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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Die Vorinstanz hat die Argumentation des Beschwerdeführer ...
2. Für die Entscheidung der Frage, ob im vorliegenden Fall A ...
3. Im vorliegenden Fall hat das Obergericht die Wegnahme fremder, ...
4. Erweist sich nach dem Gesagten der dem Beschwerdeführer z ...
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34. Urteil des Kassationshofes vom 15. Oktober 1971 i.S. Born gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
 
 
Regeste
 
Art. 151, 137 StGB.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 97 IV 194 (194)A.- In der Zeit von März bis Juni 1969 benutzte Paul Born unter Mitwirkung anderer in verschiedenen Restaurants und Spielsalons aufgestellte Spielautomaten, um sich ungerechtfertigte Geldgewinne in einem unbestimmten, Fr. 150.-- nicht übersteigenden Gesamtbetrag zu verschaffen. Born und seine Komplizen gingen dabei so vor, dass sie durch Einwurf einer gültigen Schweizermünze die Automaten ordnungsgemäss in Betrieb setzten, sodann aber mit einem 40 cm langen Eisenstab in den Mechanismus des Apparates eingriffen (sog. Sing-Sing-Methode), wodurch sie bewirkten, dass ihre Erfolgsaussichten unverhältnismässig gesteigert wurden und sie zumeist Höchstgewinne von netto Fr. 7.- pro Spiel erzielten.
B.- Am 30. April 1970 sprach das Bezirksgericht Zürich Born wegen dieser Handlungen des wiederholten Diebstahls schuldig und verurteilte ihn deswegen sowie wegen verschiedener anderer Straftaten zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 42 Tagen Gefängnis, abzüglich 8 Tage Untersuchungshaft, und zu einer Busse von Fr. 150.--.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 23. April 1971 im genannten Anklagepunkt den auf Diebstahl lautenden Schuldspruch der ersten Instanz und erkannte seinerseits auf die von dieser ausgefällten Strafen.
BGE 97 IV 194 (194)
BGE 97 IV 194 (195)C.- Born führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei bezüglich der ihm zur Last gelegten Diebstahlshandlungen aufzuheben und die Sache insoweit zu einer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Born stellt sich auf den Standpunkt, es handle sich bei den fraglichen Verfehlungen um eine Erschleichung von Leistungen im Sinne des Art. 151 StGB, eventuell um blosse Entwendungen.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf die Einreichung von Gegenbemerkungen verzichtet.
 
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, es fehle für eine Unterstellung seiner Handlungen unter Art. 137 StGB das Tatbestandsmerkmal des Wegnehmens. Durch das Manipulieren der Automaten vermittels eines Eisenstäbchens sei bloss die Wahrscheinlichkeit des durch den Automaten vermittelten Gewinns gesteigert, dieser aber nicht weggenommen worden. Automaten könnten auch auf andere Weise, z.B. durch Rütteln, Schrägstellen usw. derart beeinflusst werden, dass die sich drehende Glücksscheibe auf der Glückzahl stehen bleibe. Wollte man den Eingriff mit dem Eisenstäbchen als Diebstahl betrachten, müsste man auch auf jene Fälle Art. 137 StGB anwenden. Das wäre jedoch lebensfremd. Wegnehmen sei ein klares, eindeutiges und unmittelbaresBGE 97 IV 194 (195) BGE 97 IV 194 (196)Behändigen fremden Eigentums zum Zwecke der Bereicherung. Das Manipulieren eines Automaten durch regelwidriges Beeinflussen seiner Funktion mit dem Zweck, eine immer noch ungewisse, aber wesentlich erhöhte Wahrscheinlichkeit von Gewinn zu erzielen, erfülle jenes Wegnehmen nicht.
a) Gewahrsam ist tatsächliche Sachherrschaft mit dem Willen, sie auszuüben. Dass diese Herrschaft des Inhabers von Automaten an Waren und Geld besteht, die sich unter Verschluss in diesem befinden, steht ausser Zweifel. Deshalb macht sich auch eines Diebstahls schuldig, wer einen solchen Automaten aufbricht oder beschädigt, um sich dessen Inhalt anzueignen (Prot. 2. ExpKom VII, S. 17/18; CLERC, Cours élémentaireBGE 97 IV 194 (196) BGE 97 IV 194 (197)sur le Code pénal suisse, I S. 147; LOGOZ, N. 2 c Abs. 4 zu Art. 151; THORMANN/v. OVERBECK, N. 10 zu Art. 151).
