7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_217/2022 vom 15. Dezember 2022 | |
Regeste | |
Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 aMWSTG; subjektive Steuerpflicht und Vorsteuerabzugsberechtigung von Flugzeug-Eigentümergesellschaften; Steuerumgehung; Praxisänderung.
| |
Sachverhalt | |
![]() ![]() ![]() | |
B.
| |
B.a Zwischen Mai und November 2011 führte die ESTV bei der A. AG eine Kontrolle durch, die unter anderem die Steuerperioden 1. Quartal 2006 bis 4. Quartal 2009 (Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2009) betraf. Gestützt auf das Kontrollergebnis nahm die ESTV mit Einschätzungsmitteilung / Verfügung vom 12. Dezember 2011 eine Nachbelastung von insgesamt Fr. 1'037'611.- (zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008) vor. Die Nachbelastung ergab sich laut ESTV aufgrund der gemischten Verwendung des genannten Flugzeugs sowie von nicht abgerechneten Privatanteilen Autokosten. Die A. AG erhob am 30. Januar 2012 Einsprache, wobei sie die Nachbelastung der Privatanteile Autokosten anerkannte, im Übrigen jedoch die Aufhebung der Einschätzungsmitteilung / Verfügung vom 12. Dezember 2011 beantragte. (...)
| |
B.b (...) Die ESTV bestätigte mit Verfügung vom 7. Dezember 2016 sinngemäss die Einschätzungsmitteilung / Verfügung vom 12. Dezember 2011. Gegen diese Verfügung erhob die A. AG (wiederum) Einsprache. Mit Einspracheentscheid vom 14. Mai 2021 stellte die ESTV fest, dass die Verfügung vom 7. Dezember 2016 im Umfang von Fr. 1'783.- (betreffend Privatanteil Autokosten) zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008 in Rechtskraft erwachsen sei. Im Übrigen hiess sie die Einsprache teilweise gut und setzte die zusätzlich geschuldete Mehrwertsteuer nunmehr auf Fr. 674'952.- zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008 fest. (...) Gegen den Einspracheentscheid führte die A. AG Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 3. Februar 2022 gut. (...)
| |
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. März 2022 beantragt die ESTV, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2022 sei betreffend die Steuerperioden 1. Quartal 2007 bis 4. Quartal 2009 aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom 14. Mai 2021 sei betreffend die Steuerperioden 1. Quartal 2007 bis 4. Quartal 2009 zu bestätigen. Zudem sei festzustellen, dass die absolute Verjährung betreffend die ![]() ![]() | |
Die A. AG beantragt die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde und die Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das Bundesverwaltungsgericht verweist vollumfänglich auf das angefochtene Urteil.
| |
Die ESTV repliziert mit Schreiben vom 7. Juni 2022, die A. AG dupliziert mit Schreiben vom 9. August 2022. Mit Schreiben vom 29. August 2022 nimmt die ESTV unaufgefordert ein drittes Mal Stellung ("Triplik").
