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Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die In ...
5. Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie einen unz ...
6. Der geplante Windpark mit sechs WEA hat unstreitig negative Au ...
7. Im Entscheid 1C_657/2018 vom 18. März 2021 (E. 10, nicht  ...
Erwägung 8
9. Zu prüfen ist weiter, ob der Abschaltplan für Fleder ...
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4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und Vogelschutzverband des Kantons Solothurn gegen SWG, Einwohnergemeinde der Stadt Grenchen und Regierungsrat des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_573/2018 vom 24. November 2021
 
 
Windpark Grenchenberg; Richtplanpflicht (Art. 8 Abs. 2 RPG).
 
 
Windpark Grenchenberg; Massnahmen zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen; Interesse an der Produktion erneuerbarer Energie; Gesamtinteressenabwägung.
 
 
Überblick über die im Sondernutzungsplan vorgesehenen Schutz- und Ersatzmassnahmen (E. 6 und 7).
 
 
Prüfung des Schlagopfermonitorings als zentrales Element der Schutzmassnahmen gegen Kollisionen; dieses setzt einen hohen Suchaufwand voraus und muss für Fledermäuse durch ein bioakustisches Monitoring ergänzt werden (E. 8).
 
 
Ergänzende Massnahmen zum Schutz gefährdeter und national prioritärer Fledermausarten (E. 9).
 
 
Gefährdung von Brutvögeln (insb. Heidelerchen). Erhöhung der Kollisionsgefahr durch die Herabsetzung der Nabenhöhe. Anforderungen an die Ersatzmassnahmen (E. 10).
 
 
Nichteinhaltung des von der Schweizerischen Vogelwarte empfohlenen Mindestabstands von 3000 m zum Wanderfalkenhorst (E. 11).
 
 
Konsequenzen verschiedener Schutzmassnahmen auf Ertrag und Rentabilität des Windparks (E. 12).
 
 
Nationales Interesse an der Nutzung der Windenergie am Grenchenberg (E. 13.1), insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Klimaziele der Schweiz (E. 13.2). Erhebliches Interesse am Schutz der Biodiversität (E. 13.3). Konflikte mit dem Interesse am Landschaftsschutz (E. 13.4). Anzustreben ist ein Interessenausgleich, d.h. das Risiko von Kollisionen und Lebensraumstörungen ist auf ein für den Biotop- und Artenschutz verträgliches Mass herabzusetzen, ohne die Nutzung der erneuerbaren Windenergie zu verunmöglichen (E. 13.5). Vorliegend führt die Gesamtinteressenabwägung zum Verzicht auf zwei dem Wanderfalkenhorst am nächsten liegende Standorte (E. 13.6) und zu zusätzlichen Auflagen (E. 14).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 II 36 (39)A. Die SWG (Städtische Werke Grenchen) will auf dem Grenchenberg einen Windpark errichten. Vorgesehen sind sechs Windenergieanlagen (WEA): Drei Anlagen sollen auf dem Bergrücken nordöstlich des Restaurants Untergrenchenberg erstellt werden (WEA 1-3), drei weitere westlich von Obergrenchenberg an der Grenze zum Kanton Bern (WEA 4-6). Das neue Unterwerk wird in die bestehende Gebäudegruppe in Untergrenchenberg integriert. Die SWG erwartet eine jährliche Stromproduktion von rund 30 Gigawattstunden (GWh).
Der Projektperimeter grenzt im Osten an das Gebiet des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) Nr. 1010 "Weissenstein". Der Grenchenberg liegt in der kantonalen Juraschutzzone und teilweise im kantonalen Vorranggebiet Natur und Landschaft.
B. Am 18. August 2009 beschloss der Regierungsrat des Kantons Solothurn eine Anpassung des Richtplans 2000. Gestützt auf eine aus dem Jahr 2008 stammende Windenergiepotenzialstudie wurden fünf mögliche Gebiete für Windparks in den Richtplan aufgenommen (Abstimmungskategorie Festsetzung), darunter auch das Gebiet Grenchenberg. Die Richtplananpassung wurde am 23. Juni 2011 vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) genehmigt.
Nach zweimaliger Vorprüfung der Nutzungsplanung durch das kantonale Amt für Raumplanung (ARP), jeweils verbunden mit einer vorläufigen Beurteilung des Umweltverträglichkeitsberichts (UVB) durch das kantonale Amt für Umwelt (AfU), beschloss der Gemeinderat der Stadt Grenchen am 16. September 2014 die Planung "Projekt Windkraft Grenchen" und deren öffentliche Auflage. Das Auflageprojekt sah eine maximale Nabenhöhe von 120 m und einen maximalen Rotorenradius von 61 m vor. Dagegen erhoben zahlreiche Einzelpersonen und Verbände Einsprache, darunter der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und der Vogelschutzverband des Kantons Solothurn.BGE 148 II 36 (39)
BGE 148 II 36 (40)C. Am 30. Juni 2015 wies der Gemeinderat Grenchen die Einsprachen ab, soweit er darauf eintrat. Gleichzeitig beschloss er eine Änderung von § 9 der Sonderbauvorschriften zum Gestaltungsplan und setzte die maximale Gesamthöhe der WEA auf 160 m (statt 180 m) und die maximale Nabenhöhe auf 99 m (statt 120 m) fest; der Radius des Rotorkreises blieb unverändert bei 61 m.
D. Gegen den Einspracheentscheid erhoben die Vogelschutzverbände Beschwerde an den Regierungsrat. Dieser genehmigte mit Beschluss vom 4. Juli 2017 die Planung "Projekt Windkraft Grenchen" sowie die notwendigen Erschliessungsanlagen und Rodungen und wies die dagegen erhobenen Beschwerden ab, soweit er darauf eintrat. Er erklärte die vom AfU in seiner definitiven Beurteilung des Projekts Windkraft Grenchen vom 4. April 2017 (nachfolgend: Beurteilungsbericht AfU) gestellten Anträge als verbindlich und zum Bestandteil des Genehmigungsbeschlusses. § 9 Abs. 1 der Sonderbauvorschriften wurde dahingehend ergänzt, dass die Nabenhöhe mindestens 88.5 m betrage. Dies entspricht der Nabenhöhe im zwischenzeitlich aufgelegten Baugesuch.
E. Gegen den Beschluss des Regierungsrats gelangten der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und der Vogelschutzverband des Kantons Solothurn mit gemeinsamer Eingabe an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Dieses wies die Beschwerde am 17. September 2018 ab.
F. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und der kantonale Vogelschutzverband gemeinsam Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben.
