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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB ist die Verpflichtung der Elte ...
4. Gemäss dem angefochtenen Entscheid haben sich die Eltern  ...
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61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. (Berufung)
 
 
5C.260/2002 vom 6. März 2003
 
 
Regeste
 
Art. 277 Abs. 2 ZGB; Unterhaltspflicht der Eltern für ein mündiges Kind; Ausnahmecharakter; Zumutbarkeit.
 
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Mündigenunterhalts kommt dem Alter des Kindes eine grosse Bedeutung zu (E. 3.4).
 
Das Verweigern jeglichen Kontaktes mit dem pflichtigen Elternteil durch das erwachsene Kind führt in der Regel zur Unzumutbarkeit der Unterhaltsleistung (E. 4.2).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 129 III 375 (375)A.- Die Ehe der Eltern von A., geb. 1978, wurde am 15. Februar 1989 geschieden. Sie und ihre beiden Geschwister wurden unter dieBGE 129 III 375 (375) BGE 129 III 375 (376)elterliche Gewalt der Mutter gestellt. Der Vater, B., wurde verpflichtet, an den Unterhalt von A. monatlich einen indexierten Beitrag von Fr. 700.- zuzüglich Kinderzulagen zu leisten, bis zum Eintritt seiner Tochter ins volle Erwerbsleben, längstens jedoch bis zum vollendeten 20. Lebensjahr. B. kam dieser Verpflichtung über die Mündigkeit seiner Tochter hinaus nach und leistete bis zu der im Sommer 1999 bestandenen Matura den vollen Unterhaltsbeitrag. Danach stellte er seine Unterhaltszahlungen ein. A. begann im Herbst 2000 mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich.
B.- A. erhob am 5. November 2001 beim Bezirksgericht Zürich Unterhaltsklage gegen B. Mit Urteil vom 30. November 2001 verpflichtete die Einzelrichterin B. in teilweiser Gutheissung der Klage zur Zahlung von indexierten Unterhaltsbeiträgen von Fr. 1'250.- für den Zeitraum vom 1. Oktober 2000 bis 31. März 2002, sowie von Fr. 1'000.- ab 1. April 2002 bis zum ordentlichen Abschluss der Erstausbildung. Das Obergericht des Kantons Zürich hiess mit Beschluss vom 14. Oktober 2002 eine von B. dagegen erhobene Berufung gut und wies die Klage ab.
C.- Mit Berufung beantragt A. dem Bundesgericht, den Beschluss des Obergerichts vom 14. Oktober 2002 aufzuheben und die Unterhaltsklage gutzuheissen. Der Beklagte schliesst in seiner Berufungsantwort auf Abweisung der Berufung. Das Obergericht hat keine Gegenbemerkungen angebracht.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.
 
