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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.3
Bearbeitung, zuletzt am 15.09.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Veranlagungsbehörde Dorneck- Thierstein und Steueramt des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
2C_199/2020 vom 28. Dezember 2021
 
 
Regeste
 
Art. 32k Abs. 1 Satz 3 BPG; Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG; Art. 9 Abs. 2 lit. d StHG; Art. 79b Abs. 3 BVG; die Kapitaleinlage seitens der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers zwecks Äufnung einer Überbrückungsrente bei vorzeitigem Altersrücktritt ist trotz gleichzeitigen Bezugs des Alterskapitals abzugsfähig.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 II 189 (190)A. A.A. (geb. 1955; nachfolgend: der Steuerpflichtige) war der Pensionskasse des Bundes (PUBLICA) angeschlossen. Aufgrund einer Übergangsregelung wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, sich vorzeitig pensionieren zu lassen und gleichzeitig durch Vornahme eines Einkaufs zur Finanzierung einer Überbrückungsrente beizutragen. Am 29. Mai 2015 leistete der damals 60-jährige Steuerpflichtige aus eigenen Mitteln eine einmalige Zahlung von Fr. 62'050.40 an die Pensionskasse des Bundes. Der Arbeitgeber leistete eine Einlage in gleicher Höhe. Ab dem 1. Juli 2015 erhielt der Steuerpflichtige eine Überbrückungsrente von Fr. 2'350.- pro Monat.
B. Der Steuerpflichtige wünschte auf den Zeitpunkt des vorzeitigen Ruhestandes hin die Auszahlung seines gesamten Vorsorgeguthabens bei der PUBLICA. Am 3. Juli 2015 konnte er unter diesemBGE 148 II 189 (190) BGE 148 II 189 (191)Titel eine Kapitalleistung von Fr. 1'401'471.50 empfangen. Das Steueramt des Kantons Solothurn (KStA/SO; nachfolgend: die Veranlagungsbehörde) unterzog die Kapitalleistung aus Vorsorge - für die Zwecke der direkten Bundessteuer und der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Solothurn - mit Veranlagungsverfügungen vom 26. Oktober 2015 einer Sonderveranlagung. Diese erwuchs, soweit ersichtlich, in Rechtskraft.
C. Der Steuerpflichtige und die gemeinsam mit ihm veranlagte Ehefrau (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) tätigten in ihrer Steuererklärung zur Steuerperiode 2015 einen Abzug von Fr. 62'050.40. Dabei handelte es sich um den Einkauf vom 29. Mai 2015. Die Veranlagungsbehörde liess den Abzug nicht zu (Veranlagungsverfügungen vom 5. Oktober 2016). Dagegen erhoben die Eheleute am 10. Oktober 2016 Einsprache, worin sie vorbrachten, die dreijährige Sperrfrist gemäss Art. 79b Abs. 3 BVG könne auf die Ausfinanzierung einer Überbrückungsrente keine Anwendung finden. Die Veranlagungsbehörde wies die Einsprache mit Einspracheentscheid vom 13. Mai 2019 ab, nachdem das Finanzdepartement des Kantons Solothurn zuvor eine Rechtsverzögerungsbeschwerde vom 21. Dezember 2018 mit Entscheid vom 1. April 2019 gutgeheissen hatte.
D. Gegen den Einspracheentscheid vom 13. Mai 2019 gelangten die Steuerpflichtigen an das Steuergericht des Kantons Solothurn, das die Rechtsmittel mit Entscheid SGSTA.2019.35 / BST.2019.31 vom 6. Januar 2020 abwies. Das Steuergericht erwog, dass Art. 79b BVG den Begriff des Einkaufs zwar nicht umschreibe, dass die Doktrin aber davon ausgehe, auch Beiträge für den Einkauf der Vorfinanzierung einer Frühpensionierung fielen darunter. Die Dreijahresfrist gemäss Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG sei einzig dann von keiner Bedeutung, wenn es um Wiedereinkäufe im Falle der Ehescheidung oder der gerichtlichen Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft nach Art. 22c FZG gehe (Art. 79b Abs. 4 BVG).
