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Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Aus prozessökonomischen Gründen ist noch auf die R&u ...
4. Art. 20 Abs. 1 ZWG sieht vor, dass sich die Ausschreibung von  ...
5. Nach dem Gesagten ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, das ...
Bearbeitung, zuletzt am 21.12.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Helvetia Nostra gegen A. GmbH und Gemeinde Surses (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_241/2021 vom 17. März 2022
 
 
Regeste
 
Publikation von Baugesuchen im Anwendungsbereich des ZWG (Art. 20 Abs. 1 ZWG; Art. 12b NHG).
 
Als Sondervorschrift ist Art. 20 Abs. 1 ZWG eng auszulegen. Sie gelangt nicht zur Anwendung, wenn mit dem Bauvorhaben eine andere Bundesaufgabe verbunden ist (E. 5).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 II 359 (360)A. Am 30. Juli 2019 reichte die A. GmbH bei der Gemeinde Surses ein Baugesuch für ein Ferienresort ein. Das Baugesuch wurde am 9. August 2019 im kommunalen Amtsblatt publiziert und öffentlich aufgelegt. Der Gemeindevorstand wies die dagegen erhobenen Einsprachen am 31. Oktober 2019 ab und erteilte gleichentags die Bewilligung.
B. Am 6. Dezember 2019 ersuchte Helvetia Nostra um Mitteilung, wann das Baugesuch im kantonalen Amtsblatt publiziert worden sei. Der Leiter des Bauamts teilte mit, die Publikation habe vom 9. bis 28. August 2019 in den gemeindeeigenen Publikationsorganen stattgefunden, und übermittelte den Publikationstext der Bauausschreibung. Helvetia Nostra beharrte darauf, dass eine Publikation im kantonalen Amtsblatt erforderlich gewesen sei, und bat um Zustellung der Baugesuchsunterlagen und der Baubewilligung. Die Gemeinde vertrat die Auffassung, es sei ihr kein Fehler bei der Publikation unterlaufen, und sah sich deshalb auch nicht veranlasst, Helvetia Nostra mit den Baugesuchsunterlagen und der Baubewilligung zu bedienen.BGE 148 II 359 (360)
BGE 148 II 359 (361)Am 16. Dezember 2019 erhob Helvetia Nostra Einsprache gegen das Bauvorhaben und beantragte die Abweisung des Baugesuchs, Einsicht in die Bauakten und die Feststellung, dass das bisherige Baubewilligungsverfahren nichtig sei. Der Gemeindevorstand Surses trat am 18. Februar 2020 auf die Einsprache nicht ein.
C. Dagegen erhob Helvetia Nostra am 5. März 2020 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses wies die Beschwerde am 16. März 2021 ab.
D. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid hat Helvetia Nostra am 30. April 2021 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben.
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, das Vorgehen der zuständigen Behörden sei korrekt gewesen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde schon aus formellen Gründen gut und weist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück.
(Zusammenfassung)
 
