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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 1
2. Gemäss der vorstehenden Erwägung hätte die Vori ...
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12. Auszug aus dem Beschluss der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. sowie Obergericht des Kantons Thurgau (Berufung)
 
 
4C.180/2005 vom 18. November 2005
 
 
Regeste
 
Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG, Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 46 OG); Auswirkungen des Konkurses des Klägers auf das Klageverfahren (Art. 204, 206 und 207 SchKG).
 
Fällt der Kläger in Konkurs, so verliert er das Prozessführungsrecht über die Klage nach Art. 85a SchKG und die ihr zu Grunde liegende Betreibung wird aufgehoben, sofern der Konkurs nicht mangels Aktiven eingestellt wird (E. 1.3 und 1.4).
 
Nach dem Konkurs des Klägers ist das Klageverfahren nach Art. 85a SchKG zu sistieren, bis feststeht, ob es durch die Konkursmasse oder einzelne Gläubiger oder bei der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven vom Kläger weitergeführt wird (E. 1.5 und 1.6).
 
Hat ein kantonales Gericht über eine Klage nach Art. 85a SchKG einen Entscheid gefällt, obwohl es das Verfahren auf Grund des Konkurses des Klägers hätte sistieren müssen, so ist der Entscheid dennoch gültig (E. 2).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 132 III 89 (90)A. B., der gewerbsmässig Papageien züchtet, kaufte am 30. Juni 2000 von A. sechs Mülleramazonen-Papageien. Diese erkrankten und starben beim Käufer, worauf fast sein gesamter Zuchtbestand erkrankte. Gestützt auf Gutachten kam der Käufer zum Ergebnis, einer der erworbenen Papageien sei mit dem Pacheco-Virus infiziert gewesen, das sich auf den Zuchtbestand übertragen habe. In der Folge verlangte der Käufer die Rückerstattung des Kaufpreises zuzüglich Schadenersatz und liess den Verkäufer mit Zahlungsbefehl Nr. x des Betreibungsamts Bulle vom 11. September 2003 über Fr. 2'000'000.- nebst 5 % Zins seit 2. August 2000 betreiben. Der Verkäufer erhob keinen Rechtsvorschlag.
B. Mit Weisung vom 5. November 2003 klagte der Verkäufer (nachstehend: Kläger) beim Bezirksgericht Arbon nach Art. 85aBGE 132 III 89 (90) BGE 132 III 89 (91)SchKG auf Feststellung, dass die vom Käufer (nachstehend: Beklagter) in Betreibung gesetzte Forderung von Fr. 2'000'000.- nebst 5 % Zins seit 2. August 2000 nicht bestehe. Zudem verlangte der Kläger die vorläufige Einstellung der Betreibung.
Mit Urteil vom 4. März/9. August 2004 hiess das Bezirksgericht die Klage weitgehend gut und stellte fest, die in Betreibung gesetzte Forderung bestehe nur im Betrag von Fr. 6'975.10 nebst 5 % Zins seit 2. August 2000.
Am 9. August 2004 wurde über den Kläger der Konkurs ausgesprochen.
Auf Berufung des Beklagten hin hob das Obergericht des Kantons Thurgau, in Unkenntnis des Konkurses des Klägers, das erstinstanzliche Urteil am 10. Februar 2005 auf und wies die Klage weitgehend ab, indem es feststellte, die in Betreibung gesetzte Forderung bestehe im Fr. 1'990'925.10 nebst 5 % Zins seit 2. August 2000 übersteigenden Betrag nicht. In diesem Umfang stellte das Obergericht die Betreibung ein.
C. Der Kläger erhob am 13. Mai 2005 eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts vom 10. Februar 2005 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die in Betreibung gesetzte Forderung im Fr. 6'975.10 nebst Zins zu 5 % seit 2. August 2000 übersteigenden Betrag nicht bestehe. In diesem Umfang sei die Betreibung einzustellen.
Mit Antwort vom 11. Juli 2005 schloss der Beklagte auf Abweisung der Berufung.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2005 teilte das Kantonale Konkursamt des Kantons Freiburg dem Bundesgericht mit, dass der Gerichtspräsident des Greyerzbezirks mit Urteil vom 9. August 2004 über den Kläger den Konkurs ausgesprochen hatte. Weiter führte das Konkursamt sinngemäss aus, es sei fraglich, ob die beim Bundesgericht eingereichte Berufung zu behandeln sei. Mit dem Konkurs des Klägers sei die im vorliegenden Verfahren umstrittene Betreibung nach Art. 206 SchKG aufgehoben, weshalb die Klage nach Art. 85a SchKG insgesamt als gegenstandslos zu betrachten sei. Da es sich bei dieser Klage nicht um einen Zivilprozess handle, komme Art. 207 SchKG nicht zur Anwendung. Der Käufer habe zudem am 11. März 2005 eine entsprechende Forderungseingabe über Fr. 2'000'000.- im laufenden Konkursverfahren eingegeben.BGE 132 III 89 (91)
BGE 132 III 89 (92)Mit Verfügung vom 8. August 2005 lud der Instruktionsrichter der I. Zivilabteilung die Parteien ein, zum Schreiben des Kantonalen Konkursamtes vom 29. Juli 2005 bzw. zu den Auswirkungen des Konkurses des Klägers auf das vorliegende Verfahren Stellung zu nehmen. Der Kläger wurde zudem aufgefordert, seine Prozessführungsbefugnis nachzuweisen.
Der Kläger stellt sich in seiner Vernehmlassung vom 23. August 2005 auf den Standpunkt, da die Klage gemäss Art. 85a SchKG sowohl eine materiellrechtliche als auch eine betreibungsrechtliche Seite habe, komme nicht Art. 206 SchKG zur Anwendung. Vielmehr sei das Verfahren gemäss Art. 207 SchKG einzustellen. Richtig sei, dass die Prozessführungsbefugnis einer Partei nach ihrem Konkurs auf die Konkursmasse übergehe. Prozesshandlungen einer Partei könnten jedoch nachträglich genehmigt werden. Die Konkursverwaltung resp. die Konkursgläubiger hätten sodann zu entscheiden, ob sie das Rechtsmittel genehmigen wollten.
Der Beklagte führte in seiner Vernehmlassung vom 21. September 2005 aus, Art. 206 SchKG komme nicht zur Anwendung, weil mit der Konkurseröffnung nur die vorher erfolgten Betreibungen, nicht aber die darauf beruhenden Aberkennungsverfahren bzw. negativen Feststellungsklagen dahinfallen würden und deshalb die strittige Forderung wie eine andere im Prozess liegende Forderung zu behandeln sei. Eine Einstellung sei nur gerechtfertigt, wenn der Gläubiger auf seinen Anspruch verzichte, was vorliegend nicht der Fall sei. Das Verfahren sei jedoch direkt weiterzuführen, weil negative Feststellungsklagen gemäss Art. 85a SchKG im beschleunigten Verfahren durchgeführt würden und damit als dringlich zu qualifizieren seien, weshalb sie unter die Ausnahmebestimmung von Art. 207 Abs. 1 SchKG fallen würden. Da gemäss Informationen des Beklagten im Konkurs alle Gläubiger vollständig befriedigt werden könnten, sei zudem davon auszugehen, dass der vorliegende Prozess den Bestand der Konkursmasse nicht berühre und deshalb das Verfahren nicht gemäss Art. 207 SchKG zu sistieren sei.
Das Bundesgericht sistierte das Verfahren gemäss Art. 207 Abs. 1 SchKG.
 