G. Mit Verfügung vom vom 18. September 2020 holte das Bundesgericht ergänzende Fachberichte zum Vogel- und Fledermausschutz von Werner Stephan, Schweizerische Vogelwarte Sempach, und Fabio Bontadina, Büro SWILD, ein.
H. Am 24. November 2021 hat das Bundesgericht die Angelegenheit öffentlich beraten. Es heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Zusammenfassung)
 
2. Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die Interessenabwägung für die Festsetzung des Grenchenbergs alsBGE 148 II 36 (40) BGE 148 II 36 (41)Windparkstandort im kantonalen Richtplan sei ungenügend gewesen, weil das Vorkommen von Brutvogel- und Fledermausarten, die zu den national prioritären Arten gehören oder auf der Roten Liste verzeichnet sind, nicht ermittelt worden sei.
Für die Erfüllung der Anforderungen von Artikel 8 Abs. 2 RPG ist eine Standortfestsetzung erforderlich (BGE 147 II 164 E. 3.3 mit Hinweisen). Diese erfolgt aufgrund einer Evaluation von Standortvarianten anhand der Standortkriterien und einer Interessenabwägung (vgl. Bundesamt für Raumentwicklung [ARE], Ergänzung des Leitfadens Richtplanung, März 2014, S. 30 f., www.are.admin.ch). Sie muss stufengerecht begründet und damit transparent gemacht werden (Urteil 1C_346/2014 vom 26. Oktober 2016 E. 2.8, in: URP 2017 S. 45 und ZBl 118/2017 S. 668). Stufengerecht bedeutet, dass alle für die Standortauswahl relevanten Kriterien in einer Tiefe einzubeziehen sind, die es erlaubt, die Realisierbarkeit des Projekts am priorisierten Ort zumindest plausibel erscheinen zu lassen; die Aussage lautet: "Wenn überhaupt, dann hier und nicht anderswo" (PIERRE TSCHANNEN, Interessenabwägung bei raumwirksamen Vorhaben, URP 2018 S. 122).
(...)
(...)
BGE 148 II 36 (41)
BGE 148 II 36 (42)2.6 Vorliegend ergibt sich aus den Akten, dass der Vogel- und Fledermausschutz als Kriterien in der Windenergiepotenzialstudie berücksichtigt wurden. Hierfür stützte man sich auf die bei der kantonalen Fachstelle vorhandenen Daten; weitere Daten (z.B. der Schweizerischen Vogelwarte Sempach) wurden dagegen nicht eingeholt. Zudem wurde zu Unrecht von einer geringen Fledermaus-Aktivität ausgegangen. Eine Vorabklärung des kantonalen Fledermausschutzbeauftragten wurde erst am 19. November 2009 (d.h. nach dem Richtplanbeschluss des Regierungsrats) eingeholt. Dieser hielt fest, dass am geplanten Standort besondere Fledermausaktivitäten bekannt seien bzw. aufgrund der Landschaftsstrukturen vermutet würden; in der Nähe des Standorts befänden sich mehrere bekannte Überwinterungs- und Schwärmquartiere von z.T. gefährdeten Arten. Durch die relative Nähe zur Mausohr-Wochenstube Langendorf könne auch eine gewisse Aktivität dieser Art nicht ausgeschlossen werden. Zusätzliche Abklärungen wurden "dringend" empfohlen, sobald die genauen Standorte der Anlagen feststünden.
Aus heutiger Sicht erscheinen die Abklärungen daher unvollständig. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass viele Grundlagen im Zeitpunkt der Richtplanfestsetzung 2009 noch nicht vorlagen (...).
Im nachfolgenden UVB-Verfahren wurden dagegen umfangreiche standortspezifische Abklärungen zur Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen durchgeführt, u.a durch Spezialisten der Schweizerischen Vogelwarte Sempach und des auf Fledermäuse spezialisierten Büros SWILD. Der Regierungsrat überprüfte im Genehmigungsbeschluss für das Projekt "Windkraft Grenchen" vorfrageweise die Richtplanfestsetzung unter Berücksichtigung der Abklärungen im Nutzungsplanverfahren und bestätigte sie als recht- und zweckmässig (Ziff. 2.3.3.5 S. 60 ff.). Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) als Fachstelle des Bundes für den Biotop- und Artenschutz erachtet das Projekt ebenfalls - nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Vogel- und Fledermausschutz - als bundesrechtskonform.
Den Beschwerdeführern ist einzuräumen, dass im Nutzungsplanverfahren alternative Gebiete nicht mehr abgeklärt wurden. Wie das Verwaltungsgericht jedoch ausführlich dargelegt hat, gehört der Grenchenberg, unter Berücksichtigung aller Kriterien (Windenergiepotenzial; Erschliessungssituation, Fehlen von Ausschlussgründen), eindeutig zu den besten Standorten im Kanton Solothurn. Davon ging auch das BAFU in seiner positiven Stellungnahme zumBGE 148 II 36 (42) BGE 148 II 36 (43)Rodungsgesuch vom 21. Dezember 2016 aus. Alle für die Windkraft geeigneten Standorte im Kanton Solothurn liegen auf exponierten Standorten im Jura, ausserhalb von Baugebieten, in aus Sicht von Natur und Landschaft empfindlichen Gebieten. Die mit Blick auf Brutvögel (Heidelerchen) problematischsten Standorte wie auch alle Bundesinventargebiete (Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung, BLN-Gebiete) wurden bereits im Richtplanverfahren ausgeschieden. Gemäss den Erkenntnissen des kantonalen Fledermausbeauftragten (zitiert in: Beurteilungsbericht AfU, a.a.O., S. 28) kommt nicht nur dem Grenchenberg, sondern den Solothurner Jurahöhen insgesamt eine überdurchschnittliche Bedeutung für Fledermäuse zu. Es sind daher keine aus Sicht des Vogel- und Fledermausschutzes problemlose Alternativstandorte für Windkraftanlagen im Kanton Solothurn ersichtlich. Die beschwerdeführenden Organisationen machen denn auch nicht geltend, dass bestimmte, in der Windenergiepotenzialstudie ausgeschiedene oder nicht berücksichtigte Gebiete unter diesem Blickwinkel klar besser geeignet wären.
Unter diesen Umständen ist das Projekt nicht schon wegen der unvollständigen Abklärung im Richtplanverfahren aufzuheben, sondern es ist zu prüfen, ob die Nutzungsplanung den bundesrechtlichen Anforderungen des Biotop-, Arten- und Landschaftsschutzes genügt (unten E. 5 ff.).
(...)
