Verteilung, die Kontrollen, den Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie für die Information der Bevölkerung und der Fachleute (Art. 10 JTV) auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruht. Die Frage, ob die Massnahmen gestützt auf Art. 3 JTV rechtlich zulässig sind, muss erst dann geprüft werden, wenn das Bundesgericht zum Schluss käme, dass die bestrittene gesetzliche Grundlage für die erwähnte Kostenüberwälzung bestehe. Demzufolge gliedert sich der vorliegende Entscheid folgendermassen: Zunächst sind die Regelungen der Jodtabletten-Verordnung (E. 3.1) und die bundesrechtlichen Anforderungen an die Überprüfung von Rechtsverordnungen (E. 3.2-3.4) darzustellen. Alsdann ist zu prüfen, welches Gesetz die Grundlage für die Finanzierung bildet (E. 4). Art. 10 JTV ist anschliessend mit diesen Normen abzugleichen (E. 5). Schliesslich ist noch der Frage nachzugehen, ob sich eine gesetzliche Grundlage aus einer Regelung über die Kosten von Sicherungs- und Behebungsmassnahmen ergibt (E. 6).
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 4.2
Erwägung 4.3
5. Zu prüfen ist nunmehr, ob die Finanzierung der vorsorglic ...
Erwägung 5.3
Erwägung 5.5
Erwägung 6
Erwägung 7
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: A. Tschentscher, Flurina Tesch
 
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Axpo Power AG, Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, Kernkraftwerk Leibstadt AG und BKW Energie AG gegen Logistikbasis der Armee (LBA), Sanität, Armeeapotheke (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
2C_888/2016 vom 15. Oktober 2018
 
 
Regeste
 
Art. 5 Abs. 1, Art. 164 Abs. 1 lit. d, Art. 127 Abs. 1 BV; Art. 1, 2 Abs. 3, Art. 4, 5 Abs. 2 und 4, Art. 83 Abs. 1 und 2, Art. 84 lit. a KEG; Art. 1, 2 Abs. 3, Art. 3 lit. a, Art. 4, 8, 9, 17-22, 37 Abs. 2 Satz 2, Art. 47 StSG; Art. 46a RVOG; Art. 4 KHG; Art. 2, 59 USG; Art. 54 GSchG; Art. 1-3, 8, 10 JTV; Art. 12 Abs. 2 lit. a, Anhang 2 VBSTB; Art. 2 Abs. 1 lit. i StSV; Art. 2 lit. b, Art. 6-11, 12 ff. NFSV; Art. 7 lit. d KEV; fehlende gesetzliche Grundlage für die Regelung über die Kostenüberwälzung für Handlungen im Zusammenhang mit der Abgabe von Jodtabletten auf die Betreiber von Kernkraftwerken.
 
Der Geltungsbereich des Strahlenschutzgesetzes und des Kernenergiegesetzes sowie das Verhältnis der beiden Erlasse zueinander (E. 4).
 
Art. 4 StSG bildet für Art. 10 JTV keine genügend bestimmte gesetzliche Grundlage (E. 5.2); dasselbe gilt auch für Art. 83 KEG (E. 5.3). Art. 46a RVOG bildet nur Grundlage für Gebühren für Verfügungen und nicht für die Frage, ob der Inhalt einer Verfügung auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage basiert (E. 5.5).
 
