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3. a) Gemäss Art. 393 ZGB (Ingress und Ziff. 4) hat die Vorm ...
4. a) Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die Klägeri ...
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88. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Oktober 2000 i.S. Stiftungen A. und B. gegen Gemeinde Embrach (Berufung)
 
 
Regeste
 
Verbeiständung einer Stiftung gemäss Art. 393 Ziff. 4 ZGB.
 
Voraussetzungen und Verhältnismässigkeit der Verbeiständung einer Stiftung, deren Organe die aufsichtsrechtlichen Massnahmen missachten (E. 4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 126 III 499 (500)A.- Mit Zwischenverfügung vom 19. Mai 1999 ersuchte das Eidgenössische Departement des Innern in seiner Funktion als eidgenössische Stiftungsaufsicht die Vormundschaftsbehörde Embrach, die Stiftung A. und die Stiftung B. unverzüglich gestützt auf Art. 393 Ziff. 4 ZGB zu verbeiständen. Am 28. Mai 1999 traf das Präsidium der Sozialbehörde Embrach eine entsprechende Anordnung und ernannte Rechtsanwalt Dr. S.E., Zürich, zum Beistand. Hiergegen beschwerten sich die beiden Stiftungen mit gemeinsamer Eingabe beim Bezirksrat Bülach. Dieser wies die Beschwerde mit Beschluss vom 20. Juli 1999 ab.
B.- In der Folge gelangten die beiden Stiftungen mit einer Klage an das Obergericht des Kantons Zürich und verlangten die Aufhebung des bezirksrätlichen Beschlusses. Die II. Zivilkammer des Obergerichts wies die Klage mit Urteil vom 7. März 2000 - ausgenommen im Kostenpunkt - ab, ordnete die Beistandschaft gemäss Art. 393 Ziff. 4 ZGB an, ernannte Dr. S.E. zum Beistand und umschrieb dessen vordringliche Aufgaben.
C.- Das Bundesgericht weist eine von den Stiftungen A. und B. eingereichte Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
 
3. a) Gemäss Art. 393 ZGB (Ingress und Ziff. 4) hat die Vormundschaftsbehörde, wenn einem Vermögen die nötige Verwaltung fehlt, das Erforderliche anzuordnen und einer Körperschaft oder Stiftung namentlich dann einen Beistand zu ernennen, solange die erforderlichen Organe mangeln und nicht auf andere Weise für die Verwaltung gesorgt ist. Diese Norm ist eine der wenigen des Vormundschaftsrechts, die sich ausdrücklich auf juristische Personen bezieht; sie hat in gewissem Sinne Ausnahmecharakter, da die vormundschaftlichen Massnahmen auf natürliche Personen zugeschnitten sind (SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, N. 60 zu Art. 393 ZGB; RIEMER, Berner Kommentar, N. 65 zu Art. 83 ZGB; derselbe, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2. Aufl., Bern 1997BGE 126 III 499 (500) BGE 126 III 499 (501)[nachfolgend Grundriss], § 6 Rz 27; LANGENEGGER, Basler Kommentar, N. 16 zu Art. 392 ZGB). Die Verbeiständung von juristischen Personen wird dem entsprechend in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und von einem grossen Teil der Lehre als ein Notbehelf bezeichnet, der mit Zurückhaltung zu handhaben ist (BGE 78 II 369 E. 3c S. 374; BGE 71 II 214 E. 2 S. 217; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 60 zu Art. 393 ZGB, mit einer Übersicht über die verschiedenen Lehrmeinungen; RIEMER, a.a.O., N. 65 zu Art. 83 ZGB). Diese Betrachtungsweise drängt sich auch auf, weil es nicht Sache der Vormundschaftsbehörden bzw. des Gemeinwesens sein kann, die Geschäftsführung von schlecht geleiteten Unternehmen und die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 60 zu Art. 393 ZGB).
