26. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B.F. und Mitb. gegen E.F. (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_398/2008 vom 18. Dezember 2008 | |
Art. 2 LugÜ; räumlich-persönlicher Anwendungsbereich. | |
Art. 1 Abs. 2 Ziff. 1 LugÜ; sachlicher Anwendungsbereich. | |
Sachverhalt | |
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B.
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B.a Am 31. Oktober 2006 erhob der Beschwerdegegner beim Handelsgericht Zürich Klage mit dem Begehren, die X. sei zu verpflichten, ihm oder einer von ihm bezeichneten Drittperson Einsicht in sämtliche sich bei der Beklagten befindenden oder ihr zugänglichen Konto- bzw. Depotunterlagen zu gewähren, die auf den Namen des Vaters des Beschwerdegegners, allein oder zusammen mit anderen Personen oder unter Nummernbezeichnung auf diesen Namen lauten bzw. lauteten, alles für den Zeitraum von zehn Jahren vor Klageanhebung und darüber hinaus hinsichtlich früherer Geschäftsjahre, über welche die Beklagte noch Unterlagen besitze.
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B.b Nachdem der Beklagten Frist zur Erstattung der Klageantwort angesetzt worden war, verkündete diese den Beschwerdeführern den Streit. In der Folge erklärten die Streitberufenen ihren Beitritt als Nebenintervenienten zum Prozess, worauf die Beklagte die Fortführung des Prozesses gestützt auf § 48 der Zivilprozessordnung vom ![]() ![]() | |
B.c In ihrer Klageantwort erhoben die Beschwerdeführer namens der Beklagten die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Mit Beschluss vom 8. Mai 2007 wies das Handelsgericht diese ab und erklärte sich für zuständig. Es kam zum Schluss, das Einsichtsbegehren sei vertragsrechtlicher Natur und falle nicht unter den Begriff der "erbrechtlichen Streitigkeit" im Sinne des Art. 86 Abs. 1 IPRG (SR 291). Gestützt auf Art. 2 Abs. 1 LugÜ (SR 0.275.11) i.V.m. Art. 1 Abs. 2 IPRG sei ein Gericht im Sitzstaat der Beklagten international und innerhalb der Schweiz gemäss Art. 112 Abs. 1 IPRG ein Gericht am Beklagtenwohnsitz örtlich zuständig. Das Handelsgericht des Kantons Zürich sei damit international, örtlich und gestützt auf §§ 62 und 63 Ziff. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (GVG/ZH; LS 211.1) auch sachlich zuständig. Gegen diesen Entscheid legten die Beschwerdeführer Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationsgericht des Kantons Zürich ein, in der sie im Wesentlichen die Verletzung von Art. 86 IPRG und die Verweigerung des rechtlichen Gehörs mangels genügender Begründung des angefochtenen Entscheids rügten. Das Kassationsgericht trat mit Zirkulationsbeschluss vom 26. Juni 2008 nicht auf die Nichtigkeitsbeschwerde ein. Es kam zum Schluss, dass das Bundesgericht im Rahmen der Beschwerde in Zivilsachen beide Rügen frei überprüfen könne, weshalb in Anwendung von § 285 Abs. 1 und 2 ZPO/ZH die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig sei.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. September 2008 beantragen die Beschwerdeführer dem Bundesgericht, es seien der Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts vom 26. Juni 2008 (Ziff. 1, 3 und 4) und der Beschluss des Handelsgerichts vom 8. Mai 2007 (Ziff. 1) aufzuheben und auf die Klage mangels Zuständigkeit nicht einzutreten. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Handelsgericht, subeventualiter an das Kassationsgericht zurückzuweisen.
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Der Beschwerdegegner und sinngemäss auch das Kassationsgericht schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Beschwerde, sofern auf sie einzutreten sei. In der Stellungnahme dazu bekräftigen die Beschwerdeführer ihre Anträge. ![]() | |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Welches der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des LugÜ ist, ergibt sich nicht aus einer entsprechenden allgemeinen Norm dieses Abkommens, sondern ist anhand seiner einzelnen Zuständigkeitsbestimmungen zu prüfen (Urteil 5C.139/2002 vom 26. September 2002 E. 2.2; IVO SCHWANDER, Gerichtszuständigkeiten im Lugano-Übereinkommen, in: Das Lugano-Übereinkommen, 1990, S. 61/62). Vorliegend fällt die Zuständigkeit im Sitzstaat der Beklagten gemäss Art. 2 Abs. 1 LugÜ in Betracht. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Norm auch dann zur Anwendung gelangt, wenn wie hier der Kläger (Beschwerdegegner) Wohnsitz in einem Staat hat, der nicht Lugano-Vertragsstaat ist. Mangels entsprechender Regelung ist durch Auslegung des Übereinkommens zu entscheiden, ob die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 LugÜ einen Bezug zu mehreren Lugano-Staaten voraussetzt. ![]() | |