Auch Art. 4 KHG ist nicht anwendbar, da das Risiko eines schweren Kernkraftwerkunfalls mit Austritt von Radioaktivität nicht unmittelbar drohend ist (E. 6).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 144 II 454 (456)A. Jodtabletten werden auf Anordnung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz ([seit 1. April 2018]; Art. 12 Abs. 2 lit. a i.V.m. Anhang 2 der Verordnung vom 2. März 2018 über den Bundesstab Bevölkerungsschutz [VBSTB; SR 520.17]) bei einem schweren Kernkraftwerkunfall mit Austritt von Radioaktivität eingesetzt. Rechtzeitig eingenommen sollen sie verhindern, dass sich über die Atemluft aufgenommenes radioaktives Jod in der Schilddrüse anreichert. Jodtabletten wurden erstmals 1991/1992 und nochmals 2004 vorsorglich an alle Haushaltungen, Betriebe, Schulen, Verwaltungen und weitere öffentliche und private Einrichtungen abgegeben.
Im Jahr 2004 erfolgte die Direktverteilung in den Zonen 1 und 2 (Umkreis kleiner als ca. 20 km um die schweizerischen Kernkraftwerke [KKW]) gestützt auf die inzwischen aufgehobene Verordnung vom 1. Juli 1992 über die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten (AS 1992 1421; nachfolgend: aJTV) i.V.m. der Verordnung vom 28. November 1983 über den Notfallschutz in der Umgebung von Kernanlagen (Notfallschutzverordnung; AS 1983 1877). In der Zone 3 (Umkreis grösser als ca. 20 km um KKW) wurden Jodtabletten in den Kantonen dezentral gelagert.
Am 22. Juni 2012 wurde die aJTV totalrevidiert; Anlass bildete die Katastrophe von Fukushima. Am 1. März 2014 trat die neue Verordnung vom 22. Januar 2014 über die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten (Jodtabletten-Verordnung; SR 814.52; nachfolgend auch: JTV) in Kraft. Im Gegensatz zur aJTV werden nun Jodtabletten im Umkreis von 50 km um ein schweizerisches KKW vorsorglich an alle Personen, welche sich regelmässig dort aufhalten,BGE 144 II 454 (456) BGE 144 II 454 (457)verteilt. Für die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten ist die Armeeapotheke, eine Verwaltungseinheit der Logistikbasis der Armee, zuständig. Der Auftrag zur Jodtablettenversorgung im Umkreis von 50 km um ein KKW wurde von der Armeeapotheke in mehrere Teilprojekte zerlegt.
B. Am 19. Oktober 2015 erliess die Logistikbasis der Armee gegenüber der Axpo Power AG, der Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, der Kernkraftwerk Leibstadt AG und der BKW Energie AG folgende Verfügung:
    "1. Die Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke der Schweiz tragen
    a) in den Gebieten der Schweiz im Umkreis von 20 km um die von ihnen betriebenen Kernkraftwerke; und
    b) in den Gebieten der Schweiz im Umkreis von 20 bis 50 km um die von ihnen betriebenen Kernkraftwerke,
    die Gesamtkosten für die vorsorgliche Jodtabletten-Beschaffung und -Verteilung, die Kontrollen, den Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie für die Information der Bevölkerung und der Fachleute.
    2. Es wird festgestellt, dass die Axpo Power AG, die BKW Energie AG, die KKW Gösgen-Däniken AG sowie die KKW Leibstadt AG die Kostenpflicht gemäss Ziff. 1a hiervor anerkennen und unter sich eine Einigung betreffend Kostenteiler finden konnten, sodass auf die diesbezügliche Festsetzung des Kostenschlüssels verzichtet werden kann. Die Kosten für die Aufwendungen gemäss Rechnung 90090499 vom 9. Mai 2014 für den Umkreis von 20 km (Ziff. 1a hiervor) betragen Fr. 17'074.-.
    3. Die Kosten für die Aufwendungen gemäss Rechnung 90090499 vom 9. Mai 2014 für den Umkreis von 20 bis 50 km (Ziff. 1b hiervor) betragen Fr. 35'891.90 und werden den Parteien wie folgt auferlegt:
    a) Auf die Axpo Power AG entfallen davon gemäss dem Verteilschlüssel 26,05 %, somit Fr. 9'349.85;
    b) Auf die BKW Energie AG entfallen davon gemäss dem Verteilschlüssel 24,19 %, somit Fr. 8'682.25;
    c) Auf die KKW Gösgen-Däniken AG entfallen davon gemäss dem Verteilschlüssel 28,92 %, somit Fr. 10'379.95;
    d) Auf die KKW Leibstadt AG entfallen davon gemäss dem Verteilschlüssel 20,84 %, somit Fr. 7'479.85.
    4. Die Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke der Schweiz tragen in den Gebieten der Schweiz ausserhalb von 50 km um die von ihnen betriebenen Kernkraftwerke die Hälfte der Gesamtkosten für die vorsorgliche Jodtabletten-Beschaffung und -Verteilung, die Kontrollen,BGE 144 II 454 (457) BGE 144 II 454 (458)den Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie für die Information der Bevölkerung und der Fachleute.
    5. Die den Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke der Schweiz auferlegte Hälfte der Gesamtkosten für die Jodtabletten-Versorgung gemäss Ziff. 4 hiervor wird von den Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke je zu gleichen Teilen, d.h. je zu 25 %, getragen."
C. Dagegen haben die Axpo Power AG, die Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, die Kernkraftwerk Leibstadt AG und die BKW Energie AG am 18. November 2015 gemeinsam Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil A-7711/2015 vom 23. August 2016 trat dieses auf die Beschwerde in Bezug auf die Ziffern 1b, 4 und 5 der Verfügung der Logistikbasis der Armee vom 19. Oktober 2015 nicht ein und wies die Beschwerde in Bezug auf Ziffer 3 dieser Verfügung ab.
D. Vor Bundesgericht beantragen die Axpo Power AG, die Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, die Kernkraftwerk Leibstadt AG und die BKW Energie AG, das Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 23. August 2016 und die Ziffern 1b, 3, 4 und 5 der Verfügung der Logistikbasis der Armee vom 19. Oktober 2015 aufzuheben. Sie machen u.a. geltend, dass eine abgaberechtskonforme gesetzliche Grundlage fehle. Schliesslich wären die Massnahme sowieso unverhältnismässig.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 3
 
