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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Rückweisung d ...
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27. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kanton Basel-Landschaft und Betreibungsamt Basel-Landschaft (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_514/2022 vom 28. März 2023
 
 
Regeste
 
Art. 74 Abs. 1 SchKG; Erhebung des Rechtsvorschlags per E-Mail.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 III 218 (218)A. Mit Betreibungsbegehren vom 26. November 2021 leitete A. gegen den Kanton Basel-Landschaft die Betreibung für eine ForderungBGE 149 III 218 (218) BGE 149 III 218 (219)von Fr. 70'000'100.- zuzüglich 5 % Zins seit dem 23. September 2021 ein. Daraufhin stellte das Betreibungsamt Basel-Landschaft am 7. Dezember 2021 den Zahlungsbefehl Nr. x aus, welcher der Landeskanzlei des Kantons Basel-Landschaft am 10. Dezember 2021 zugestellt werden konnte. Nach Erhalt des Gläubigerdoppels des besagten Zahlungsbefehls, auf welchem das Betreibungsamt bestätigte, dass kein Rechtsvorschlag erhoben worden sei, verlangte A. am 19. Januar 2022 die Fortsetzung der Betreibung.
B. Am 14. Februar 2022 wies das Betreibungsamt das Fortsetzungsbegehren mit der Begründung zurück, dass der Betriebene auf den Zahlungsbefehl hin Rechtsvorschlag erhoben habe. Dieser sei vom Betreibungsamt zunächst fälschlicherweise nicht protokolliert worden. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Aufsichtsbehörde Schuldbetreibung und Konkurs Basel-Landschaft mit Entscheid vom 14. Juni 2022 ab.
C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 4. Juli 2022 (Postaufgabe) ist A. an das Bundesgericht gelangt. Der Beschwerdeführer beantragt, seine Beschwerde sei gutzuheissen und das Betreibungsamt anzuweisen, seinem Fortsetzungsbegehren Folge zu leisten. Eventuell sei die Angelegenheit zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Prozessführung.
Während das Betreibungsamt auf eine Vernehmlassung verzichtet, schliessen der Kanton Basel-Landschaft (nachfolgend: Beschwerdegegner) und die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde. In seiner Replik hält A. an seinen Anträgen fest.
 
2.1 Will der Betriebene Rechtsvorschlag erheben, muss er dies sofort dem Überbringer des Zahlungsbefehls oder innert zehn Tagen nach der Zustellung dem Betreibungsamt mündlich oder schriftlich erklären (Art. 74 Abs. 1 SchKG). Die Erklärung des Rechtsvorschlags kann formfrei erfolgen (BGE 140 III 567 E. 2.3; BGE 108 III 6 E. 1; BGE 149 III 218 (219) BGE 149 III 218 (220)100 III 44 E. 3). Bereits im Grundsatzentscheid aus dem Jahr 1902 hat das Bundesgericht dazu festgehalten, dass der Betriebene, angesichts der Besonderheit des SchKG, wonach grundsätzlich jederzeit gegenüber jedermann voraussetzungslos eine Betreibung eingeleitet werden kann, zu berechtigen ist, durch Abgabe einer blossen Erklärung in der einfachsten Weise die Fortsetzung der Betreibung zu hemmen (BGE 28 I 397 S. 399). Auch ein per Telefon (BGE 99 III 58 E. 4) oder Telefax (BGE 127 III 181 E. 4b) erhobener Rechtsvorschlag ist gültig, wenn das Betreibungsamt im konkreten Fall keine Zweifel an der Identität des Anrufers bzw. Absenders haben muss. Zutreffend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, dass bei einem Rechtsvorschlag per E-Mail Analoges gilt. Auch in der Lehre wird eine Differenzierung zwischen einer Erhebung des Rechtsvorschlags per Telefax und einer solchen per gewöhnlicher E-Mail überwiegend abgelehnt und letztere ebenfalls als zulässig erachtet (STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, 3. Aufl. 2016, § 4 Rz. 55; VOCK/AEPLI-WIRZ, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG, 4. Aufl. 2017, N. 4 zu Art. 74 SchKG; RUEDIN, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 11 zu Art. 74 SchKG; GASSER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht des Jahres 2001, ZBJV 138/2002 S. 267; PETER, Edition annotée de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, 2010, S. 322 Bst. C am Ende; DECLERCQ, Introduction à la procédure de poursuite pour dettes, 2023, Rz. 506; a.M. SPÜHLER, Bemerkungen, Zeitschrift für kantonale Rechtsprechung [CAN] 2017 Nr. 32 S. 103 f.). Allerdings gilt bei E-Mail-Eingaben ein strenges Empfangsprinzip und es bestehen erhebliche Beweisrisiken (vgl. BGE 145 V 90 E. 6.2.2; WIEDERKEHR/MEYER/BÖHME, VwVG, Kommentar, 2022, N. 17 zu Art. 