| |
(Auszug)
| |
Gegen Ende dieser ersten Phase stellte das Bundesgericht nicht (mehr) infrage, dass Umsätze zwischen Konzerngesellschaften mehrwertsteuerlich zu anerkennen sind, setzte aber voraus, dass sie geschäftlich begründet sind. Die Verwendung des Flugzeugs für Zwecke, die bei der Gesellschaft, die das Flugzeug nutzt, zu steuerbaren oder ![]() ![]() | |
5.2.2 In einem ersten Urteil aus dem Jahr 2008 hielt das Bundesgericht eine Gestaltung im Zusammenhang mit einem Privatjet für ungewöhnlich, weil der wirtschaftlich Berechtigte eine Gesellschaft ![]() ![]() | |
5.2.3 Das Bundesgericht revidierte im Jahr 2012 seinen Standpunkt und anerkannte nunmehr, dass das Halten eines Flugzeugs in einer rechtlich selbständigen Gesellschaft für sich genommen nicht als ungewöhnlich bezeichnet werden kann (vgl. BGE 138 II 239 E. 4.3.2; Urteile 2C_732/2010 vom 28. Juni 2012 E. 5.4.1, in: RDAF 2012 II S. 480; 2C_836/2009 vom 15. Mai 2012 E. 6.3.2; 2C_476/2010 vom 19. März 2012 E. 3.3.2). Es hielt jedoch daran fest, dass die betreffenden Gestaltungen den Tatbestand der Steuerumgehung erfüllen, wenn die Gesellschaft hauptsächlich dazu verwendet wird, private Bedürfnisse ihres Alleinaktionärs zu befriedigen, und sich der Einsatz der Gesellschaft bloss rechnet, weil damit vom Vorsteuerabzug profitiert werden kann. Für diesen Fall erkannte das Bundesgericht, dass die Anmeldung zur Eintragung im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen offensichtlich nur das Motiv der Steuerersparnis haben kann und auf den wirtschaftlich Berechtigten durchzugreifen ist (BGE 138 II 239 E. 4.3.3, 4.4 und 5; Urteile 2C_146/2010 vom 15. August 2012 E. 4.2.2; 2C_732/2010 vom 28. Juni 2012 E. 5.4.2, in: RDAF 2012 II S. 480). Ob eine reine Durchlaufgesellschaft ohne Personal und ohne eigene unternehmerische Tätigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 des Bundesgesetzes ![]() ![]() | |
In zwei weiteren Urteilen aus dem Jahr 2014 hielt das Bundesgericht sodann fest, dass die private Verwendung von Leistungen der steuerpflichtigen Gesellschaft durch den wirtschaftlich Berechtigten nur auf der Ebene der Steuerumgehung eine Rolle spielt. Liegt keine Steuerumgehung vor und hat die Leistung die betriebliche Sphäre der Gesellschaft verlassen, wird die Frage, ob teilweise Eigenverbrauch vorliegt (gemischte Verwendung, vgl. Art. 41 Abs. 1 aMWSTG), hinfällig (Urteile 2C_711/2013 vom 7. Januar 2014 E. 6.2; 2C_451/ 2013 vom 7. Januar 2014 E. 6.2).
| |
5.2.4 Auch dieser zweiten Iteration der Umgehungsrechtsprechung erwuchs in der Literatur Kritik. Namentlich wurde darauf hingewiesen, dass die das Flugzeug haltende Gesellschaft von Gesetzes wegen zur Anmeldung beim Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sei, wenn sie die Voraussetzungen der subjektiven Steuerpflicht erfülle. Auch wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Frage der subjektiven Steuerpflicht, welche das Bundesgericht offengelassen hatte, steuersystematisch vor der Steuerumgehung zu prüfen sei. Gerade mit Blick auf das neue Recht, das in Art. 10 Abs. 1 MWSTG (SR 641.20) (bzw. seit dem 1. Januar 2018: Art. 10 Abs. 1bis MWSTG) den Begriff des Unternehmens definiere, lasse sich fragen, ob die Tätigkeit der Haltergesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit darstelle, aus der nachhaltig Einnahmen erzielt würden, und ob ein Aussenauftritt vorliege. Die unternehmerische Tätigkeit sei aber zumindest dann zu ![]() ![]() | |