Art. 3 JTV regelt die vorsorgliche Verteilung der Jodtabletten in Gemeinden im Umkreis von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk. Er bildet Grundlage für die Finanzierungsregelung des Art. 10 JTV, deren genügende gesetzliche Grundlage im vorliegenden Streitverfahren bestritten wird. Nach Art. 3 Abs. 1 JTV werden in den im Anhang aufgeführten Gemeinden im Umkreis von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk Jodtabletten vorsorglich an alle Personen verteilt, die sich regelmässig dort aufhalten. Abs. 2 legt fest, dass die Verteilung an die Haushalte und an andere Verteilorte zu erfolgen hat. Art. 3 Abs. 3 JTV regelt die Verpackung, und Abs. 4 verpflichtet die Kantone und Gemeinden, die Adressen der Verteilorte unter Angabe der jeweils benötigten Mengen der Armeeapotheke zu melden.
Bei einem Ereignis mit erhöhter Radioaktivität ordnet nach Art. 8 Abs. 1 JTV der Bundesstab Bevölkerungsschutz an, in welchen Gebieten der Schweiz ausserhalb von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk die Jodtabletten an die Bevölkerung abzugeben sind (lit. a) und in welchen Gebieten der Schweiz sowie für welche Dauer die Jodtabletten bereitzustellen und wann sie einzunehmen sind (lit. b). Grundlage für den Entscheid, ob die Einnahme der Jodtabletten angeordnet werden soll, ist nach Art. 8 Abs. 3 JTV das Dosis-Massnahmenkonzept nach Anhang 2 VBSTB. Das Bundesamt für Gesundheit legt schliesslich die Dosierung der Jodtabletten fest (Abs. 4).BGE 144 II 454 (459)
BGE 144 II 454 (460)Art. 10 JTV regelt die Finanzierung der verschiedenen Tätigkeiten mit Jodtabletten. Er lautet wie folgt:
    Art. 10 Finanzierung
    1 Die Betreiber von Kernkraftwerken tragen in den Gemeinden gemäss Anhang die Gesamtkosten und in den Gebieten ausserhalb von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk die Hälfte der Gesamtkosten für die vorsorgliche Beschaffung und Verteilung, die Kontrollen, den Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie für die Information der Bevölkerung und der Fachleute. Sie entschädigen die Auslagen der Kantone und Gemeinden für die Verteilung, Lagerung und Abgabe der Jodtabletten in den Gemeinden gemäss Anhang pauschal.
    2 Der Bund trägt die in den Gebieten der Schweiz ausserhalb von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk anfallenden und nicht durch die Betreiber von Kernkraftwerken gedeckten Kosten für die vorsorgliche Beschaffung, die Kontrollen, den Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten sowie für die Information der Bevölkerung und der Fachleute.
    3 Die Kantone und Gemeinden tragen die in den Gebieten der Schweiz ausserhalb von 50 km um ein schweizerisches Kernkraftwerk anfallenden Kosten für die vorsorgliche Verteilung, Lagerung und Abgabe der Jodtabletten.
Die Beschwerdeführerinnen monieren, dass Art. 10 JTV keine genügende gesetzliche Grundlage (Art. 5 Abs. 1 und Art. 164 Abs. 1 lit. d BV) habe. Unbestritten ist, dass es sich bei der Kostenüberwälzung nach Art. 10 JTV um eine Abgabe handelt.
BGE 144 II 454 (460)
BGE 144 II 454 (461)3.3 Räumt die gesetzliche Delegationsnorm dem Bundesrat einen sehr weiten Spielraum für die inhaltliche Ausgestaltung der unselbständigen Verordnung ein, so ist dieser Gestaltungsbereich für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden verbindlich (Art. 190 BV; vgl. BGE 143 II 87 E. 4.4 S. 92; BGE 140 II 194 E. 5.8 S. 198 f.; BGE 137 III 217 E. 2.3 S. 220 f.). Das Bundesgericht setzt bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates, sondern beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetzes- oder verfassungswidrig ist (vgl. BGE 143 II 87 E. 4.4 S. 92; BGE 141 II 169 E. 3.4 S. 173; BGE 140 II 194 E. 5.8 S. 198; je mit Hinweisen). Die Zweckmässigkeit der getroffenen Anordnung entzieht sich der bundesgerichtlichen Kontrolle (BGE 143 II 87 E. 4.4 S. 92; BGE 140 II 194 E. 5.8 S. 198; BGE 139 II 460 E. 2.3 S. 463). Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, sich zur Sachgerechtigkeit einer Verordnungsbestimmung etwa in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht zu äussern (vgl. BGE 143 II 87 E. 4.4 S. 92; BGE 139 II 460 E. 2.3 S. 464; BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.; je mit Hinweisen).
 