Die Schweiz hat verschiedene internationale Übereinkommen zum Biodiversitäts-, Arten- und Habitatschutz abgeschlossen. Dazu gehören insbesondere das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, abgeschlossen in Rio de Janeiro am 5. Juni 1992 (Biodiversitätsübereinkommen oder Convention on Biological Diversity [CBD]; SR 0.451.43), das Übereinkommen vom 19. September 1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und TiereBGE 148 II 36 (43) BGE 148 II 36 (44)und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention; SR 0.455) und das Übereinkommen vom 23. Juni 1979 zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten (Bonner Konvention oder Convention on Migratory Species [CMS]; SR 0.451.46). Letzteres wird für Fledermäuse durch das Abkommen vom 4. Dezember 1991 zur Erhaltung der europäischen Fledermauspopulationen (Londoner Konvention bzw. UNEP/EUROBATS-Vereinbarung; SR 0.451.461) und das Abkommen vom 15. Oktober 1996 zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel (Haager Konvention; SR 0.451.47) ausgeführt. Gemäss Art. 4 Ziff. 1 CMS ergreift jede Vertragspartei die geeigneten und erforderlichen gesetzgeberischen und Verwaltungsmassnahmen, um die Erhaltung der Lebensräume wildlebender Pflanzen- und Tierarten, insbesondere der in den Anhängen I und II genannten Arten, sowie die Erhaltung gefährdeter natürlicher Lebensräume sicherzustellen. Bei ihrer Planungs- und Entwicklungspolitik berücksichtigen die Vertragsparteien die Erfordernisse der Erhaltung der nach Absatz 1 geschützten Gebiete, um jede Beeinträchtigung dieser Gebiete zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten.
Gemäss Art. 18 NHG ist dem Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten durch die Erhaltung genügend grosser Lebensräume (Biotope) und andere geeignete Massnahmen entgegenzuwirken (Abs. 1). Besonders zu schützen sind Uferbereiche, Riedgebiete und Moore, seltene Waldgesellschaften, Hecken, Feldgehölze, Trockenrasen und weitere Standorte, die eine ausgleichende Funktion im Naturhaushalt erfüllen oder besonders günstige Voraussetzungen für Lebensgemeinschaften aufweisen (Abs. 1bis ). Die Beeinträchtigung schutzwürdiger Lebensräume durch technische Eingriffe ist nach Art. 18 Abs. 1ter NHG nur zulässig, wenn sich diese unter Abwägung aller Interessen nicht vermeiden lassen. Art. 14 Abs. 6 NHV präzisiert, dass ein technischer Eingriff, der schützenswerte Biotope beeinträchtigen kann, nur bewilligt werden darf, sofern er standortgebunden ist und einem überwiegenden Bedürfnis entspricht. IstBGE 148 II 36 (44) BGE 148 II 36 (45)ein Eingriff zulässig, sind bestmögliche Schutz- und Wiederherstellungs- oder ansonsten angemessene Ersatzmassnahmen anzuordnen (Art. 18 Abs. 1 ter NHG; Art. 14 Abs. 7 NHV).
Die gleichen Anforderungen ergeben sich für geschützte Tiere auch aus Art. 20 NHG i.V.m. Art. 20 NHV: Danach ist es untersagt, geschützte Tiere zu töten oder zu verletzen (Art. 20 Abs. 2 NHV). Die zuständige Behörde kann jedoch Ausnahmebewilligungen erteilen, u.a. für technische Eingriffe, die standortgebunden sind und einem überwiegenden Bedürfnis entsprechen; ihr Verursacher ist zu bestmöglichen Schutz- oder ansonsten angemessenen Ersatzmassnahmen zu verpflichten (Art. 20 Abs. 3 lit. b NHV).
Das BAFU hat eine Liste der National Prioritären Arten und Lebensräume erstellt. Ausgehend von den Rote-Listen-Arten (einschliesslich der Kategorie NT) und der Verantwortung der Schweiz für die Erhaltung der Art (Anteil der Schweiz am Verbreitungsgebiet bzw. der Populationsgrösse der Art) werden darin diejenigen Arten definiert, deren nationale Erhaltung bzw. Förderung vordringlich ist. Die Abstufung der nationalen Priorität (nachfolgend NP) reicht von sehr hoch (1), hoch (2) mittel (3), mässig (4) bis keine nationale Priorität (0). Da die Kriterien des Art. 14 Abs. 3 NHV nicht abschliessend sind, kann auch das Vorkommen von national prioritären Arten in einem Lebensraum für dessen Schutzwürdigkeit bestimmend sein (BAFU, Vollzugshilfe NPA, a.a.O., S. 11).BGE 148 II 36 (45)
BGE 148 II 36 (46)5.4 Am Grenchenberg wurde das Vorkommen störungssensibler oder kollisionsgefährdeter Vögel 2011 in einem Umkreis von 3 km um den Standort kartiert (...). Dabei wurden 14 gegenüber der Windkraftnutzung sensible Arten festgestellt, darunter Auerhuhn (EN, NP1), Heidelerche (VU, NP1), Wiesenpieper (VU, NP2), Wanderfalke (NT [Stand 2010] bzw. VU [Stand 2020; vgl. unten E. 11.2], NP2) und Waldschnepfe (VU, NP1). Abgesehen von der Waldschnepfe sind alle Arten auch nach Art. 7 Abs. 1 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 (JSG; SR 922.0) geschützt.
Alle Fledermäuse sind in der Schweiz geschützt (Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Anh. 3 NHV). Das Fledermausvorkommen wurde in zwei Kilometerquadraten des Projektgebiets (Untergrenchenberg und Tiefmatt) durch Aufnahmen von Fledermausrufen mit Hilfe von Breitband-Ultraschalldetektoren untersucht. Dabei wurde eine grosse Artenvielfalt (mindestens 10 Arten), eine bedeutende Aktivität und ein hoher Anteil von Rote-Listen-Arten festgestellt (...).
Art. 5 Abs. 2 lit. a WaG und Art. 14 Abs. 6 NHV verlangen zusätzlich, dass die Anlage auf den vorgesehenen Standort angewiesen ist. Dies ist vorliegend zu bejahen (...).
Im Folgenden sind zunächst die betroffenen Interessen des Biotop- und Artenschutzes und die im Projekt dafür vorgesehenen Schutzmassnahmen zu prüfen sowie die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen der Beschwerdeführer zu behandeln (E. 6-11). Fallen zusätzliche Betriebseinschränkungen zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen in Betracht, ist deren Auswirkung auf denBGE 148 II 36 (46) BGE 148 II 36 (47)Energieertrag und die Rentabilität des Vorhabens zu berücksichtigen (E. 12). Im Lichte dieser Erkenntnisse ist die Gesamtinteressenabwägung der Vorinstanzen zu überprüfen (E. 13).