b) Dagegen steht die schweizerische Lehre überwiegend auf dem Standpunkt, dass die Erlangung einer Automatenleistung durch Einwurf eines wertlosen, nach Form und Gewicht einer Münze entsprechenden Gegenstandes auch bei Warenautomaten eine blosse Erschleichung einer Leistung im Sinne des Art. 151 StGB darstelle (LOGOZ, N. 2 c Abs. 1 zu Art. 151; THORMANN/v. OVERBECK, loc.cit.; ferner GERMANN, Das Verbrechen, N. 3 zu Art. 151 und HAFTER, Bes. Teil S. 283, denen zufolge Warenautomaten ebenfalls in Betracht kommen; anders RYCHNER, Der Missbrauch der Automaten usw., in SJZ 1941/42, S. 27. Vgl. im Sinne der vorherrschenden Lehre auch BJM 1968, S. 91; ablehnend dagegen SJZ 1964, S. 209 Nr. 144). Die Vorinstanz hält demgegenüber dafür, dass unter den in Art. 151 StGB verwendeten Begriff der Leistung nur Arbeits-, nicht aber auch Waren- oder Geldleistungen fielen. Sie beruft sich hiefür auf ein übrigens durch einen späteren Entscheid derselben Behörde (BJM 1968, S. 91/92) überholtes Urteil des Basler Strafgerichtes aus dem Jahre 1964 (SJZ 1964, S. 209 Nr. 144), in welchem zur Stütze dieser These auf den französischen Gesetzeswortlaut, auf Art. 394 OR und die deutsche Rechtsprechung verwiesen wird.
Soweit der Automatenmissbrauch in Frage steht, verwendet die französische Fassung des Art. 151 in Absatz 4 zwar den Ausdruck "fonctionnement d'un appareil automatique", was im Sinne einer sich im mechanischen Bewegungsablauf des Apparates erschöpfenden Leistung (z.B. in der Wiedergabe von Musik, im Anzeigen eines Gewichtes, in der Herstellung einer telephonischen Verbindung usw.) gedeutet werden kann. Indessen ist nicht zu übersehen, dass Absatz 4, der gleich den Absätzen 2 und 3 bloss ein Beispiel erwähnt, im Zweifelsfall stets nach der Generalklausel des ersten Absatzes auszulegen ist (Zürcher Erläuterungen I S. 191; HAFTER, op.cit. S. 283/4). Dieser aber spricht auch in der französischen Fassung allgemein von der betrügerischen Erlangung "d'une prestation", welcher Begriff im schweizerischen Recht als Bezeichnung für das "objet de l'obligation, consistant à livrer une chose ou à accomplir un acte" verwendet wird (PICCARD/THILO/STEINER, Rechtswörterbuch, I S. 437). Entsprechend schliesst denn auch das Obligationenrecht, auf das die Vorinstanz mittelbarBGE 97 IV 194 (197) BGE 97 IV 194 (198)verweist, in die "Leistung" persönliche und sachliche Leistungen ein (z.B. Art. 21, 24 Ziff. 3, 70, 72, 103, 107). Soweit es unter dem Titel des Dienstvertrages von Leistungen spricht, präzisiert es diese übrigens als "Leistungen von Diensten" (Art. 319 OR), während der im genannten Basler Entscheid erwähnte Art. 394 OR in Absatz 2 den Ausdruck "Arbeitsleistung" verwendet (s. hiezu auch von TUHR/SIEGWART, Allg. Teil zum schweiz. OR, I S. 41/42). Die von der schweizerischen Strafrechtslehre im Gegensatz zu der im genannten kantonalen Entscheid angeführten und übrigens nicht ohne Widerspruch gebliebenen deutschen Rechtsprechung (s. Leipziger Kommentar, 8. Auflage, N. 3 zu § 265a, S. 468) vorwiegend vertretene Auffassung, wonach Art. 151 Abs. 4 StGB nicht bloss die Erschleichung von Arbeitsleistungen, sondern auch von Warenleistungen umfasse, ist sachlich begründet, soweit der Missbrauch von Automaten, die Waren oder Geld auswerfen, sich nicht ohne weiteres den Tatbeständen des Diebstahls oder des Betruges unterstellen lässt; denn es wäre nicht verständlich, warum der unter dem Titel der "Strafbaren Handlungen gegen das Vermögen überhaupt" eingeordnete Art. 151 StGB sich in solchen Fällen auf Arbeitsleistungen beschränken und die Erschleichung von Waren- und Geldleistungen unberücksichtigt lassen sollte.
