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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Zwischen den Parteien ist strittig, ob in den Jahren 1995, 199 ...
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31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. Versicherung (Berufung)
 
 
5C.168/2005 vom 23. Januar 2006
 
 
Regeste
 
Vertragsänderung und Neuabschluss beim Versicherungsvertrag.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 132 III 264 (264)A. Im Jahr 1992 schloss X., Jahrgang 1961, mit der Y. Versicherung eine gemischte Lebensversicherung (Erlebens- und Todesfall) mit Erwerbsausfallrente ab. Im detaillierten Fragenkatalog zum Gesundheitszustand gab X. u.a. an "Rheumaschub 1-2 x jährl. sonst i.O. Dr. Z." sowie "Kaiserschnitt 1982 Geburt Tochter Alles i.O.".
Im Jahr 1995 wurden unter Beibehaltung der versicherten Ereignisse die Versicherungssummen erhöht. 1996 wurde die Versicherung bei gleichbleibenden Summen auf das Ereignis des Unfalltodes ausgeweitet. In diesem Zusammenhang füllte X. wiederum einen Fragenkatalog aus, wobei sich die Fragen zum Gesundheitszustand auf die letzten zehn Jahre beschränkten. Im Rahmen der erweiterten Versicherungsdeckung wurden 1998 wiederum die Versicherungssummen erhöht. Die Versicherungsverträge wurden stets unter der gleichen Nummer geführt.
B. Nachdem X. invalid geworden war, trat die Y. Versicherung am 10. Oktober 2003 vom Vertrag zurück, indem sie sich auf Art. 6BGE 132 III 264 (264) BGE 132 III 264 (265)VVG (SR 221.229.1) berief und geltend machte, X. habe 1992 im Fragenkatalog nicht erwähnt, dass sie im Alter von 16 Jahren während sechs Monaten hospitalisiert gewesen sei. Es handelt sich dabei um einen längeren Aufenthalt (die genaue Dauer blieb im kantonalen Verfahren umstritten) aus dem Jahr 1977 wegen Wachstumsstörungen bzw. "dicken Knien".
C. Mit Klage vom 7. Juli 2004 stellte X. die Begehren, der von der Y. Versicherung erklärte Rücktritt sei für ungültig und diese für pflichtig zu erklären, ihr die geschuldeten Leistungen auszurichten.
Mit Urteil vom 25. April 2005 wies das Handelsgericht des Kantons Aargau die Klage ab.
D. Gegen dieses Urteil hat X. am 27. Juni 2005 Berufung eingereicht mit dem Begehren um Gutheissung der Klage. In ihrer Antwort vom 23. September 2005 hat die Y. Versicherung auf Abweisung der Berufung geschlossen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und hebt das angefochtene Urteil auf.
 
Umstritten ist die Einordnung der sog. Nachversicherung: Sie fällt kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung (Art. 2 Abs. 3 VVG) nicht unter Art. 2 VVG; vielmehr kommt hier Art. 1 VVG zur Anwendung (STOESSEL, a.a.O., N. 16 zu Art. 2 VVG). Während ein Teil der Lehre deshalb einen neuen Vertrag annimmt (ROELLI, Kommentar zum VVG, Bd. I, Bern 1914, S. 44), geht ein anderer Teil dennoch von einer blossen Vertragsänderung aus mit der Begründung, der Parteiwille sei nicht auf einen Neuabschluss gerichtet (ROELLI/KELLER/ TÄNNLER, Kommentar zum VVG, Bd. I, Bern 1968, S. 58). Wie es sich mit den beiden Nachversicherungen aus den Jahren 1995 und 1998 verhält, kann vorliegend offen gelassen werden, weil die Klage ohnehin aus einem anderen Grund gutzuheissen ist (nachfolgend E. 2.2).
BGE 132 III 264 (266) BGE 132 III 264 (267)Nach dem Vertrauensprinzip, das vom Bundesgericht im Berufungsverfahren als Rechtsfrage frei überprüft wird (BGE 130 III 686 E. 4.3.1 S. 689), können diese Erklärungen der Beklagten nicht anders denn als Willensäusserung zum Abschluss eines neuen Vertrages interpretiert werden. In objektiver Hinsicht spiegelt sich dieser Abschlusswille schliesslich in der Versicherungspolice vom 6. Februar 1996, die nach der Erklärung der Beklagten den bisherigen Versicherungs vertrag (nicht: die bisherige Versicherungs police) ersetze.
Kein anderes Resultat ergäbe sich im Übrigen, wenn man die aktenkundigen Erklärungen der Beklagten nicht nach dem Vertrauensprinzip als Willensäusserung zum Neuabschluss interpretieren, sondern die Auffassung vertreten würde, dass sich diese in guten Treuen verschieden, d.h. auch als Willenskundgabe zur blossen Vertragsänderung verstehen lassen: Diesfalls würde der Grundsatz in dubio contra stipulatorem greifen und die Beklagte müsste sich die für sie ungünstige Auslegungsvariante entgegenhalten lassen (BGE 122 III 118 E. 2a S. 121; BGE 124 III 155 E. 1b S. 158 f.); sie hätte es denn auch in der Hand gehabt, ihren angeblichen Willen zur blossen Vertragsänderung durch entsprechende Formulierungen gegen aussen unzweideutig zu bekunden.