42. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. GmbH (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_421/2022 vom 11. April 2023 | |
Regeste | |
Art. 1 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 und 2 sowie Art. 35 Abs. 1 PatG; Mitbenützungsrecht und Neuheit.
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Sachverhalt | |
A.a Die B. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in U., Deutschland.
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Die A. AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in V., Schweiz.
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A.b Die Klägerin ist Inhaberin der beiden europäischen Patente EP x und EP y.
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Das Klagepatent EP x wurde am 12. Juli 2011 angemeldet und beansprucht die Priorität einer Anmeldung vom 19. November 2010. Der Hinweis auf die Erteilung erfolgte am 10. September 2014.
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Das Klagepatent EP y wurde am 11. Oktober 2011 angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung erfolgte am 26. März 2014.
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Bei keinem der Klagepatente wurde ein Einspruch eingelegt.
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A.c Das Klagepatent EP x stellt sich die Aufgabe, ein Verbindungselement für gegossene Bauteile (vor allem Betonböden und -wände) bereitzustellen, das Kältebrücken weitgehend eliminiert und in der Lage ist, grosse Druckkräfte und grosse Querkräfte abzufangen. Das Verbindungselement soll erlauben, mit geringem finanziellem und technischem Aufwand Energiestandards zu erfüllen und soll so ausgestaltet sein, dass eine möglichst grosse Freiheit hinsichtlich der Auswahl des Materials für den Isolationskörper besteht, ohne übermässig hinsichtlich der Höhe der Frischbetonierung oberhalb des erfindungsgemässen Anschlusselements eingeschränkt zu sein.
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B. Am 16. Dezember 2020 reichte die Klägerin gestützt auf die Schweizer Teile der beiden Klagepatente EP x und EP y beim Bundespatentgericht Klage ein, mit der sie insbesondere die Anordnung verschiedener Verbote sowie Auskunft und Rechnungslegung verlangte.
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Mit Teilurteil vom 17. August 2022 stellte das Bundespatentgericht fest, dass die Beklagte ein Mitbenützungsrecht im Sinne von Art. 35 Abs. 1 PatG am schweizerischen Teil von EP x hat. Zudem sprach es verschiedene Verbote bzw. weitere Anordnungen gegen die Beklagte aus und verpflichtete sie zur Auskunft und Rechnungslegung. Im weiteren Umfang wies es die Rechtsbegehren der Klägerin ab, soweit es darauf eintrat.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, es sei das Teilurteil des Bundespatentgerichts vom 17. August 2022 aufzuheben und es seien die Klagebegehren abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei; eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht hebt das angefochtene Teilurteil in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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3.1 Europäische Patente werden nach Art. 52 Abs. 1 des Europäischen Patentübereinkommens vom 5. Oktober 1973, revidiert in München am 29. November 2000 (EPÜ 2000; SR 0.232.142.2) für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente [Patentgesetz, PatG; SR 232.14]). Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört (Art. 54 Abs. 1 EPÜ 2000 und Art. 7 Abs. 1 PatG). Stand der Technik bildet nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ 2000 alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (vgl. auch Art. 7 Abs. 2 PatG).
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Nach Art. 35 Abs. 1 PatG ("Mitbenützungsrecht") kann das Patent demjenigen nicht entgegengehalten werden, der bereits vor dem Anmelde- oder Prioritätsdatum die Erfindung im guten Glauben im Inland gewerbsmässig benützt oder besondere Anstalten dazu getroffen hat.
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Die Vorinstanz hat diesem Verhältnis zwischen Mitbenützungsrecht und Neuheit der Erfindung keine Beachtung geschenkt. Sie ist von einem Mitbenützungsrecht ausgegangen, obwohl sie feststellte, die Beschwerdeführerin habe bereits 2005, also fünf Jahre vor dem Anmelde- bzw. Prioritätsdatum, ein Anschlusselement angeboten, das alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 des Klagepatents EP x verwirkliche. Mit ihrer Produktbroschüre "Flyer C." habe sie dieses Anschlusselement auch zum "vertikalen" Einbau zwischen einer Betondecke und einer Tragwand aus Beton angepriesen und habe diese Anschlusselemente auch hergestellt. Im Zusammenhang mit der Frage der Neuheit stellte die Vorinstanz ausserdem ausdrücklich fest, dass der fragliche "Flyer C." vor dem Prioritätsdatum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen erscheint naheliegend, dass die strittige Erfindung vor dem Anmelde- oder Prioritätsdatum nicht nur im guten Glauben gewerbsmässig benützt (Art. 35 Abs. 1 PatG), sondern darüber hinaus der Öffentlichkeit durch schriftliche Beschreibung bzw. durch Benützung zugänglich gemacht worden war (Art. 54 Abs. 2 EPÜ 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 PatG).
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