Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Hauptstreitpunkt bildet der nacheheliche Unterhalt und dab ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
27. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_907/2018 vom 3. November 2020
 
 
Regeste
 
Art. 125 ZGB; nachehelicher Unterhalt; Frage der Lebensprägung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 147 III 249 (250)A. Die Parteien (geb. 1960 bzw. 1963) haben im Jahr 2004 geheiratet. Per August 2012 trennten sie sich. Die Ehe blieb kinderlos.
Im Eheschutzverfahren verpflichtete das Bezirksgericht Landquart den Ehemann zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages an die Ehefrau von monatlich Fr. 4'500.-.
B. Mit Entscheid vom 18. November 2015 schied das Bezirksgericht die Ehe der Parteien und verpflichtete den Ehemann zu nachehelichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 4'500.- bis zum Erreichen des gesetzlichen AHV-Alters der Ehefrau. Ferner regelte es die Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge und verpflichtete den Ehemann zu einer Leistung aus Güterrecht von Fr. 25'574.35. BGE 147 III 249 (250)
BGE 147 III 249 (251)Die hiergegen erhobene Berufung des Ehemannes wies das Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 27. August 2018 ab.
C. Gegen dieses Urteil hat der Ehemann am 2. November 2018 eine Beschwerde eingereicht mit den Begehren um Abweisung des Unterhaltsbegehrens ab März 2016 sowie Feststellung, dass ab März 2016 kein Unterhaltsanspruch der Ehefrau mehr besteht, und um Verpflichtung der Ehefrau zu einer Leistung aus Güterrecht von Fr. 30'588.-.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde sieht das Bundesgericht vom Zuspruch nachehelichen Unterhalts ab, während es sie in Bezug auf das Güterrecht abweist.
(Zusammenfassung)
 
Vor allen drei Instanzen brachte und bringt der Ehemann vor, im Anschluss an die Heirat habe sich die Ehefrau während ungefähr 10 Wochen bei ihm in Ägypten aufgehalten und sei danach in die Schweiz zurückgekehrt. Im Jahr 2005 sei sie vom 30. Januar bis 12. April, vom 25. bis 27. Juni und vom 2. November bis 16. Dezember bei ihm in Ägypten gewesen, sodann im Jahr 2006 vom 4. Februar bis 3. April und vom 2. Oktober bis 2. Dezember. Während dieser Besuche habe sie jeweils in seinem Ferienhaus gelebt, während er selbst in Kairo gearbeitet habe, und sie hätten sich vorwiegend am Wochenende und während seinen Urlaubstagen gesehen; ansonsten sei sie in Ägypten vorwiegend mit ihren Eltern und ihrem Bruder oder einer Freundin zusammen gewesen. In den Jahren 2007 und 2008 habe er in Teheran gearbeitet, wobei sie ihn dort nie besucht habe. In der Folge habe er in Moskau gearbeitet. Dort habe sie während rund 3½ Wochen Ferien bei ihm verbracht. Anschliessend habe er in Santiago de Chile gearbeitet, wo sie ihn wiederum BGE 147 III 249 (251) BGE 147 III 249 (252) während ungefähr 3½ Wochen ferienhalber besucht habe. Bereits vor erster Instanz machte er in diesem Zusammenhang geltend, die eheliche Gemeinschaft sei eigentlich nie aufgenommen worden und spätestens seit 2007, als er im Iran gearbeitet habe, hätten sie faktisch getrennt gelebt.
Beide kantonalen Instanzen haben zu den Modalitäten des ehelichen Zusammenlebens explizit keine Beweiswürdigung vorgenommen bzw. keine eigentlichen Sachverhaltsfeststellungen getroffen mit dem Argument, die konkreten Lebensumstände seien vorliegend irrelevant für die Frage der Lebensprägung und nähere Abklärungen bzw. Feststellungen würden sich erübrigen (das Kantonsgericht spricht im Zusammenhang mit den Vorbringen des Ehemannes von "unerheblichen Tatsachen"). Wie sich in den weiteren Ausführungen noch zeigen wird, trifft dies keineswegs zu und es fragt sich deshalb, ob das Kantonsgericht den von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG an den kantonal letztinstanzlichen Entscheid gestellten Anforderungen genügend nachgelebt hat, indem es bewusst auf eine kohärente Sachverhaltsfeststellung verzichtete.