Stiftungen im Besonderen stehen zudem unter behördlicher Aufsicht (Art. 84 Abs. 1 ZGB). Die Stiftungsaufsichtsbehörde verfügt über weit reichende Kompetenzen und Aufsichtsmittel präventiver und repressiver Art (BGE 112 II 97 E. 3 S. 99 f. und 471 E. 2; BGE 105 II 321 E. 5a S. 326; RIEMER, a.a.O., N. 54 ff. zu Art. 84 ZGB; GRÜNINGER, Basler Kommentar, N. 9 und 12 f. zu Art. 84 ZGB). Nötigenfalls kann sie sogar die Stiftungsräte abberufen und ersetzen (BGE 112 II 97 E. 3 S. 99 und 471 E. 2; BGE 105 II 321 E. 5a S. 326). Von diesen Befugnissen ist primär Gebrauch zu machen; die Verbeiständung kann erst in zweiter Linie in Frage kommen (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 73 f. zu Art 393 ZGB). Sie ist jedoch nicht von vornherein und ausschliesslich auf Fälle beschränkt, in denen die erforderlichen Organe überhaupt fehlen. Die entsprechend lautende Ziff. 4 von Art. 393 ZGB gehört zu einer nicht abschliessenden, beispielhaften Aufzählung. Dies ergibt sich aus der offenen Formulierung "namentlich in folgenden Fällen", die im Ingress von Art. 393 ZGB steht und auch für die in Ziff. 4 eigens erwähnten Stiftungen gilt (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 9 und 30 zu Art. 393 ZGB; LANGENEGGER, a.a.O., N. 7 zu Art. 392 ZGB). Es ist daher nicht ausgeschlossen, in besonderen Situationen, zum Beispiel wenn bedeutende öffentliche Interessen zu wahren und wegen unzureichender Verwaltung gefährdet sind, die Verbeiständung von Stiftungen in einem weiteren Anwendungsfeld zuzulassen als dem in Art. 393 Ziff. 4 ZGB umrissenen (ebenso SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 60 zu Art. 393 ZGB). Mit den Zwecken des Vormundschaftsrechts ist eine solche Betrachtungsweise vereinbar. Vor diesem Hintergrund steht grundsätzlich auch nichts entgegen, Art. 392 Ziff. 2 ZGB in Fällen von Interessenkollision zwischen Stiftung und Stiftungsräten analogBGE 126 III 499 (501) BGE 126 III 499 (502)anzuwenden, soweit nicht eine Verbeiständung gestützt auf Art. 393 ZGB (Ingress oder - in weiter Auslegung - Ziff. 4) vorzuziehen ist (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 61 und 71 zu Art. 393 ZGB; RIEMER, Grundriss, § 6 Rz 32). Der von den Klägerinnen vertretenen engen Auslegung kann nicht gefolgt werden. Das Bundesgericht hat schon in anderem Zusammenhang die Anwendbarkeit von Art. 392 ZGB auf Gesellschaften sinngemäss ohne weiteres bejaht (BGE 83 III 147 E. 2 S. 150; BGE 69 II 20 S. 22) und auch die kombinierte Anwendung von Art. 392 und Art. 393 ZGB zugelassen (RIEMER, Grundriss, § 6 Rz 34a, mit Hinweisen; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 8, 28 und 46 zu Art. 393 ZGB).
b) Der Umstand, dass das Vormundschaftsrecht und damit auch die für Gesellschaften massgebenden Vorschriften über die Beistandschaft auf die Schutzbedürfnisse natürlicher Personen zugeschnitten sind, schliesst eine über den Wortlaut von Art. 393 Ziff. 4 ZGB hinausgehende Anwendung deshalb in bestimmten Fällen nicht aus. Es ist wie erwähnt jedoch stets den speziellen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften Rechnung zu tragen, und auch die besondere persönlichkeitsrechtliche Ausprägung sowie die organisationsrechtliche Struktur einer Gesellschaft sind gebührend zu berücksichtigen. Bei Stiftungen muss mit Blick auf die Priorität spezifisch aufsichtsrechtlicher Massnahmen für die Verbeiständung der Grundsatz der Subsidiarität wegleitend sein (in diesem Sinne BGE 90 I 41 E. 1 S. 44; BGE 83 III 147 E. 2 S. 150; BGE 78 II 369 E. 3c S. 374 f.; BGE 69 II 20 S. 21 f.; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 73 zu Art. 393 ZGB; LANGENEGGER, a.a.O., N. 16 zu Art. 392 ZGB). Die Notsituation muss ausserdem von einer gewissen Dauer und darf nicht kurzfristig behebbar sein (BGE 78 II 369 E. 3c S. 374 f.; LANGENEGGER, a.a.O., N. 14 zu Art. 392 ZGB). Andererseits darf die Verbeiständung von Stiftungen auch nicht zum Dauerzustand werden. Sie soll der Aufsichtsbehörde im Sinne einer Überbrückungsmassnahme ermöglichen, die nötigen Vorkehren zur Schaffung oder Verbesserung der Organisation durchzuführen, wenn hierfür ein längerer Zeitraum erforderlich ist (RIEMER, a.a.O., N. 60 zu Art. 83 und N. 110 zu Art. 84 ZGB; GRÜNINGER, a.a.O., N. 35 zu Art. 83 ZGB; SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 62 zu Art. 393 ZGB). Ist dies geschehen und für die gehörige Verwaltung gesorgt, hat die Aufsichtsbehörde darauf hinzuwirken, dass die Verbeiständung innert vernünftiger Frist aufgehoben wird. Im Rahmen dieser Grundsätze und des Verhältnismässigkeitsprinzips stehen der Aufsichtsbehörde und der zur Anordnung einer Beistandschaft zuständigen Behörde je einBGE 126 III 499 (502) BGE 126 III 499 (503)Ermessensspielraum zu (SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 60 zu Art. 393 ZGB, a.E.; RIEMER, a.a.O., N. 88 zu Art. 84 ZGB).