Erwägung 4
 
4.1 Nachfolgend ist zu prüfen, ob die von den Beschwerdeführerinnen gerügte Norm (Art. 10 JTV) gesetzmässig ist. Strittig ist zunächst, welches Gesetz anwendbar ist. Während die Vorinstanz grundsätzlich sowohl das Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (StSG;BGE 144 II 454 (461) BGE 144 II 454 (462)SR 814.50) als auch das Kernenergiegesetz vom 21. März 2003 (KEG; SR 732.1) als anwendbar erachtet, vertreten die Beschwerdeführerinnen, dass das Strahlenschutzgesetz aufgrund von Art. 2 Abs. 3 StSG nicht anwendbar sei und das Kernenergiegesetz keine gesetzliche Grundlage biete. Falls das Strahlenschutzgesetz dennoch anwendbar sei, biete jedenfalls das Verursacherprinzip nach Art. 4 StSG keine genügende Grundlage.
 
Erwägung 4.2
 
Auch das Kernenergiegesetz regelt das Verhältnis zum Strahlenschutzgesetz in diesem Sinne: Nach Art. 2 Abs. 3 KEG gelten die Vorschriften des Strahlenschutzgesetzes, soweit das Kernenergiegesetz nichts anderes bestimmt. Das Kernenergiegesetz stellt gegenüber dem Strahlenschutzgesetz insofern einen Spezialerlass dar (vgl. Botschaft KEG, BBl 2001 2665, 2730 Ziff. 7.3.1; KESSLER COENDET/SCHEFER, in: Kommentar zum Energierecht, Bd. II: CO 2 -Gesetz/KEG/ENSIG [nachfolgend: Kommentar Energierecht II], Kratz/Merker/Tami/Rechsteiner/Föhse [Hrsg.], 2016, N. 17 zu Art. 2 KEG). Soweit das Kernenergiegesetz für den Bereich der Kernenergienutzung keine spezifischen Vorschriften enthält, gilt das Strahlenschutzgesetz. Die Vorschriften des Strahlenschutzgesetzes sind deshalb auch bei der Erteilung von Bewilligungen gemäss dem Kernenergiegesetz und beim Betrieb von Kernanlagen zu berücksichtigen (vgl. Botschaft KEG, BBl 2001 2730, 2755 zu Art. 2 Abs. 3 mit Verweis auf Botschaft StSG, BBl 1988 II 189).
 