Obwohl eine Rückweisung zur Erstellung des rechtserheblichen Sachverhaltes von Amtes wegen erfolgt, kann nicht ausser Betracht bleiben, dass in der Beschwerde an das Bundesgericht keinerlei Willkürrügen in Bezug auf den Sachverhalt bzw. die unterlassene Würdigung der beidseitigen Parteivorbringen im Zusammenhang mit der konkret gelebten oder eben nicht gelebten Beziehung erfolgen. Eine auf Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG gestützte Rückweisung erübrigt sich aber auch insofern, als im angefochtenen Entscheid immerhin eine Aussage aus dem erstinstanzlichen Entscheid zitiert wird, welche bereits für sich genommen zu einem anderen rechtlichen Resultat führen muss (dazu E. 3.5). Die Aussage lautet wie folgt: Es steht fest, "dass die Eheleute die eheliche Gemeinschaft trotz zwei unterschiedlichen Wohnadressen, überwiegend getrennten Wohnorten und nicht allzu häufigen Besuchen der Ehefrau, alles bedingt aufgrund der ständigen beruflichen Tätigkeit des Ehemannes im Ausland, mit der Heirat aufgenommen und bis zur Trennung im August 2012 zumindest im Sinn einer geistig-seelischen Beziehung und wirtschaftlichen Verbindung ununterbrochen aufrechterhalten haben."
Damit kann dem bundesgerichtlichen Urteil immerhin der Sachverhalt zugrunde gelegt werden (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass die Eheleute in erster Linie getrennte Haushalte führten, indem die Ehefrau in der Schweiz wohnte, während der Ehemann in verschiedenen BGE 147 III 249 (252) BGE 147 III 249 (253) Ländern seiner Erwerbstätigkeit nachging, dass die Ehefrau den Ehemann nur selten besuchte, mithin die Eheleute primär eine Beziehung auf Distanz führten, dass aber insofern eine "wirtschaftliche Verbindung" bestand, als der Ehemann auch für den autonom geführten Haushalt und die übrigen Lebenshaltungskosten der Ehefrau in der Schweiz aufkam. Sodann steht fest, dass die Zeitspanne von der Heirat bis zur offiziellen Trennung acht Jahre dauerte und der Ehemann in den folgenden nunmehr acht Jahren Unterhaltsleistungen von Fr. 4'500.- pro Monat erbrachte.
In Bezug auf die Erwerbsmöglichkeiten der Ehefrau verwies das Kantonsgericht auf die Ausführungen im bezirksgerichtlichen Entscheid, mit welchen sich der Ehemann nicht genügend auseinandergesetzt habe, weshalb auch seine Editionsbegehren im Zusammenhang mit der Eigenversorgungskapazität abzuweisen sei. Das Bezirksgericht hatte diesbezüglich festgehalten, dass sich die Ehefrau auf verschiedene ausgeschriebene Arbeitsstellen innerhalb des zuvor ausgeübten Berufes gemeldet und auch zahlreiche Spontanbewerbungen gemacht habe, ohne jedoch eine Anstellung zu finden, womit als erstellt gelten könne, dass die Erwerbsaussichten im angestammten Berufsfeld BGE 147 III 249 (253) BGE 147 III 249 (254) sehr schwierig, wenn nicht sogar praktisch aussichtslos seien. Ferner hielten es beide Instanzen für unzumutbar, dass die Ehefrau ausserhalb ihres früheren Berufsfeldes tätig werden müsste.
