Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
3. Der Appellationshof hat im Wesentlichen erwogen, dass sich das ...
Erwägung 4
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. und B. gegen C. (Berufung)
 
 
5C.187/2002 / 5C.188/2002 vom 10. März 2003
 
 
Regeste
 
Art. 68 Abs. 1 und Art. 69 IPRG; anwendbares Recht bei gerichtlicher Anfechtung des Kindesverhältnisses.
 
Als gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 20 Abs. 1 lit. b IPRG) des Kindes ist im Rahmen von Art. 68 Abs. 1 IPRG der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen zu verstehen (E. 4.1).
 
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes im massgeblichen Zeitpunkt (Art. 69 IPRG) der Geburt und der Klageerhebung (E. 4.2 und 4.3).
 
Findet im Zeitpunkt der Klageerhebung ein anderes Recht Anwendung als im Zeitpunkt der Geburt, ist eine Prüfung der Interessenlage des Kindes nach Art. 69 Abs. 2 IPRG vorzunehmen (E. 4.4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 129 III 288 (289)A.- A., argentinische Staatsangehörige, ist seit dem 25. Juli 1997 die Ehefrau von C. und die Mutter von B., geboren am 18. August 1997 in Buenos Aires. Gegen Mutter und Kind erhob C., schweizerischer Staatsangehöriger, am 18. Oktober 2000 Klage beim Gerichtskreis IV Aarwangen-Wangen und beantragte, es sei gerichtlich festzustellen, dass zwischen ihm und B. kein Kindesverhältnis bestehe; ferner sei der zuständige Zivilstandsbeamte anzuweisen, die entsprechende Änderung im Register vorzunehmen. Mit Urteil vom 28. Dezember 2001 wies der Gerichtspräsident 2 von Aarwangen-Wangen die Klage ab. Der Gerichtspräsident kam zum Schluss, dass auf die Anfechtung des Kindesverhältnisses argentinisches Recht anwendbar sei und nach Art. 259 Código civil argentino die eingeleitete Klage auf Anfechtung der Vaterschaft verwirkt sei.
B.- Am 10. Januar 2002 appellierte der Kläger und stellte den Antrag, die Klage sei gutzuheissen, bzw. es sei festzustellen, dass in der Sache schweizerisches Recht anwendbar sei. Mit selbständigem Zwischenentscheid vom 18. Juni 2002 stellte der Appellationshof des Kantons Bern fest, dass auf die Anfechtung des Kindesverhältnisses schweizerisches Recht anwendbar sei, und wies die Sache zur Fortführung des Verfahrens an die erste Instanz zurück.
C.- Gegen das Urteil des Appellationshofes führen sowohl A. (nachfolgend: "Mutter" und Erstbeklagte) als auch B. (nachfolgend: "Kind" und Zweitbeklagte) Berufung. Sie beantragen dem Bundesgericht, den Entscheid des Appellationshofes aufzuheben und die Klage auf Anfechtung des Kindesverhältnisses abzuweisen.
Strittig ist vor Bundesgericht, wo der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Zeitpunkt seiner Geburt war und ob in der Sache argentinisches Recht anzuwenden ist.
BGE 129 III 288 (289)
 