Zu Recht hat das Obergericht im Weiteren berücksichtigt, dass zunächst die Aufsichtsbehörde eingeschritten ist und mit Recht weit gehenden Anordnungen und Weisungen versucht hat, eine gesetzes- und zweckkonforme Verwaltung sicherzustellen. Diese Bemühungen haben die Klägerinnen durchkreuzt. Da zusätzliche Aufsichtsmassnahmen (insbesondere allfällige personelle Konsequenzen) hier angesichts des erforderlichen Spezialwissens, des schwer überschaubaren personellen und vermögensrechtlichen Geflechts, der bereits ausgebrochenen Konflikte und angehobenen Rechtsstreite sowie des noch unvollständigen Kenntnisstandes kaum kurzfristig getroffen werden können, wenn die Behörde sich nicht dem Vorwurf zu wenig überlegten Handelns aussetzen will, hat das Obergericht annehmen dürfen, es liege eine Notlage im Sinne von Art. 393 ZGB vor und der (sekundäre) Weg der Verbeiständung stehe offen. Es ist nicht zu übersehen, dass das weisungswidrige Verhalten der Stiftungsorgane zu einer prekären Situation geführt hat, die öffentliche Interessen gefährdet und nicht rasch behebbar erscheint. SieBGE 126 III 499 (503) BGE 126 III 499 (504)ist durchaus mit der Situation vergleichbar, in der die erforderlichen Organe mangeln und mit aufsichtsrechtlichen Mitteln allein nicht sofort Abhilfe geschaffen werden kann. Unter diesen Umständen hat das Obergericht nicht gegen Art. 393 ZGB verstossen, wenn es die in Erwägung 3 hiervor umschriebenen, besonderen Voraussetzungen für eine Verbeiständung als erfüllt betrachtet hat. Was die Klägerinnen gegen die Annahme einer genügenden Rechtsgrundlage ausführen, vermag bei der hier gegebenen Sachlage nicht durchzudringen.
b) Fehl geht auch die Argumentation der Klägerinnen zur Verhältnismässigkeit der Verbeiständung. Es ist nicht einzusehen, mit welchen milderen Massnahmen als der umstrittenen eine gesetzes- und zweckkonforme Verwaltung gewährleistet werden könnte, nachdem die Klägerinnen die aufsichtsrechtlichen Anordnungen mehrmals und gravierend missachtet haben. Insbesondere vermöchten die von ihnen vorgeschlagenen Alternativen wie die Beiordnung eines Beraters, die Ernennung eines weiteren Stiftungsrates oder die Unterstützung in spezifischen Fragen offensichtlich nicht zu genügen; dadurch könnte nicht verhindert werden, dass die Stiftungsräte weitere unzulässige Beschlüsse fassen. Ausserdem ist in diesem Zusammenhang auch an den Ermessensspielraum zu erinnern, der den Aufsichtsbehörden und den kantonalen Behörden zusteht (s. dazu E. 3 hiervor). Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass die Verbeiständung von vorübergehender Dauer sein muss. Sie ist innerhalb eines angemessenen Zeitraumes durch aufsichtsrechtliche Anordnungen abzulösen, welche die Verwaltung definitiv sicherstellen sollen.BGE 126 III 499 (504)