3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, für ihn sei bei der Heirat klar gewesen, dass die Beschwerdegegnerin entweder ihm ins Ausland folge oder aber in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachgehe. In der Folge habe sie ihn schliesslich fast nie besucht, aber zuhause in der Schweiz auch keine Betreuungsarbeiten zu erledigen gehabt. Spätestens im Jahr 2007, als er nach Teheran versetzt worden und klar geworden sei, dass sie in der Schweiz ein eigenes Leben führe, hätte nichts sie daran gehindert, wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Wenn sie darauf verzichtet habe, müsse sie die sich daraus ergebenden Konsequenzen selbst tragen. Sie habe nicht einfach darauf vertrauen dürfen, dass die Ehe ewig bestehen bleibe. Es sei auf die neuste bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Betreuungsunterhalt zu verweisen, wonach die Ehe in den letzten Jahrzehnten ihren Charakter als Versorgungsinstitut eingebüsst habe und aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive nicht mehr in gleicher Intensität von einem schützenswerten Vertrauen in deren Fortbestand gesprochen werden könne. Dies verhalte sich noch viel ausgeprägter so, wenn keine Kinder aus der Ehe hervorgegangen seien. Es gehe nicht an, die Ehe zu einer Lebensversicherung zu degradieren, zumal die Beschwerdegegnerin überhaupt nichts unternommen habe, um eine eigentliche Ehe zu führen. Angesichts der konkreten Umstände sei die Ehe nicht lebensprägend gewesen. Er habe seit der offiziellen Trennung im August 2012 bis zum heutigen Tag Unterhaltszahlungen geleistet, was angesichts der Dauer des "Zusammenlebens" mehr als genug sei. Auf keinen Fall gehe es an, dass er sogar über seine eigene Pensionierung hinaus bis zum Erreichen des AHV-Alters der Beschwerdegegnerin Unterhalt zu leisten habe.
Mit diesen Ausführungen stellt der Beschwerdeführer die Lebensprägung durch die vorliegend geführte Ehe in Frage und überdies macht er geltend, dass im Anschluss an die Ausführungen im neulich ergangenen Leiturteil zum Betreuungsunterhalt ( BGE 144 III 481 E. 4.8.2 S. 500) auch der nacheheliche Unterhalt vor dem Hintergrund der geänderten gesamtgesellschaftlichen Realitäten objektiv-zeitgemäss auszugestalten sei.
BGE 147 III 249 (255)3.4.1 Für die Festlegung des gebührenden Unterhaltes im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB nimmt das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zum Ausgangspunkt, ob die Ehe lebensprägend war oder nicht. Diesbezüglich hat es die Vermutung aufgestellt, dass nach zehn Jahren oder bei gemeinsamen Kindern eine Lebensprägung zu bejahen ist, wobei als Grundlage die Zeit zwischen Eheschluss und faktischer Trennung gilt ( BGE 141 III 465 E. 3.1 S. 458; BGE 137 III 102 E. 4.1.2 S. 105; BGE 132 III 598 E. 9.2 S. 600; BGE 127 III 136 E. 2c S. 140); in Ausnahmefällen kann auch die Zeit eines vorehelichen Zusammenlebens bis zu einem gewissen Grad mitberücksichtigt werden ( BGE 135 III 59 E. 4 S. 60 ff.).
Bei lebensprägenden Ehen hat das Bundesgericht nach bisheriger Rechtsprechung angenommen, dass das Vertrauen in den Fortbestand der Ehe bzw. in den Weiterbestand der bisherigen, frei vereinbarten Aufgabenteilung objektiv schutzwürdig sei ( BGE 141 III 465 E. 3.1 und 3.2.2 S. 468 f.; BGE 135 III 59 E. 4.1 S. 61; BGE 134 III 577 E. 8 S. 580) und Art. 125 Abs. 1 ZGB deshalb bei genügenden Mitteln Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Standards bzw. bei zufolge scheidungsbedingten Mehrkosten ungenügenden Mitteln Anspruch auf beidseits gleiche Lebenshaltung gebe ( BGE 141 III 465 E. 3.1 S. 468; BGE 137 III 102 E. 4.2.1.1; BGE 134 III 145 E. 4 S. 146; BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594 f.).
Eine zweite Vermutung geht dahin, dass bei weniger als fünf Jahren des ehelichen Zusammenlebens eine Kurzehe vorliegt, bei welcher für den Fall, dass aus ihr keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind, nicht von einem schutzwürdigen Vertrauen auf Fortführung der Ehe ausgegangen werden könne und deshalb für den nachehelichen Unterhalt am vorehelichen Stand anzuknüpfen und der berechtigte Ehegatte mithin so zu stellen sei, wie wenn die Ehe nicht geschlossen worden wäre ( BGE 141 III 465 E. 3.1 S. 468; BGE 135 III 59 E. 4.1 S. 61).