Bei Automaten, die Sachleistungen vermitteln, besteht nun aber der Gewahrsam des Automatenbesitzers am Inhalt des Geräts nur so lange, als dieser nicht durch den Mechanismus des Apparates in die Lade ausgestossen wird. In diesem Augenblick hört die tatsächliche Herrschaft des Automateninhabers über die Sache auf. Den dahingehenden Willen bekundet jener mit dem Aufstellen des Gerätes, von dem er weiss, dass es die Leistungen selbsttätig vermittelt, und dies selbst dann, wenn es ordnungswidrig in Betrieb gesetzt wird. Die Möglichkeit also, dass der Automateninhalt solcherweise in die tatsächliche Herrschaft eines Dritten gelangen werde, nimmt er mit dem Aufstellen des Apparats in Kauf. Tatsächlich bleibt denn auch in Fällen, wo ein solcher Automat wie im oben erwähnten Beispiel durch einen wertlosen Gegenstand in Betrieb gesetzt und damit unrechtmässig eine Sachleistung erwirkt wird, der Ausstoss der Ware oder des Geldes aus dem Gerät die Folge des Zusammenwirkens zweier Faktoren, von denen der eine vom Automatenbesitzer in Kenntnis seiner selbsttätigenBGE 97 IV 194 (198) BGE 97 IV 194 (199)Wirkung gesetzt wurde. Ist dem aber so, erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die Aneignung der Sache durch den Täter noch als ein Wegnehmen im Sinne des Art. 137 StGB angesehen werden kann. Jedenfalls stellt sich die Annahme eines Erschleichens gemäss Art. 151 StGB als die natürlichere Lösung dar, und es werden durch die Anwendung dieses Artikels auch die Schwierigkeiten behoben, die - wie bereits ausgeführt (Erw. 2) - mit seinem Erlass dem Richter erspart werden sollten.
c) Was sodann den heute zur Beurteilung stehenden Fall betrifft, so liegt er zwischen dem als Erschleichung erachteten Erlangen einer Automatenleistung durch Einwurf eines wertlosen Gegenstandes und dem eindeutig sich als Diebstahl darstellenden Aufbrechen eines Automaten zur Aneignung seines Inhalts. Er hat jedoch offensichtlich mehr Ähnlichkeit mit dem ersteren als mit dem zweiten Vergleichstatbestand, indem Born sich den unrechtmässigen Gewinn, wenn auch durch einen ordnungswidrigen, so doch durch einen Gebrauch des Automaten verschafft hat, so dass die erwirkte Leistung wie bei der vorerwähnten Erschleichung im Ergebnis als durch den Apparat vermittelt erscheint, was bei dessen Aufbrechen klarerweise nicht zutrifft. Dass Born nicht bei der Inbetriebsetzung, sondern erst nach dieser ordnungswidrig in den Mechanismus des Automaten eingegriffen hat, macht keinen wesentlichen Unterschied aus; unter den Begriff des Erschleichens fällt jeder unzulässige Kunstgriff (Leipziger Kommentar, N. 2 zu § 265 a), durch den das Gerät ohne Zerstörung in seinem mechanischen Bewegungsablauf beeinflusst und damit zu einer Leistung veranlasst wird, die es sonst nicht oder nicht im gleichen Umfang erbringen würde. Dann aber entspricht es einer natürlichen Betrachtungsweise, wie im erstgenannten Vergleichsfall das Verhalten des Täters als ein blosses Erschleichen gemäss Art. 151 StGB und nicht als ein Wegnehmen im Sinne des Art. 137 StGB zu beurteilen.