BGE 129 III 288 (290)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
2.3 Der erstinstanzliche Richter hat die Klage abgewiesen und damit einen Endentscheid gefällt. Er hat in einem ersten Schritt im Wesentlichen erkannt, dass in der Sache argentinisches Recht anwendbar sei, weil das Kind im Zeitpunkt seiner Geburt gewöhnlichen Aufenthalt in Argentinien (Buenos Aires) hatte. In einem zweiten Schritt hat er das argentinische Recht geprüft und ist zum Schluss gelangt, dass gemäss Art. 259 Código civil argentino die Vaterschaftsanfechtungsklage nach Ablauf eines Jahres seit der Eintragung der Geburt des Kindes, spätestens nach Ablauf eines Jahres seit Kenntnisnahme von der Geburt verwirke. Da diese Frist vorliegend abgelaufen sei und kein überwiegendes Interesse des Kindes bestehe, das im Zeitpunkt der Klageerhebung massgebliche schweizerische Recht am gewöhnlichen Aufenthalt anzuwenden, müsse die Klage abgewiesen werden. Der Appellationshof hat im Gegensatz zum erstinstanzlichen Richter "im Sinne eines selbständigen Zwischenentscheides festgestellt, dass das schweizerische Recht anwendbar" sei, und er hat "die Sache zur Fortführung des Verfahrens" an die erste Instanz zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Kind habe im Zeitpunkt der Geburt (überhaupt) keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass in der Sache an das Recht am zukünftigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Schweiz anzuknüpfen sei. Damit hat der Appellationshof weder materiell über das strittige Kindesverhältnis entschieden noch anderweitig dessen Beurteilung abgelehnt, die einer rechtskräftigen Erledigung gleichkäme. Somit liegt ein Zwischenentscheid vor, der nur nach den Voraussetzungen von Art. 50 Abs. 1 OG angefochten werden kann (BGE 127 III 433 E. 1b/aa und bb S. 435 f.).BGE 129 III 288 (290)
BGE 129 III 288 (291)2.3.1 Gemäss Art. 50 Abs. 1 OG ist gegen selbständige Vor- und Zwischenentscheide ausnahmsweise die Berufung zulässig, wenn dadurch (erstens) sofort ein Endentscheid herbeigeführt und (zweitens) ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint.
3. Der Appellationshof hat im Wesentlichen erwogen, dass sich das Kind nach seiner Geburt zwei Monate in Argentinien aufgehalten habe, was dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 68 f. IPRG zu begründen vermöge. Der Gesetzgeber habe die Frage, welches Recht bei Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes anzuwenden sei, nicht geregelt. Diesfalls sei auf den schlichten Aufenthaltsort abzustellen, der sich bei einem Kleinkind dortBGE 129 III 288 (291) BGE 129 III 288 (292)befinde, wo sich die Eltern aufhalten, bzw. aufzuhalten gedenken. Im vorliegenden Fall, wo sich Mutter und Kind in Argentinien bloss in einer Warteposition befunden hätten, müsse das schweizerische Recht angewendet werden. Denn dort liege der bereits vor der Geburt in Aussicht genommene, zukünftige Aufenthaltsort. In den Berufungen wird im Wesentlichen geltend gemacht, der Lebensmittelpunkt eines Neugeborenen richte sich automatisch nach demjenigen der betreuenden Person. Da sich das Kind im Zeitpunkt seiner Geburt zusammen mit der Mutter in deren Heimat- und Wohnsitzstaat Argentinien gewöhnlich aufgehalten habe, müsse in der Sache argentinisches Recht zur Anwendung kommen.
 