E. Mit Eingabe vom 28. Februar 2020 erheben die Eheleute beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei der Einkauf von Fr. 62'050.40 in der Steuerperiode 2015 zum Abzug zuzulassen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.BGE 148 II 189 (191)
BGE 148 II 189 (192)Die Vorinstanz und die Veranlagungsbehörde beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) stellt den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Steuerpflichtigen replizieren.
 
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 3.3
 
3.3.1 Zwischen der Einzahlung von Fr. 62'050.40, die am 29. Mai 2015 erfolgte (Sachverhalt Bst. A), und der Ausrichtung der Kapitalleistung von Fr. 1'401'471.50 vom 3. Juli 2015 (Sachverhalt Bst. B) liegen offenkundig keine drei Jahre. Mit Blick darauf sind die kantonalen Behörden davon ausgegangen, dass Art. 33 Abs. 1BGE 148 II 189 (192) BGE 148 II 189 (193)lit. d DBG (SR 642.11) durch Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG zurückgedrängt werde. An der Besteuerung der Kapitalleistung vermochte dies nichts zu ändern (Art. 22 in Verbindung mit Art. 38 DBG; nicht publ. E. 2.1), wogegen es bei dieser Sichtweise ausgeschlossen war, den Abzug vorzunehmen (nicht publ. E. 2.3.2).
So erklärte der ständerätliche Kommissionssprecher: "On passe ensuite à l'alinéa 3 et on constate qu'une autre limitation a été fixée: le rachat effectué ne peut pas être compensé sous la forme d'une prestation en capital avant l'échéance d'un délai de trois ans. De cette manière-là, la commission estime pouvoir répondre aux critiques formulées dans ce qu'on a appelé l'exemple Percy Barnevik" (Votum Ständerat Studer, AB 2002 S 1052 f.). Dieser Sichtweise schloss sich der anfänglich skeptische Erstrat in der Differenzbereinigung an ("Es geht wiederum um die Bekämpfung von Missbräuchen in der beruflichen Vorsorge, wenn sich also z. B. jemand kurz vor der Pensionierung mit einem sehr hohen Betrag einkauft, dadurch sein steuerbares Einkommen reduziert, kurze Zeit später in Pension geht und Altersleistungen in Kapitalform bezieht. Das ist natürlich eine Steuerbegünstigung, wie sie die berufliche Vorsorge eigentlich nicht zulassen sollte"; Votum Nationalrat Bortoluzzi, AB 2003 N 630).
Von der steuerlichen Abzugsfähigkeit soll gemäss Art. 79b Abs. 3 BVG nicht profitieren, wer nicht seine berufliche Vorsorge stärken, sondern eine steuerlich motivierte Geldverschiebung vornehmen will (Urteile 2C_488/2014 / 2C_489/2014 vom 15. Januar 2015 E. 2.3; 2C_243/2013 / 2C_244/2013 vom 13. September 2013 E. 5.2). Im Unterschied zum früheren Recht ist jedoch grundsätzlich jede Kapitalauszahlung in der Dreijahresfrist und jede während dieser Zeit erfolgte Einzahlung vom Einkommensabzug ausgeschlossen,BGE 148 II 189 (194) BGE 148 II 189 (195)ohne dass zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen einer Steuerumgehung gegeben sind (BGE 142 II 399 E. 4.1; Urteil 2C_534/2020 vom 26. März 2021 E. 3.1). Die Sperrfrist ist damit objektiviert (Urteil 2C_6/2021 vom 12. Januar 2021 E. 2.2.1).
