52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Zürich (Berufung) | |
5C.71/2005 vom 26. April 2005 | |
Regeste | |
Art. 314 Ziff. 1 und Art. 314a Abs. 1 ZGB; Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bei Unmündigen; Begutachtung und Anhörung des Kindes.
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Das Kind ist im Verfahren der gerichtlichen Beurteilung persönlich anzuhören. Ausnahmsweise darf die Anhörung im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden und durch eine Delegation des Gerichts erfolgen (E. 4.4).
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Sachverhalt | |
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Erwägung 4 | |
4.3 Gemäss Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf bei psychisch Kranken nur unter Beizug von Sachverständigen entschieden werden. Die Vorschrift gilt im Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bei Unmündigen nicht unmittelbar, sondern "sinngemäss" (Art. 314a Abs. 1 ZGB). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung müssen nur Kinder, die schwer geschädigt sind, vor der Entscheidung über die geeignete Unterbringung unter psychiatrische Beobachtung gestellt werden. Wo es um erzieherische Schwierigkeiten eines Kindes geht, die milieu- und entwicklungsbedingt sind, kann der Verzicht auf den Beizug von Sachverständigen hingegen nicht a priori beanstandet werden (Urteil C.41/1986 vom 7. Mai 1986, E. 3, mit Hinweis auf DI BISCEGLIA, Die Kindesschutzmassnahmen nach Art. 307, 308 und 310 ZGB und ihre einschränkende Wirkung auf die elterliche Gewalt, Diss. Basel 1979, S. 70; seither, z.B. Urteil 5C.159/1999 vom 6. September 1999, E. 2 Abs. 3: Verzicht auf Begutachtung bei psychosomatischen Problemen als Folge einer stressreichen Gesamtsituation). Nach der Lehre darf der ![]() ![]() | |
Entgegen der Darstellung der Berufungsklägerin hat das Obergericht das Kind nicht als psychisch krank bezeichnet. Die Rede ist vielmehr von Verhaltensauffälligkeiten, die näher umschrieben werden. Im angefochtenen Beschluss wird der ärztliche Bericht des KJPD, in dem nach Angaben der Berufungsklägerin eine psychische Störung mit ICD-10-Klassifikation diagnostiziert worden sein soll, lediglich wiedergegeben, ohne dass sich das Obergericht zur Qualifikation der festgestellten Verhaltensauffälligkeiten abschliessend geäussert hätte. Es mag zwar zutreffen, dass dissoziale Verhaltensweisen, Delinquenz und eingeschränkte Selbstkontrolle zum Krankheitsbild der (psychischen) Störungen des Sozialverhaltens gehören. Es ist hier jedoch offenkundig zu keinem Zeitpunkt in Betracht gezogen worden, die fürsorgerische Freiheitsentziehung vorab zum Zwecke einer psychiatrischen Betreuung anzuordnen oder in einer psychiatrischen Anstalt zu vollziehen. Im Kinderheim steht Therapie auch nicht im Vordergrund, kann aber bei Bedarf in der näheren Umgebung organisiert werden. Im Heim soll in familienähnlichem Rahmen insbesondere Konstanz in Erziehung und Struktur des Alltagslebens verschafft werden.
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In Anbetracht der gezeigten Rechts- und Sachlage verletzt es kein Bundesrecht, dass die Begutachtung des Kindes wie auch der Berufungsklägerin als unnötig angesehen worden ist. Auf unüberprüfbarer Beweiswürdigung beruht der zusätzliche Schluss des Obergerichts, es sei nicht anzunehmen, dass ein Gutachten weitergehende, hier massgebliche Erkenntnisse bringen könnte, als bereits auf Grund der Berichte der mit der Sache befassten Betreuungs- und Fachpersonen feststünden. ![]() | |
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Einerseits sind die Bestimmungen des Erwachsenenschutzes im Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegenüber Kindern nur "sinngemäss" (Art. 314a Abs. 1 ZGB) anwendbar. Als Grundsatz muss zwar gelten, dass jedes von einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Kind durch das Gericht mündlich anzuhören ist. Persönlichkeitsbezogene Gründe fallen jedoch stärker ins Gewicht und können in weiterreichendem Umfang ![]() ![]() | |
Entscheidend ist andererseits, dass sich die Pflicht zur Anhörung des Kindes nur indirekt aus den Vorschriften über das gerichtliche Verfahren bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung ergibt. Unmittelbar gilt Art. 314 Ziff. 1 ZGB, der für sämtliche Kindesschutzmassnahmen vorschreibt, dass vor deren Erlass das Kind in geeigneter Weise durch die vormundschaftliche Behörde oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich anzuhören ist, soweit nicht sein Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen. Diese Bestimmung ist mit der ZGB-Revision von 1998/2000 neu geschaffen worden, entspricht einer dringenden Empfehlung der Arbeitsgruppe Kindsmisshandlung und verwirklicht die Vorgaben des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK; SR 0.107). Die gesetzliche Regelung ist flexibel ausgestaltet und gewährleistet damit, dass die Anhörung stets in kindgerechter Form erfolgen kann (Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 143 ff. Ziff. 234.101 und S. 165 Ziff. 244.43). Mit der Anhörung darf eine Delegation des Gerichts oder eine Drittperson betraut werden, soweit es das Kindeswohl gebietet, und eine - z.B. aus Gründen der Dringlichkeit - vorerst unterbliebene Anhörung kann in einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden (vgl. dazu BREITSCHMID, Basler Kommentar, 2002, N. 3 und N. 6 f. zu Art. 314/ 314a ZGB; MEIER/STETTLER, Droit civil VI/2: Les effets de la filiation [art. 270 à 327 CC], 2. Aufl., Freiburg 2002, N. 87-92 S. 44 ff., je mit Hinweisen).
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4.4.3 Vorab im Lichte der neu geregelten Anhörung des Kindes, die einen in allen Verfahren zu beachtenden Minimalstandard gewährleisten will, erscheint es bedenklich, dass der Einzelrichter die ![]() ![]() ![]() |