21 und N. 11 zu Art. 21a VwVG). Angesichts der mangelnden Zuverlässigkeit des elektronischen Verkehrs im Allgemeinen und der Schwierigkeit, den Eingang einer E-Mail in den Herrschaftsbereich des Empfängers nachzuweisen, im Besonderen, ist der Absender einer E-Mail gehalten, vom Empfänger eine Empfangsbestätigung zu verlangen, und beim Ausbleiben einer solchen rechtzeitig zu reagieren. Es obliegt dem Absender, gewisse Vorsichtsmassnahmen zu treffen, um nicht nach den Regeln der Beweislastverteilung Gefahr zu laufen, dass die elektronische Sendung nicht oder nicht rechtzeitig innert der gesetzlichen Frist in den Herrschaftsbereich der zuständigen Behörde gelangt (BGE 145 V 90 E. 6.2.2; Urteil 8C_309/2022 vom 21. September 2022 E. 6.1.3).BGE 149 III 218 (220)
BGE 149 III 218 (221)2.2 Zu klären ist vorliegend, welches Beweismass im Allgemeinen bezüglich der Behauptung des Betriebenen gilt, Rechtsvorschlag erhoben zu haben.
2.2.1 Während der Beschwerdeführer geltend macht, dass nur der volle Beweis akzeptiert werden könne, ist die Vorinstanz, deren Auffassung sich der Beschwerdegegner anschliesst, der Ansicht, dass der Betriebene seine entsprechende Behauptung qualifiziert glaubhaft zu machen hat. Es solle weder der strikte Beweis, der vom Betriebenen in den meisten Fällen schwer zu erbringen sei, erforderlich sein, noch eine einfache Glaubhaftmachung nach dem Prinzip "in dubio pro debitore" genügen. In der Lehre wird diese kantonale Praxis (vgl. auch Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 14. April 2011 E. 8, in: BlSchK 2012 S. 117) zum Teil unterstützt (BESSENICH/FINK, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 3. Aufl. 2021, N. 27a zu Art. 74 SchKG). Die kantonale Rechtsprechung vermittelt indes kein einheitliches Bild. Einerseits wird von den kantonalen Aufsichtsbehörden mitunter sogar die blosse Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Erklärung als genügend erachtet, um den Rechtsvorschlag zuzulassen (Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 15. Februar 2022 E. 2.1.3, in: CAN 2022 Nr. 26 S. 101; Urteil der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn vom 10. Juni 2022 [SCBES.2022.34] E. 2.2). Andererseits wird die Einräumung einer Beweiserleichterung regelmässig gänzlich abgelehnt bzw. gar nicht erst in Betracht gezogen (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. August 2021 [PS210140] E. 2.5; Urteil der Cour de justice des Kantons Genf vom 21. Januar 2021 [DCSO/13/2021]; Urteil der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt vom 12. November 2020, in: BlSchK 2021 S. 299). Ohne auf die divergierenden kantonalen Praxen Bezug zu nehmen, hat sich auch das Bundesgericht bislang mit der allgemeinen Aussage begnügt, dass der Betriebene seine Behauptung, Rechtsvorschlag erhoben zu haben, zu beweisen hat.
2.2.3 Nach dem bundesrechtlichen Regelbeweismass gilt ein Beweis als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Absolute Gewissheit kann dabei nicht verlangt werden. Es genügt, wenn das Gericht am Vorliegen der behaupteten Tatsache keine ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht erscheinen (BGE 148 III 134 E. 3.4.1; BGE 135 V 39 E. 6.2; BGE 130 III 321 E. 3.2). Ausnahmen von diesem Regelbeweismass, in denen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit als ausreichend betrachtet wird, ergeben sich einerseits aus dem Gesetz selbst und sind andererseits durch Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet worden. Den Ausnahmen liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Rechtsdurchsetzung nicht an Beweisschwierigkeiten scheitern darf, die typischerweise bei bestimmten Sachverhalten auftreten. Die Beweiserleichterung setzt demnach eine "Beweisnot" voraus. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein strikter Beweis nach der Natur der Sache nicht möglich oder nicht zumutbar ist, insbesondere wenn die von der beweisbelasteten Partei behaupteten Tatsachen nur mittelbar durch Indizien bewiesen werden können. Eine Beweisnot liegt aber nicht schon darin begründet, dass eine Tatsache, die ihrer Natur nach ohne weiteres dem unmittelbaren Beweis zugänglich wäre, nicht bewiesen werden kann, weil der beweisbelasteten Partei die Beweismittel fehlen. Blosse Beweisschwierigkeiten im konkreten Einzelfall können nicht zu einer Beweiserleichterung führen (BGE 148 III 134 E. 3.4.1, BGE 148 III 105 E. 3.3.1; BGE 141 III 569 E. 2.2.1).
