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Regeste
Aus den Erwägungen:
Erwägung 7
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9. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG und B. LDA gegen C1. AG, C2. und C3. BV (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
4A_398/2022 vom 6. März 2023
 
 
Regeste
 
Art. 120 und 124 Abs. 2 OR; Verrechnung von Forderungen unterschiedlicher Währung; Umrechnungszeitpunkt; Rückwirkungsprinzip.
 
 
BGE 149 III 61 (62)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 7
 
Die Beschwerdeführerinnen erblicken darin eine Verletzung von Art. 124 OR. Sie postulieren, dass auf den Zeitpunkt des ZugangsBGE 149 III 61 (62) BGE 149 III 61 (63)der Verrechnungserklärung abzustellen sei, da ansonsten der Verrechnende risikolos Währungsgewinne erzielen könne.
Die Rückwirkung auf den Zeitpunkt, in dem sich Forderung und Gegenforderung zur Verrechnung geeignet gegenüberstanden, betrifft auch die Nebenansprüche, namentlich die Verzinsungspflicht, so dass seit diesem Zeitpunkt bereits eingetretene Verzugsfolgen nachträglich entfallen (Urteile 4A_17/2013 vom 13. Mai 2013 E. 3.1; 4A_27/ 2012 vom 16. Juli 2012 E. 5.4.1; 4A_285/2011 vom 1. September 2011 E. 3.1). Ebenso entfallen ab diesem Datum Vertragszinsen (MÜLLER, a.a.O., N. 5 zu Art. 124 OR).BGE 149 III 61 (63)
BGE 149 III 61 (64)7.7 Mit der Vorinstanz ist aus der Gesetzesbestimmung von Art. 124 Abs. 2 OR abzuleiten, dass die Rückwirkung der Tilgung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung auch massgebend ist für den Umrechnungskurs.
Die in Art. 124 Abs. 2 OR stipulierte Rückwirkung findet ihre innere Rechtfertigung in der Überlegung, dass der zur Verrechnung Befugte, solange kein Streit besteht zwischen ihm und dem Verrechnungsgegner, keine dringende Veranlassung hat, von seinem Kompensationsrecht Gebrauch zu machen. Das vom Gesetz als entschuldbar betrachtete Zuwarten mit der Verrechnungserklärung soll ihm nicht schaden; er soll daher, wenn er verrechnet, in die Lage kommen, wie wenn er bei erster Möglichkeit verrechnet hätte (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl. 1974, S. 207). Mit dieser Überlegung stimmt überein, dass die Rückwirkung auch für die Umrechnung von Fremdwährungsforderungen gilt. Auch diesbezüglich soll dem Verrechnenden das Zuwarten nicht schaden.
Daran ändert nichts, dass in der Lehre bisweilen grundsätzliche Kritik am Rückwirkungsprinzip an sich geübt wird und dieses nicht mehr als angemessen und das Abstellen auf den Zeitpunkt der Verrechnungserklärung als die bessere Lösung bezeichnet wird (AEPLI, a.a.O., N. 137 ff. zu Art. 124 OR; ferner etwa PASCAL PICHONNAZ, Einige Gedanken zur Rückwirkung der Verrechnung, in: Festschrift für Heinz Hausheer [...], 2002, S. 69 ff., insb. S. 70 und 85). Auch diese Autoren anerkennen aber, dass ihr Vorschlag eine Gesetzesänderung erforderte. Nachdem Art. 124 Abs. 2 OR die RückwirkungBGE 149 III 61 (64) BGE 149 III 61 (65)klar vorsieht, ist darauf abzustellen und muss die gesetzliche Vorschrift betreffend alle Wirkungen der Verrechnung angewendet werden. Dies gilt aus Kohärenzgründen also namentlich auch für den Zeitpunkt des Umrechnungskurses.
Dem wird mit Recht entgegengehalten, dass es dem Verrechnungsgegner frei steht, seine Schuld so rasch als möglich zu begleichen. Mit dem Zuwarten nimmt er selbst an der Währungsspekulation teil. Wenn diese sich zu seinen Ungunsten auswirkt, kann er sich nicht auf den Grundsatz berufen, dass dem Verrechnungsgegner aus der Verrechnung kein Nachteil erwachsen soll (ZELLWEGER-GUTKNECHT, a.a.O., N. 220 zu Art. 120 OR). Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, in dem die Parteien die Verrechenbarkeit von gegenseitigen Forderungen vertraglich stipulierten (siehe E. 7.10), und also auch die Beschwerdeführerinnen ihrerseits hätten verrechnen können. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, der Verrechnungsgegner werde durchwegs benachteiligt, wenn auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung abgestellt wird.
7.10 Zu beachten ist ferner, dass Art. 124 Abs. 2 OR dispositives Recht darstellt (AEPLI, a.a.O., N. 132 zu Art. 124 OR). Für vertragliche Forderungen können die Parteien abweichende RegelungenBGE 149 III 61 (65) BGE 149 III 61 (66)vorsehen, wenn sie dies zur Vermeidung der Gefahr, dass der Verrechnende als ungerechtfertigt empfundene Währungsgewinne erzielen könnte, für angezeigt halten. Auch aus diesem Grund besteht kein Anlass, die im Gesetz vorgesehene Rückwirkung der Verrechnung nicht auch auf den Umrechnungszeitpunkt anzuwenden. Der von den Beschwerdeführerinnen beschwörten "Gefahr eines risikolosen Währungsgewinns" kann für vertragliche Forderungen durch entsprechende Parteivereinbarungen begegnet werden, die solches ausschliessen. Ein Abgehen vom Gehalt von Art. 124 Abs. 2 OR ist dazu nicht erforderlich.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien ausdrücklich die Verrechenbarkeit bestimmter Forderungen stipuliert. Die Beschwerdeführerinnen wussten demnach, dass die Verrechnung von gegenseitigen Forderungen in unterschiedlicher Währung zulässig war und mussten von Beginn weg damit rechnen, dass die Beschwerdegegnerinnen ihre Fremdwährungsforderungen zur Verrechnung bringen. Dennoch wurde in den Vereinbarungen darauf verzichtet, den Umrechnungszeitpunkt zu regeln. Unter diesem Gesichtspunkt ist es folgerichtig, dass die in der dispositiven Vorschrift von Art. 124 Abs. 2 OR vorgesehene Rückwirkung auch auf den Umrechnungszeitpunkt zum Tragen kommt. Mangels spezieller Regelung mussten die Parteien jedenfalls mit der Anwendung dieser Bestimmung rechnen.
(...)BGE 149 III 61 (66)