BGE 148 II 36 (48)6.1.3 Zur Schonung der Lebensräume von störungsempfindlichen Arten während der Bauphase sollen die Bauarbeiten zeitlich auf die Zeit Juli-März (ausserhalb der Brutzeit) konzentriert werden (Massnahme AVI-2). Die Bautransporte sind auf die Bergstrasse zu beschränken, um Störungen der Nordwestflanke des Grenchenbergs zu vermeiden (Massnahme AVI-1).
Lebensraumverluste in der Betriebszeit für Feld- und Heidelerche sowie Baum- und Wiesenpieper sollen durch die Schaffung von zusätzlich 20 ha extensiven Sömmerungsweiden als Ersatzhabitate in der Umgebung kompensiert werden (Massnahme AVI-4). Auch hier ist eine Erfolgskontrolle vorgeschrieben, die einen Vorher-Nachher-Vergleich ermöglicht; nötigenfalls können weitere Massnahmen festgelegt werden.
Zugunsten der Fledermäuse soll ein stufiger Waldrand mit Laubholz geschaffen (Massnahme FM-4) und der Übergang vom Wald- zum Kulturland verbessert werden (Massnahme FM-5). Zudem sollen die Fledermäuse von den für die Brutvögel zu schaffenden Sömmerungsweiden profitieren (Massnahme FM-6). Aufgrund der Ergebnisse der Monitoringprogramme können nach Bedarf zusätzliche Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen angeordnet werden (Massnahme FM-3).
Als Wirkungskontrolle für die ökologischen Ersatzmassnahmen zugunsten der Fledermäuse ist ein Monitoring der Fledermäuse durch bioakustische Aufnahmen vor und in mindestens drei Zeitintervallen nach Inbetriebnahme der Anlage (z.B. nach 2, 5 und 10 Jahren) vorzunehmen (Massnahme FM-7). Dieses muss auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhen und ist durch das Bau- und Justizdepartement zu genehmigen; zu prüfen ist unter anderem eine Aufzeichnung der Fledermausaktivitäten im Gondelbereich (als Gondel wird das auf Höhe der Nabe fest angebrachte "Maschinenhaus"BGE 148 II 36 (48) BGE 148 II 36 (49)einer WEA bezeichnet, in der sich Generator, Getriebe und Regler befinden).
(...)
 
Erwägung 8
 
BGE 148 II 36 (49) BGE 148 II 36 (50)Näher zu prüfen sind im Folgenden die Rügen zum Schlagopfermonitoring. Es handelt sich dabei um ein zentrales Element der Schutzmassnahmen gegen Kollisionen, da nur eine seriöse Erfolgskontrolle sicherstellen kann, dass die festgelegten Abschaltschwellen (für Vögel) bzw. der Abschaltplan (für Fledermäuse) genügen, um die Zielwerte einzuhalten. Nur unter dieser Voraussetzung kann auch auf detaillierte Abklärungen zum Mortalitätsrisiko (z.B. infolge Anordnung der WEA zur vorherrschenden Windrichtung oder der nächtlichen Beleuchtung der Anlagen) verzichtet werden.
8.2.2 Die Studie zu Fledermäusen am Standort Le Peuchapatte bestand aus zwei Teilen: Einer Schlagopfersuche (NATURA, Estimation de la mortalité causée par les éoliennes sur les chiroptères - Parc éolien du Peuchapatte, 2018 [nachfolgend: Bericht FM I]) und einem akustischen Fledermausmonitoring (SWILD, Windpark Le Peuchapatte [JU]: Fledermaus-Abklärungen 2015: Analysen derBGE 148 II 36 (50) BGE 148 II 36 (51)Fledermausmessungen und Bewertung der Massnahmen, 2018 [nachfolgend: Bericht FM II]). Die Ergebnisse beider Untersuchungen wurden in einem Synthesebericht zusammengefasst und verglichen (NATURA/ SWILD, Synthese Fledermäuse Le Peuchapatte, 2018 [nachfolgend: Synthesebericht FM]).
Die Fledermausaktivität auf Nabenhöhe war mit durchschnittlich 3-4 Durchflügen pro Nacht gering. Bei insgesamt 85 Begehungen wurden 13 Schlagopfer gefunden. Im Synthesebericht wird hervorgehoben, dass die aus den Totfunden hochgerechnete Schlagopferzahl (10-35, Median 19 pro WEA und Jahr) deutlich über der aus den Aktivitätsmessungen in der Gondel erwarteten Mortalität lag (8.8-11.4; Median 9.9), d.h. bereits eine geringe Aktivität zu einer bedeutenden Fledermaus-Mortalität führe. Es sei daher zu befürchten, dass Standorte mit höherer Aktivität (zumindest im Jurabogen) auch durch eine hohe Sterblichkeit gekennzeichnet seien, sofern das Artenspektrum vergleichbar sei. Entsprechend müsse jeder Standort in angepasster Weise untersucht werden und bei Bedarf sollten spezifische Massnahmen zur Schadensminderung entwickelt werden.
Bei der Totfundsuche wurden lediglich zwei Arten der Gruppe Pipistrellus (Zwergfledermaus) gefunden, obwohl aufgrund der Aktivitätsmessungen in der Gondel auch Schlagopfer der Gattung Nyctaloid (17 %) erwartet worden waren. Im Synthesebericht wird festgehalten, dies könne Zufall sein; dennoch werde die Vermutung bestärkt, dass es Unterschiede im relativen Mortalitätsrisiko der Arten gebe.
(...)
BGE 148 II 36 (52)Hinzu komme bei Fledermäusen das Risiko eines Barotraumas ohne Kollision mit den Rotoren: Dabei platzten Organe und die Tiere verbluteten innerlich. Die verletzten Fledermäuse seien teils noch in der Lage, viele 100 m weiter zu fliegen, weshalb die Kadaver bei einer Suche im Umkreis der Masten nicht gefunden würden. Die Vorinstanz habe sich mit dieser Rüge nicht befasst und habe damit das rechtliche Gehör verletzt.
(...)
(...)