Die dargestellte Rechtsprechung läuft darauf hinaus, dass bei Kurzehen gewissermassen eine Art negatives Interesse ("Heiratsschaden") und bei lebensprägenden Ehen sozusagen ein positives Interesse ("Scheidungsschaden") zu vergüten ist. Dennoch wird der nacheheliche Unterhalt nicht in erster Linie mit dem Schadenersatzgedanken, sondern primär mit der "nachehelichen Solidarität" begründet ( BGE 141 III 465 E. 3.1 S. 469; BGE 137 III 102 E. 4.2.3.1 S. 111; BGE 134 III 145 E. 4 S. 146; BGE 132 III 593 E. 7.2 S. 596; BGE 127 III 289 E. 2a/aa S. 291).
BGE 147 III 249 (255)
BGE 147 III 249 (256)3.4.2 In der Lehre wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der Unterscheidung in lebensprägende und nicht lebensprägende Ehen in der schweizerischen Rechtsprechung eine eigentliche Triagefunktion zukommt (BÜCHLER/CLAUSEN, Die Eigenversorgungskapazität im Recht des nachehelichen Unterhalts, Theorie und Rechtsprechung, FamPra.ch 2015 S. 12; ferner DIEZI, Nachlebensgemeinschaftlicher Unterhalt, 2014, Rz. 624 und 674; sinngemäss auch GABATHULER, Unterhalt nach Scheidung, Rechtsgleichheit nicht verletzen, Plädoyer 2012 1 S. 34 f.). Dies war jedoch in dieser absoluten Form nie die Meinung des Bundesgerichtes, zumal sich im Gesetz keine dahingehende Unterscheidung findet. Vielmehr enthält Art. 125 Abs. 2 ZGB einen ergebnisoffenen Katalog von Kriterien, an welchen der nacheheliche Unterhalt auszurichten ist; das Bundesgericht hat wiederholt darauf verwiesen ( BGE 144 III 298 E. 6.2.1 S. 301; BGE 137 III 102 E. 4.1.1 S. 105; BGE 135 III 59 E. 4 S. 61; BGE 134 III 577 E. 3 S. 579; BGE 132 III 598 E. 9.1 S. 600; BGE 130 III 537 E. 4 S. 545; BGE 129 III 7 E. 3.1 S. 8; BGE 127 III 136 E. 2a S. 138 f.; jüngst Urteile 5A_641/2019 vom 30. Juni 2020 E. 3.1.1; 5A_443/2019 vom 4. August 2020 E. 4.3; 5A_67/2020 vom 10. August 2020 E. 5.2). Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, einer ansonsten unter gleichen Vorzeichen stehenden Ehe in Bezug auf den nachehelichen Unterhalt eine ganz andere Tragweite zu geben je nachdem, ob eine kinderlose Ehe neun oder aber elf Jahre gedauert hat, und ebenso wenig wäre es angemessen, bei einer elfjährigen kinderlosen Ehe den gleichen nachehelichen Unterhalt zuzusprechen wie nach einer dreissigjährigen Ehe mit mehreren Kindern und klassischer Rollenteilung; bei der einen Konstellation würde Gleiches ungleich und bei der anderen Situation würde Ungleiches gleich behandelt. Die Unterteilung in lebensprägende und nicht lebensprägende Ehen darf deshalb nicht die Funktion eines "Kippschalters" haben. Dieser Gefahr ist mit einzelfallgerechter Urteilsfindung auf drei Ebenen zu begegnen. Bei der ersten Ebene handelt es sich um eine Präzisierung bzw. vielmehr Relativierung der bisherigen Rechtsprechung; die zwei weiteren Ebenen sind eine Zusammenfassung der ständigen Rechtsprechung.