3.1 Ob Mündigenunterhalt geschuldet ist oder nicht, hängt unter anderem davon ab, ob die Schwelle der Unzumutbarkeit hoch oderBGE 129 III 375 (376) BGE 129 III 375 (377)tief anzusetzen ist. Hat der Mündigenunterhalt als Ausnahme zu gelten, liegt es nahe, ihn zurückhaltend zu gewähren und die Schwelle der Unzumutbarkeit entsprechend tief anzusetzen. Mit Blick auf die per 1. Januar 1996 erfolgte Herabsetzung des Mündigkeitsalters von 20 auf 18 Jahre (AS 1995 S. 1127) stellt sich die Frage, ob dem Mündigenunterhalt weiterhin Ausnahmecharakter zukommt, wie dies vom Bundesgericht mit Bezug auf die bis Ende 1995 gültige Fassung von Art. 277 Abs. 2 ZGB stets betont wurde (BGE 111 II 413 E. 2 S. 416; BGE 113 II 374 E. 2 S. 376; BGE 114 II 205 E. 3a S. 207; BGE 115 II 123 E. 4d S. 128; BGE 117 II 127 E. 3b S. 129; BGE 118 II 97 E. 4a S. 98).
3.3 Nicht zu übersehen ist allerdings, dass die ordentliche Ausbildung seit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters nur noch selten vor der Volljährigkeit abgeschlossen werden kann. Daran anknüpfend befürwortet ein beachtlicher Teil der Lehre, den Ausnahmecharakter des Mündigenunterhalts zu relativieren (BREITSCHMID, Basler Kommentar, N. 10 zu Art. 277 ZGB; STEPHAN WULLSCHLEGER, in: Praxiskommentar zum Scheidungsrecht, N. 23 der Allg. Bem. zu Art. 276-293 ZGB; ROLANDO FORNI, Die Unterhaltspflicht der Eltern nach der Mündigkeit des Kindes, ZBJV 132/1996 S. 432 f.; HAUSHEER/SPYCHER, Handbuch des Unterhaltsrechts, 1997, N. 6.60). Der Mündigenunterhalt steht in engem Zusammenhang mit der elterlichen Erziehungspflicht, zu der gemäss Art. 302 Abs. 2 ZGB insbesondere gehört, dem Kind eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen. Freilich hat der Konnex zwischen Unterhalts- und Erziehungspflicht schon unter altem Recht bestanden; doch hat er durchBGE 129 III 375 (377) BGE 129 III 375 (378)die Herabsetzung des Mündigkeitsalters eine Akzentuierung erfahren. Sind die meisten Jugendlichen während ihrer Ausbildung auch nach erlangter Mündigkeit noch auf Unterhalt angewiesen, ist es realitätsfremd, den Mündigenunterhalt als Ausnahmeerscheinung zu charakterisieren. Er kann umgekehrt aber auch nicht als Regel gelten, dürfte doch ein grosser Teil der Jugendlichen ungefähr mit 20 Jahren über eine angemessene Ausbildung verfügen. Die letztlich gekünstelt wirkende Differenzierung zwischen Regel und Ausnahme ist für die Entscheidfindung im konkreten Einzelfall kaum hilfreich, zumal nicht ohne Ausnahmen von der Ausnahme auszukommen wäre. Im Übrigen hat das Bundesgericht bereits im Urteil 5C.186/1998 vom 2. November 1998 den Ausnahmecharakter des Mündigenunterhalts hinsichtlich Jugendlicher zwischen dem 18. und 20. Altersjahr relativiert (Hinweis in BGE 127 I 202 E. 3f S. 208).
4. Gemäss dem angefochtenen Entscheid haben sich die Eltern der Klägerin scheiden lassen, als diese zehn Jahre alt war, nachdem zwischen den Eheleuten bereits seit einigen Jahren massiveBGE 129 III 375 (378) BGE 129 III 375 (379)Spannungen bestanden hatten. Auf die Scheidung sind schwere Auseinandersetzungen um das Besuchsrecht des Beklagten gefolgt, bis die Klägerin den Kontakt zu ihm vollständig verweigert hat. Seit 1992 hat die Klägerin ihren Vater - bis auf wenige Ausnahmen im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren im Herbst 2001 - nie mehr persönlich getroffen und hat auch keinen sonstigen Kontakt mit ihm gehabt. Der Beklagte hat sich in den letzten Jahren mehrfach um einen persönlichen Kontakt mit der Klägerin bemüht, worauf diese jeweils aber nicht eingegangen ist.
4.2 Es ist zudem ein Ausgleich zu finden zwischen den Interessen der Tochter, einen genügenden Ausbildungsunterhalt zu erhalten, und jenen des Vaters, nicht zur blossen Zahlstelle degradiert zu werden. Wenn die Klägerin vorliegend ihren Vater vollständig ignoriert und jeglichen Kontakt ablehnt, gleichzeitig ihn aber zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen zwingen will, ist ihr Handeln inkonsequent und nicht nachvollziehbar. Insbesondere in Anbetracht des Alters der Klägerin führt ein solches Verhalten regelmässig dazu, dass die Unterhaltsleistung für den Verpflichteten unzumutbar ist. Ausnahmen sind in Fällen angezeigt, wo sich der pflichtige Elternteil gegenüber seinem Kind dermassen schuldig gemacht hat, dass der Abbruch jeglicher Beziehung geradezu als natürliche FolgeBGE 129 III 375 (379) BGE 129 III 375 (380)erscheint und das Gegenteil nicht nachvollziehbar wäre. Würde man einem Elternteil auch in einem solchen Fall wegen der vollständigen Kontaktverweigerung des Kindes Unzumutbarkeit zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen zubilligen, könnte er sich dank seines grossen Verschuldens am Zerwürfnis auch noch aus seiner Unterhaltspflicht befreien, was in hohem Masse stossend wäre. Eine solche Ausnahme liegt hier indes nicht vor. Die Vorwürfe der Klägerin an den Beklagten erscheinen, insbesondere auch angesichts der seither verflossenen Zeitspanne, nicht als gewichtig genug, dass die vollständige Kontaktverweigerung als natürliches, ohne weiteres nachvollziehbares Verhalten erscheint.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es dem Beklagten auf Grund der vollständigen Kontaktverweigerung durch die Klägerin nicht zuzumuten ist, ihr Unterhaltsbeiträge zu leisten. Der Beschluss des Obergerichts verletzt daher Bundesrecht nicht.BGE 129 III 375 (380)