3.4.3 Nach dem Wortlaut des Gesetzes ("die daraus resultierenden Leistungen", "Les prestations résultant d'un rachat", "Le prestazioni risultanti dal riscatto") scheint eine Verknüpfung erforderlich zu sein zwischen den getätigten Einkäufen und den in Kapitalform bezogenen Leistungen. Die Norm beruht auf dem Gedanken, dass die Kapitaleinlage nicht innerhalb von drei Jahren als Kapitalleistung bezogen werden soll (dazu HUNZIKER/MAYER-KNOBEL, in: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Zweifel/Beusch [Hrsg.], 3. Aufl. 2017, N. 24d zu Art. 33 DBG). Nach der Rechtsprechung istjedoch keine direkte Verknüpfung zwischen Einkauf und Leistung erforderlich; denn die in die Vorsorgeeinrichtung einbezahlten Beträge werden nicht ausgesondert und die Leistungen aus Vorsorgeeinrichtungen werden nicht aus bestimmten Mitteln, sondern aus dem Vorsorgekapital der versicherten Person insgesamt finanziert (Urteil 2C_658/2009 / 2C_659/2009 vom 12. März 2010 E. 3.1). Das Vorsorgekapital stellt eine Einheit dar und muss gesamtheitlich betrachtet werden (zit. Urteile 2C_488/2014 / 2C_489/ 2014 E. 2.3; 2C_243/2013 / 2C_244/2013 E. 5.2; Urteil 2C_614/2010 vom 24. November 2010 E. 3.2.2). Diese konsolidierte Betrachtung gilt namentlich aus Gründen der Gleichbehandlung auch dann, wenn Einkauf einerseits und Bezug von Vorsorgegeldern andererseits nicht bei ein und derselben, sondern bei zwei verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen vorgenommen werden. Massgebend ist insofern also eine konsolidierende Gesamtbetrachtung der 2. Säule (Urteile 2C_534/ 2020 vom 26. März 2021 E. 3.1; 2C_6/2021 vom 12. Januar 2021 E. 2.2.2; zit. Urteil 2C_488/2014 / 2C_489/2014 E. 3.2 und 3.3). Unter die aus dem Einkauf resultierenden Leistungen fallen namentlich die Altersleistungen aus beruflicher Vorsorge, die Barauszahlung gemäss Art. 5 FZG und der Vorbezug zum Zwecke der Wohneigentumsförderung (Urteile 2C_6/2021 vom 12. Januar 2021 E. 2.2.1; 2C_29/ 2017 vom 4. November 2019 E. 3.3 und 3.4). Von der Konsolidierung auszunehmen ist allerdings die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a). Denn Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG kann keine Pflicht zur säulenübergreifenden Konsolidierung entnommen werden (Urteile 2C_6/2021 vom 12. Januar 2021 E. 2.2.2; 2C_467/2014 / 2C_468/ 2014 vom 18. Juni 2015 E. 3.1).BGE 148 II 189 (195)
BGE 148 II 189 (196)3.4.4 In allen Konstellationen, welche die Rechtsprechung bisher beurteilte, ging es darum, dass mit den Einkäufen ein Vorsorgekapital geäufnet wurde, das in der Folge in Form eines steuerlich privilegierten Kapitalbezugs bezogen werden konnte. Diese steuerliche Privilegierung soll mit Art. 79b Abs. 3 BVG vermieden werden (vorne E. 3.4.1 und 3.4.2). Diese ratio legis führt auch dazu, dass keine direkte Verknüpfung zwischen dem Einkauf und der Kapitalleistung erforderlich sein kann, sondern eine konsolidierende Betrachtung anzustellen ist; denn wenn bloss ein Teil des Vorsorgekapitals in Kapitalform bezogen wird, lässt sich nicht sagen, dass genau dieser Teil auf die getätigten Einkäufe zurückzuführen ist. Zumindest liesse sich bei einer solchen Betrachtung die Vorschrift von Art. 79b Abs. 3 BVG beliebig umgehen, indem Mittel zwischen verschiedenen Gefässen der Säule 2 hin und her verschoben werden könnten.