Erwägung 4
 
4.1 Die Vorinstanz geht im angefochtenen Entscheid zu Recht davon aus, dass ein internationaler Sachverhalt im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IPRG vorliegt und die Anfechtung des Kindesverhältnisses dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes untersteht (Art. 68 Abs. 1 IPRG). Als gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 20 Abs. 1 lit. b IPRG) ist im Rahmen von Art. 68 Abs. 1 IPRG - im Sinne des entsprechenden Anknüpfungsbegriffes gemäss Haager Konventionen - der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen zu verstehen (SCHWANDER, in: Kommentar zum schweizerischen Privatrecht/Internationales Privatrecht [Basler Kommentar], N. 10 und 11 zu Art. 68 IPRG; BUCHER, Droit international privé suisse, Tome II: Personnes, Famille, Successions, Rz. 623 und 625 f.; vgl. BBl 1983 I 367). Der gewöhnliche Aufenthalt bestimmt sich nach äusserlich wahrnehmbaren Fakten, nicht nach Willensmomenten, und ist für jede Person gesondert zu bestimmen (vgl. Urteil 5C.272/2000, E. 3b, SZIER 2002 S. 296; BGE 117 II 334 E. 4b S. 337; SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, 1. Bd., Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 2000, Rz. 202 f.). Meistens fällt der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes im massgeblichen Zeitpunkt mit dem Lebensmittelpunkt zumindest eines Elternteils zusammen (SCHWANDER, in: Basler Kommentar, N. 11 zu Art. 68 IPRG). Bei Neugeborenen sind naturgemäss die familiären Bindungen zum betreuenden Elternteil als Indiz des gewöhnlichen Aufenthalts entscheidend; die Bindungen der Mutter an ein Land erfassen regelmässig auch das Kind (vgl. KROPHOLLER, in: von Staudingers Kommentar zum BGB, 13. Aufl., 1994, N. 125 zu Vorbem. zu Art. 19 EGBGB).
4.2 Art. 69 IPRG stellt die zeitliche Abgrenzung des Anknüpfungskriteriums klar: Massgebend ist der gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt der Geburt (Abs. 1); bei gerichtlicher Anfechtung desBGE 129 III 288 (292) BGE 129 III 288 (293)Kindesverhältnisses (Abs. 2) ist jedoch der Zeitpunkt der Klageerhebung massgebend, wenn ein überwiegendes Interesse des Kindes es erfordert (BGE 118 II 468 E. 4b S. 472). Folglich muss zunächst geprüft werden, ob und wo das Kind am 18. August 1997, dem Tag seiner Geburt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
4.2.1 Aus den Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid geht hervor, dass der Kläger nach der Heirat am 25. Juli 1997 in Buenos Aires in die Schweiz zurückgereist war, währenddem seine schwangere Ehefrau in Argentinien blieb. Somit hatte das Kind am Tag seiner Geburt keine weitere Beziehung zum in der Schweiz lebenden Kläger. Sodann fehlt es zur Annahme, dass die Mutter ihren Lebensmittelpunkt in Argentinien bereits durch die mehrmaligen, je bis zu drei Monate dauernden Besuche vor der Heirat beim Bräutigam in der Schweiz aufgegeben (und somit in Argentinien nur noch schlichten Aufenthalt gehabt) hätte, an genügenden Anhaltspunkten (z.B. die Aufgabe der eigenen Wohnung, der Arbeitsstelle etc.). Die Vorinstanz hat in tatsächlicher Hinsicht vielmehr festgehalten, dass die Mutter bis am 13. Oktober 1997 zusammen mit dem Kind in ihrem Heimatstaat Argentinien blieb. Weiter ist festgestellt worden, dass die Mutter Argentinien deshalb nicht verliess und das Kind dort zur Welt brachte, weil sie insbesondere die Ärzte am Ort kannte, und sie - gemäss Tatsachenfeststellungen der Erstinstanz, auf welche die Vorinstanz verwiesen hat - kein Deutsch verstand, in der Schweiz fast niemanden kannte sowie ihre Familie und ihre Freunde in Argentinien waren. Dass die Mutter Argentinien nicht sofort nach der Heirat verliess, sondern sich weiter dort aufhielt, weil sie wegen der Schwangerschaft keine Flugreise unternehmen konnte, und dass sie seit längerem den Wegzug aus Argentinien beabsichtigt hatte, ist nicht erheblich. Diese Willensmomente ändern nichts daran, dass sich bis Mitte Oktober 1997 in ihrem Heimatstaat der Ort befand, mit dem sie am meisten verbunden war, zumal sie gerade für das Ereignis der Geburt die dort bestehenden und für sie massgebenden sozialen Bindungen bewahrte. Daraus ist zu schliessen, dass die Mutter nach den äusserlich wahrnehmbaren Fakten ihren Lebensmittelpunkt am 18. August 1997 in Argentinien hatte. Vor diesem Hintergrund kann nicht übergangen werden, dass die entscheidenden familiären Bindungen des Kindes und damit sein gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Geburt in Argentinien lagen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann bei dieser Sachlage nicht gesagt werden, das Kind habe im Zeitpunkt der Geburt (überhaupt) keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen gehabt.BGE 129 III 288 (293)
BGE 129 III 288 (294)4.2.2 Selbst das Ergebnis, dass das Kind am 18. August 1997 seinen Lebensmittelpunkt in Argentinien hatte und somit der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Zeitpunkt der Geburt für die Anfechtung des Kindesverhältnisses (Art. 68 Abs. 1, Art. 69 Abs. 1 IPRG) das argentinische Recht beruft, vermag - wie im Folgenden dargelegt wird - dem angefochtenen Zwischenentscheid nicht zur Berufungsfähigkeit verhelfen.