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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.2
Bearbeitung, zuletzt am 25.01.2023, durch: DFR-Server (automatisch)
 
30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Politische Gemeinde St. Gallen und Regierung des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_177/2021 vom 10. März 2022
 
 
Regeste
 
Art. 30e, 58 USG; Art. 26, 27 BV; Enteignung für eine Deponie.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 II 387 (388)A. A. ist Eigentümer von zwei Grundstücken in der Gemeinde Gaiserwald. Die beiden Grundstücke liegen teilweise im Perimeter der Deponie Tüfentobel, welche die Stadt St. Gallen dort betreibt. Im Rahmen der Planung und Realisierung einer Erweiterung dieser Deponie stellte die Stadt St. Gallen am 7. August 2018 bei der kantonalen Schätzungskommission für Enteignungen das Gesuch um Einleitung des Enteignungsverfahrens. Damit beantragte sie zur Hauptsache eine dauernde Beschränkung des Eigentums an den erwähnten Grundstücken in Form einer Dienstbarkeit (übertragbares Auffüllrecht für Inertmaterial) zu ihren Gunsten. Gegen das öffentlich aufgelegte Enteignungsbegehren erhob A. Einsprache. In der Folge grenzte die Stadt St. Gallen das Enteignungsbegehren auf ein übertragbares Auffüllrecht für Inertmaterial Typ A (sauberer Aushub) ein. Am 3. Juni 2019 überwies der Präsident der Schätzungskommission die Einsprache der Regierung des Kantons St. Gallen zum Entscheid über die Zulässigkeit der Enteignung. Die Regierung wies die Einsprache mit Entscheid vom 25. August 2020 ab und stellte die Zulässigkeit der Enteignung fest.
B. Gegen den Entscheid der Regierung erhob A. Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 25. Februar 2021 ab, soweit es darauf eintrat.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. April 2021 beantragt A. die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Feststellung, dass der Stadt St. Gallen das Enteignungsrecht nicht zustehe. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
 
 
Erwägung 3
 
3.1 Der angefochtene Entscheid erging in einem nach kantonalem Recht durchgeführten Enteignungsverfahren. Die eigentliche materiellrechtliche Grundlage hat die Enteignung für eine Deponie aber in Art. 58 USG (SR 814.01). Nach Abs. 1 dieser Bestimmung können der Bund und die Kantone, soweit der Vollzug des USG es erfordert, die notwendigen Rechte selbst enteignen oder dieses Recht DrittenBGE 148 II 387 (388) BGE 148 II 387 (389)übertragen. Weder macht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht geltend noch ist ersichtlich, dass die einschlägigen kantonalen Vorschriften das Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG; SR 711) für anwendbar erklären (vgl. Art. 58 Abs. 2 USG). Es steht auch kein Werk zur Diskussion, welches das Gebiet mehrerer Kantone beansprucht (Art. 58 Abs. 3 USG). In einer solchen Konstellation ist die Frage, ob und inwieweit das Recht zur Enteignung gewährt werden kann, eine solche des Bundesrechts und nach Art. 58 Abs. 1 USG zu lösen. Daneben behalten materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen des kantonalen Enteignungsgesetzes auch in umweltschutzbedingten Verfahren ihre selbstständige Bedeutung, soweit sie den bundesrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. BGE 116 Ib 169 E. 2a; vgl. auch BGE 127 I 185 E. 4 S. 191).
 
Erwägung 3.2
 
3.2.3 Weiter unterliegen Deponien insbesondere der Bewilligungspflicht gemäss Art. 30e Abs. 2 USG. Dabei macht diese Bestimmung die Errichtungs- bzw. Bau- wie auch die Betriebsbewilligung für eine Deponie von einem Bedarfsnachweis abhängig. Da jede Deponie Umweltrisiken birgt, besteht ein öffentliches Interesse daran, die Anzahl solcher Anlagen möglichst tief zu halten und für eine möglichst gute Auslastung der bestehenden Deponien zu sorgen. Die in Art. 30e USG verankerte Bedürfnisklausel ist somitBGE 148 II 387 (389) BGE 148 II 387 (390)ausschliesslich umweltpolizeilich motiviert und erweist sich als grundsatzkonformer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV); allenfalls eintretende wirtschaftslenkende Effekte, namentlich der Ausschluss von Mitbewerbern bei der Vergabe der nur beschränkt verfügbaren Deponiebewilligungen, sind als Nebenwirkung zum umweltpolizeilichen Zweck hinzunehmen (vgl. PIERRE TSCHANNEN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz [nachfolgend: USG-Kommentar], 2. Aufl. 2000, N. 27 zu Art. 30e USG; ALEXANDRE FLÜCKIGER, in: Loi sur la protection de l'environnement [LPE] [nachfolgend: Commentaire LPE], Moor/Favre/Flückiger [Hrsg.], 2010, N. 57 zu Art. 30e USG).
3.2.4 Die Entsorgung der Siedlungsabfälle ist Sache der Kantone, wobei diese über ein Entsorgungsmonopol verfügen (vgl. dazu Art. 31b USG; BGE 137 I 257 E. 3.2; BGE 125 II 508 E. 5b); demgegenüber besteht grundsätzlich ein Freiraum privatwirtschaftlicher Tätigkeit bei der Entsorgung der übrigen Abfälle (vgl. dazu Art. 31c USG; BGE 131 II 271 E. 9.2.1; BGE 126 II 26 E. 3b). Diese Unterscheidung spielt aber angesichts der soeben dargelegten Bedürfnisklausel bei der Bewilligung von Deponien gemäss Art. 30e Abs. 2 USG im vorliegenden Zusammenhang keine wesentliche Rolle. Vielmehr erfordert es der Vollzug des USG, dass alle Deponien mit ausgewiesenem Bedarf an den dafür vorgesehenen Standorten unabhängig von den dort gegebenen Grundeigentumsverhältnissen realisiert werden können (vgl. LORETAN, USG-Kommentar, a.a.O., N. 16 zu Art. 58 USG; GRODECKI, Commentaire LPE, a.a.O., N. 33 zu Art. 58 USG). Die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe liegt beispielsweise auch dann vor, wenn ein Privatunternehmen - ohne über einen Vollzugsauftrag zu verfügen - im Rahmen der kantonalen Abfall- und Raumplanung eine VVEA-konforme Deponie betreiben möchte (vgl. LORETAN, USG-Kommentar, a.a.O., N. 22 zu Art. 58 USG). Unter diesen Voraussetzungen bietet Art. 58 Abs. 1 USG eine gesetzliche Grundlage für die Zulässigkeit einer Enteignung nicht nur für Deponien zur Ablagerung von Abfällen im Anwendungsbereich von Art. 31b USG, sondern - entgegen dem Beschwerdeführer - auch von übrigen Abfällen im Sinne von Art. 31c USG.
3.2.5 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass eine Enteignung gestützt auf Art. 58 Abs. 1 USG für alle VVEA-konformen Deponien bei ausgewiesenem Bedarf in Betracht kommt. Dieses Auslegungsergebnis ist mit den vom Beschwerdeführer angerufenen verfassungsmässigen Rechten der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar. DerBGE 148 II 387 (390) BGE 148 II 387 (391)Beschwerdeführer nennt ferner die Eigentumsgarantie gemäss Art. 2 lit. t der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2001 (SR 131.225). Er tut allerdings nicht dar, inwiefern dieser kantonalen Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang ein eigenständiger Gehalt zukommen soll.