Der Umstand, dass Born die Gewinne durch einen Trick erlangt hat, führt zu keinem andern Schluss, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint. Ordnungswidrige Kunstgriffe sind geradezu charakteristisch für die Erschleichung einer Leistung im Sinne des Art. 151 Abs. 4 StGB. Das erhellt ohne weiteres aus der französischen wie der italienischen Umschreibung des Begriffs als einer "obtention frauduleuse d'une prestation"BGE 97 IV 194 (199) BGE 97 IV 194 (200)bzw. einem "conseguimento fraudolente di una prestazione". LOGOZ setzt denn auch das in Absatz 1 des französischen Gesetzestextes verwendete Adverb "frauduleusement", das - wie gesagt - zur Auslegung auch von Absatz 4 heranzuziehen ist (Erw. 3 b), gleich dem Ausdruck "en usant de ruse" (Kommentar, N. 2 zu Art. 151), was deutlich macht, dass der Täter die Leistung vermittels einer List, eines Tricks oder Kunstgriffs erwirkt (s. auch HAFTER, op.cit. S. 283, der ausdrücklich vom Täter spricht, der durch einen Trick die Leistung eines Automaten erlangt; s. auch Leipziger Kommentar, N. 2 zu § 265a, S. 468).
Schliesslich kann dem Obergericht auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als es die Anwendung von Art. 151 StGB auf den vorliegenden Fall deswegen verwarf, weil es dem Beschwerdeführer bei seinen Manipulationen nicht um eine Leistung, sondern um den Geldinhalt des Automaten gegangen sei. Dieses Argument geht schon deswegen fehl, weil ihm die unzutreffende Auffassung zugrunde liegt, wonach die von den fraglichen Spielautomaten ausgeworfenen Geldbeträge keine Leistungen seien. Dass unter den Begriff der Leistung gemäss Art. 151 StGB nicht nur Arbeitsleistungen, sondern auch Sachleistungen fallen, wurde bereits dargetan (Erw. 3 b). Dann aber lassen sich auch die in Geld ausgeworfenen Prämien der fraglichen Spielautomaten sehr wohl unter Art. 151 StGB einordnen. Nach der Aktenlage vermitteln nämlich die genannten Geräte zwei Leistungen. Die erste besteht in der Gewährung eines Spielgenusses. Sie hängt vom Einwurf einer Münze von Fr. 1. - ab und tritt jedesmal ein, wenn der Apparat in Betrieb gesetzt wird. Als zweite Leistung wirft der Automat bei einer bestimmten Konstellation Geldbeträge von Fr. 2.- bis Fr. 8.- aus. Dass dabei Zufall und Geschicklichkeit eine Rolle spielen, ändert nichts daran, dass es sich auch hierbei um eine typische, der Konstruktion des Gerätes entsprechende Leistung handelt. Spielbetrieb und Geldgewinn sind somit gleicherweise durch den Automaten vermittelte Leistungen (vgl. ebenso BJM 1968, S. 92).
Des weiteren verkennt die Argumentation der Vorinstanz, dass es bei den genannten Spielautomaten gerade in der Natur der Sache liegt, dass der Spieler auch um des Geldgewinns willen spielt. Dass auch der Sinn des Beschwerdeführers auf die Erlangung eines solchen und damit auf einen Teil des GeldinhaltsBGE 97 IV 194 (200) BGE 97 IV 194 (201)des Apparates gerichtet gewesen ist, steht deshalb der Annahme einer Erschleichung nicht nur nicht entgegen, sondern gehört vielmehr zum Vorsatz des Täters, der dabei freilich im Bewusstsein handeln muss, dass er den Inhaber des Automaten um eine Leistung prellt. Das aber ist beim Beschwerdeführer unzweifelhaft der Fall gewesen. Die erste Leistung des Automaten hat Born durch Einwurf eines gültigen Frankenstücks bezahlt, sich also gegen entsprechendes Entgelt verschafft. Die zweite dagegen hat er zumindest teilweise unrechtmässig erwirkt, indem er durch die Manipulation mit dem Eisenstäbchen die vom Konstrukteur des Apparates bewusst eingerechnete Zufälligkeit praktisch ausgeschaltet und so seine Gewinnaussichten unverhältnismässig gesteigert hat. In dem Umfang, als sich diese durch häufigere und zumeist höchste Gewinne von netto Fr. 7.- (ausgeworfener Geldbetrag Fr. 8.- - Einsatz von Fr. 1.-) verwirklicht haben, hat Born eine Leistung erschlichen, die über das hinausging, was er für die von ihm erbrachte Gegenleistung bei ordnungsgemässem Gebrauch des Automaten hätte erwarten können. Insoweit hat er deren Besitzer um Leistungen geprellt, was ihm durchaus bewusst gewesen ist; nach seinen Ausführungen in der Beschwerde hatte er nämlich seine Handlungsweise als "Bschiss" empfunden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.BGE 97 IV 194 (201)