 
Erwägung 1
 
1.1 Gemäss Art. 85a SchKG kann der Betriebene jederzeit vom Gericht des Betreibungsorts feststellen lassen, dass die Schuld nichtBGE 132 III 89 (92) BGE 132 III 89 (93)oder nicht mehr besteht oder gestundet ist (Abs. 1). Erscheint dem Gericht die Klage als sehr wahrscheinlich begründet, so stellt es die Betreibung vorläufig ein (Abs. 2). Heisst das Gericht die Klage gut, so hebt es die Betreibung auf oder stellt sie ein (Abs. 3). Der Prozess wird im beschleunigten Verfahren geführt (Abs. 4). Die Klage nach Art. 85a SchKG weist eine Doppelnatur auf. Wie die Aberkennungsklage bezweckt sie einerseits als materiellrechtliche Klage die Feststellung der Nichtschuld bzw. der Stundung; anderseits hat sie aber auch betreibungsrechtliche Wirkung, indem der Richter mit ihrer Gutheissung die Betreibung aufhebt oder einstellt (BGE 125 III 149 E. 2c S. 151; vgl. zur Rechtsnatur der Aberkennungsklage: BGE 128 III 44 E. 4a und b S. 46 f.).
Weiter bewirkt der Konkurs nach Art. 207 Abs. 1 SchKG, dass Zivilprozesse, in denen der Schuldner Partei ist und die den Bestand der Konkursmasse berühren, mit Ausnahme dringlicher Fälle eingestellt werden. Die Prozesse können nach Art. 207 Abs. 2 SchKG im ordentlichen Konkursverfahren frühestens zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung, im summarischen Konkursverfahren frühestens 20 Tage nach der Auflegung des KollokationsplanesBGE 132 III 89 (93) BGE 132 III 89 (94)wieder aufgenommen werden. Art. 63 der Verordnung vom 13. Juli 1911 über die Geschäftsführung der Konkursämter (KOV; SR 281.32) sieht ergänzend vor, dass streitige Forderungen, welche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits Gegenstand eines Prozesses bilden, im Kollokationsplan zunächst ohne Verfügung der Konkursverwaltung lediglich pro memoria vorzumerken sind (Abs. 1). Wird der Prozess weder von der Masse noch von einzelnen Gläubigern nach Art. 260 SchKG fortgeführt, so gilt die Forderung als anerkannt, und die Gläubiger haben kein Recht mehr, ihre Kollokation nach Art. 250 SchKG anzufechten (Abs. 2). Wird der Prozess dagegen fortgeführt, so erfolgt je nach dessen Ausgang die Streichung der Forderung oder ihre definitive Kollokation, welche von den Gläubigern ebenfalls nicht mehr angefochten werden kann (Abs. 3). Damit wird der Prozess im Ergebnis zum Kollokationsprozess, wobei den Konkursgläubigern erspart wird, im Anschluss an die Auflegung des Kollokationsplans einen bereits teilweise instruierten Prozess von neuem anzufangen (BGE 130 III 769 E. 3.2 und 3.2.3 S. 772 ff.).
Ordnet ein Gericht, das vom Konkurs keine Kenntnis erlangt hat, dennoch verfahrensleitende Massnahmen an, oder fällt es, wie hier, sogar einen Entscheid, liegt indessen nicht ein Mangel vor, der zu rechtfertigen vermöchte, die Vorkehren als nichtig zu betrachten: Nichtigkeit fällt nur bei schwersten Fehlern in Betracht, etwa dann, wenn das Gericht, das entschieden hat, absolut unzuständig war, mit andern Worten die Schranken seines rechtlichen Könnens überschritten hat und es stossend wäre, dem von ihm gefällten Entscheid Bestand zuzusprechen (Urteil des Bundesgerichts 7B.136/ 2002 vom 23. Oktober 2002, E. 2.3.1). Demnach ist trotz des Konkurses des Klägers von einem gültigen Urteil der Vorinstanz auszugehen.BGE 132 III 89 (95)