Erwägung 4.3
 
4.3.4 Art. 17-22 StSG enthalten ebenfalls Vorschriften, die den Schutz der Bevölkerung bei erhöhter Radioaktivität betreffen. Diese Vorschriften konkretisieren - entsprechend dem oben dargelegten Verhältnis von Strahlenschutzgesetz und Kernenergiegesetz - u.a. Art. 5BGE 144 II 454 (464) BGE 144 II 454 (465)Abs. 2 KEG (vgl. Botschaft KEG, BBl 2001 2730 Ziff. 7.3.1, 2755 Ziff 8.1.2, 2760 Ziff. 8.2.2; KESSLER COENDET/SCHEFER, a.a.O., N. 41, 49 f. zu Art. 5 KEG). Die Überwachung der Radioaktivität überlagert damit die Aufsicht über die Kernanlagen und den Notfallschutz (vgl. JAGMETTI, a.a.O, Rz. 5459, 5711). Nach Art. 22 Abs. 1 StSG sind deshalb Betriebe, bei denen der Austritt gefährlicher Mengen radioaktiver Stoffe in der Umgebung nicht auszuschliessen ist, im Bewilligungsverfahren zu verpflichten, auf ihre Kosten ein Alarmsystem für die gefährdete Bevölkerung einzurichten und sich anteilmässig an den Kosten eines allgemeinen Alarmsystems zu beteiligen (lit. a = Notfallvorsorge) sowie sich an der Vorbereitung und Durchführung von Notfallschutzmassnahmen zu beteiligen (lit. b = Notfallmanagement). Nach Art. 22 Abs. 2 StSG umschreibt der Bundesrat die Aufgaben der zuständigen Stellen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden. Art. 22 StSG ergänzt somit den Notfallschutz des Art. 5 Abs. 2 KEG aus Sicht des Strahlenschutzes (vgl. KESSLER COENDET/SCHEFER, a.a.O., N. 42 zu Art. 5 KEG). Nach Art. 20 Abs. 1 StSG ordnet der Bundesrat sodann bei einer Gefährdung durch erhöhte Radioaktivität die nötigen Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung, zur Sicherstellung der Landesversorgung und zur Aufrechterhaltung der unerlässlichen Dienste. Art. 20 Abs. 1 StSG ist die Antwort auf den Umstand, dass auf der Immissionenseite Strahlungswerte festgestellt worden sind, welche u.a. die Gesundheit der Bevölkerung schädigen können (vgl. Art. 18 Abs. 2 e contrario StSG). Zeitgerechtes bundesrätliches Handeln in einem solchen Fall bedarf der Vorbereitung von Massnahmen. Der Bundesrat kann deshalb gestützt auf Art. 20 Abs. 2 StSG die erforderlichen Bestimmungen für den Fall einer Gefährdung durch erhöhte Radioaktivität erlassen.
5. Zu prüfen ist nunmehr, ob die Finanzierung der vorsorglichen Beschaffung und Verteilung, der Kontrollen, des Ersatzes und derBGE 144 II 454 (465) BGE 144 II 454 (466)Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie der Information der Bevölkerung und der Fachleute auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage basiert.
Die Vorinstanz hat sich in ihren Ausführungen zum Verursacherprinzip dagegen auf die Minderheitsmeinung (u.a. GRIFFEL/RAUSCH, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsband zur 2. Aufl., 2011, S. 23 ff.) gestützt, wonach unter gewissen VoraussetzungenBGE 144 II 454 (466) BGE 144 II 454 (467)das Verursacherprinzip nach Art. 2 USG direkt anwendbar sei. Sie hat es wegen anderer Gründe (siehe dazu unten E. 5.3) allerdings offengelassen, ob das Verursacherprinzip gestützt auf Art. 4 StSG direkt anwendbar sei. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten dagegen eine direkte Anwendbarkeit von Art. 4 StSG. Es besteht hier indes kein Anlass, auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zurückzukommen.
 
