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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz übt der Beschwerde ...
2. Die Vorinstanz geht davon aus, der Beschwerdeführer habe  ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
28. Urteil des Kassationshofes vom 26. März 1976 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
 
 
Regeste
 
Art. 35 Abs. 2 SVG.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 102 IV 113 (113)A.- Am Nachmittag des 1. April 1975 fuhr H. mit einem Personenwagen (Ford Capri) in einer Kolonne von Klosters nach Küblis. Zu Beginn der geraden Strecke vor der ersten Rechtskurve am Gruoben-Stutz begann er hinter einem langsam fahrenden VW nach links auszuscheren und setzte zum Überholen dieses Fahrzeugs an, nachdem er festgestellt hatte, dass das vor ihm liegende Strassenstück bis in die Rechtskurve hinein frei war. Vor der Rechtsbiegung bog er wieder in die rechte Fahrbahn ein und konnte das Überholmanöver noch im überblickbaren Bereich der Kurve beenden, ohne dass ein Fahrzeug aus der Gegenrichtung auftauchte.
H. wurde von der Polizei, die weiter hinten in der Kolonne den Verkehr überwachte, in Küblis angehalten, weil er vor einer unübersichtlichen Rechtskurve überholt habe. Dabei stellte sich heraus, dass er weder einen Führer- noch Fahrzeugausweis bei sich hatte.
B.- Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden verurteilte H. am 12. Dezember 1975 wegen Verletzung der Art. 35 Abs. 2 und 99 Ziff. 3 SVG zu einer Busse von Fr. 90.--.
C.- H. erhebt Einspruch gegen dieses Urteil und beantragt Freispruch.
D.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
BGE 102 IV 113 (113)
 
BGE 102 IV 113 (114)Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Diese Rechtsauffassung der Vorinstanz ist nicht haltbar. Sehr oft kann der Fahrzeugführer, der hinter einem andern Wagen fährt, von seiner Stellung aus noch nicht zuverlässig beurteilen, ob der Vorderwagen überholt werden kann und darf. Nach ständiger Rechtsprechung ist auf Strecken ohne Überholverbot darum erlaubt, sich dem vorausfahrenden Fahrzeug zu nähern und sodann auf die linke Strassenseite auszuscheren, um die zum Überholen benötigte Strecke überblicken und sich entschliessen zu können, ob mit dem Überholen begonnen oder auf das Unternehmen verzichtet werden soll. Durch die blosse Abklärung der Sicht- und Verkehrsverhältnisse wird das eigentliche Überholen erst vorbereitet, aber noch nicht begonnen. Der Umstand allein, dass der BeschwerdeführerBGE 102 IV 113 (114) BGE 102 IV 113 (115)nicht schon auf der rechten Fahrbahn, sondern erst nach dem Ausschwenken auf die linke Fahrspur sich vergewissern konnte, dass der Überholweg frei sei, stellt daher keinen Verstoss gegen Art. 35 Abs. 2 SVG dar, wo vorausgesetzt wird, dass mit dem Überholen begonnen worden ist. Dass der Beschwerdeführer beim Überholen eine andere Verkehrsregel verletzt hätte, wird auch von der Vorinstanz nicht angenommen.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer vom Vorwurf der Übertretung des Art. 35 Abs. 2 SVG freizusprechen und die Busse für die nicht angefochtene Widerhandlung gegen Art. 99 Ziff. 3 SVG (Nichtmitführen der erforderlichen Ausweise) neu festzusetzen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 12. Dezember 1975 aufgehoben und die Sache zum Freispruch vom Vorwurf der Verletzung des Art. 35 SVG und zur Neufestsetzung der Busse wegen Nichtmitführens von Ausweisen zurückgewiesen.BGE 102 IV 113 (115)