Die Vogelwarte Sempach hat zuhanden der SWG Konzepte für ein Schlagopfermonitoring und für einen Abschaltalgorithmus erstellt. Für das Betriebsjahr wird ein Schwellenwert von 150 Vögeln pro km und Stunde (gemittelt über 30 Minuten) vorgeschlagen. Wird dieser erreicht, müssen die Rotorblätter aus dem Wind gedreht werden; sobald der Schwellenwert unterschritten wird, kann der BetriebBGE 148 II 36 (52) BGE 148 II 36 (53)wieder aufgenommen werden. Während der ersten drei Betriebsjahre soll die Wirkung dieses Schwellenwerts auf die Anzahl Schlagopfer überprüft und bei Bedarf optimiert werden. Eine Anpassung des Schwellenwerts (nach unten oder nach oben) erfolgt, wenn die Schlagopfervorgabe (60 pro Windpark pro Jahr) klar, d.h. mit einer statistischen Sicherheit von mindestens 97.5 %, unter- oder überschritten wird. (...)
In ihrem Ergänzungsbericht betont die Vogelwarte, das Radarsystem solle die Masse der ziehenden Kleinvögel schützen, die zu hunderten oder tausenden pro Stunde auftreten. Deren Schutz werde erst wirksam, wenn ein gewisser Schwellenwert überschritten werde. Diese Schwelle könne von Brutvögeln ebenso wenig erreicht werden wie von den einzeln ziehenden Greifvögeln oder Störchen. Diese könnten daher mit dem für den Grenchenberg vorgeschlagenen Abschaltalgorithmus nicht geschützt werden.
Es existierten verschiedene Konzepte und Pilotprojekte zum Nachweis von Schlagopfern mit Wärmebild, Akustik, Lichtsensoren und Radarsensorik (...). Mit dem Einsatz solcher Systeme könne in denBGE 148 II 36 (53) BGE 148 II 36 (54)nächsten 5 Jahren gerechnet werden. SWILD verspricht sich davon grosse Verbesserungen für die Wirkungskontrolle (...).
Die Schlagopferkontrolle werde durch das in der Massnahme FM-7 angeordnete Gondel-Monitoring ergänzt; dies stelle heute eine Standardmethode für die Wirkungskontrolle von WEA im Betrieb dar. In der Regel erfolge eine Aufzeichnung der Fledermausaktivität während mindestens drei Betriebsjahren. Dabei würden jeweils aus der Gondel von 2 WEA permanente Ultraschall-Aufnahmen gemacht, wobei das Mikrofon in den unteren Rotorraum gerichtet werde, weil die Fledermausaktivität generell in der Höhe abnehme. Anhand einer bioakustischen Analyse seien die Anzahl Durchflüge und die Artengruppen der Fledermäuse feststellbar. Die Berechnung der Fledermausmortalität basiere auf dem bekannten Zusammenhang zwischen Fledermausaktivität und Schlagopferfunden. Dieses Vorgehen sei aussagekräftiger, effizienter und kostengünstiger als die Ergebnisse einer Schlagopfersuche für Fledermäuse. Das bioakustische Monitoring kontrolliere die Wirkung des implementierten Abschaltplans und diene gleichzeitig dessen schrittweiser Optimierung: So könne die Abschaltung auf diejenigen Zeitabschnitte fokussiert werden, in denen im Rotorraum das höchste Kollisionsrisiko herrsche, und Abschaltungen zu Zeitabschnitten reduziert werden, in denen keine Fledermausaktivität herrsche.
Der grosse Vorteil des Gondelmonitoring sei, dass sekundengenaue Informationen vorlägen, zu welcher Zeit (Jahreszeit, Nachtzeit) und unter welchen Meteo-Bedingungen (Temperatur, Windgeschwindigkeit) die Fledermäuse im Risikobereich der WEA detektiert werden. Sollte der eingestellte Abschaltplan die Konflikte nicht im notwendigen Umfang reduzieren, so könne er aufgrund dieser Informationen angepasst werden. Die mit dem Programm ProBat berechneten Abschaltpläne basierten auf dem statistisch erfassten Zusammenhang zwischen standardisierten Messungen in der Gondel und den aufgefundenen Kadavern. (...)
Zum Phänomen des Barotraumas führt SWILD aus, dieses sei bisher nur bei Schlagopfern von WEA gefunden worden und werde mit den starken Druckunterschieden entlang der Rotorblätter in Verbindung gebracht. Es werde vermutet, dass die Druckunterschiede nur innerhalb weniger Zentimeter zum Rotor ausreichend stark seien, um zu einer Schädigung von inneren Organen zu führen. Bisher seien keine Fledermäuse mit Symptomen eines Barotraumas anderswo angetroffen worden. Es könne deshalb damit gerechnet werden, dassBGE 148 II 36 (54) BGE 148 II 36 (55)sowohl die durch direkten Schlag als auch indirekt, durch ein Barotrauma, getöteten Fledermäuse als Schlagopfer unter WEA aufgefunden würden.
(...)
(...)
BGE 148 II 36 (56)8.9.2 Da solche Systeme heute noch nicht zur Verfügung stehen, muss das Schlagopfermonitoring durch ein bioakustisches Monitoring ergänzt werden, das gemäss Ergänzungsbericht SWILD zum Stand der Technik gehört. Dies wurde zwar vom Regierungsrat in FM-7 angeordnet, allerdings im Zusammenhang mit der Wirkungskontrolle der Ersatzmassnahmen. Klarzustellen ist, dass das bioakustische Monitoring zusätzlich dazu dienen muss, den Abschaltplan auf die für die Fledermausaktivität relevanten Zeiten auszurichten, was auch aus Sicht der Energieproduktion sinnvoll erscheint. Das bioakustische Monitoring muss längerfristig und - zumindest in den ersten drei Betriebsjahren - während der gesamten Fledermaussaison durchgeführt werden.
8.9.3 Allerdings kann damit nicht die effektive Schlagopferzahl ermittelt werden; diese wird vielmehr (z.B. im Programm ProBat) anhand von Erfahrungszahlen, als Funktion der beim Gondelmonitoring gemessenen Fledermausaktivität, berechnet. In Le Peuchapatte lag die aufgrund des Schlagopfermonitoring ermittelte Mortalitätsrate deutlich höher als aufgrund der Erfahrungszahlen erwartet worden war. Unklar ist, ob die (vor allem aus Studien im Tiefland gewonnenen) Erfahrungswerte für höhergelegene Standorte angepasst werden müssen (so HUEMER/KOMPOSCH, Fledermausaktivität in Gondelhöhe in Bergwaldgebieten der Steiermark, Österreich, in: Evidenzbasierter Fledermausschutz in Windkraftvorhaben [nachfolgend: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz], Christian C. Voigt [Hrsg.], 2020, S. 141 f.), oder aber die Fledermausaktivität aufgrund der Messung nur auf Gondelhöhe unterschätzt wurde (so die Interpretation von LOTHAR BACH UND ANDERE, Akustisches Monitoring von Rauhautfledermaus an Windenergieanlagen: Ist ein zweites Ultraschallmikrofon am Turm notwendig?, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 113). Neuere Studien empfehlen daher die Anbringung eines zweiten Mikrofons am Mast, auf Höhe der unteren Rotorenspitzen, insbesondere bei WEA mit niedrigem Rotor-Boden-Abstand, wie sie am Grenchenberg geplant sind (vgl. LINDEMANN UND ANDERE, Abschaltalgorithmen für Fledermäuse an Windenergieanlagen, Eine naturschutzfachliche Bewertung, in: Naturschutz und Landschaftsplanung 50 (11) 2018, S. 424; BACH UND ANDERE, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 115 f.; vgl. dazu noch nicht publ. E. 9.3.2).