6.1 Subjektiv steuerpflichtig ist nach altem Mehrwertsteuerrecht, wer eine mit der Erzielung von Einnahmen verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, auch wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Lieferungen, seine Dienstleistungen und sein Eigenverbrauch im Inland jährlich gesamthaft Fr. 75'000.- übersteigen (Art. 21 Abs. 1 aMWSTG). Spiegelbildlich sind Ausnahmen von der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht einschränkend zu verstehen (BGE 138 II 251 E. 2.3.4). Obschon das alte Mehrwertsteuerrecht im Unterschied zum geltenden Recht (vgl. Art. 10 Abs. 1bis lit. a MWSTG) nicht ausdrücklich voraussetzte, dass die Erzielung von Einnahmen nachhaltig sein musste, war dieses Kriterium gemäss der Rechtsprechung bereits im Begriff der gewerblichen oder ![]() ![]() | |
6.2 Ein Leistungsaustausch ist auch unter nahe stehenden Personen möglich (BGE 138 II 239 E. 3.2; Urteil 2C_711/2013 vom 7. Januar 2014 E. 5.2). Soweit eine Gesellschaft oder Personengesamtheit mit oder ohne Rechtspersönlichkeit nach aussen gegenüber Dritten verselbständigt, d.h. als Einheit, auftritt, sind namentlich auch zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft grundsätzlich schuldrechtliche Austauschverträge wie zwischen unabhängigen Dritten möglich (Urteil 2A.269/2006 vom 20. Juni 2008 E. 3.4, in: ASA 78 S. 512; vgl. auch Urteil 2C_613/2007 vom 15. August 2008 E. 5.3.2). Davon geht auch das Gesetz (Art. 33 Abs. 2 aMWSTG; vgl. auch Art. 24 Abs. 2 MWSTG) aus, wenn es bestimmt, dass bei Lieferungen oder Dienstleistungen an eine nahe stehende Person das Entgelt nötigenfalls zu korrigieren ist, sofern es nicht dem Wert entspricht, der unter unabhängigen Dritten vereinbart worden wäre. Die Tätigkeit von Flugzeug-Eigentümergesellschaften kann jedoch nicht als gewerblich bezeichnet werden, soweit die Gesellschaft zur Befriedigung der privaten Bedürfnisse des wirtschaftlich Berechtigten oder ihm nahe stehender Personen eingesetzt wird. Insoweit ist ihr Augenmerk nicht auf die Erzielung von Umsätzen ausgerichtet. Es fehlt dieser Tätigkeit auch die notwendige Nachhaltigkeit, um wirtschaftlich bestehen zu können. Fällt diese Tätigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, können die in diesem Rahmen ![]() ![]() | |
Als Teil einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden gewerblichen Tätigkeit können Beförderungen des wirtschaftlich Berechtigten oder ihm nahe stehender Personen zu privaten Zwecken nur, aber immerhin dann betrachtet werden, wenn sie gemessen an der Gesamtnutzung des Flugzeugs nur einen geringfügigen Anteil ausmachen. In ihrer aktuellen Praxis betrachtet die ESTV eine private Nutzung des Flugzeugs von bis zu 20 % als unschädlich ("safe harbour"; vgl. MWST-Branchen-Info 11 Luftverkehr, 2021, Ziff. 13.4). Es spricht nichts dagegen, diese Schwelle auch hier zugrunde zu legen. Sobald dieser Wert überschritten wird, fällt jedoch die gesamte Verwendung des Flugzeugs zu privaten Zwecken durch den wirtschaftlich Berechtigten und nahe stehende Personen aus dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer und berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug (vgl. sinngemäss auch MWST-Branchen-Info 11 Luftverkehr, 2021, Ziff. 13.4).
| |
![]() ![]() | |
![]() | |
6.6 Da nicht alle entscheidwesentlichen Tatsachen festgestellt sind, ist das angefochtene Urteil in Bezug auf die Steuerperioden 2007 bis 2009 aufzuheben und die Sache zur Sachverhaltsergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird die Vorinstanz - unter Mitwirkung der Beschwerdegegnerin - zu klären haben, ob die bislang nicht identifizierten Dritten als nahestehend zu betrachten sind und zu welchen Zwecken sie das Flugzeug verwendet haben, wobei nicht offengelegte Identitäten in der Regel ein Indiz für eine Verwendung für private Zwecke sind. Zudem wird sie in Bezug auf diejenigen Flüge des wirtschaftlich Berechtigten, die eine touristische Destination als Lande- oder Abflugort hatten und auf denen er von Familienmitgliedern begleitet wurde, vertieft zu prüfen haben, welchem Zweck der jeweilige Flug effektiv diente. ![]() |