Erwägung 5.3
 
    Art. 83 Gebühren und Aufsichtsabgaben des Bundes
    1 Die zuständigen Behörden des Bundes erheben von den Gesuchstellern und den Inhabern von Kernanlagen, nuklearen Gütern und radioaktiven Abfällen Gebühren und verlangen den Ersatz von Auslagen, insbesondere für:
    a. die Erteilung, die Übertragung, die Änderung, die Anpassung und den Entzug von Bewilligungen;
    b. die Erstellung von Gutachten;
    c. die Ausübung der Aufsicht;
    d. vom Bund im Rah men der Aufsicht für einzelne Kernanlagen durchgeführte oder veranlasste Forschungs- und Entwicklungsarbeiten.
    2 Zur Deckung der Kosten für die Aufsichtstätigkeit, die nicht bestimmten Kernanlagen zurechenbar sind, erheben die zuständigen Behörden des Bundes von den Inhabern der Kernanlagen zudem eine jährliche Aufsichtsabgabe. Die Höhe der Aufsichtsabgabe richtet sich nach dem Durchschnitt der Kosten der letzten fünf Jahre; sie wird auf die einzelnen Kernanlagen im Verhältnis der gegenüber diesen erbrachten gebührenpflichtigen Leistungen verteilt.
    3 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.
5.3.2 Art. 83 KEG regelt zum einen die Erhebung von Verwaltungsgebühren (Art. 83 Abs. 1 KEG), zum anderen die Aufsichtsabgabe (Art. 83 Abs. 2 KEG; vgl. FRANZ KESSLER COENDET, Kommentar Energierecht II, a.a.O., N. 1, 13, 15 zu Art. 83 KEG). Art. 83 Abs. 1 KEG nennt verschiedene Abgabeobjekte. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend. Art. 83 Abs. 1 lit. a KEG bezieht sich auf Gebühren im Zusammenhang mit Bewilligungen, lit. b auf die Erstellung von Gutachten in einem Verwaltungsverfahren oder im Rahmen der Kontrolle der Anlagen, lit. c auf die Kosten im Rahmen der Aufsicht (vgl. z.B. Art. 2 Abs. 2 der Gebührenverordnung ENSI vom 9. September 2008 [SR 732.222]) und schliesslich lit. d auf die imBGE 144 II 454 (467) BGE 144 II 454 (468)Rahmen der Aufsicht für einzelne Kernanlagen durchgeführten oder veranlassten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Insgesamt gesehen nennt Art. 83 Abs. 1 lit. a-d KEG als Abgabeobjekte nur Gebühren, welche im Zusammenhang mit der bewilligten Tätigkeit stehen, wenn also Fragen der Sicherheit und Sicherung betroffen sind (vgl. Botschaft KEG, BBl 2001 2796 Ziff. 8.8.1; zu diesen Begriffen CHRISTOPH ERRASS, Technikregulierungen zur Gewährleistung von Sicherheit, Sicherheit & Recht [S&R] 2016 S. 63 ff., 69;siehe auch KESSLER COENDET/SCHEFER, a.a.O., N. 3 zu Art. 5 KEG). Auch wenn die Aufzählung in Art. 83 Abs. 1 KEG nicht abschliessend ist und dieser dem Rechtsanwender einschliesslich dem Verordnungsgeber einen weiten Ermessensspielraum belassen will, müssen weitere Abgabeobjekte sich - und entgegen der Vorinstanz - in den aufgrund der aufgeführten Abgabeobjekte umrissenen Normsinn einpassen lassen. Im vorliegenden Fall sollen staatliche Notfallschutzmassnahmen, welche unabhängig von einer Bewilligung (dazu unten E. 5.3.3) ergriffen werden, durch die Inhaber von Kernanlagen finanziert werden. Die Finanzierung solcher Massnahmen (d.h. durch den Bund vorgesehene Tätigkeiten im Zusammenhang mit Jodtabletten) passt nicht zum Normsinn von Art. 83 Abs. 1 lit. a-d KEG. Eine Anreicherung dieses Normsinns gestützt auf Art. 84 lit. a KEG, wonach die Kantone u.a. von den Inhabern von Kernanlagen Gebühren und den Ersatz von Auslagen verlangen können u.a. für die Planung und Durchführung von Notfallschutzmassnahmen, ist entgegen der vorinstanzlichen Auffassung nicht möglich. In Art. 84 KEG ist der Kanton und nicht der Bund, der die Massnahmen getroffen hat, angesprochen.
5.3.4 Aufsichtsabgaben nach Art. 83 Abs. 2 KEG betreffen Kosten für Aufsichtstätigkeiten, die sich nicht bestimmten Kernanlagen zurechnen lassen können, aber alle Kernkraftwerkbetreiber betreffen. Die Botschaft nennt u.a. das Verfolgen des Standes von Wissenschaft und Technik und die Mitarbeit in Kommissionen und internationalenBGE 144 II 454 (468) BGE 144 II 454 (469)Gremien (vgl. Botschaft KEG, BBl 2001 2796 Ziff. 8.8.1). Insofern geht es um den Gesetzesvollzug i.w.S. (vgl. KESSLER COENDET, a.a.O., N. 39 zu Art. 83 KEG; zu diesem Begriff URSULA BRUNNER, Kommentar zum USG, 2. Aufl., Lieferung 2001, N. 3 zu Vorbemerkung zu Art. 36-48 USG); darunter fallen auch der Erlass bzw. die Anpassung von Richtlinien und anderen Arten von Verwaltungsverordnungen (dazu KESSLER COENDET, a.a.O., N. 40 zu Art. 83 KEG). Insgesamt bildet Art. 83 Abs. 2 KEG deshalb ebenfalls keine geeignete gesetzliche Grundlage für Art. 10 JTV.
 