Gemäss Art. 12b NHG eröffnet die Behörde den Gemeinden und Organisationen ihre Verfügungen durch schriftliche Mitteilung oder durch Veröffentlichung im Bundesblatt oder im kantonalen Publikationsorgan. Die öffentliche Auflage dauert in der Regel 30 Tage (Abs. 1). Sieht das Bundesrecht oder das kantonale Recht ein Einspracheverfahren vor, so sind auch die Gesuche nach Absatz 1 zu veröffentlichen (Abs. 2).
Das Bundesgericht liess damals offen, ob Art. 20 Abs. 1 ZWG zu einer anderen Beurteilung führe, weil die Bestimmung noch nicht in Kraft war und im Bereich der Publikationsvorschriften auch keine Vorwirkung entfaltete (zit. Urteil 1C_630/2014 E. 2.5). Diese Frage muss nunmehr beantwortet werden.BGE 148 II 359 (362)
BGE 148 II 359 (363)4. Art. 20 Abs. 1 ZWG sieht vor, dass sich die Ausschreibung von Baugesuchen und die Mitteilung von Bauentscheiden abschliessend nach den jeweiligen kantonalen Vorgaben richten; vorbehalten bleibt Art. 112 Abs. 4 BGG (betr. die Eröffnung an beschwerdeberechtigte Bundesbehörden). Im Weiteren richten sich die Zuständigkeit, das Verfahren und der Rechtsschutz unter Vorbehalt der Bestimmungen des ZWG nach dem RPG (SR 700) und den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen der Kantone (Art. 20 Abs. 2 ZWG).
Die Beschwerdeführerin bestreitet dies: Ihres Erachtens ist Art. 12b NHG Spezialbestimmung für die Publikation von Vorhaben, welche das Verbandsbeschwerderecht auslösen; Art. 20 Abs. 1 ZWG nehme gerade keinen Bezug auf die Besonderheiten der Verbandsbeschwerde.
Kommissionssprecher Ivo Bischofberger (AB 2014 S 969) führte aus, mit der vorgeschlagenen Bestimmung werde sichergestellt, dass in Kantonen, in denen Baugesuche nur in kommunalen oder regionalen Amtsblättern ausgeschrieben werden müssen, solcheBGE 148 II 359 (363) BGE 148 II 359 (364)Ausschreibungen bundesrechtlich dann auch genügten, wenn sie einen in den Anwendungsbereich des Zweitwohnungsgesetzes fallenden Tatbestand betreffen. Er ergänzte, dass diese Bestimmung mit dem Beschwerderecht der Gemeinden und Organisationen gemäss Art. 12 ff. NHG vereinbar sei: Als kantonale Publikationsorgane, in welchen gemäss Art. 12b Abs. 1 NHG die relevanten Baubewilligungsgesuche veröffentlicht werden müssen, gälten auch diejenigen Publikationsorgane, die das kantonale Recht für die Ausschreibung von Baugesuchen vorsehe.
Ständerat Martin Schmid (AB 2014 S 969) hielt fest, es handle sich um eine lex specialis, die auch als neuere Norm vorgehe. Aufgrund dieser neuen Bestimmung im Zweitwohnungsgesetz bestehe keine bundesrechtliche Verpflichtung zur Publikation von kommunalen Baubewilligungsentscheiden mehr, ausser der Kanton würde das vorsehen; die Kantone seien diesbezüglich also frei. Es sei ausreichend, wenn der Baubewilligungsentscheid dem Betroffenen und allfälligen Einsprechern mitgeteilt werde; die Baubewilligungserteilung müsse nicht nochmals amtlich publiziert werden. Somit wäre auch ausgeschlossen, dass das Bundesgericht im Anwendungsfall, zum Beispiel aufgrund von Art. 12b Absatz 1 NHG, eine entsprechende kantonale Veröffentlichungsvorschrift als NHG-widrig erklären könnte.
Beide Voten bezogen sich somit ausdrücklich auf das Beschwerderecht der Naturschutzorganisationen und befürworteten eine Abweichung von Art. 12b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 NHG im Anwendungsbereich des Zweitwohnungsgesetzes.
Dem ist entgegenzuhalten, dass Art. 20 Abs. 1 ZWG ausschliesslich auf das kantonale Recht verweist, ohne selbst festzulegen, wie im Einzelnen Baugesuche zu publizieren oder mitzuteilen sind. Soweit sich aus den von der Beschwerdeführerin angerufenen Verfassungs- und Konventionsbestimmungen Mindestanforderungen an die Publikation ergeben, ist es somit Sache der kantonalen Behörden, diese in Gesetzgebung und Praxis umzusetzen. Die Verfassungs- und Völkerrechtskonformität des kantonalen Verfahrensrechts kann im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle oder inzident, im Anwendungsfall, gerichtlich überprüft werden (in diesem Sinne auch GRIFFEL, a.a.O., S. 36; ALIG, a.a.O., S. 250).
4.6 Vorliegend rügt die Beschwerdeführerin zwar eine Verunmöglichung des Verbandsbeschwerderechts mangels Publikation im kantonalen Amtsblatt; sie legt aber nicht substanziiert dar, inwiefern es ihr nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, rechtzeitig von der Baupublikation der Gemeinde Surses Kenntnis zu nehmen, die nicht nur im amtlichen Publikationsorgan der Gemeinde, sondern auch auf deren Internetseite publiziert wurde. Die BeschwerdeführerinBGE 148 II 359 (365) BGE 148 II 359 (366)legt auch nicht konkret, anhand der Bauausschreibung, dar, inwiefern sie sich daraus kein Bild von Art und Tragweite des geplanten Vorhabens machen und ihre Beschwerdeberechtigung erkennen konnte. Damit fehlt es an einer rechtsgenügenden Begründung der Grundrechts- und Konventionsrügen (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG), weshalb auf diese nicht näher einzugehen ist.
Dem ist zuzustimmen: Bauvorhaben, die in Erfüllung einer Bundesaufgabe ergehen, z.B. weil sie auf eine bundesrechtliche Spezial- oder Ausnahmebewilligung angewiesen sind, unterlagen schon vor Einführung von Art. 75b BV der Verbandsbeschwerde und mussten Gemeinden und Organisationen gemäss Art. 12b NHG angezeigt werden. Es gibt keine Hinweise, dass der Gesetzgeber an dieser vorbestehenden und von der Zweitwohnungsgesetzgebung unabhängigen Rechtslage etwas ändern wollte.
5.3 Ob vorliegend eine bundesrechtliche Spezialbewilligung in diesem Sinne erforderlich ist, lässt sich ohne Kenntnis der Baugesuchsakten nicht zuverlässig beurteilen. Es erscheint daher geboten,BGE 148 II 359 (366) BGE 148 II 359 (367)die Sache in diesem Punkt an die Vorinstanz zurückzuweisen, um diese Frage - nach (ganz oder teilweiser) Gewährung des Akteneinsichtsrechts - zu prüfen.BGE 148 II 359 (367)