Diese Rente dient dazu, im Falle einer Frühpensionierung die bis zum ordentlichen AHV-Alter fehlende AHV-Rente zu ersetzen; sie endet mit dem ordentlichen AHV-Alter (Art. 62 Abs. 1 VR-PUBLICA) und entspricht auch in der Höhe der (vollen oder halben) AHV-Rente (Art. 63 VR-PUBLICA). Funktionell ist sie daher eher eine AHV-Rente, auch wenn sie formell durch die PUBLICABGE 148 II 189 (196) BGE 148 II 189 (197)ausgerichtet wird. Nicht selten leisten die Arbeitgeber derartige Beiträge an Überbrückungsrenten, um eine nicht ganz freiwillige Frühpensionierung zu fördern. Wesentlich ist sodann, dass dieser Einkauf nicht Teil des Altersguthabens wird (Art. 36 Abs. 2 VR-PUBLICA e contrario). Dementsprechend kann der Einkauf nicht in Kapitalform (Art. 40 VR-PUBLICA) bezogen werden und die Überbrückungsrente wird auch bei einem Kapitalbezug nicht gekürzt (Art. 40 Abs. 5 VR-PUBLICA). Die Einlage, mit welcher die Überbrückungsrente finanziert wurde, kann somit gar nicht in Kapitalform bezogen werden. Sie ist rechtlich und versicherungsmathematisch etwas völlig anderes als die Beiträge, welche der Steuerpflichtige und sein Arbeitgeber im Laufe der Jahre zwecks Abdeckung der ordentlichen Säule-2-Vorsorgefälle (Alter, Invalidität, Hinterlassenschaft) geleistet hatten und die der Steuerpflichtige am 3. Juli 2015 in Kapitalform bezogen hat.
Im Unterschied zu den bisher beurteilten Fällen geht es bei der Finanzierung der Überbrückungsrente nicht darum, einen Einkauf zu tätigen, der Teil eines gesamtheitlichen Vorsorgekapitals wird, aus dem insgesamt eine Leistung finanziert wird (vorne E. 3.4.3). Vielmehr dient hier der Einkauf spezifisch der Finanzierung einer Überbrückungsrente für die Zeit zwischen der Frühpensionierung und dem ordentlichen AHV-Alter. Er hat keinen Einfluss auf die Höhe des Alters- bzw. Vorsorgekapitals. Steuerlich bedeutet das, dass mit der hier streitigen Einlage nicht ein Vorsorgekapital geäufnet wird, das anschliessend in Kapitalform mit privilegierter Besteuerung bezogen werden kann, sondern mit der Einlage wird eine Leistung finanziert, die ausschliesslich als Rente bezogen werden kann und zum Normaltarif besteuert wird. Die Missbrauchsgefahr, welcher Art. 79b Abs. 3 BVG begegnen will (vorne E. 3.4.1 und 3.4.2), besteht somit auch in objektivierter Form nicht. Im Gegenteil: Der Steuerpflichtige hat aus seinem Vermögen eine Leistung von Fr. 62'050.40 erbracht, deren Gegenleistung in der Folge zum Normaltarif als Rente besteuert wird. Wäre die Kapitaleinlage nicht abzugsfähig, wie die Vorinstanz angenommen hat, würde diese Summe im Ergebnis doppelt besteuert. Vorbehalten bleibt selbstverständlich eine Steuerumgehung im Einzelfall (vgl. BGE 142 II 399 E. 4), wofür aber vorliegend keine Hinweise bestehen.
3.5 Die vorinstanzliche Auslegung und Anwendung von Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG in Verbindung mit Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG erweist sich mithin als bundesrechtswidrig. In Aufhebung desBGE 148 II 189 (197) BGE 148 II 189 (198)angefochtenen Entscheids ist die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zur weiteren Behandlung an das Steueramt des Kantons Solothurn zurückzuweisen.BGE 148 II 189 (198)