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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Anlass zur Beschwerde gibt der Entscheid des Verwaltungsgerich ...
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45. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen C. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_81/2022 vom 12. Mai 2023
 
 
Regeste
 
Art. 32 i.V.m. Art. 27 Abs. 1, Art. 73 Abs. 1, Art. 199 IPRG; Eintragung einer deutschen Geburtsurkunde und Kindesanerkennung in das Zivilstandsregister; Ordre public-Vorbehalt.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 III 370 (371)A.
A.a C.C., nunmehr C., wurde (...) 1967 in U./Deutschland als nicht eheliches Kind von D. geboren. Sie ist in Deutschland wohnhaft und deutsche Staatsangehörige.
Am 7. August 1967 anerkannte E. (geb. 1942), von V./SG, mit Wohnsitz in der Schweiz, beim Amtsgericht U. die Vaterschaft des nicht ehelichen Kindes und verpflichtete sich zur Zahlung von Unterhalt.
E. verstarb (...) 2016. Aus seiner Ehe mit A. (geb. 1947) ging die Tochter B. (geb. 1988) hervor. Sie sind gemäss Erbenbescheinigung (des Bezirksgerichts Imboden vom 11. April 2016) die gesetzlichen Erben.
A.b Im März 2017 gelangte C. an die Zivilstandsbehörden im Kanton St. Gallen und verlangte die Eintragung bzw. Nachbeurkundung der in Deutschland beurkundeten Geburt und des Kindesverhältnisses zu E. Sie stützte sich auf die Anerkennungserklärung vom 7. August 1967 sowie Registerauszüge, wie u.a. den Auszug aus dem Geburtsregister des Standesamtes U. (vom 4. Juli 2017) mit dem (am 20. November 1967 erfolgten) Eintrag über die Kindesanerkennung von E. und die Geburtsurkunde (Auszug aus dem Geburtseintrag auf internationalem Formular vom 4. Juli 2017) mit dessen Eintragung als rechtlicher Vater.
A.c Mit Verfügung vom 24. April 2018 wies das Amt für Bürgerrecht und Zivilstand (AfBZ) des Kantons St. Gallen, als kantonale Aufsichtsbehörde im Zivilstandswesen, das Gesuch um Eintragung und Anerkennung des nach deutschem Recht begründeten Kindesverhältnisses zwischen C. und E. selig ab. Die Verfügung wurde vomBGE 149 III 370 (371) BGE 149 III 370 (372)kantonalen Departement des Innern (DI) am 1. Februar 2019 bestätigt. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die von C. erhobene Beschwerde gut; die Angelegenheit wurde zur neuen Beurteilung - in Anwendung des IPRG - an die Erstinstanz (AfBZ) zurückgewiesen.
A.d Das AfBZ verfügte am 4. Mai 2020 die Anerkennung der Geburtsurkunde und Anerkennungsurkunde vom 7. August 1967 und des damit gemäss deutschem Recht begründeten rechtlichen Kindesverhältnisses zwischen C. und E. und ordnete die Eintragung im schweizerischen Personenstandsregister an.
B. Gegen die Verfügung gelangten A. und B. an das kantonale Departement des Innern (DI), welches den Rekurs mit Entscheid vom 4. Juni 2021 abwies. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2021 bestätigte das Verwaltungsgericht den Departementsentscheid.
C. Mit Eingabe vom 1. Februar 2022 haben A. und B. als Erbengemeinschaft Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten erhoben. Die Beschwerdeführerinnen verlangen, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und es sei das Gesuch von C. (Beschwerdegegnerin) um Anerkennung und Eintragung des Kindesverhältnisses zu E. selig in das schweizerische Personenstandsregister abzuweisen.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
 