Bei einer lebensprägenden Ehe wird für die Bestimmung des gebührenden Unterhaltes in der schweizerischen Rechtsprechung auf die bisherige gemeinsame Lebenshaltung abgestellt ( BGE 141 III 465 E. 3.1 S. 468; BGE 137 III 102 E. 4.2.1.1; BGE 134 III 145 E. 4 S. 146;BGE 147 III 249 (256)BGE 147 III 249 (257) BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594 f.). Mithin kommt es, obwohl die Ehe gerade aufgelöst wird, auch für die Zeit danach nicht auf das jeweilige wirtschaftliche Eigenleistungspotential an, sondern auf die Gesamtleistungsfähigkeit der (nicht mehr bestehenden) Gemeinschaft. Dieser Ansatz entspricht der "Versorgerehe", wie sie historisch dem Eherecht von 1907/1912 zugrunde lag (vgl. DIEZI, a.a.O., Rz. 603 und 605, ferner Rz. 562, 575 und 778; BÜCHLER/CLAUSEN, a.a.O., S. 38) und zufolge der mehrfach erfolgten Gesetzesrevisionen in der Lehre teils kritisch betrachtet wird (GEISER, Familie und Geld: wie sind die wirtschaftlichen Fragen in einem modernen Familienrecht zu regeln?, FamPra.ch 2014 S. 895, spricht von "Lebensversicherung" und "Durchlauferhitzer für den wirtschaftlichen Aufstieg"; HAEFELI, Nachehelicher Unterhalt als Auslaufmodell, SJZ 112/2016 S. 418, spricht unter Verweis auf deutsche Stimmen von "Unterhaltsknechtschaft"; BÜCHLER/CLAUSEN, a.a.O., S. 5 Fn. 18, und GABATHULER, a.a.O., S. 35 Fn. 10, sprechen je mit Verweis auf das Kantonsgericht St. Gallen, in: FamPra.ch 2007 S. 159, von "Abwälzung des Lebensrisikos auf den früheren Partner").
Jedenfalls kann die Sichtweise, dass der gebührende Unterhalt sich am ehelichen Status ausrichten soll, nur dort gerechtfertigt sein, wo der eine Ehegatte aufgrund eines gemeinsamen Lebensplanes sein Erwerbsleben und damit seine ökonomische Selbständigkeit zugunsten der Besorgung des Haushaltes und der Erziehung der Kinder aufgegeben hat und es ihm zufolge dieser gemeinsamen Entscheidung nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen oder einer anderen Erwerbstätigkeit nachzugehen, welche ähnlichen ökonomischen Erfolg verspricht. Diesfalls lässt sich auch heute davon sprechen, dass die Ehe lebensprägend gewesen sei. Bei dieser Ausgangslage soll derjenige Ehegatte, der auf seine frühere wirtschaftliche Selbständigkeit verzichtet hat, um während vieler Ehejahre seine Unterhaltsleistungen an die Gemeinschaft im Sinn von Art. 163 ZGB in nicht pekuniärer Form zu erbringen, auch nach der Ehe in angemessener Weise die Solidarität des anderen in Anspruch nehmen dürfen, soweit er darauf angewiesen ist.
Inwiefern die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellte Vermutung (mindestens zehnjährige Ehe oder gemeinsame während der Ehe geborene Kinder) vor dem Hintergrund des Gesagten heute noch zeitgemäss ist, muss an dieser Stelle nicht abschliessend geklärt werden, weil im vorliegenden Fall selbst nach den bisherigen BGE 147 III 249 (257) BGE 147 III 249 (258) Kriterien nicht von einer lebensprägenden Ehe ausgegangen werden könnte (dazu im Einzelnen E. 3.5). Indes ist mit Deutlichkeit festzuhalten, dass Richtlinien jedenfalls nie schematisch, d.h. losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalles gehandhabt werden dürfen.
Bei der Eigenversorgungskapazität ist als Rechtsfrage zu prüfen, was unter den konkreten Umständen an eigener Erwerbstätigkeit zumutbar ist, und in tatsächlicher Hinsicht, was sich angesichts der konkreten Verhältnisse bei hinreichenden Anstrengungen effektiv als möglich erweist ( BGE 144 III 481 E. 4 S. 484; BGE 143 III 233 E. 3.2 S. 235; BGE 137 III 118 E. 2.3 S. 121).