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3.3 Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Anwendung des dem Art. 2 LugÜ entsprechenden Art. 2 EuGVÜ lediglich den Wohnsitz des Beklagten in einem Vertragsstaat sowie ein weiteres internationales Element wie z.B. den Wohnsitz des Klägers im Ausland voraus (Urteil vom 1. März 2005 C-281/02 Owusu, Slg. 2005 I-1383 Randnrn. 24 ff.; vgl. dazu PAUL VLAS, in: Brussels I Regulation, München 2007, N. 6-7 zu Art. 2 EuGVO; BURKHARD ![]() ![]() | |
3.4.1 Nach Art. 1 Abs. 2 Ziff. 1 LugÜ ist das Übereinkommen auf das Gebiet des "Erbrechts einschliesslich des Testamentsrechts" nicht anzuwenden. Die Auslegung dieser Norm hat nach den allgemeinen Grundsätzen des Staatsvertragsrechts vertragsautonom zu erfolgen (BGE 124 III 382 E. 6d S. 395; WALTER, a.a.O., S. 167; DASSER, a.a.O., N. 50 zu Art. 1 LugÜ; grundlegend in Bezug auf die Auslegung der EuGVÜ das Urteil des EuGH vom 14. Oktober 1976 C 29-76 LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co. KG, Slg. 1976 S. 1541 Randnr. 3; PIPPA ROGERSON, in: Brussels I Regulation, München 2007, N. 8 ff. zu Art. 1 EuGVO; PETER SCHLOSSER, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 2003, N. 13 zu Art. 1 EuGVO). Aus diesem Grund ist die von den Beschwerdeführern vorgetragene Auslegung des Begriffs der "erbrechtlichen Streitigkeit" im ![]() ![]() | |
In "das Gebiet des Erbrechts einschliesslich des Testamentsrechts" i.S. des Art. 1 Abs. 2 Ziff. 1 LugÜ fallen alle Ansprüche des Erben "auf und an den Nachlass" (so bezüglich des EuGVÜ PETER SCHLOSSER, Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, unterzeichnet in Brüssel am 27. September 1968, ABl. 1979 C 59 S. 71 Rz. 52). Ob ein Auskunftsrecht eines Erben gegenüber einem Dritten als ein solcher Anspruch zu qualifizieren ist, hat das Bundesgericht noch nie entschieden. Ebenso wenig gibt es einschlägige europäische Rechtsprechung zu den Parallelnormen des EuGVÜ bzw. der EuGVO. Demgegenüber wird in der Doktrin zur EuGVO vertreten, dass die Verordnung in vermögensrechtliche Streitigkeiten des Erben mit Dritten immerhin dann eingreift, wenn sie ihren Grund nicht im Erbrecht haben und die Erbberechtigung nur als Vorfrage auftreten kann. So findet die EuGVO auf die Klage aus einem vom Erblasser geschlossenen Schuldvertrag Anwendung, auch wenn die Klage erst nach dem Erbfall erhoben wird (JAN KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, N. 28 zu Art. 1 EuGVO). Das Auftreten erbrechtlicher Vorfragen hindert die Anwendung der Verordnung nicht (SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 1 EuGVO).
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3.4.2 Ansprüche gegen Dritte, in die ein Erbe causa mortis nachfolgt, fallen folglich dann in den sachlichen Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, wenn sich der geltend gemachte Anspruch bereits im Vermögen des Erblassers befand, mithin nur die Aktivlegitimation des Erben auf einem erbrechtlichen Titel beruht. In solchen Fällen ist der Bestand und Inhalt des geltend gemachten Anspruchs nicht nach dem Erbstatut, sondern nach einem anderen vermögensrechtlichen Statut zu beurteilen und nur die Aktivlegitimation durch das Erbrecht im Sinne einer Vorfrage bestimmt. Macht ein angeblicher Erbe einen wie auch immer gearteten Anspruch gegen die Bank geltend, mit welcher der Erblasser in einer Kontobeziehung stand, ist nach dem auf die Bankkundenbeziehung anwendbaren Vertragsstatut zu prüfen, ob ein solcher Anspruch besteht. Ist er begründet, befand er sich bereits im Vermögen des Erblassers und beruht nur die Aktivlegitimation des ![]() ![]() | |
Freilich kann zugleich ein erbrechtlicher Anspruch gegenüber der Bank bestehen, für den das Lugano-Übereinkommen keine Zuständigkeit vorsieht (bezüglich sich direkt aus dem Erbstatut ergebender Ansprüche vgl. das Urteil des Bundesgerichts 5C.235/2004 vom 24. März 2005 E. 2.2). Das ändert aber nichts daran, dass jedenfalls der sich aus dem Vertragsstatut ergebende Anspruch nicht zu den ausgeschlossenen Materien des Lugano-Übereinkommens gehört. Insofern fällt das Einsichtsbegehren, das der Beschwerdegegner nach den Feststellungen des Handelsgerichts auf eine vorbestehende Bankkundenbeziehung des Erblassers mit der Beklagten stützt, in dem Umfang nicht unter die ausgeschlossenen Materien, als dessen Bestand und Inhalt vertragsrechtlich begründet ist.
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3.5 Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat sich in Anwendung von Art. 2 Abs. 1 LugÜ i.V.m. Art. 112 Abs. 1 IPRG zu Recht für international und örtlich zuständig erklärt. Es wird die Begründetheit des Einsichtsbegehrens hauptfrageweise gestützt auf ein Vertragsstatut und vorfrageweise gestützt auf ein Erbstatut zu beurteilen haben. ![]() |