BGE 149 III 370 (375)3.5.3 Gleich wie in der Schweiz und anderen Staaten Europas hat in den 1960/70er Jahren auch Deutschland das Kindesrecht geändert und die Rechtsstellung der ausserhalb der Ehe geborenen Kinder derjenigen der ehelichen Kinder angeglichen. Mit dem Gesetz vom 19. August 1969 über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (Nichtehelichengesetz; NEhelG DE), welches am 1. Juli 1970 in Kraft getreten ist, besteht zwischen dem ausserhalb der Ehe geborenen Kind und dessen Vater nicht mehr bloss eine schuldrechtliche Unterhaltsverpflichtung (Zahlvaterschaft), sondern eine echte rechtliche Eltern-Kind-Beziehung. Nach der übergangsrechtlichen Bestimmung von Art. 12 § 3 Abs. 1 NEhelG DE ist ein Mann, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in einer öffentlichen Urkunde seine Vaterschaft anerkannt hat oder sich einem vollstreckbaren Schuldtitel zu Unterhalt verpflichtet hat, ipso iure als (rechtlicher) Vater im Sinne des neuen Gesetzes anzusehen, d.h. sind die früheren deutschen Zahlvaterschaften von Gesetzes wegen rechtlich umgewandelt bzw. aufgewertet worden. Das gilt nach der deutschen Rechtsprechung auch, wenn sich ein Ausländer vor Inkrafttreten des NEhelG DE im Geburtsregister eintragen liess, ohne Rücksicht darauf, ob die Vaterschaft auch nach dem Heimatrecht des betreffenden Ausländers besteht. Diese Rechtslage in Deutschland - die nachträgliche Aufwertung deutscher Zahlvaterschaften zu einem rechtlichen Kindesverhältnis - wird bereits im Jahre 1980 der schweizerischen Praxis zugrunde gelegt (VPB 44/1980 Nr. 109 E. 4, E. 5 mit Hinweisen).
Hauptziel der Revision des neuen, am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen schweizerischen Kindesrechts war die Verbesserung der Rechtsstellung des ausserehelichen Kindes und seiner Mutter. Die diskriminierende Unterscheidung zwischen Ehelichkeit und Ausserehelichkeit wurde abgeschafft; an ihre Stelle trat der Grundsatz der Einheit des Kindesverhältnisses. Gleichzeitig wurde auch der Dualismus von Standesfolge- und Zahlvaterschaft aufgehoben (vgl. BGE 108 II 527 E. 1b mit Hinweisen).
BGE 149 III 370 (376) BGE 149 III 370 (377)Im Unterschied zum deutschen Übergangsrecht wurden jedoch die altrechtlich begründeten Zahlvaterschaften nicht ipso iure in Vaterschaften mit Standesfolge übergeleitet. Die Rückwirkung ging weniger weit: Nach Art. 13a SchlT ZGB hat jedes Kind, für das beim Inkrafttreten des neuen Rechts eine Zahlvaterschaftsregelung bestand und das zehnte Altersjahr noch nicht vollendet hatte, die Möglichkeit, innert zwei Jahren auf Feststellung zu klagen (vgl. BGE 108 II 527 E. 2a). Die Möglichkeit der ex lege- Umwandlung nach dem Muster des NEhelG DE wurde ebenfalls diskutiert (Botschaft vom 5. Juni 1974 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesverhältnis], BBl 1974 II 1 Ziff. 342.4, S. 103); die getroffene Übergangsregelung ist eine Kompromisslösung (vgl. BGE 124 III 1 E. 1c; PIOTET, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. II, 2016, N. 3 f. zu Art. 13a SchlT ZGB).
3.7.1 Die Beschwerdeführerinnen blenden aus, dass für einen Ordre public-Verstoss nicht genügt, dass die im Ausland getroffene LösungBGE 149 III 370 (377) BGE 149 III 370 (378)von der nach schweizerischem Recht vorgesehenen abweicht oder in der Schweiz unbekannt ist (BGE 126 III 101 E. 3b). Als Ausnahmeklausel bleibt einzig der allfällige Einsatz des schweizerischen Ordre public gegen das Gültigkeitsstatut bzw. deutsche Recht, wie die Beschwerdeführerinnen selber an anderer Stelle zu Recht ausführen. Ein offensichtlicher Verstoss gegen das schweizerische Rechtsempfinden liegt jedoch - wie dargelegt - in der Anerkennung der deutschen Regelung zur rückwirkenden Aufwertung von Zahlvaterschaften nicht vor.
3.8.2 Die Beschwerdeführerinnen erneuern ihre Vorbringen, legen indes in keiner Weise dar, inwiefern die Auffassung des Verwaltungsgerichts gegen die Regeln über die Anerkennung von im Ausland erfolgten Kindesanerkennungen (Art. 73 Abs. 1 IPRG) verstossen habe. Sie behaupten selber nicht, dass das hier ausschlaggebende deutsche Recht (Gültigkeitsstatut für die Kindesanerkennung) eine "besondere persönliche Beziehung" zwischen Kind undBGE 149 III 370 (378) BGE 149 III 370 (379)Anerkennendem voraussetze. Inwiefern die Vorinstanz in diesem Zusammenhang den Begriff des Ordre public (Art. 27 Abs. 1 IPRG) bzw. das Rechtsmissbrauchsverbot verkannt haben soll, ist nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdegegnerin als ausländische Staatsangehörige, die mit dem Anerkennenden in einem familienrechtlichen Verhältnis steht, ausländische Erklärungen, die den Personenstand betreffen, den schweizerischen Behörden zu melden hat (Art. 39 ZStV; SR 212.112.2).