Im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit ist zu bemerken, dass der unterhaltsverpflichtete Ehegatte seit jeher zur vollen Ausschöpfung seiner Erwerbskraft angehalten wurde, wenn dies zur Finanzierung von familienrechtlichen Unterhaltsleistungen erforderlich ist, und ihm ein hypothetisches Einkommen aufgerechnet wird, falls er seinen Verpflichtungen ungenügend nachkommt (vgl. BGE 143 III 233 E. 3.2 S. 235; BGE 137 III 102 E. 4.2.2.2 E. 108; BGE 128 III 4 E. 4a S. 5). Angesichts des Vorranges der Eigenversorgung muss der gleiche Massstab für die Eigenversorgungsobliegenheit des potentiell anspruchsberechtigten Teils gelten. Vom Grundsatz, wonach ein Vollzeiterwerb als zumutbar gilt, ist nur abzuweichen, soweit der betreffende Teil gemeinsame Kinder betreut, denn hier bemisst sich die Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit nach Massgabe des Schulstufenmodells (dazu im Einzelnen BGE 144 III 481 E. 4.7.6-4.7.8 S. 497 ff.).
BGE 147 III 249 (258) BGE 147 III 249 (259) Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist auf das Alter, die körperliche Gesundheit, die sprachlichen Kenntnisse, die bisherigen Tätigkeiten, die bisherigen und die für den Wiedereinstieg zumutbaren Aus- und Weiterbildungen, die persönliche Flexibilität, die Lage auf dem Arbeitsmarkt u.Ä.m., mithin generell auf die konkreten Chancen abzustellen, in einem bestimmten Bereich, welcher nicht zwingend dem früheren Tätigkeitsfeld entsprechen muss, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Zentrum stehen mithin auch hier nicht generalisierende Vermutungen, sondern die konkreten Umstände des Einzelfalles. So ist beispielsweise Pflegepersonal gesucht und in diesem Bereich ein beruflicher Wiedereinstieg selbst für Personen in fortgeschrittenem Arbeitsalter und nach längerem beruflichem Unterbruch mit der nötigen Anstrengung möglich, während in bestimmten Branchen selbst eine jüngere Person nach kürzerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt allenfalls Mühe bekundet, im angestammten Bereich wieder Fuss zu fassen. Berücksichtigung finden muss auch, dass heute das Aus-, Um- und Weiterbildungsangebot in der Schweiz gross und vielfältig ist. Allerdings kann angesichts der persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten sowie der konkreten Situation nicht jede Person gleichermassen davon profitieren. All dies ist im Einzelfall zu prüfen, wobei vor dem Hintergrund der Maxime der Eigenversorgung alle zumutbaren Anstrengungen für eine berufliche (Wieder-) Eingliederung verlangt werden dürfen und sich ein hypothetisches Einkommen anzurechnen lassen hat, wer sich diesen verweigert.
Was "angemessen" im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB ist, lässt sich nicht allgemein sagen. Vielmehr ist hierfür auf die in Art. 125 Abs. 2 ZGB aufgelisteten Kriterien zurückzugreifen, die es im Einzelfall sorgfältig abzuwägen gilt. Ins Gewicht fallen dabei insbesondere eine allfällige Erwerbshinderung durch Kinderbetreuung sowie die Ehedauer, ferner aber auch das Vermögen und anderweitige finanzielle Absicherungen. Bei langjährigen Hausgattenehen, zumal wenn sich der eine Ehegatte vollständig der Kinderbetreuung gewidmet hat, kann die nacheheliche Solidarität auch in Zukunft zu längeren Unterhaltsrenten führen, welche bis zum Erreichen des AHV-Alters des Leistungspflichtigen andauern können (vgl. zu dieser Begrenzung BGE 141 III 465 E. 3.2.1 S. 469; BGE 132 III 593 E. 7.2 S. 596).