2.2.4 Ein Betriebener, der nicht bereits bei der Zustellung des Zahlungsbefehls Rechtsvorschlag erhoben hat (wobei er diesfalls darauf achten sollte, dass der Überbringer die Erklärung gemäss der im Formular für den Zahlungsbefehl enthaltenen Anweisung bescheinigt), hat unter anderem die Möglichkeit, den Rechtsvorschlag auf dem Amt mündlich zu Protokoll zu erklären oder diesen mit eingeschriebenem Brief zu erheben und so eine entsprechende Quittung über die rechtzeitige Übergabe an die Post zu erhalten. Zudem kann der Betriebene stets verlangen, dass ihm die Erhebung des Rechtsvorschlags vom Betreibungsamt gebührenfrei bescheinigt wird (Art. 74 Abs. 3 SchKG; VOCK/AEPLI-WIRZ, a.a.O., N. 23 zu Art. 74 SchKG). Der Betriebene sollte die kleine Mühe, die für die Sicherung des Beweises aufgewendet werden muss, nicht scheuen (BGE 99 III 58 E. 4 amBGE 149 III 218 (222) BGE 149 III 218 (223)Ende; MALACRIDA/ROESLER, in: SchKG, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 74 SchKG). Da es dem Betriebenen nach dem Gesagten entgegen der Darstellung der Vorinstanz ohne weiteres möglich ist, sich einen rechtsgenüglichen Beweis für die Mitteilung des Rechtsvorschlags und deren Rechtzeitigkeit zu sichern und überdies keine der am Betreibungsverfahren beteiligten Parteien unter irgendeinem Gesichtspunkt von vornherein schutzwürdiger als die andere ist (BGE 140 III 567 E. 2; Urteil 5A_713/2018 vom 23. Januar 2019 E. 2.3, in: SJ 2019 I S. 298; VOCK/AEPLI-WIRZ, a.a.O., N. 6 zu Art. 74 SchKG), kann als Zwischenfazit festgehalten werden, dass für den Nachweis der rechtzeitigen Erhebung des Rechtsvorschlags durch den Beschwerdegegner das Regelbeweismass der vollen Überzeugung gilt.
2.4 Diese Sichtweise lässt der Beschwerdeführer zu Recht nicht gelten. Vorliegend hat sich der Beschwerdegegner auf die Darlegung beschränkt, dass eine den Rechtsvorschlag beinhaltende E-Mail am 10. Dezember 2021 versendet worden sei, was nach den Regeln der Beweislastverteilung nicht ausreichend ist. Allein das Absenden einer E-Mail begründet noch keine erfolgreiche Mitteilung, weshalbBGE 149 III 218 (223) BGE 149 III 218 (224)für den Beweis der vollständigen Übermittlung bzw. der Rechtzeitigkeit ein vom Absender der E-Mail eingereichter Computerausdruck seiner Nachricht nicht genügt (BGE 145 V 90 E. 6.2.2 und 6.3; WIEDERKEHR/MEYER/BÖHME, a.a.O., N. 18 zu Art. 21 VwVG; WIEDERKEHR/PLÜSS, Praxis des öffentlichen Verfahrensrechts, 2020, Rz. 3586; DOLGE, Bemerkung zum Urteil 1P.254/2005 vom 30. August 2005, Pra 2006 Nr. 51 S. 367). Dabei erübrigt es sich, auf die vom Beschwerdeführer überdies geäusserten Zweifel an der Authentizität der von der Landeskanzlei eingereichten Screenshots in Papierform weiter einzugehen. Denn nachdem das Betreibungsamt zunächst von einem unterlassenen Rechtsvorschlag ausgegangen ist und die originäre E-Mail vom 10. Dezember 2021 beim Betreibungsamt nicht auffindbar ist, bleibt gestützt auf die im Recht liegenden Beweismittel jedenfalls offen, ob diese E-Mail beim Betreibungsamt angekommen ist. Da den Beschwerdegegner hierfür die volle Beweislast trifft, muss er die Folgen der Beweislosigkeit tragen. Die blosse Möglichkeit, dass das Betreibungsamt die E-Mail versehentlich unbearbeitet gelöscht haben könnte, rechtfertigt es nicht, den Beschwerdegegner von der Beweislast für den (rechtzeitigen) Zugang der besagten E-Mail zu befreien.