Erwägung 5.5
 
    Drittes Kapitel: Gebühren
    Art. 46a
    1 Der Bundesrat erlässt Bestimmungen über die Erhebung von angemessenen Gebühren für Verfügungen und Dienstleistungen der Bundesverwaltung.
    2 Er regelt die Erhebung von Gebühren im Einzelnen, insbesondere:
    a. das Verfahren zur Erhebung von Gebühren;
    b. die Höhe der Gebühren;
    c. die Haftung im Fall einer Mehrheit von Gebührenpflichtigen;
    d. die Verjährung von Gebührenforderungen.
    3 Bei der Regelung der Gebühren beachtet er das Äquivalenzprinzip und das Kostendeckungsprinzip.
    4 Er kann Ausnahmen von der Gebührenerhebung vorsehen, soweit dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verfügung oder Dienstleistung gerechtfertigt ist.
Art. 46a RVOG ist im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 für den Bundeshaushalt ins Regierungs- undBGE 144 II 454 (469)BGE 144 II 454 (470)Verwaltungsorganisationsgesetz eingefügt worden. Er ersetzte Art. 4 des Haushaltverbesserungsgesetzes (AS 1975 66), der die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht erfüllte. Im Gegensatz zu Art. 4 des Haushaltverbesserungsgesetzes soll Art. 46a RVOG keinen subsidiären Charakter mehr haben. Spezialgesetzliche Gebührenregelungen sollen nur noch dort erlassen werden, wo Besonderheiten oder Abweichungen normiert werden müssen (vgl. Botschaft vom 2. Juli 2003 zum Entlastungsprogramm 2003 für den Bundeshaushalt [EP 03] [nachfolgend: Botschaft EP 03], BBl 2003 5615, 5760 Ziff. 2.3.1.3). Da das Entlastungsprogramm und das Kernenergiegesetz beinahe zeitgleich behandelt wurden, darf davon ausgegangen werden, dass ein aufmerksamer und kohärent denkender Gesetzgeber diese Rangordnung auch im Kernenergiegesetz umgesetzt hat. Mit Art. 83 und 84 KEG hat der Gesetzgeber somit gegenüber Art. 46a RVOG eine spezialgesetzliche Regelung implementiert. Insofern fällt damit Art. 46a RVOG bereits als gesetzliche Grundlage ausser Betracht.
 