Entgegen der Ansicht des Kantonsgerichts pflegten allerdings die Parteien gerade keine sog. klassische Rollenteilung: Dazu gehört nach dem üblichen Verständnis nicht bloss, dass nur der eine Ehegatte einer Erwerbsarbeit nachgeht, sondern gleichzeitig auch, dass der andere Teil den gemeinsamen Haushalt besorgt und gegebenenfalls die Kinder betreut (vgl. Art. 163 Abs. 2 ZGB; BGE 144 III 481 E. 4.5 S. 590; Urteile 5A_543/2007 vom 19. März 2008 E. 2; 5A_668/2014 vom 11. Mai 2015 Bst. A.a; 5A_181/2017 vom 27. September 2017 E. 4.2), er also mit Naturalleistungen zum Unterhalt der Familie im Sinn von Art. 163 ZGB gleichermassen beiträgt und insofern in die Ehe "investiert". Nur dann sind mit anderen Worten "die Rollen geteilt", wobei die in Natural- oder Barform oder in anderer Weise erfolgende Leistungen an den gemeinsamen Unterhalt grundsätzlich gleichwertig sind (Botschaft vom 11. Juli 1979 zur Revision der Wirkungen der Ehe, BBl 1979 II 1251). Eine solche Konstellation lag namentlich auch dem Urteil zugrunde, auf welches sich das Kantonsgericht in seinem Entscheid beruft (vgl. Urteil 5A_856/2011 vom 24. Februar 2012 E. 2.1-2.3); die Ehefrau hatte dort ihre frühere Erwerbstätigkeit aufgegeben, um fortan den gemeinsamen Haushalt zu führen und im Gewerbe des Ehemannes mitzuhelfen, mithin um nach Kräften an den gebührenden Unterhalt der Familie im Sinn von Art. 163 ZGB beizutragen.
Für den vorliegend zu beurteilenden Fall trifft nur das eine Element zu, nämlich dass einzig noch der Ehemann einer Erwerbsarbeit nachging. Indes besorgte die Ehefrau keinen gemeinsamen Haushalt, weder an den jeweiligen Aufenthaltsorten des Ehemannes, weil sie ihm nicht dorthin folgte, noch in der Schweiz, weil seine Anstellung bei der Firma C. AG eine dauernde Auslandsabwesenheit mit sich brachte. Sodann wurde von keiner Seite behauptet und ist auch nicht ersichtlich, dass die Ehefrau gewissermassen in der Schweiz hätte zurückbleiben und die hiesige Liegenschaft "hüten" müssen, weil sich der Ehemann an besonders gefährlichen Orten aufgehalten hätte, welche ein eheliches Zusammenleben im Ausland hätte als unzumutbar erscheinen lassen. Ebenso wenig liegt eine andere BGE 147 III 249 (261) BGE 147 III 249 (262) Konstellation für ein Zurückbleiben zur Erbringung von Leistungen an den gemeinsamen Familienunterhalt vor, etwa dass gemeinsame Kinder zu betreuen wären und die Ehegatten diesen stete Neueinschulungen in wechselnden Ländern ersparen möchten oder dass der eine Ehegatte seine Erwerbsarbeit im Ursprungsland nicht aufgeben will, gerade weil er am jeweiligen ausländischen Aufenthaltsort des anderen keine adäquate Beschäftigung finden würde.
Insofern trifft namentlich die Erwägung des Kantonsgerichts nicht zu, dass die getrennten Haushalte und die Aufgabe der Erwerbstätigkeit im Zuge der Heirat durch die Auslandstätigkeit des Ehemannes bedingt gewesen seien. Vielmehr verhält es sich so, dass die Ehefrau ohne ehelich bedingte Notwendigkeit in der Schweiz faktisch ihren eigenen Haushalt führte und auch keine Betreuungsaufgaben hatte, mithin keinerlei Beiträge an den Familienunterhalt zu erbringen waren, welche sie von der Weiterverfolgung einer eigenen Erwerbstätigkeit abgehalten hätten. Ferner hat sie auch nie behauptet, dass der Ehemann von ihr die Aufgabe der Erwerbsarbeit verlangt hätte (bestritten ist und vom Kantonsgericht als nicht erwiesen erachtet wurde einzig, dass der Ehemann sie bereits sehr früh zur Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit aufgefordert hätte, und es wurde als Folge davon ausgegangen, dass er ihre Aufgabe der Erwerbsarbeit zumindest stillschweigend geduldet habe). Insofern ergibt sich das Bild, dass die Ehefrau aufgrund eines vorab persönlichen Entscheides ein zwar vom Ehemann finanziertes, aber in der Ausgestaltung autonomes Leben in der Schweiz verwirklichte. Damit ist nicht etwa eine missbilligende Wertung verbunden, sondern es geht einzig um die Feststellung der Tatsachenelemente, dass im vorliegenden Fall kein eigentliches Zusammenleben stattfand und die Ehefrau auch nicht aus einem familienbedingten Anlass ihre Erwerbsarbeit aufgab bzw. sie nicht umgehend wieder eine solche ins Auge fasste, nachdem feststand, dass sie dauerhaft nicht mit ihrem Ehemann zusammenleben würde.