Aufgrund der genannten Unsicherheiten genügt das bioakustische Monitoring für sich allein nicht, sondern muss durch eineBGE 148 II 36 (56) BGE 148 II 36 (57)Schlagopfersuche ergänzt werden (...). Um aussagekräftige Ergebnisse zu erlangen, muss in den ersten Betriebsjahren ein grosser Suchaufwand betrieben werden, z.B. durch das manuelle Absuchen von 5 m-Transekten oder aber durch den Einsatz von Spürhunden (...) in geringem zeitlichen Abstand. Die so gewonnenen Erkenntnisse zur Mortalitätsrate am Grenchenberg sind anschliessend dem Abschaltplan und dem Konzept für das bioakustische Monitoring zugrunde zu legen.
Vorläufig, solange noch keine aussagekräftigen Ergebnisse für den Grenchenberg vorliegen, muss die in Le Peuchapatte ermittelte Mortalitätsrate zugrunde gelegt werden. Die Details werden in der Baubewilligung festzulegen sein.
9.2 Die akustische Erfassung von Ultraschall-Ortungslauten gehört heute zum Standard bei der Planung von Windenergieanlagen;BGE 148 II 36 (57) BGE 148 II 36 (58)dennoch bestehen weiterhin Unsicherheiten bei der Erfassung und Bewertung der Fledermausaktivität (vgl. VOLKER RUNKEL, Akustische Erfassung von Fledermäusen - Möglichkeiten und Grenzen im Bau und Betrieb von Windkraftanlagen, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 3 ff., insb. S. 11 ff.). Zudem werden - gerade bei höhergelegenen Standorten - grosse Aktivitätsschwankungen von Jahr zu Jahr beobachtet (HUEMER/KOMPOSCH, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 139), weshalb aus der im Jahr 2011 gemessenen Anzahl Sequenzen nicht ohne Weiteres auf die Fledermausaktivität in anderen Jahren geschlossen werden kann. Schliesslich besteht die Möglichkeit, dass eine Messung auf 50 m Höhe gewisse tieffliegende Arten mit geringer Rufweite akustisch nicht erfasst oder ihre Aktivität unterschätzt.
Am Standort WEST5 (jeweils im Frühling) wurden 2 Rufsequenzen der Gruppe Mausohr (mit den Arten Grosses und Kleines Mausohr) und 93 Rufsequenzen (d.h. 4 % aller Sequenzen) der Gruppe Plecotus (mit den Arten Graues und Braunes Langohr) registriert (...). Gemäss digitaler Liste der national gefährdeten Arten (Stand 2017) sind das kleine Mausohr und das graue Langohr stark gefährdet (CR), das grosse Mausohr und das braune Langohr sind verletzlich (VU); alle vier Arten haben eine sehr hohe nationale Priorität (NP1). Wie das BAFU ausführt, kann sich bereits der Verlust weniger solcher Tiere negativ auf eine Population auswirken oder gar zu deren Verschwinden führen. Es handelt sich um leise rufende Arten, weshalb ihre Aktivität durch akustische Aufzeichnungen tendenziell unterschätzt wird (RUNKEL, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 11/12, 13/14). Insofern kann eine Kollisionsgefahr für gefährdete lokale Arten nicht ausgeschlossen werden. (...)
(...)
Dabei muss sichergestellt werden, dass auch leise rufende Arten bzw. Artengruppen, deren Aktivitätsschwerpunkt auf Höhe der untersten Rotorspitzen liegt, detektiert werden. Bei einem Rotorradius von 61 m besteht die Gefahr, dass solche Fledermäuse als Kollisions- oder Barotraumaopfer enden, ohne dass ihre Rufe vom Mikrofon in der Gondel erfasst werden (RUNKEL, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 12 ff.; LINDEMANN, a.a.O., S. 420). Hinzu kommt, dass die WEA-Standorte am Waldrand liegen und deshalb mit einer erhöhten Aktivität von Fledermäusen auf Höhe der Baumwipfel und damit im Bereich der unteren Rotorenspitze zu rechnen ist (vgl. HURST UND ANDERE, Windkraft im Wald und Fledermausschutz - Überblick über den Kenntnisstand und geeignete Erfassungsmethoden und Massnahmen, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 29 ff., insb. S. 38 und 40). Insofern erscheint ein zweites Mikrofon auf Höhe der unteren Rotorenspitzen erforderlich. Damit kann auch der Variation der Windgeschwindigkeit zwischen Nabe und Rotorspitze Rechnung getragen werden (vgl. BACH UND ANDERE, in: Voigt, Evidenzbasierter Fledermausschutz, a.a.O., S. 115; LINDEMANN, a.a.O., S. 420).BGE 148 II 36 (59)
(...)
Grundsätzlich erscheinen die vorgesehenen Kompensationsmassnahmen (Schaffung von 20 ha extensiver Sömmerungsweiden in der Umgebung) geeignet, Ersatzlebensräume für die Heidelerche zu schaffen. Voraussetzung ist allerdings, dass diese rechtzeitig (am besten vor Baubeginn, mindestens aber vor Inbetriebnahme des Windparks) in der notwendigen Qualität vorliegen, um von den Heidelerchen angenommen zu werden. Dazu gehört nicht nur die Ausmagerung der Fettwiesen, sondern auch der Schutz des neuen Lebensraums vor Störungen, insb. durch die Freizeitnutzung. Dies muss durch geeignete Auflagen (im Baubewilligungsverfahren oder mit diesem koordiniert) sichergestellt werden. Gestützt auf die Ergebnisse des vom Regierungsrat angeordneten Monitoring müssen gegebenenfalls weitere Massnahmen in Auftrag gegeben werden. Allerdings bleibt das Risiko bestehen, dass die Heidelerchen die neuen Gebiete nicht oder nicht rechtzeitig (vor einer Kollision) annehmen. Dies muss bei der Gesamtinteressenabwägung berücksichtigt werden (unten E. 13).