Erwägung 6
 
6.2 Sachlich zwar unbefriedigend zugeordnet, findet sich im Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (KHG; SR 732.44) eine Regelung, mit welcher Kosten behördlicher Notfallmassnahmen verursachergerecht zugerechnet werden sollen. Nach Art. 4 KHG können die Kosten von Massnahmen, welche die zuständigen Behörden zur Abwehr oder Verminderung einer unmittelbar drohenden nuklearen Gefährdung treffen, dem Inhaber der Kernanlage überbunden werden. Art. 4 KHG ist Art. 59 USG und Art. 8 des nunmehr aufgehobenen Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (aGSchG; AS 1972 950) nachempfunden (vgl. AB 1982 N 1326 f.; WIDMER/WESSNER, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, Erläuternder Bericht, 1999, S. 341 f.). Art. 59 USG und der Nachfolgeartikel von Art. 8 aGSchG Art. 54 des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 (GSchG; SR 814.20) sind Konkretisierungen des Verursacherprinzips (BGE 122 II 26 E. 4b S. 31; z.B. HANSJÖRG SEILER, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsband zur 2. Aufl., 2011, N. 129 zu Art. 2 USG). Es handelt sich um einen unmittelbaren Gesetzesvollzug (vgl. z.B. BEATRICE WAGNER PFEIFFER, in: Kommentar zum Gewässerschutzgesetz und zum Wasserbaugesetz, 2016, N. 18 zu Art. 54 GSchG; es wird u.a. auch noch von antizipierter Ersatzvornahme gesprochen, vgl. z.B. HANS RUDOLF TRÜEB, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Teil III, 2. Aufl. 2002, Stand: 2001, N. 4 zu Art. 59 USG; dazu FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 329 ff.).
6.3 Auch wenn Art. 4 KHG von nuklearen Gefährdungen (Gefahr = Lage, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen wird; siehe den franz. und ital. Wortlaut, der mit Art. 54 GSchG übereinstimmt) spricht und im Einklang mit Art. 59 USG und Art. 54 GSchG damit (Notfall-)Massnahmen bereits früh, d.h. vor einem Schadenseintritt, zulässt und die damit verbundenen Kosten auf den Verursacher überwälzt werden können, und auch wenn eine Konkretisierung mit einer Vollziehungsverordnungsbestimmung zulässig wäre, muss sich auch hier - wie bei den beiden anderen Artikeln - das abstrakte Risiko eines schweren Kernkraftwerkunfalls mit Austritt von Radioaktivität in einer konkreten Gefährdungslage aktualisieren (vgl. TRÜEB, a.a.O., N. 10 zu Art. 59 USG), d.h. der schwere Kernkraftwerkunfall mit Austritt von Radioaktivität muss unmittelbar drohend sein ("unmittelbar drohende [...] nukleare [...]BGE 144 II 454 (471) BGE 144 II 454 (472)Gefährdung" [Art. 4 KHG]). Dies trifft hier nicht zu. Die vorsorgliche Beschaffung und Verteilung, die Kontrollen, der Ersatz und die Entsorgung der Jodtabletten nach Verfall sowie die Information der Bevölkerung und der Fachleute sind zwar Notfallmassnahmen im weiteren Sinn. Sie stellen allerdings präventive Massnahmen dar und sind deshalb im Rahmen der Risikovorsorge u.a. nach dem Strahlenschutzgesetz und dem Kernenergiegesetz zu ergreifen. Mit Art. 4 KHG (und auch mit Art. 59 USG und Art. 54 GSchG) sollen indes "nur" die Kosten von Bewältigungsmassnahmen von konkreten, aber aktualisierten abstrakten Gefährdungslagen auf den Verursacher überwälzt werden.
 
Erwägung 7