Vor diesem Hintergrund lässt sich im Rahmen einer einzelfallgerechten Prüfung nicht sagen, dass während der acht Jahre bis zur definitiven Trennung die Ehe einen lebensprägenden Charakter angenommen hätte. Insbesondere lässt sich die gegenteilige kantonsgerichtliche Erwägung nicht damit begründen, dass sich die Ehefrau vollständig in die finanzielle Abhängigkeit des Ehemannes begeben habe, lag doch hierfür nach dem Gesagten gerade kein sich aus der Art der Eheführung ergebender Anlass vor. BGE 147 III 249 (262)
BGE 147 III 249 (263)Unter den geschilderten Vorzeichen ist vielmehr von einer nicht lebensprägenden Ehe auszugehen. Ohnehin ist dies aber insofern nicht von sehr zentraler Bedeutung, als der Ehemann seit der Trennung monatlich einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 4'500.- leistet und zwischen den Parteien nicht strittig ist, dass dieser in der einen wie in der anderen Kategorie der Höhe des gebührenden Unterhaltes entsprechen dürfte, nämlich in etwa dem, was die Ehefrau als Sekretärin oder Sachbearbeiterin vor der Heirat netto verdient hat (gemäss den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen zuletzt Bruttolohn von Fr. 5'100.-) und was sie heute netto in diesem Umfeld zu verdienen vermöchte.
Ob bei dieser Ausgangslage überhaupt Raum bleiben kann, unter dem Aspekt der "nachehelichen Solidarität" noch über den Scheidungszeitpunkt hinaus für eine gewisse Zeit Unterhalt zuzusprechen, kann offenbleiben: Spätestens ab dem Zeitpunkt der definitiven BGE 147 III 249 (263) BGE 147 III 249 (264) Trennung war die Ehefrau in rechtlicher Hinsicht gehalten, ihre Eigenversorgungskapazität voll auszuschöpfen, was ihr offensichtlich auch bewusst war. Sodann ist aktenkundig, dass trotzdem der Ehemann im Anschluss an die Trennung seit acht Jahren Unterhaltszahlungen leistet. Dieser Umstand ist dadurch bedingt, dass die Wartefrist von Art. 114 ZGB ausgeschöpft wurde und sodann die Verfahren vor den jeweiligen Instanzen lange dauerten, ohne dass der Ehemann dies zu verantworten gehabt hätte.
Vor dem Hintergrund der soeben geschilderten konkreten Umstände trifft die Ansicht des Beschwerdeführers zu, er habe mit der langjährigen Unterhaltserbringung im Anschluss an die definitive Trennung seine im Zusammenhang mit der Ehe stehenden Pflichten erfüllt; es lassen sich bei der Sachlage des vorliegenden Falles unter dem Titel der nachehelichen Solidarität keine weiteren Ansprüche begründen und es ist folglich kein nachehelicher Unterhalt geschuldet. Der angefochtene Entscheid erweist sich somit in diesem Punkt als bundesrechtswidrig. Die Rechtsfolgen treten mit der Ausfällung des vorliegenden Urteils ein, welches sofort rechtskräftig wird (Art. 61 BGG). Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass kein Rückerstattungsanspruch besteht, weil der im Rahmen des Eheschutzes festgesetzte Unterhaltsbeitrag nicht nur bis zur Rechtskraft des Scheidungspunktes, sondern bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den bis vor Bundesgericht strittigen nachehelichen Unterhalt geschuldet war.BGE 147 III 249 (264)