Das BAFU räumt in seiner Vernehmlassung ein, dass ein sehr grosses Konfliktpotenzial für den Wanderfalken bestehe. Dieser sei stark kollisionsgefährdet. Die Wanderfalkenpopulation sei im Jura rückläufig und fragil. Zwar sei ein Monitoring angeordnet worden; die im Fall eines Schadens vorgesehene Ersatzmassnahme AVI-8 (Aufwertung des Lebensraums für Auerhuhn und Haselhuhn) nutze dem Wanderfalken jedoch nichts. Hier sollte das Ausbringen von Nisthilfen oder die Verbesserung bestehender Nistplätze für Wanderfalken geprüft werden, lokal und für den gesamten Jurabogen.
Der Revierbestand des Wanderfalken im Nordjura habe 2007-2020 schätzungsweise um 38 % abgenommen, von etwa 70 auf 43 Paare.BGE 148 II 36 (61) BGE 148 II 36 (62)Im Wanderfalkenrevier an der Wandfluh hätten im Vergleich mit anderen Revieren des Nordjuras 2005-2020 überdurchschnittlich viele Junge grossgezogen werden können. Insofern habe dieser Standort für die Population eine grosse Bedeutung. Schon der Verlust auch nur einzelner Vögel am Grenchenberg könne einen deutlich negativen Einfluss auf die Population im Nordjura haben, z.B. wenn ein Altvogel während der Fütterungsphase der Jungvögel verunfalle und damit auch der Verlust aller Nachkommen des Jahres drohe. Die weithin sichtbare Wandfluh bleibe für Wanderfalken ein äusserst attraktiver Brutstandort, der auch nach einer Verwaisung durch Verlust des bestehenden Brutpaares infolge Kollision rasch wieder von neuen Individuen besetzt würde, die wiederum derselben Gefahr ausgesetzt wären. Dies könne auf längere Sicht zu einer "ökologischen Falle" führen, die zumindest den regionalen Bestand dauerhaft gefährden könnte.
Das für die Wiesen in der Nähe der Anlagen angeordnete Mahdregime (Massnahme AVI-3) könne dazu beitragen, Greifvögel wie Milane, Turmfalken oder Mäusebussarde, die Kleinsäuger jagen, nicht zusätzlich in den Gefahrenbereich der Anlagen zu locken. Für den Wanderfalken sei diese Massnahme hingegen irrelevant, da dieser keine Kleinsäuger, sondern Vögel im freien Luftraum jage.
(...)
(...)
Für neue Windkraftanlagen oder Windparks setzt Art. 9 Abs. 2 EnV den Schwellenwert bei einer mittleren erwarteten Produktion von jährlich mindestens 20 GWh fest. Das Bundesgericht hat am 18. März 2021 die Gesetzmässigkeit dieses Schwellenwerts bestätigt (BGE 147 II 319 betr. Windpark Sainte-Croix E. 8.4): Es erwog, dass der Schwellenwert von 20 GWh/a rund 15 % des vom Gesetzgeber angestrebten jährlichen Zubauziels von 130 GWh/a entspreche (UVEK, Ausführungsbestimmungen zum neuen Energiegesetz vom 30. September 2016, Totalrevision der Energieverordnung, Erläuterungen, S. 13 zu Art. 9 E-EnV [nachfolgend: UVEK, Erläuterungen]). Zwar liegt dieser Schwellenwert tiefer als die bisherigen Anforderungen an Versorgungswerke von nationaler Bedeutung (vgl. z.B. Urteil 1A.168/2005 vom 1. Juni 2006 E. 3.4.4 und 3.4.5, in: URP 2006 S. 705; ZBl 108/2007 S. 338; RDAF 2007 IBGE 148 II 36 (65) BGE 148 II 36 (66)S. 471 zur Hartschotterversorgung; TSCHANNEN/MÖSCHING, Nationale Bedeutung von Aufgaben- und Eingriffsinteressen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG, Gutachten im Auftrag des BAFU vom 7. November 2012, S. 26 ff.). Er schliesst jedoch isolierte WEA aus und erlaubt den Bau von Windparks mit drei bis fünf grossen Turbinen. Wesentlich grössere Windparks sind in der kleinräumigen, dichtbesiedelten Schweiz kaum realisierbar (Stellungnahme des Bundesrats vom 16. Mai 2018 zur Motion 18.3338).
Zu berücksichtigen ist nach Art. 12 Abs. 5 EnG auch die Kapazität, zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren: Dies ist bei Windenergieanlagen insofern der Fall, als sie, wenn nötig, rasch vom Netz genommen werden können (vgl. UVEK, Erläuterungen, a.a.O., S. 13 zu Art. 9 E-EnV). Die Windkraft leistet zudem einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit, weil WEA zwei Drittel ihres Ertrags während der Wintermonate liefern (UVEK, Erläuterungen, a.a.O., S. 5 Ziff. 2.2.1), wenn der Bedarf für Heizenergie und Strom für die Beleuchtung am höchsten und die Energieproduktion von Wasserkraftwerken und Solaranlagen tief ist (...). Die Stromproduktion im Winterhalbjahr muss insbesondere ausgebaut werden, um die in den nächsten Jahren wegfallende Winterproduktion der Schweizer Kernkraftwerke im Inland zu ersetzen (vgl. Bericht ElCom zur Stromversorgungssicherheit der Schweiz, Juli 2020, Ziff. 6.1.3 S. 48; Botschaft vom 18. Juni 2021 zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, BBl 2021 1666, S. 2 f., 6 f. und 14 f.).
Ein nationales Interesse besteht am Schutz gefährdeter Arten (Art. 78 Abs. 4 BV); dies gilt insbesondere bei Arten, für welche die Schweiz international Verantwortung trägt. Diese Kriterien wurden vom BAFU durch die Liste national prioritärer Arten konkretisiert (oben E. 5.3). Vorliegend werden Lebensräume verschiedener gefährdeter Arten von sehr hoher (NP1) und hoher nationalerBGE 148 II 36 (67) BGE 148 II 36 (68)Priorität (NP2) beeinträchtigt, darunter Heidelerchen, Wanderfalken, Wiesenpieper und verschiedene Fledermausarten. Deren Schutz ist in allen Planungs- und Bewilligungsverfahren zu beachten, nicht nur - aber eben auch - bei der Planung von Windkraftwerken.
