Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
3.
Erwägung 4
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Verkehrssicherheitszentrum OW/NW (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_621/2019 vom 23. April 2020
 
 
Regeste
 
Art. 15a Abs. 4 SVG; Verfall des Führerausweises auf Probe.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 146 II 300 (300)A. Der 1998 geborene A. ist Inhaber eines Führerausweises auf Probe. Am 8. Juni 2018 verursachte er einen Verkehrsunfall, als er beim Rückwärtsfahren eine korrekt entgegenkommende Fahrradfahrerin übersah und mit dieser kollidierte. Am 27. Juni 2018 teilte ihm das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW mit, es werde die EinleitungBGE 146 II 300 (300) BGE 146 II 300 (301)eines Administrativverfahrens geprüft; das Verfahren werde jedoch bis zum Abschluss des Strafverfahrens sistiert.
Am 8. September 2018 verursachte A. als Fahrzeugführer eines militärischen Fahrzeugs wegen nicht angepasster Geschwindigkeit einen Selbstunfall, wobei drei seiner fünf Mitfahrer leichte Verletzungen erlitten. Daraufhin annullierte das Verkehrssicherheitszentrum OW/ NW mit Verfügung vom 14. Januar 2019 und Einspracheentscheid vom 14. März 2019 den Führerausweis auf Probe.
B. Die von A. hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden mit Entscheid vom 30. September 2019 ab.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A., das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides anzuweisen, ihm den Führerausweis auf Probe wieder zu erteilen.
Das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW und das Bundesamt für Strassen ASTRA schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
 
3.
 
3.2 Der vorerst nur probeweisen Erteilung des Führerausweises liegt der Gedanke zugrunde, dass sich Neulenker (sog. "Neuerwerber") während einer dreijährigen Probezeit in der Fahrpraxis bewähren sollen, bevor ihnen der (unbefristete) Führerausweis definitiv erteilt wird. Während der Probezeit soll sich der Neulenker durch einwandfreiesBGE 146 II 300 (301) BGE 146 II 300 (302)und klagloses Fahrverhalten im Verkehr ausweisen. Verstösse gegen Verkehrsregeln lösen deshalb nicht nur die gegen Inhaber des unbefristeten Führerausweises vorgesehenen Strafsanktionen und Administrativmassnahmen aus. Gleichzeitig erschweren sie während der Probezeit die Erlangung des unbefristeten Ausweises. Besteht der Neulenker die Probezeit nicht, kann er frühestens ein Jahr nach der zweiten Widerhandlung mit Ausweisentzug (und nach erfolgter verkehrspsychologischer Abklärung der Fahreignung) einen neuen Lernfahrausweis (und nach Bestehen der Führerprüfung einen neuen Führerausweis auf Probe) beantragen. Das neu eingeführte administrativmassnahmenrechtliche Instrument dient (ergänzend zur Verschärfung der Warnungsentzüge) der strengeren Ahndung und Prävention von SVG-Widerhandlungen durch Neulenker und damit der Erhöhung der Verkehrssicherheit (BGE 136 I 345 E. 6.1 S. 348 f. mit Hinweisen; BGE 136 II 447 E. 5.1 S. 454 f.). Unter die nach Art. 15a Abs. 4 SVG relevanten Fälle von erneuten Widerhandlungen fallen auch leichte Fälle, für die (nach Art. 16a Abs. 2 SVG) ein weiterer Ausweisentzug anzuordnen wäre (BGE 136 I 345 E. 6.1 S. 348 mit Hinweis).
 
Erwägung 4
 
4.3 Während ein Teil der Lehre diese Frage bejaht (vgl. PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, N. 23 f. zu Art. 15a SVG und JÜRG BICKEL, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 49 zu Art. 15a SVG), schlägt ein anderer Teil unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Verwirklichung mehrerer Entzugsgründe beim definitiven Führerausweis (BGE 122 II 180 E. 5b S. 183 f.; vgl. auch Urteil 1C_710/2013 vom 7. Januar 2014 E. 3.2) vor, in solchen Fällen Art. 49 StGB analog anzuwenden und eine Gesamtmassnahme auszusprechen (vgl. CÉDRIC MIZEL, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de conduire, 2015, S. 636; siehe auch ANDRÉ BUSSY UND ANDERE, Code suisse de la circulation routière commenté, 4. Aufl. 2015, N 5.2 zu Art. 15a SVG). Da jedoch das Gesetz bei einer zweiten, selbst leichten Widerhandlung, welche einen Entzug rechtfertigt, zwingend den Verfall des Führerausweises auf Probe vorsieht (vgl. E. 3.2 hiervor), würde eine analoge Anwendung von Art. 49 StGB diejenigen Fahrer, die innerhalb kurzer Zeit mehrere Entzugsgründe setzen, gegenüber jenen, die dies in grösseren zeitlichen Abständen tun, privilegieren. Eine solche Privilegierung wäre indes ungerechtfertigt, geht doch für die Sicherheit im Strassenverkehr in der Regel von ersteren die grössere Gefahr aus als von letzteren. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es bei der ersten Widerhandlung des Beschwerdeführers zu einer Kollision mit einer korrekt entgegenkommenden Fahrradfahrerin kam, wobei sich diese leicht verletzte (Platzwunde am Kinn, Prellungen an den Beinen). Von einem Fahrer, der im Strassenverkehr bereits eine andere Person - und sei es auch nur leicht - verletzt hat, darf ohne weiteres ein besonderes Mass an Verantwortungsbewusstsein und an sorgfältigem künftigem Fahrverhalten erwartet werden.
Wie es sich in dem vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Spezialfall, in dem der Fahrer im Zeitpunkt der zweiten Widerhandlung noch nicht von seiner ersten Widerhandlung weiss, verhält, braucht demgegenüber vorliegend nicht geprüft zu werden. Somit hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es die Annullierung des Führerausweises auf Probe bestätigt hat; die Beschwerde ist abzuweisen.BGE 146 II 300 (303)