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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
5. (...) ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.11.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
31. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. S.A. gegen B. LLC (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
4A_486/2021 vom 9. März 2022
 
 
Regeste
 
Art. 3 IPRG; Notzuständigkeit.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 III 242 (243)A. Die A. S.A. (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft nach dem Recht der Britischen Jungferninseln mit Sitz in U.
Die B. LLC (Beklagte, Beschwerdegegnerin) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach dem Recht der Vereinigten Arabischen Emirate mit Sitz in V.
Die Klägerin stützt ihre Forderung gegenüber der Beklagten auf das Share Purchase Agreement vom 14. Juli 2015 (nachfolgend: SPA) und das Amended Share Purchase Agreement vom 1. Juli 2016 (nachfolgend: ASPA), welches das SPA ersetzt habe.
Gemäss SPA soll sich die Beklagte dazu verpflichtet haben, von der Klägerin 266'667 Aktien der H. AG zum Preis von total Fr. 10'000'012.50 zu erwerben. Der Kaufpreis sollte in drei Raten bezahlt werden.
Das ASPA wiederholte diese Kaufverpflichtung. Die erste Rate von Fr. 500'000.- sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 1. Juli 2016 bereits bezahlt worden. Neu sollte die zweite Rate in zwei Tranchen bezahlt werden: Fr. 660'000.- bis 1. Juli 2016 und Fr. 340'000.- bis 30. September 2016, wobei erstere von der I. Ltd. bezahlt werden sollte. Die dritte Rate sollte unverändert bis 30. September 2017 bezahlt werden.
Die Klägerin macht geltend, nach Abschluss des ASPA habe sie nur noch Fr. 660'000.- (erste Tranche der zweiten Rate) erhalten. Weitere Zahlungen seien nicht erfolgt.
B. Mit Klage vom 18. Januar 2018 beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen beantragte die Klägerin, die Beklagte sei zur Bezahlung des restlichen Kaufpreises von Fr. 8'840'012.50 zuzüglich Zins an sie zu verpflichten. Die Zuständigkeit des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen stützte sie auf Ziffer 5.1 des SPA und des ASPA, die eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte der Stadt St. Gallen enthalte.BGE 148 III 242 (243)
BGE 148 III 242 (244)Die Beklagte beantragte Nichteintreten. Sie machte geltend, das Handelsgericht des Kantons St. Gallen sei nicht zuständig.
In der Folge beschränkte der Handelsgerichtspräsident das Verfahren auf die Prozessvoraussetzungen und die Aktiv- und Passivlegitimation.
Mit Entscheid vom 12. Juli 2021 verneinte das Handelsgericht seine internationale Zuständigkeit zur Beurteilung der Klage und trat auf die Klage nicht ein. Es befand, die Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht gültig zustande gekommen.
Das Bundesgericht weist die von der A. S.A. erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
 
5.2.2.3 Schliesslich bringt die Beschwerdeführerin vor, im Zusammenhang mit der Willkürrüge seien auch die unhaltbaren Folgen des Nichteintretensentscheids des Handelsgerichts zu beachten. Es bestehe eine erhebliche Rechtsunsicherheit über den Bestand des SPA. Es sei offen, welches Gericht diese Rechtsunsicherheit beseitigen könne. Das Prozessieren am Sitz der Beschwerdegegnerin in den Vereinigten Arabischen Emiraten stelle für die Beschwerdeführerin (mangels Unabhängigkeit der dortigen Justiz) keine zumutbare Alternative dar. Die Beschwerdeführerin postuliert, das Handelsgericht hätte sich aufgrund dieser unhaltbaren Rechtsunsicherheit auch gestützt auf Art. 3 IPRG (SR 291) (Notzuständigkeit) für zuständig erklären können.
Sieht das IPRG keine Zuständigkeit in der Schweiz vor und ist ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder unzumutbar, so sind die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Ort zuständig, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufweist (Art. 3 IPRG). Diese Norm ist restriktiv auszulegen und stellt ein Sicherheitsventil dar, um zu vermeiden, dass ein Rechtssuchender ohne Rechtsschutz bleibt (Urteil 4C.379/2006 vom 22. Mai 2007 E. 3.4).
Eine Notzuständigkeit im Sinne von Art. 3 IPRG kann selbstredend nicht dadurch begründet werden, dass die Vertragsparteien es versäumen, eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung abzuschliessen, wenn ihnen dies - wie in casu - an sich möglich gewesen wäre.BGE 148 III 242 (244)
BGE 148 III 242 (245)Ebenso wenig resultiert aus der Ungültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ohne weiteres, dass ein von Art. 3 IPRG erfasstes Rechtsschutzdefizit besteht. Vielmehr muss die Partei, die sich auf die Notzuständigkeit beruft, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen hinlänglich darlegen und nachweisen (vgl. Urteil 5A_264/ 2013 vom 28. November 2013 E. 3.3.4; LORENZ DROESE, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 20 zu Art. 3 IPRG).
Demnach hätte die Beschwerdeführerin die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, im Ausland ein Verfahren zu führen, wie auch die weitere Voraussetzung, dass der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang mit der Schweiz aufweist, bereits vor Handelsgericht (eventualiter) dartun müssen. Dies hat sie nicht getan, sondern beruft sich erstmals vor Bundesgericht auf Art. 3 IPRG. Sie kann daher dem Handelsgericht nicht vorwerfen, sich nicht im Sinne von Art. 3 IPRG für zuständig erklärt zu haben, nachdem es die Gerichtsstandsvereinbarung für ungültig befand.BGE 148 III 242 (245)