Ziel der Interessenabwägung ist es, das Projekt so zu optimieren, dass alle Interessen möglichst umfassend berücksichtigt werden (so ausdrücklich Art. 3 Abs. 1 lit. c RPV). Zwar kann es bei Unvereinbarkeiten dazu kommen, dass ein Interesse bevorzugt und das andere zurückgestellt wird; anzustreben ist jedoch eine ausgewogene Lösung, die den beteiligten Interessen ein Maximum an Geltung einträgt und ein Minimum an Wirkungsverzicht aufnötigtBGE 148 II 36 (68) BGE 148 II 36 (69)(PIERRE TSCHANNEN, in: Praxiskommentar RPG, Richt- und Sachplanung, Interessenabwägung, Aemisegger/Moor/Ruch/Tschannen [Hrsg.], 2019, N. 32 zu Art. 3 RPG; vgl. auch BGE 117 Ib 28 E. 2 S. 31). Für die Windenergienutzung ist somit anzustreben, die Anlagen so zu erstellen und zu betreiben, dass das Risiko von Kollisionen und Lebensraumstörungen auf ein für den Biotop- und Artenschutz verträgliches Mass herabgesetzt wird und die verbleibenden Beeinträchtigungen durch Ersatzmassnahmen kompensiert werden, ohne die Nutzung der erneuerbaren Windenergie zu verunmöglichen.
Zum Schutz tieffliegender Brutvögel und Fledermäuse erschiene eine Heraufsetzung der Nabenhöhe wünschenswert. Dies liefe jedoch den Interessen des Landschaftsschutzes entgegen, dem vom Gemeinderat Grenchen angesichts des heiklen Standorts (nicht publ. E. 4) zu Recht hohes Gewicht beigemessen wurde.
Dagegen liegen die WEA-Standorte 2 und 3 nur rund 350 m bzw. 700 m vom Wanderfalkenhorst entfernt und unterschreiten damit deutlich den Mindestabstand von 1000 m, der von der Vogelwarte Sempach als unterste, aus Sicht des Vogelschutzes noch vertretbare Grenze qualifiziert wird (...). Sie können daher nicht bewilligt werden. Die verbleibenden Standorte halten einen Abstand von 1000 m ein (WEA 4-6) bzw. unterschreiten ihn nur geringfügig (um ca. 50 m bei WEA 1).BGE 148 II 36 (69)
BGE 148 II 36 (70)Bei der gebotenen gesamthaften Interessenabwägung ist auch die präjudizielle Bedeutung des vorliegenden Entscheids für künftige Windparkprojekte zu berücksichtigen. Die Jurahöhen sind aufgrund ihres Windenergiepotenzials und der geringen Besiedlungsdichte für solche Projekte besonders geeignet, weshalb weitere Windparkanlagen in der Region zu erwarten bzw. schon in Planung sind. Gleichzeitig stellen die felsenreichen Gebiete des Jura bevorzugte Brutgebiete des Wanderfalken dar (...). Würden am Grenchenberg WEA in unmittelbarer Nähe eines Wanderfalkenhorsts bewilligt, ist zu befürchten, dass auch künftige Projekte der Region keine Rücksicht auf Wanderfalkenstandorte nehmen. Dies würde das Risiko der Kollision vervielfältigen und könnte zum rapiden Rückgang der Wanderfalkenpopulation führen (...). Mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot und die Versorgungsinteressen anderer Gemeinden und Kantone ist auch kein Grund ersichtlich, das Projekt am Grenchenberg zu privilegieren und erst bei künftigen Projekten strengere Massstäbe anzulegen. Anzustreben ist vielmehr, dass jeder Windpark so ausgelegt und betrieben wird, dass kein untragbares kumulatives Risiko entsteht, auch wenn weitere Anlagen in der Region erstellt werden. Nur unter dieser Voraussetzung entspricht die Windkraftnutzung den Vorgaben des Nachhaltigkeitsprinzips (Art. 73 BV), das ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits anstrebt.
Mit dem Verzicht auf WEA 2 und 3 verringert sich auch der Konflikt mit dem Landschaftsschutz, weil der Windpark damit einen grösseren Abstand zum BLN-Gebiet Nr. 1010 "Weissenstein" einhält. Gleichzeitig wird der Fledermausschutz verbessert, wurde doch entlang der Felskante bei der geplanten WEA 3 eine besonders hohe Fledermausaktivität gemessen (...).
Die Schlagopfersuche ist unter der Aufsicht von Fachleuten nach dem von der Vogelwarte Sempach vorgelegten Konzept durchzuführen (nicht publ. E. 8.7). Sobald neue technische Systeme zurBGE 148 II 36 (70) BGE 148 II 36 (71)Schlagopfersuche (insb. für Fledermäuse) einsatzbereit sind, müssen diese periodisch zur Wirkungskontrolle eingesetzt werden (E. 8.9.1). In den ersten Betriebsjahren muss ein hoher Suchaufwand für Fledermäuse betrieben werden (oben E. 8.9.3). Die Schlagopfersuche ist durch ein bioakustisches Monitoring zu ergänzen, mit dem Ziel der Verfeinerung des Abschaltplans zwecks Einhaltung der Schlagopfervorgaben einerseits (E. 8.9.2) und des möglichst vollständigen Schutzes gefährdeter lokaler Fledermäuse andererseits (E. 9.5). Dafür sind zwei Mikrofone vorzusehen, je eines an der Gondel und am Mast (auf Höhe der unteren Rotorenspitzen). Solange noch keine aussagekräftigen Ergebnisse für den Standort Grenchenberg vorliegen, muss dem bioakustischen Monitoring und dem Abschaltplan die Mortalitätsrate für Fledermäuse gemäss der Studie Le Peuchapatte zugrunde gelegt werden (E. 8.9.3). Generell ist ein Anpassungsvorbehalt in die Baubewilligung aufzunehmen (E. 8.9.4).
Die vorgesehenen Ersatzmassnahmen für Heidelerchen und andere Brutvögel müssen rechtzeitig und in genügender Qualität (Ausmagerung, Schutz vor menschlichen Störungen) realisiert werden; dies ist als Bedingung für die Betriebsaufnahme in der Baubewilligung vorzusehen (E. 10.5). Schliesslich sind auch Ersatzmassnahmen für den Wanderfalken festzulegen, der bei Unterschreitung des empfohlenen Abstands von 3000 m kollisionsgefährdet bleibt (E. 11.6).BGE 148 II 36 (71)