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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.4
Erwägung 4
Erwägung 4.4
Erwägung 4.5
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
64. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_304/2010 vom 27. August 2010
 
 
Regeste
 
Art. 122 ff. ZGB; Vorsorgeausgleich.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 136 III 449 (449)A. X. (Beschwerdeführerin), Jahrgang 1942, und Y. (Beschwerdegegner), Jahrgang 1950, heirateten nach kurzer Bekanntschaft am 29. Oktober 2004. Die Ehe blieb kinderlos. Seit 7. März 2005 leben die Parteien getrennt. Am 28. Dezember 2007 klagte derBGE 136 III 449 (449) BGE 136 III 449 (450)Beschwerdegegner auf Scheidung, der sich die Beschwerdeführerin nicht widersetzte. Mit Urteil vom 19. Juni 2009 schied das Bezirksgericht die Ehe und regelte die Nebenfolgen der Scheidung. Es sah insbesondere von der Verpflichtung zur Leistung von nachehelichen Unterhaltsbeiträgen und von einem Vorsorgeausgleich ab.
B. Das Kantonsgericht hiess die Appellation der Beschwerdeführerin gegen die bezirksgerichtliche Regelung des nachehelichen Unterhalts und Vorsorgeausgleichs teilweise gut und verpflichtete den Beschwerdegegner zu einer angemessenen Entschädigung von Fr. 20'000.- als Vorsorgeausgleich.
C. Mit Beschwerde an das Bundesgericht verlangt die Beschwerdeführerin einerseits die Zusprechung von nachehelichen Unterhaltsbeiträgen und andererseits die hälftige Teilung und Barauszahlung der vom Beschwerdegegner während der Ehe erworbenen Freizügigkeitsleistung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Bezug auf den Vorsorgeausgleich gut und weist die Sache im Sinne der Erwägungen zur Durchführung der Teilung an das Kantonsgericht zurück. Im Übrigen tritt es auf die Beschwerde nicht ein.
(Zusammenfassung)
 
 
Erwägung 3
 
In einem ersten Schritt ist deshalb auf die Frage des Eintritts eines Vorsorgefalles einzugehen.
3.3 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 122 Abs. 1 ZGB, indem sie geltend macht, sie habe Anspruch auf mehrBGE 136 III 449 (450) BGE 136 III 449 (451)als nur Fr. 20'000.-, nämlich auf die Hälfte der während der Ehe vom Beschwerdegegner erworbenen Freizügigkeitsleistung von Fr. 134'003.85.
 
Erwägung 3.4
 
3.4.2 Für den Ausschluss der Anwendung von Art. 122 Abs. 1 ZGB ist nach dem Gesetzeswortlaut ausreichend, dass bei einem der Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Es kommt jedoch nur darauf an, ob bei demjenigen Ehegatten, der eine berufliche Vorsorge hat oder jedenfalls während der Ehe hatte, ein Vorsorgefall eingetreten ist (BGE 133 V 288 E. 4.1.2 S. 291 f.; BGE 130 III 297 E. 3.3.1 S. 300 f.). Wie das damalige eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil B 19/03 vom 30. Januar 2004 E. 5.1 festgehalten hat, stellt der Anspruch eines Ehegatten auf eine Alters- oder Invalidenrente (wie vorliegend nach AHVG beziehungsweise IVG) keinen Vorsorgefall dar, wenn er nie gearbeitet oder nie einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehört hat (letztmals bestätigt im Urteil 9C_388/2009 vom 10. Mai 2010 E. 4.1; vgl. für die zivilrechtliche Abteilung das Urteil 5C.176/2006 vom 27. Oktober 2006 E. 2.1 und 2.2, in: Recueil de jurisprudence neuchâteloise 2006 S. 77 f.). Diese Praxis wird auch in der Lehre weitgehend befürwortet (SCHWEGLER, Vorsorgeausgleich bei Scheidung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, ZBJV 2010, S. 81 f.; GEISER/SENTI, in: BVG und FZG, 2010, N. 10 zu Art. 22 FZG; WALSER, Weitergehende berufliche Vorsorge, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2135 N. 160; derselbe, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 6 zu Art. 124 ZGB; GRÜTTER/FANKHAUSER, Die angemessene Entschädigung nach Art. 124 ZGB, in: Dritte Schweizer Familienrecht§Tage, 2006, S. 188 Fn. 3; BAUMANN/LAUTERBURG, in: Scheidung, FamKommentar, 2005, N. 36 vor Art. 122-124 ZGB; RUMO-JUNGO/ PICHONNAZ, Les interactions entre prévoyance professionelle et régimes matrimoniaux, in: Aspetti patrimoniali nel diritto di famiglia, 2005, S. 20; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 3 zu Art. 124 ZGB).
3.4.3 Damit ist das Kantonsgericht unzutreffenderweise davon ausgegangen, durch das Erreichen des Pensionsalters und der AblösungBGE 136 III 449 (451) BGE 136 III 449 (452)der Invaliden- durch eine Altersrente (vgl. Art. 30 IVG und Art. 33bis AHVG) sei bei der Beschwerdeführerin, die über keine berufliche Vorsorge verfügt, der Vorsorgefall eingetreten. Es hat deshalb in der Folge den Vorsorgeausgleich zu Unrecht nicht nach Art. 122 ZGB, sondern nach Art. 124 ZGB beurteilt.
 
Erwägung 4
 
4.3 Der Teilungsanspruch bezweckt einen Ausgleich für die vorsorgerechtlichen Nachteile der während der Ehe erfolgten Aufgabenteilung und dient der wirtschaftlichen Selbständigkeit jedes Ehegatten nach der Scheidung. Er ist Ausdruck der mit der Ehe verbundenen Schicksalsgemeinschaft. Widmet sich ein Ehegatte während der Ehe der Haushaltführung und der Kinderbetreuung und verzichtet er deshalb ganz oder teilweise auf eine Erwerbstätigkeit, soll er bei der Scheidung von der Einrichtung der beruflichen Vorsorge seines Partners einen Teil der von diesem während der Ehe aufgebauten Vorsorge erhalten. Die Teilung der Austrittsleistung bezweckt den Ausgleich seiner Vorsorgelücke und erlaubt ihm, sich in die eigene Vorsorgeeinrichtung wieder einzukaufen.BGE 136 III 449 (452) BGE 136 III 449 (453)Sie zielt auch auf seine wirtschaftliche Unabhängigkeit nach der Scheidung ab (BGE 135 III 153 E. 6.1 S. 154 f.; BGE 129 III 577 E. 4.2.1 S. 578). Diese Formulierung darf aber nicht in dem Sinn verstanden werden, dass ein Anspruch auf Vorsorgeausgleich nur besteht, wo aufgrund der Aufgabenteilung während der Ehe ein vorsorgerechtlicher Nachteil entstanden und insoweit eine Art ehebedingter Vorsorgeschaden nachgewiesen ist. Vielmehr ist der Teilungsanspruch als Folge der Schicksalsgemeinschaft nicht davon abhängig, wie sich die Ehegatten während der Ehe die Aufgaben geteilt haben. Der Ausgleich findet mit anderen Worten - wie dies auch bei der hälftigen Teilung der Errungenschaft der Fall ist - voraussetzungslos statt; die hälftige Teilung der Leistungen orientiert sich am abstrakten Kriterium der formellen Ehedauer (bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils) und nicht an der tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft (BGE 133 III 401 E. 3.2 S. 403; BGE 132 III 401 E. 2.1 S. 402 ff.).
 
Erwägung 4.4
 
Keine Verweigerungsgründe im Sinne einer offensichtlichen Unbilligkeit sind hingegen ein hohes Vermögen oder das Eingehen einer neuen Lebensgemeinschaft durch den ausgleichsberechtigten Ehegatten (BGE 133 III 497 E. 4.5 S. 503).
 
Erwägung 4.5
 
4.5.3 Soweit das Kantonsgericht festhält, es könne nicht unbesehen auf die formale Dauer der Ehe abgestellt werden, da der Vorsorgeausgleich Folge der tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft sei,BGE 136 III 449 (454) BGE 136 III 449 (455)setzt es sich in Widerspruch zur gesetzlichen Konzeption und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach gerade und einzig auf die formelle Ehedauer (gut viereinhalb Jahre) abzustellen ist und die hälftige Teilung grundsätzlich voraussetzungslos erfolgt (vgl. E. 4.3 oben). Allein gestützt auf die Dauer der tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft (gut vier Monate) kann deshalb nicht von Rechtsmissbrauch ausgegangen werden.